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Erstes Kapitel.

Verlöbniß und Entzweiung.

 

Die Entdeckung, welche der Exekutivbeamte gemacht, und die daran geknüpfte Nachforschung erschienen mir so wichtig, daß ich auf die am nächsten Morgen empfangene Nachricht, meines Onkels Befinden sei unverändert, und er sehne sich nach meiner Rückkehr, zurücktelegraphirte, daß ich meine Reise bis übermorgen aufschieben müsse. So hatte ich einen Tag mehr gewonnen, um Nachrichten von meinen neuen Kundschaftern über den Erfolg ihrer Anstrengungen abzuwarten. Es that mir sehr leid, meinem armen Onkel eine Enttäuschung zu bereiten, aber es schien mir noch schlimmer, in gänzlicher Ungewißheit abzureisen.

Zunächst traf ich mit Mrs. Shelfer ein Arrangement wegen des Geldes, welches ich für sie bezahlt hatte. Es war mir nicht um das Geld zu thun, sondern ich hatte andere Pläne im Auge. Obgleich sie mir sehr höflich dankte, sah ich, daß sie eigentlich nicht sehr erbaut war und die Sache für eine ganz romantische Transaktion hielt. Dreißig Procent war die höchste Dividende, welche sie zu zahlen beabsichtigt hatte.

Der Plan, welchen ich ihr vorschlug, war aber so vortheilhaft für sie, daß sie sich fast von dem Schreck erholte, eine Schuld bezahlt zu haben.

Der Plan war einfach der, daß sie meine Zimmer für mich reserviren, sie gehörig lüften und reinigen und das Bett so in Ordnung halten sollte, daß ich zu jeder Zeit ohne Ankündigung darin schlafen konnte. Meine Miethe hatte bisher zwölf Schillinge wöchentlich betragen (der höchste Preis, den ich von meinem beschränkten Einkommen hatte bestreiten können.) Da von nun an Bedienung, Wäsche und sonstige Bemühungen fortfielen, so hielt ich es für angemessen, ihr, so lange ich die Zimmer in dieser Weise inne hatte, 10 Schilling wöchentlich von ihrer Schuld abzurechnen. Die vier Pfund Exekutionsgebühren erließ ich ihr gänzlich in Rücksicht darauf, daß ich die Schuld bezahlt hatte, ohne sie zu fragen. Sobald meine Vorausbezahlung abgelaufen sein würde, wollte ich ihr, falls ich die immer dann noch zu behalten gedächte, weiteren Vorschuß schicken.

Sie war entzückt von diesem Uebereinkommen, welches ihr gestattete, alle ihre »Staatsmöbel« ganz für sich allein zu behalten, täglich liebkosen, mit ihnen sprechen und sie sogar reinigen zu können, wenn ihr zufällig einfallen sollte, sie solchem zerstörenden Angriff preiszugeben. Sie konnte den Stolz und die Freude genießen, das Wohnzimmer zu benutzen, so viel sie wollte (vorausgesetzt, daß es jederzeit für mich in Bereitschaft war) und schon tauchte die Vision vor ihrem Geiste auf, daß das Parterrezimmer vielleicht mit der Zwiebelkammer als Schlafgemach anderweitig zu vermiethen sein würde. Mir war das Uebereinkommen in so fern sehr angenehm, als ich dadurch einen bestimmten und gewohnten Zufluchtsort in London behielt, der mir zugleich als zuverlässiger Kommunikationspunkt diente. Auch war mir der Gedanke sehr tröstlich, ein festes Domizil in der Nähe lieber Freunde zu behalten.

Als dies zu gegenseitiger Zufriedenheit geordnet war, begab ich mich mit Guidice auf den Weg, um unseren Besuch in der Lucasstraße abzustatten. Wir fanden die ganze Straße durch einen hitzigen Angriff von Malern, Anstreichern und Stuckarbeitern so verwandelt, daß es nicht leicht war, das Haus, welches wir suchten, herauszufinden. Selbst die Hausnummern, welche fast unleserlich gewesen, waren übermalt und nach der neuen, sehr vernünftigen Weise geändert, nämlich so, daß sich auf der einen Seite die geraden, auf der anderen die ungeraden Nummern befanden. In dieser Schwierigkeit, denn die Häuser waren einander so ähnlich, wie die Mittelerbsen in einer Schote, verließ ich mich auf Guidice's feine Nase und klingelte an der Thür, vor der er stehen blieb. Dann aber kroch er zitternd auf den Bürgersteig zurück, wo er sich niederlegte, um mich zu erwarten. Als ich den Ton der Klingel hörte, begann mein Herz unruhig zu klopfen – in welch neue Phase konnte mein Leben mit dieser kleinen Bewegung treten?

Erst nachdem ich einige Zeit gewartet hatte, – erschien die arme alte Cora, die so unheimlich und trübselig wie immer aussah. Jeden Anderen als mich würde sie grimmig angeblickt haben, ich aber unterjochte sie durch mein magisches Cordis, wie Aladin den Geist der Zauberlampe. Sie bat mich in einigen gemurmelten Worten, deren Sinn ich nur durch meine Kenntniß ihres Wunsches errieth, um meine gnädige Erlaubniß, jenen mächtigen Talisman küssen zu dürfen, und dann führte sie mich in das Frühstückszimmer, wo ich die holde Isola in einem leidenschaftlichen Thränenstrom vorfand.

Als sie mich erblickte, brach der Sonnenstrahl ihres Lächelns durch die Kummerthränen, ihr Schluchzen unterbrach nur noch in kurzen, tiefen Seufzern die Küsse, mit denen sie mich begrüßte.

»Oh, ich bin so g–g–glücklich, daß Du wieder da bist, meine liebe, liebe Clara, ich will auch gar nicht mehr w–w–weinen, sowie ich erst aufhören kann.«

Sie schlang ihre Arme um mich und lehnte ihren Kopf an meine Brust, als wenn ich wenigstens ihr Bruder gewesen wäre.

»Mein Engelchen, was bedeutet dies?«

Ich hatte sie noch niemals so lieblich gesehen, wie jetzt, wo ihre Veilchenaugen von feuchtem Glanz überströmt waren, der Sammt ihrer Wangen in reichstem Karmin erglühte, und das Einzige, was ihrem süßen Antlitz je gemangelt hatte, der Ausdruck eines ernsten Gefühls, ihre Züge durchleuchtete.

»Ach, Liebste, ich sollte es Dir zwar nicht sagen, aber ich muß es Jemand sagen, sonst bricht mir das Herz.« Und sie preßte die kleine Hand auf jenes reine, noch unversehrte Schatzkästlein, wohin bis vor kurzer Zeit die räuberische Hand des Kummers noch nicht gedrungen war.

»Du weißt, liebe Clara, es betrifft immer Papa und meinen geliebten Bruder Conny. Es ist die einzige Sorge, die ich habe, aber sie ist zu groß für zwei so kleine Wesen wie ich bin. Vor einer halben Stunde kam ich plötzlich herein, um ein Lehrbuch der Staatsökonomie zu holen, über welche Wissenschaft Papa so schöne Vorlesungen hält, und ich wußte nicht einmal, daß Conny im Hause war. Ich sah Papa, der vor Wuth aussah wie der Tod, und Conny's Augen glühten wie feurige Kohlen. Und wie glaubst Du wohl, daß Papa seinen eigenen Sohn Conny nannte?«

»Sage es mir nicht, wenn es etwas Schlimmes ist. Ich kann es nicht ertragen, Isola.«

»Oh, ich wußte, daß Du ihm gut bist, und ich bin so froh darüber.«

Dies sprach sie in so ungekünstelter, kindlicher Weise, als wenn Conrad und ich zwei Puppen wären, die sie in eine Puppenstube zu setzen wünschte, daß ich anstatt zu erröthen lachen mußte.

»Oh, Clara, ich muß es Dir aber sagen. Es ist recht, daß Du es weißt. Eine der Hauptgrundlagen der Staatsökonomie –«

»Sprich mir nicht von dem Zeug.«

»Nun, so will ich es nicht thun, weil ich sehe, daß Du Nichts davon verstehst. Aber er nannte ihn wirklich, und dabei klang seine Stimme so tief, als käme sie aus einem artesischen Brunnen Brunnen unterhalb des Grundwasserspiegels, aus dem Wasser von selbst austritt., er nannte unsern geliebten Conny –«

»Wie?« Und in meiner Heftigkeit stieß ich ihre Hand zurück und stand auf.

»Einen gemeinen Bastard, einen abtrünnigen Hund, der seinem Vaterlande Schande mache, und dann sagte er sogar Rimbecco Jemandem das » rimbecco« geben, galt im Italienischen als eine der tödlichsten Beleidigungen, indem es für den Angesprochenen den Vorwurf enthielt, sich an seinem Feind nicht gerächt zu haben.

Das letzte Wort sprach sie fast kreischend, wie eine unverzeihliche Beschimpfung. Ich fragte nicht, was es bedeute, ich hatte schon genug gehört.

»Ich muß dieses Haus verlassen. Wo ist Dein Bruder Conrad?«

»Er ist, wie ich glaube, fortgegangen, um sich nach Dir zu erkundigen. Nichts Anderes ist im Stande, ihn zu trösten. Ich möchte, daß er nie wieder hierher käme, und er hat den Befehl erhalten, nicht zu kommen. Es handelt sich aber um geschäftliche Dinge. Oh, er wird nie wieder kommen.« Und sie vergoß Thränen, weil sie das befürchtete, was sie soeben noch gewünscht hatte.

»Auch ich werde nicht wiederkommen. Wo ist Dein Vater jetzt?«

»Oben in seiner Rumpelkammer, wo er immer Trost sucht, wenn er aufgebracht ist. Willst Du aber gehen, mein liebes Mädchen, so nimm mich mit Dir. Wenn ich hier ganz allein bleibe, so weine ich mich todt; und Papa frägt nie nach mir, wenn er seine schlechte Laune hat.«

Einige Minuten später verließen wir das unfreundliche Haus, und selbst Guidice schien erleichtert aufzuathmen, daß er von der Thür fort konnte. Als wir Mrs. Shelfer's Haus erreicht hatten, war Isola wieder in vortrefflicher Stimmung und verlangte Berichte von mir über den wunderbaren Reichthum und das große Herrenhaus, wovon sie gehört hatte. Dies Gerücht war unzweifelhaft durch Ann Maples verbreitet worden.

»Und der große Lord – wie heißt er, liebe Donna? Ich wollte kein Wort davon glauben, obwohl ich weiß, daß Du noch viel zu gut für den vornehmsten Peer aus dem Oberhause bist. Aber Conny glaubte es, und wie aufgeregt war er! Er hätte sich doch freuen sollen und Dir Glück und Segen wünschen, wie es im Lustspiel heißt. Und einen Peer zu heirathen ist für eine Engländerin das größte Glück. Eins habe ich mir indessen fest vorgenommen. Guidice gehört mir augenblicklich, nicht wahr, Du herrliches Thier?«

»Nein,« sagte das kluge Thier, »ich gehöre Clara.«

»Obgleich Conny behauptet, daß der Hund, seit er bei Dir wohnt, ihm gehöre. Ich will ihn Dir also jetzt schenken, und dasselbe wird Conny thun. Du kannst seinen Unterhalt jetzt bestreiten, Und ich kann es nicht, denn er ißt zu viel. Nach mir frägt er nicht das Geringste, während er Dich von ganzem Herzen lieb hat.«

»Woher weißt Du das?« Ich hatte nicht aufmerksam zugehört, sondern an Jemand anders gedacht.

»Kannst Du es nicht daran sehen, wie er jedes Mal mit dem Schweif wedelt, wenn Du ihn nur ansiehst? Aber jetzt will ich hoffen, daß der arme Conny hier ist. Ich sollte denken, daß die Rückkehr der ›herzgeliebten Clara‹ ihn wohl zum Warten veranlaßt haben wird.«

Ich war längst von jener Hoffnung ergriffen, sogar schon, ehe wir die Lucas-Straße verlassen hatten, und mein schnelles Gehen hing damit zusammen.

»Nein, er war nicht hier, und heute auch noch nicht hier gewesen.«

Jetzt war die Reihe des Weinens an mir. Was konnte er nicht Alles nach jener furchtbaren Beschimpfung, noch dazu, da dieselbe von seinem eigenen Vater ausging, gethan haben?

Die Thränen, welche ich nur die lahme Amsel sehen ließ, denn Guidice hätte zu viel Aufhebens davon gemacht, lagen noch auf meinen Wangen, als ich den wohlbekannten Schritt hörte, der jedoch nicht halb so elastisch war wie sonst.

Ich entfloh in mein Schlafzimmer, wirthschaftete dort mit meinen Kisten herum und verursachte einen tüchtigen Lärm, um einen Grund für die Röthe auf meinem Antlitz zu haben. Dann lief ich durch die Seitenthür hinaus und absichtlich die Treppe hinunter, obgleich ich wußte, daß Conrad und Isola in meinem Wohnzimmer waren.

Durch dieses höchst geschickte Manoeuvre wurde indessen nur die Urheberin überlistet, denn Isola rannte hinter mir her und schickte mich allein hinauf. Alle meine kleinen Thorheiten verschwanden aber in dem Augenblick, als ich Conrad in das Gesicht sah. Seine frische, gebräunte Farbe hatte den bleichen Ton des Opals angenommen. Seine Augen waren von so dunkeln Rändern umgeben, daß ich glaubte, er trüge eine Brille. Auf beiden Wangen brannten runde rothe Flecke. Ich war so ergriffen, daß ich, als er meine Hand erfaßte, mein Gesicht abwandte, und ein Schluchzen erstickte. Mir war zu Muthe, als sei ich nicht berechtigt, so frisch und blühend auszusehen. Aber nicht allein in meiner Gesundheit lag der Contrast zwischen seiner Erscheinung und der meinen. Mein Anzug hatte mich den ganzen Morgen beschäftigt, und ich war mit ungewöhnlicher Sorgfalt und so geschmackvoll, wie es mir möglich war, gekleidet. Der arme Conrad trug sein Arbeitszeug, das mit Marmorstaub bedeckt, unordentlich und fadenscheinig war, ja, sogar des Ausbesserns bedurfte, und sein Haar war nur nachlässig glatt gestrichen. Trotz alledem konnte man den Gentleman so gut in ihm erkennen, wie in mir die Dame. Er würde indessen nicht so gekleidet gewesen sein, dachte ich, wenn er geglaubt hätte, der ordentlichen Clara zu begegnen.

»Ich hoffe, daß Sie mich entschuldigen,« begann er, »aber es hat sich in letzter Zeit so Vieles zugetragen, Sie werden mich nicht für unartig halten – ich hatte keine Ahnung von der mir bevorstehenden Freude.«

»Ich fürchte, daß Sie nicht glücklich sind.«

Ich wußte nicht, was ich sagen, noch wie ich meine Stimme beherrschen sollte.

»Ich bin so glücklich, wie ich es verdiene,« erwiderte er. »Es geschieht mir recht, weil ich mich so hoch geschätzt, ehe ich noch Etwas geleistet habe. Aber ich werde mein Ziel erreichen;« hier blitzten seine Augen von dem ihm eigenen Stolz), »und dann wollen wir sehen, wie Viele mich noch verhöhnen werden.«

»Kein Mensch kann Sie verhöhnen,« sprach ich sehr weich. Er zitterte beim Ton meiner Stimme.

»Ach, Sie sind stets gütig und sanft, aber ich will Sie nicht mehr mit meinem Lebensloos belästigen, das so verschieden von dem Ihrigen ist. Wie ich erfahren habe, hat ein hoher Edelmann Sie als die Seine gewonnen. Vielleicht werden Sie mir einen Auftrag geben.«

Die bitteren Worte rangen sich mühsam aus seiner Brust, und er blickte auf seine bestaubte Kleidung. Ich fand sein Benehmen etwas rücksichtslos, doch war mir nicht die Hälfte seiner Sorgen bekannt.

»Wer Ihnen das gesagt hat, der war sehr im Irrthum. Ich bin nicht verlobt. Ihre Schwester kennt mich besser.«

Hierauf wandte ich mich ab und trat an das Fenster. Eine Minute lang sprach er nicht, aber ich konnte sein Herz schlagen hören. Ich blickte unverwandt nach dem Käseladen hinüber. Wäre doch nur wenigstens eine Blume auf dem Balkon gewesen!

Jetzt trat er hinter der Sophaecke hervor, und ich mußte mich, um nicht unartig zu erscheinen, wieder umwenden.

Sein Antlitz war viel, viel heiterer, und seine Augen blickten sanfter.

»Wenn ich Etwas gesagt habe, das Sie verletzen konnte, so – ich möchte um Alles in der Welt nicht – ich wußte nicht, daß es Sie verletzen würde –«

»Es sollte mich nicht verletzen, daß Sie so schlecht von mir denken, daß Sie auch nur für einen Augenblick glauben, ich könnte, weil ich nicht mehr arm bin, Jemand verlassen – ich meine, vergessen – der mir lieb und werth ist?«

»Darf ich jemals hoffen, wenn ich Ihnen mein ganzes Leben zu Füßen lege, daß Sie mich dereinst lieb haben könnten?«

»Wissen Sie nicht, daß es schon jetzt so ist?« Und ich brach in einen heftigen Thränenstrom aus.

Ehe ich zu mir kam, fühlte ich mich von seinen Armen umschlungen, und ich blickte zu seinem bleichen, kranken Antlitz empor, während mein Haar ganz mit Marmorstäubchen überstreut war. Er sagte mir mit Thränen in den Augen, daß er nach Nichts auf der ganzen Welt mehr frage, weder nach Ruhm, noch Schmach, so lange ich ihn nur liebe.

»Von ganzem Herzen,« flüsterte ich, »Dich und keinen Anderen, bis über das Grab hinaus.«

Ich will die Thorheiten nicht alle wiederholen, welche wir sprachen, obgleich ich noch Alles bis auf das Kleinste im Gedächtniß habe. Laßt den weisen Leuten ihre Weisheit, wir wollen thörichte Kinder sein. Keins von uns Beiden hatte je die Liebe gekannt, noch wollten wir eine andere Liebe kennen lernen, als die unsere, die ewig währen sollte!

»Eines muß ich Dir mittheilen, mein süßes Lieb, doch fürchte ich mich, es zu thun. Du bist aber nicht wie andere Mädchen. Es gibt Keine, die Dir gleicht, und hat nie eine solche gegeben. Ich denke, Du wirst mich nicht für die Schuld eines Anderen verachten.«

»Natürlich nicht, mein armer, geliebter Conny. Was ist dies für eine fürchterliche Enthüllung?«

»Ich bin ein illegitimer Sohn.«

Im ersten Augenblick fuhr ich zurück, im nächsten verachtete ich mich selbst. So lauerte trotz all' meiner bitteren Erfahrungen der kleinliche Geburtsstolz doch noch in meinem Herzen! Nun aber fiel er besiegt von Liebe, Erbarmen und Bewunderung des Genies zu Boden. Ich fühlte mich berufen, den Aermsten um so mehr zu lieben, weil so bitter gegen ihn gesündigt worden.

In diesem Gefühl wendete ich mich wieder zu ihm, legte ihm meine Hand auf die Schulter, und ein gegenseitiger Blick sagte Alles, was zu sagen war.

»Geliebter Conrad, Du hast mir Dein Geheimniß enthüllt, nun höre auch das meine. Nur mußt Du mir versprechen, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Du sagst, daß Du mich von dem Moment an geliebt hast, wo Du mich zuerst gesehen, dann mußt Du Deine Clara schon geliebt haben, als Du sie vom Tode errettet hast.«

»Was meinst Du, Clara? Die gemeinen Buben auf der Eisbahn im Park wollten Dich doch nicht tödten.«

»Nein, Theuerster, das meinte ich nicht. Doch hier ist ein Kuß dafür, den ich Dir noch immer seitdem schuldig bin. Aber was ich meine, kann nicht durch Küsse vergolten werden, nein, nicht durch ein ganzes Leben voller Liebe. Du rettetest ein Leben, welches das meinige zwanzig Mal aufwog.«

Eine finstere Ahnung dämmerte in seinen Augen, an denen mein Blick mit unsicherem, wachsendem Schrecken hing.

»Geliebter, es ist nichts weiter, als daß Deine Clara nicht Clara Valence ist. Du mußt sie ›Clara Vaughan‹ nennen.«

Mit einer heftigen Bewegung stieß er mich von sich; dann starrte er mich an, während ich vom Kopf bis zur Sohle erzitterte, und eine Scharlachflamme überflog sein Gesicht.

»Darf ich fragen, mein Herr, was ich begangen habe? Muß ich annehmen, daß Sie (ich legte einen besonderen Nachdruck auf dies Wort, der seiner Illegitimität gelten sollte) daß Sie sich meines Vaters und meiner schämen?«

»Ja, das thue ich! Fluchwürdiges, falsches, sittenloses Geschlecht! Wenn Du wüßtest, was Du gethan hast, so würdest Du Dir eher das Herz aus dem Busen reißen, als es mir schenken.«

»Ich danke Ihnen – ich bin Ihnen sehr verbunden – mein Herz einem illegitimen Steinmetz! Nehmen Sie, bitte, Ihren Ring zurück, und dürfte ich Sie um den meinigen bitten? Wollen Sie mir gütigst den Weg frei geben?«

Mit diesen Worten rauschte ich an ihm vorüber aus dem Zimmer und stürzte durch die Seitenthür in meine Schlafstube, wo ich mich, beide Hände auf das Herz gepreßt, in eine Ecke schmiegte. So war denn Alles in der Welt für mich aus.

»Wahnsinnig!« hörte ich ihn rufen; »ja, ich muß noch wahnsinnig werden!«

Er eilte zum Hause hinaus, und ich fiel auf mein Bett, wo ich bis Mitternacht in Krämpfen lag.



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