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Fortsetzung der Geschichte Edgar Vaughan's.
» Sechs Monate sollst Du von Lily fern sein! Um sie vielleicht zu vergessen und ein lieblicheres Mädchen zu finden!«
»Neben der Lilie sind alle anderen Mädchen Kletten. Und wenn ich es dennoch thäte?«
Sie zeigte mir ein kleines Stilet mit einem Kreuz auf dem Griff und preßte die Perlenzähne aufeinander.
»Gilt das mir oder ihr?«
»Euch Beiden und dann Lily selber.«
»Oh, Du kleine Massenmörderin! Gieb mir sofort drei Küsse, einen für jeden Mord.«
»Nur, wenn Du mir auf die Reliquien gelobst, nie zweimal nach einem hübschen Mädchen zu schauen.«
So vertändelten wir die kostbare Zeit, die zehn Tage, welche mir zum Ausrüsten meiner kleinen Yacht bewilligt waren, mit thörichtem Geplauder und dem Ersinnen von fünfzig einfältigen Plänen, um uns ein scheinbares Zusammensein zu schaffen. Ich hatte für schleunige Abreise gestimmt, damit der Zeitraum sofort beginnen sollte. Lily aber war gesonnen, mich bis zum allerletzten Augenblick zurückzuhalten, und natürlich setzte sie ihren Willen durch. Mein kleines Fahrzeug, das ich jetzt »die Lilie« nannte, wurde von Calvi gebracht und in eine kleine, stille Bucht vor Anker gelegt, wo meine Geliebte es von dem Fenster ihres Schlafzimmers sehen konnte. Die corsische Sitte erlaubte nicht, daß ich noch länger in dem Schlosse wohnte. Die Vorrechte des Gesetzes waren geschwunden, und als Freier mußte ich mich strengen Gesetzen unterwerfen. Aber für mich und meine Geliebte machte das nur wenig Unterschied. Ich verließ den Vendetta-Thurm, wie ich ihn leichthin nannte, niemals, ehe mein Liebling zu Bette geschickt wurde. Morgens erklomm ich die Höhen nach einem langen Bade in den Saphirwellen und begegnete meiner Lilie, die frisch vom Thau ihrer Morgentoilette blinkte. Wie liebte sie mich, und wie liebte ich sie! Wessen Liebe die des Anderen übertraf, das mögen die Engel sagen, denn wir konnten es nicht entscheiden. Der alte Corse, ihr Vater, war, obgleich nur wenig belesen, ein so vollendeter Gentleman, daß er stets wußte, wann seine Gegenwart nicht verlangt wurde. Deßhalb nahm er mein Ehrenwort für Lily's Sicherheit und ließ ihr ihren lieben Willen, und ihr lieber Wille war, sämmtliche Stunden des Tages in meiner Gesellschaft zu verleben. Sie brauchte den Bluträcher noch nicht zu fürchten. Den Ehrengesetzen zufolge dürfen sie die Tochter nicht vor dem Vater erschießen. In Bezug auf die Söhne gilt diese Einschränkung nicht. Die Fehde, in welche wir verwickelt waren, währte jetzt schon einhundert und zwanzig Jahre und hatte hundert und dreißig Menschen das Leben gekostet. Sie wurde zwischen den alten Geschlechtern Della Croce und De Gentili gekämpft und entstammte der Entdeckung eines todten Maulthieres auf dem Wege zur Kirche. Die Frage war, welches Geschlecht zuerst vertilgt sein würde. Lange Jahre hindurch war das Haus Della Croce im Steigen, und eine lange Reihe geschickter Schützen und tüchtiger Kämpfer war aus ihm hervorgegangen. Es gab eine Zeit, wo die ganze Hoffnung der Familie Gentili an dem Leben eines Kindes hing, von dem man es nicht der Mühe werth hielt zu reden. Ein unseliger Irrthum – jenes eine Leben erwies sich als ein mächtiger Triumph. Einer nach dem Anderen von dem Stamme Della Croce fiel durch die List jenes originellen Künstlers, der die Methode erfand, sich in einem ausgehöhlten Olivenstamm zu verbergen und durch ein Astloch zu feuern. Gar manche Geschichte erzählte mir Lily von seinen teuflischen Ränken, und ich war entzückt von diesen Erzählungen, weil sie meinen Hals dann umschlang und so zitterte, daß ich sie halten mußte. Glücklicherweise war jener Olivensproß jetzt todt. Die Todeswunde hatte er erhalten, während er Lily's jüngstem Bruder das Leben raubte. Seit jener Zeit hatte die Fehde nachgelassen, und die strenge Etikette verlangte, daß ein Della Croce den nächsten Mord verübe. Aber meine Lily, das zarte Köpfchen an meine Brust gelehnt und die sanften Augen voller Feuer, sagte mir, daß ihrem Vater nicht einmal Etwas daran zu liegen scheine, den Vetter des Mannes zu erschießen, der ihre Brüder getödtet habe.
Theure, geliebte Lily, das Blut erstarrt mir, selbst während ich Dich im Arme halte, wenn ich Dich so vom Morde sprechen höre. Einziges Herzchen, ich will Dich umwandeln. Du für die Liebe, Sanftmuth und Wonne bestimmter Engel, die Teufelei der Menschheit hat selbst Dich angesteckt!
Es war keine leichte Aufgabe, sie umzuwandeln. Von allen menschlichen Leidenschaften ist Rache bei Weitem die stärkste. Clara, wie blitzen Deine Augen! Du hättest eine Corsikanerin sein müssen. Ja, es war keine leichte Aufgabe, aber die Liebe liebt es, Schwierigkeiten zu überwinden. In den zehn kurzen Tagen wonnigen Elends lehrte ich Fiordalisa fast die Rache verabscheuen. Was, glaubst Du, unterstützte mich am meisten? Nicht die Bibel; ebensowenig der Verstand oder Berufungen an die Liebe. Das Einzige, was mir überhaupt außer Liebkosungen zu Hilfe kam, das war die weite, freie Fläche der ewig wechselnden See. Auf meinem kleinen Verdeck hatte ich eine mit Polstern versehene Nische für sie hergerichtet, und dort saßen wir und steuerten selber, während die Matrosen unten schliefen. So allein auf jener crystallenen Welt, was fragten wir, die wir einander für Leben und Tod gehörten, in tiefen Zügen aus dem Becher der Leidenschaft tranken, ohne gesättigt zu werden, was fragten wir nach kleinlichem Haß, wir, denen die Liebe Alles war? Wie lauschte sie meinen Worten, und wie wurden ihre großen Augen noch größer!
Endlich trübten sich jene Augen, jene reinen Quellen der Liebe, von heißen Thränen. Der verhängnißvolle Tag war da. Liebeszeichen und Myriaden Gelübde, zahllose Versprechungen, die selbst die Liebe kaum im Gedächtniß behalten kann, wurden gewechselt. Mit der ganzen Leidenschaftlichkeit ihres Volkes und der ganzen Gluth des Klimas entblößte sie den schön gerundeten Arm an der Stelle, die ihrem Herzen am nächsten war, und ritzte ihn mit dem scharfen Stilet, dann warf sie sich an meine Brust, und ich berührte das blutgefärbte Elfenbein mit meinen Lippen. Wie zum Teufel – entschuldige Clara – wie zum Teufel ich fort kam, können nur phlegmatische Engländer sagen. Kein Franzose oder Italiener würde das himmlische Wesen so verlassen haben. Wir zögerten bis zum letzten Moment, bis es gefährlich war, die klaffenden Felsenufer zu passiren. Mein Unstern wollte, daß mit dem purpurnen Sonnenuntergang eine Brise aufstieg. Mein einziges Lieb stand an der äußersten Landspitze, mit den weißen Füßen im Wasser und auf den Zehen, damit sie noch eine Yard weiter sehen könne. Die in alle Ewigkeit von mir Geliebte löste das schwarze Haar, daß es über das schneeweiße Mieder fiel, um mir von dem Felsenhintergrund deutlicher sichtbar zu sein. Dann schwenkte sie ihren von meiner Lily Locken duftenden runden Hut, bis sie glaubte, daß ich sie nicht mehr sehen könne. Mein Teleskop zeigte mir noch, wie sie auf einen Felsenblock zurückfiel, und ich sah oder vermeinte zu sehen, daß ihr Busen sich unter leidenschaftlichem Schluchzen hob. Wir glitten an der dunkeln Höhle und an dem silberglänzenden Gestade vorüber, und dann entzog mir eine vorspringende Klippe den letzten Anblick meiner Lily.
Mag der Schulknabe in der Pension auch noch so sehr unter den Mißhandlungen eines feigen Lümmels von den »Großen« oder unter den Streichen des Birkenreises geblutet haben, mag er noch so bitterlich bei den Martern der unregelmäßigen Deklinationen oder den brachycatalektischen »Brachykatalektisch« bedeutet in der Verslehre, dass zwei Silben fehlen. Mittagbroden geweint haben, so wird sich trotz aller dieser kleinen Leiden sein Herz im späteren Leben dennoch stets nach dem Schauplatz des Ballspiels und des Versteckens zurücksehnen, nach jenen Tagen, wo ihm kein Sprung zu hoch und kein Essen zu schlecht war. So ist es auch mit der Liebe. Selbst auf bittere Trennung und Scenen der Uneinigkeit, wo sich das Herz, auf dem das Andenken ruht, vor Eifersucht zusammenkrampft oder im Weh des Zweifels windet, auf alle diese Momente blickt die Erinnerung wie auf die Schätze eines goldenen Zeitalters zurück.
Ueber die dunklerwerdende See segelte ich nach Sardinien hinüber. Stunde auf Stunde verrann, während ich auf die Polster starrte, in denen mein süßer Liebling sich zärtlich an mich geschmiegt hatte. Sie erschienen mir schöner als alle Sterne und das phosphorescirende Meer. Von Zeit zu Zeit sang unser korsikanischer Lootse, um sich munter zu erhalten, zu seltsam düsteren Melodieen einige der Klagelieder, die seit Jahrhunderten diesem trauernden Lande eigen sind. Es wäre eine passende Heimath für Rachel, Niobe oder Cassandra gewesen, dieses Land, wo eine halbe Million tapferer Menschen, die Hälfte der jetzigen Bevölkerung, der Blutrache zum Opfer gefallen sind. So erzählen korsikanische Historiker; tausend unnatürliche Sterbefälle hat jedes Jahr seit den letzten fünf Jahrhunderten gebracht. Mitunter harrt der Rächer ein halbes Menschenalter, bis sein Moment gekommen ist. Ehe sein Opfer noch aufgehört hat zu zucken, und ehe der Schuß in der felsigen Schlucht verklungen ist, flieht er in die Wälder oder die Berge und führt fortan ein Räuberleben.
Wie ich höre, Clara, haben die Dinge sich jetzt dort gebessert, und der schwarze Fleck, der an einer edlen Menschenrasse gehaftet, ist durch christliche Civilisation getilgt. Sei dem, wie ihm wolle, ich liebe das heimathliche Eiland meiner Lily und hoffe, es mit Gottes Hülfe noch einmal wiederzusehen, ehe ich zu ihr gehe.
Obgleich ich jetzt von dem einzigen Ort verbannt war, an dem ich gern geweilt hätte, so wäre mir die Trennung durch eine weitere Entfernung, als nöthig war, größer erschienen. Deßhalb kehrte ich zum Winter nicht nach England zurück, sondern kreuzte längs der westlichen Küste von Italien und der südlichen von Spanien, dann zurück bis hinauf nach Genua. Nach Sevilla und anderen wegen schöner Frauen berühmten Orten unternahm ich besondere Abstecher, um nach solchen zu suchen, welche meinem Mädchen gleichkämen. Natürlich wußte ich, daß ich keine finden würde, aber es beschäftigte mich, und es gewährte mir zugleich ein bittersüßes Vergnügen, zu bemerken, wie tief sie Alle unter ihr standen. Meinen Augen, vor denen noch ihr leuchtendes Bild stand, erschien keine andere Gestalt auch nur anmuthig genug, um als Schemel für die Füßchen meiner Holden zu dienen. Wie sehnte ich mich nach einem neuen Liebeszeichen von ihr. Alle ihre kleinen Geschenke trug ich auf meiner Brust verborgen und litt nie, daß eines Anderen Blicke nur einen Moment auf ihnen ruhten. Nicht einmal meinen Freunden theilte ich ein Wort über meine Liebe mit; es erschien mir wie eine Entweihung, wenn davon gesprochen würde. An Peter Green hatte ich geschrieben und auf meinen Auftrag verzichtet, ohne ihm jedoch mitzutheilen, daß ich die Oliven gefunden hatte. Nein, Freund Peter, jene Oliven wachsen zu nahe bei meiner Lily, und ich will weder Dich noch einen anderen Fremden dort wissen. Ich bin zwar überzeugt, daß sie Dich nicht ansehen würde, aber ich wünsche Dich doch lieber tausend Meilen weit von ihr entfernt. Handelsfreiheit will ich Dir gern gestatten, aber erst, wenn ich mein Glück gesichert habe; das heißt, nicht mein Glück in Oliven, Oel oder selbst Geld, den Plunder gönne ich Dir von Herzen; mein Glück nenne ich die Stätte, wo ich Herz und Seele niedergelegt habe, nicht ein vom Zufall abhängendes Glück, sondern mein Verhängniß, meine Lily!
Endlich begann mein Kalender (gleich zwei heimwehkranken Pensionsschülern hatten wir uns Jeder einen solchen gemacht und Gott gedankt, daß wir kein Schaltjahr hatten), endlich also begann dieser so pünktlich nachgesehene Kalender dem beharrlichen Wühlen der Zeit nachzugeben und zu wanken. Meine Geduld hatte längst gewankt, und ich fieberte vor Unruhe. Noch Etwas begann zu wanken, und das waren meine Geldmittel. Die Firma Green, Vowler und Green hatte sich äußerst freigebig gezeigt, die Kosten für mein Fahrzeug waren aber sehr beträchtlich, und ich bezog keinen Gehalt mehr. Peter Green hatte mir höchst liebenswürdig geschrieben und mich dringend gebeten, falls ich, wie er schloß, der mörderischen Corsikaner überdrüssig sei, einen neuen Auftrag für Sardinien anzunehmen. Selbst ohne ihm meine letzte Entdeckung mitzutheilen, hatte ich der Firma gute Dienste geleistet. Ich lächelte über die Idee, daß ich der Corsikaner überdrüssig sein sollte. Noch jetzt wird mir bei dem Namen warm um das Herz.
Nicht um Genua's Naturschönheit, noch um seiner Kunstschätze willen blieb ich dort, sondern weil es der geeignetste Platz war, um den Negerkopf zu sehen. Am äußersten Punkt der Hafenbucht vor Anker liegend, konnte ich mit meinem Glase alle einlaufenden Schiffe übersehen und sofort, wenn sich eine Schebecke Ein im Mittelmeer vor allem von Piraten und von der französischen Marine gefahrenes Segelschiff mit schlanker Rumpfform, die das Schiff sehr schnell machte. oder sonst ein Fahrzeug mit jenem geheiligten Zeichen blicken ließ, stieß ich in mein kleines Boot von unserem Fahrzeug ab, und auf die Gefahr hin, gefangen genommen zu werden, begab ich mich mit nur einem Mann, der jetzt, weil er ein ächter Corse war, meine Freundschaft genoß, an Bord des Schiffes, um Nachrichten von dem theuren Lande zu erbitten. Obgleich ich natürlich nicht merken ließ, was in meinen innersten Gedanken vorging, klopfte ich doch auf den Busch und gelangte dadurch zu mancher interessanten Neuigkeit. Der große Signor war bei herrlicher Gesundheit und hatte eine großartige Olivenernte eingebracht. Seine liebliche Tochter, welche den Stolz der Insel bildete, hatte eine Zeit lang an einer Art Sumpffieber gekränkelt, war aber jetzt so blühend wie eine Rose. Die Leute sagten (aber der Kapitän konnte nicht daran glauben), daß sie mit einem ausländischen Olivenhändler verlobt sei. Welche Schmach! Das edelste Blut und das holdeste Mädchen in Corsika, und ein Oelhändler! Noch viele Neuigkeiten erfuhr ich, aber dies war Alles, was ich zu wissen wünschte.
Inzwischen beantwortete Dein Vater, liebe Clara, meinen Brief auf das Herzlichste und übersandte mir ein Darlehen, das mich vollständig vor Sorgen schützte. Jetzt kam der Wind von Norden, und es war fast Zeit, in Lily's Arme zu eilen. Hätte ich noch länger warten müssen, so wäre ich zu wahnsinnig geworden, um die Seereise ertragen zu können. Mit Tagesanbruch verließen wir den herrlichen Hafen, und der kalte Wind von den Meeralpen durchfröstelte Alles, nur nicht das Feuer der Liebe. Den ganzen Tag und die ganze Nacht hindurch wanderte ich auf dem kleinen Verdeck hin und her. Schlafen wollte ich nicht wieder, ehe ich meine Lily umarmt hatte. Am Abend des 8. März waren wir in der Nähe des Cap Corso. Am folgenden Tage fuhren wir längs der Westküste mit der lebhaften Frühjahrsbrise, und am 9. hatten wir die Bay von Calvi erreicht. Um Mitternacht segelten wir weiter, und als die Sonne über die schneebedeckten Bergspitzen fort auf das Meer schien, glitten wir an der Gebirgskette vorüber, welche Balagna im Halbkreis umschließt. Es war früher Morgen, und die Nebel zogen noch über die Küste hin, als wir das graue Vorgebirge von Signor Dezio's Bucht umschifften, und ich das Bugspriet erkletterte, um die Hafenbucht überblicken zu können.
Sehe ich dort nicht ein weißes Kleid am Rande des Wassers flattern? Wessen rothgestreifte Mantille wird dort in die Luft geworfen und wieder aufgefangen? Und dort, der Flaggenstock, den ich aufgerichtet, mit meinen wehenden Farben! Nur eine solche Gestalt auf der Welt – nur ein Paar solcher Arme – schnell das Boot, sonst muß ich schwimmen oder mit der Yacht an das Ufer stoßen. Das Boot liegt schon seit sechs Stunden am Schlepptau. Lily kann ebensowenig auf das Boot warten, wie ich. Sie springt von Fels zu Fels – welcher ist der nächste? In das Wasser läuft sie hinein und dann, vor Schreck erröthend, wieder zurück – sie hatte die anderen Männer vergessen. Ich weiß sie aber zu finden; sie hatte ihren kleinen Schuh verloren, sie muß in meiner Grotte sein.
Dort drücke ich sie fest an mein Herz, und sie zittert, lacht und schmiegt sich dicht an mich an.
»Süßes Herz, zehntausendfach mein eigen, ich bin so unglücklich gewesen.« Ihre Stimme klingt wie eine silberne Glocke.
»Geliebte, wie freue ich mich, es zu hören. Wie wohl Du aber aussiehst!«
War sie schon lieblich, als ich sie verließ, wie soll ich sie nun nennen? Alles an ihr, bis auf das Geringste, ist vollkommen schön. Ich trete einen Augenblick zurück, um sie in ihrer ganzen Schönheit zu betrachten. Ein zarter Duft umgiebt sie, der die Sinne umschmeichelt. Von Toilettenparfums hat sie nie etwas gehört. Ich habe es ihr oft gesagt, aber sie will es nicht glauben. Es ist nicht Dein Athem, mein Engel, der duftet nur nach Veilchen. Es entströmt jeder Deiner Fibern, jedem Haar Deines Hauptes. Es ist, als habe der Wind eine Maiblume geküßt.
Der alte Signor verzögerte als Mann von scharfer Beobachtungsgabe unsere Hochzeit nicht länger als nöthig. An jenem Abend wurde der Familien-Musketier von seinem Posten abkommandirt; wir gaben ihm einen Becher Wein und schickten ihn seiner Wege. Für diesen einen Abend fürchteten wir selbst die Vendetta nicht. Beim Abendessen war der Signor in ausgezeichneter Stimmung, trank auf unsere Gesundheit und spendete uns viele Lobsprüche wegen unserer Beständigkeit und unseres Gehorsams. Eine kleine Thatsache, welche er erwähnte, war tausendfaches Zutrinken werth. Das Fieber seiner Tochter war durch eine zufällige Nachricht von mir geheilt worden.
Einmal ging er sogar fort, um eine Flasche auserlesenen Roglianos zu holen, als er sah, wie ich mich sehnte, meinen Arm um Lily zu legen. Dann, nachdem er mit pflichtschuldigem Poltern an der Thür wieder eingetreten war, vergaß er seine Würde so weit, daß er mir, während er die Flasche entkorkte, sogar zublinzelte und die Frage hinwarf:
»Fiordalisa, wann möchtest Du heirathen?«
Meine Lily erröthete, ich muß es gestehen, aber sie machte keine Ausflüchte.
»Sobald es Dir gefällt, Papa, das heißt, wenn mein Geliebter es wünscht.«
Sie vermied es aber, mich dabei fragend anzublicken. In der Vorhalle jedoch flüsterte sie mir zu, nur die Angst, daß der böse Lepardo kommen könne, habe sie so sprechen lassen. Bildete das liebende Herz sich ein, daß ich das glauben würde?
Abermals segelten wir mit einander über das amethystfarbene Meer. Sie liebte das Wasser wie eine geborene Britin. In ihren Gedanken und Blicken war unendliche Abwechslung. Niemand konnte auch nur errathen, was sie zunächst sagen würde. Ihr Herz kannte ich ganz genau, weil ich darin wohnte, und ein lieblicheres Heim hat noch kein Mensch besessen. Aber die jungfräuliche Zartheit ihres Gemüthes verschleierte sich noch so dicht wie die reinen Formen ihrer Gestalt. Am meisten setzte es mich in Erstaunen, daß, obwohl die meisten korsischen Mädchen nußbraun sind, meiner Lily schneeweiße Haut nicht einmal von der Sonne gebräunt wurde. Clara, Du sprichst immer von Deiner lieblichen Isola. Ich möchte wissen, woher sie ihren Namen hat, er ist mir nicht fremd. Deine Beschreibung erinnert mich an meine Lily. Ich sehne mich, das Mädchen kennen zu lernen; Du mußt einen Grund haben, mich so hartnäckig daran zu verhindern.