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Fortsetzung der Geschichte Edgar Vaughan's.
Ehe meine einzig Geliebte verschied, wußte sie, Gott sei gelobt, so gut wie ich, daß ich ihre reine und treue Liebe niemals verrathen hatte. Es währte aber lange, ehe ich erfuhr, wodurch sie so in Verzweiflung versetzt worden. Obgleich sie ganz bei Bewußtsein schien und mich hin und wieder mit demselben vorwurfsvollen, quälenden Blick anschaute, war es mir, als ob eine Ewigkeit vergehe; in Wirklichkeit aber müssen Stunden verstrichen sein, ehe sie ihren Gedanken Worte leihen konnte. In qualvoller Angst um sie, um unsere Kinder, unsere Liebe konnte ich meine Ungeduld selbst über ihre Ohnmacht kaum unterdrücken. Immer wieder öffnete sie die zitternden Lippen, aber die Worte erstarben auf ihnen. Endlich errieth ich den Sinn aus einigen abgebrochenen Sätzen.
»Wie konnte er es nur thun? Wie konnte er sie so verrathen? Seine Lily, die ihn so geliebt – nein sie wollte nicht mehr Lily heißen, sie war nur Fiordalisa Della Croce. Wie konnte er vorgeben, sie zu lieben und sie sogar heirathen, wenn er die ganze Zeit hindurch eine junge Gattin zu Hause in England hatte? Sie würde es nimmer geglaubt haben, ohne die Beweise, welche jener verhaßte Mann ihr gezeigt. Wie konnte er solche Schande über seine eigene Liebe, seine Kinder und den alten Vater bringen für sie gab es keine andere Hoffnung, als zu sterben – zu sterben und ihn nie wieder zu sehen; dann vielleicht würde es ihm leid thun, denn ein wenig mußte er sie lieb haben.«
Darauf brach sie in einen Thränenstrom aus, preßte beide Hände auf ihr wildklopfendes Herz und wurde leichenblaß. Als das Herzklopfen nachließ, blickte sie mich an und mich erkennend, schmiegte sie sich dicht an mich. Darauf schien sie alles Leid zu vergessen und einzuschlafen.
Natürlich wußte ich jetzt, was geschehen war. Trotz meiner Verwirrung über ihren Gram und ihr Leid ward es mir doch allmählich klar. Der grausame Feind war dort gewesen und seine Schlangenzunge hatte ihr in's Ohr gezischt, was er für die Wahrheit hielt, daß ich sie wie ein feiger Bube betrogen, ihre leidenschaftliche jungfräuliche Liebe gewonnen und sie dann durch eine falsche Trauung in's Unglück gestürzt habe, während meine rechtmäßige Gattin noch lebe.
Als ich so meine vermeintliche Schuld erfahren, währte es nicht lange, bis ich des Mörders Irrthum aufgeklärt hatte, den Irrthum, welcher aus meinem eigenen Betruge entstanden war. »Aber meine Kinder, wo sind meine Kinder, Lily?«
In ihrer begeisterten Freude konnte sie zuerst nicht einmal an ihre Kinder denken. Sie drückte mich nur an ihr stürmisch klopfendes Herz, als ob ich ihr Alles sei. Dann begann sie sich anzuklagen, daß sie gewagt hatte, etwas Böses von ihrem edlen Gatten zu glauben.
»Und wenn es selbst wahr gewesen wäre, was ja aber, wie Du weißt, Geliebter, unmöglich ist, so hätte ich Dir verzeihen müssen, mein süßes Herz, weil Du nur von Deiner Liebe zu mir verleitet worden wärest, nicht wahr?«
Du, Clara, verstehst diese liebreiche, weibliche Logik vielleicht.
»Aber wo sind die Kinder, meine Lily?«
»Oh, vermuthlich in ihren Betten, Geliebter. Laß mich aufstehen, wir müssen hingehen und unsere Lieblinge küssen. Als ich zuerst hereinkam, konnte ich es nicht über mich gewinnen, zu ihnen zu gehen, den armen Kleinen, aber jetzt – oh, mein Herz, heilige Madonna, mein Herz!«
Sie sprang empor, als habe sie einen Schuß erhalten, und ein röchelnder Ton entrang sich ihrer Kehle. Ihre frische Jugend kämpfte schwer gegen die Klauen des Todes. »Oh, rette mich, mein Gatte, rette mich. Halte mich fester, ich kann noch nicht sterben. So jung und so glücklich mit Dir! Es ist vorüber, aber der nächste Stich bringt den Tod. Halte mich, bis er wieder kommt. Gott segne Dich, mein auf ewig Geliebter. Du wirst mich im Himmel finden, nicht wahr? Du kannst Deine Lily niemals vergessen.«
Ihre großen Augen ruhten auf mir, wie damals, als sie mir ihre Liebe zum ersten Mal gestand, und ihre Seele schien zu versuchen, in meine Brust zu fliegen. Dichter klammerte sie sich an mich, doch mit abnehmender Kraft. Ihre weiche Wange lag neben der meinen, ihr erschöpftes Herz an dem meinen, das wild klopfte. Ich fühlte den letzten Schlag, als der Todesstich kam; sie versuchte noch, mich zu küssen, um mir zu zeigen, daß er nicht sehr heftig sei. Wie rasend öffnete ich die Lippen und empfing ihren letzten Athemzug.
Die Wucht der quälenden Angst hätte ihr Herz vielleicht ertragen, aber nicht den freudigen Rückschlag.
Ihre Leiche, die schönste, welche die Sonne je erblickt, ward neben derjenigen ihres Vaters auf dem kleinen Kirchhof St. Katharine begraben und die Figur des Säuglings an ihre Brust gelegt. Ihre Seele, die lieblichste und heiterste, welche die Engel jemals besuchte, harrt noch auf mich und trauert, bis die meinige mit ihr vereint wird.
Du hast jetzt meinen größten, aber nicht meinen einzigen Kummer erfahren. Drei Monate lang war mein Verstand völlig entflohen. Ich erkannte Niemand, nicht einmal mich selber, und suchte nur bergauf und bergab nach meiner Lily. Nachts pflegte ich hinaus zu wandern und zwischen den Olivenbäumen zu suchen, wo wir so oft herumgestreift waren. Mitunter schien die geliebte Gestalt vor mir her zu schweben, mich von Stamm zu Stamm zu locken und mir ihre schattenhaften Hände entgegenzustrecken. Wenn ich sie dann zu erreichen schien und ihre Sprödigkeit überwunden zu haben glaubte, pflegte sie mit einem schwachen Schrei in die nebligen Lüfte zu entschwinden. Schein und Wirklichkeit konnte ich weder unterscheiden, noch lag mir Etwas daran. Alles, was ich that, geschah wie im Schlaf, und die ganze Welt um mich her schien ebenfalls schlafen gegangen. Eine schwache Erinnerung ist mir noch geblieben, daß ich einen schrecklichen Gang unternommen, und mir dabei das Blut zu Eis erstarrte. Dies muß das Begräbniß der theuren Dahingeschiedenen gewesen sein. Wie ich hörte, waren die Corsikaner vor meinem geisterhaften Blick entflohen und hatten nur hinter mir stehen wollen. Sie sind ein abergläubisches Volk und sie fürchten den »bösen Blick.«
Während ich mich in diesem Zustand befand, pflegte mich der treue Petro, und er bewachte mich wie ein Vater. Er ließ seine Frau, die alte Marcantonia kommen, welche wegen ihrer Kräuterkenntniß und Macht über die bösen Geister berühmt war, welch letztere mich unstreitig in ihrer Gewalt hatten. Sie gab mir mancherlei Tränke beim Wechsel des Mondes ein und behängte mich mit Amulets, bis ich klingelte wie ein Schellenträger. Trotz all' dieser unfehlbaren Zaubermittel wäre Lepardo zu jeder Zeit im Stande gewesen, mich zu ermorden, wenn er mich für glücklich genug gehalten hätte, es zu verdienen. Vielleicht war er in einem anderen Lande, um sich des Lebens meiner Kinder zu versichern.
Die armen hülflosen Lieblinge, sie, die mir allein von meiner Lily verblieben – ich wußte noch nicht einmal, daß sie mir geraubt waren. Petro erzählte mir später, daß ich einige Mal in unbestimmter, verwunderter Art nach ihnen gefragt hätte, aber immer ganz zufrieden mit einer erdichteten Antwort gewesen sei.
Es war meine Lily und Niemand anders, die mich zum bewußten Leben zurückführte. Was ich Dir jetzt erzählen werde, mag Dir als Chimäre eines schwachen Gehirns erscheinen, und ebenso würde es mir erscheinen, wenn ein Anderer es mir erzählte. Obgleich aber mein Körper von Kummer und Schlaflosigkeit erschöpft war, unter deren Druck die geistigen Saiten nachgegeben hatten, so versichere ich Dir, daß mein Erlebniß nicht aus diesen beiden entkräftenden Einflüssen hervorgegangen ist, sondern dieselben fortgescheucht hat.
Der Corse glaubt, daß Denen, welche er tief betrauert und schmerzlich vermißt hat, gestattet ist, ihn in der Stille der Nacht zu umschweben. Dann berühren sie mitunter, wenn er schläft, seine Augenlider und sprechen: »Weine nicht mehr, Geliebter; nur Dein Kummer macht uns unglücklich, sonst sind wir so gesegnet, wie Du es wünschen kannst.« Und manchmal, wenn die zärtlichsten Bande getrennt sind, wie diejenigen Liebender oder Neuvermählter, so erscheint in dunkler Nacht, wenn der Ueberlebende vor Gram nicht schlafen kann, das geliebte verlorene Wesen in der Kammerthür, hält sie geöffnet und ruft sanft: »Komm, theuerstes Herz, auch ich bin einsam.« Hat es dreimal gefleht, so weht es mit seinem Leichentuch wie mit Engelsfittichen und wartet auf Antwort. Willst Du leben, so antworte nicht, mag jene Stimme Dein Herz noch so sehr durchzittern, scheint Dein Herz auch brechen zu wollen. Aber hast Du den aufrichtigen Wunsch, zu sterben, und ist Deine Hoffnung von der Erinnerung erstickt, so antworte der wohlbekannten Stimme. Binnen drei Tagen wirst Du todt und mit dem rufenden Schatten vereint sein.
Vielleicht hatte die alte Marcantonia mich vor diesem Anruf gewarnt und mich gebeten, zu schweigen, wie es die Pflicht gegen meine Kinder mir gebot. Alles, was ich weiß, ist, daß ich in einer Nacht gegen Ende des Januar wie gewöhnlich wachend dalag und an meine süße Lily dachte – wenn ein so zerrütteter Verstand überhaupt denken konnte. Den ganzen Abend hatte ich sie zwischen den Olivenbäumen an der St. Katharinenkirche und sogar am öden Meeresstrande bei dem Murmeln der Wellen gesucht. Jetzt stand der winterliche Mond hoch am Himmel, und durch die Fensteröffnung sah ich den fernen Kirchhof, der mein Weib beherbergte, mit der silberschimmernden See im Hintergrunde erglänzen, wie den Vorhang zu einer anderen Welt. Auf einem vereinsamten Lager sitzend, eine Hand gegen meine schmerzende Stirn gepreßt, denn jetzt hatte ich beständig Kopfschmerzen, zweifelte ich an der Existenz jener alten Kirche, in der eine lustige Hochzeit und zwei düstere Leichenbegängnisse stattgefunden hatten. War denn die Kirche wirklich da? War es nicht eine Gaukelei des Mondlichtes und der Liebe? So wie ich jetzt dorthin schaute, hatte meine Lily in mancher Mondnacht mit mir in die dämmerige Ferne hinausgeblickt nach dem Grabe ihres Vaters. Flüsternd theilte sie mir dann mit, während ihre Hand in der meinen zitterte, daß sie es entdeckt habe, und ihre dunkeln Augen hatten einen so wunderbar scharfen Blick, daß ich ihr niemals widersprach, obwohl ich es nicht gut glauben konnte. In jenen glücklichen Tagen, wo wir zusammen am Ufer auf die Nacht gewartet und vergeblich Muscheln gesucht, hatte sie mir damals nicht die Streifen der Matrosenmützen und selbst die Namen der auf dem Verdeck befindlichen Leute nennen können, wo ich noch kaum ihre Gestalten sehen konnte?
Ach, konnte sie jetzt wohl meinen Namen nennen, konnte sie mich von jenem Strande erspähen, der des schärfsten Teleskops, der höchsten Gedankenflüge spottet? War ihr gestattet, nur einen Schimmer von ihm zu sehen, den ihr sanfter Blick im Leben kaum verlassen? Antworte mir, meine im Leben und im Tode Geliebte; sage mir, daß Du mich liebend beobachtest, wenn auch nur hin und wieder, und nur so viel, wie die Satzungen der körperlosen Welt es gestatten.
So ruhig, wie ich es jetzt wiederhole, aber mit leiser, melodischer Stimme, die süßer als die irgend eines Sterblichen war und wie der seufzende Nachtwind aus keiner bestimmten Richtung kam, ward mir die Antwort:
»Mein treuer Geliebter, um unserer Kinder und um meinetwillen, die noch liebend über Dich wacht, gebe diesen Kummer auf, der das Grab des Verstandes ist. Alle Deine Sorge ist noch die meine, und möchtest Du die Geliebte betrüben, wenn Du sie nicht zu trösten vermagst? Obwohl Du mich jetzt nicht sehen kannst, bin ich mehr um Dich, als jemals. Ich bin wie Dein Spiegelbild und Dein Schatten. Jeder Deiner Seufzer läßt mich erschauern, Dein Lächeln ist all' mein Sonnenschein. Laß mich etwas Sonnenschein empfinden, Du weißt, wie ich ihn liebte, aber bis jetzt hast Du mir noch keinen Strahl davon gesandt. Ich werde mich morgen danach umschauen. Siehe, ich, die ich Dir für ewig angehöre, ich lächle Dich jetzt an.« Und ein goldener Schein, reicher als irgend ein Sonnenschein, floß durch das Gemach. Ich erkannte den sanften Schimmer, der dem Abendsonnenschein auf einem herbstlichen Felde glich. Es war das Lächeln meiner Lily. Eine wohlthuende Wärme ergriff mich, und ich fiel sofort in einen tiefen und traumlosen Schlaf.
Du, mein Kind, die Du niemals solchen Verlust kennen gelernt hast – möge Gott Dich davor bewahren – Du wirst diese ganze Begebenheit wahrscheinlich für einen Traum halten. Sei es so – wenn es ein Traum war, so brachte Lily's Engel ihn.