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Fünftes Kapitel.

Fortsetzung der Geschichte Edgar Vaughan's. Die Geschichte meines Onkels wird fortan weder durch meine häufigen Bemerkungen noch durch seine Pausen unterbrochen werden, sondern in zusammenhängender Form erscheinen. ( Anm.d.Verf.)

 

Als ich am nächsten Tage meinen Besuch in Bloomsbury (damals eine vornehme Stadtgegend) machte und das Haus betrat, welches die Damen mir angegeben hatten, wurde ich mit warmer Herzlichkeit von meinem alten Bekannten Peter Green empfangen, der sich als Adelaide's Bruder erwies. Meine zurückhaltende Natur hatte mich verhindert, freundschaftlich mit ihm auf der Universität zu verkehren, aber er war mir stets wegen seines geraden und entschiedenen Wesens lieber als irgend ein Anderer gewesen. Das Zusammentreffen überraschte mich einigermaßen, denn Green ist ein so häufiger Name, daß es mir nicht in den Sinn gekommen war, die ermüdete Adelaide zu fragen, ob sie einen gewissen Peter Green von der ersten Klasse des Christ Church-College kenne. Peter, ein äußerst herzlicher Bursche, der wie seine Schwester von Lebenskraft strotzte, erdrückte mich fast unter der Wucht seiner Dankbarkeit, welche ich weder verlangte, noch verdiente. Da ich trotz Deiner schnellen Folgerung, meine romantische Clara, mich nicht in Adelaide verliebte, die neben ihrer kernigen Gesundheit in mancher Hinsicht weit entfernt von meinem Ideal und überdies längst mit dem Geber jenes Saphirringes verlobt war, brauche ich nicht näher auf meine Freundschaft mit Peter Green einzugehen, den ich jetzt allen Ernstes lieb gewann.

Durch den Tod seines Vaters war er an die Spitze eines Handelshauses ersten Ranges, »Green, Vowler und Green, kleine Distaff-Straße,« gestellt worden, und trotz seiner Jugend (er zählte erst 27 Jahre) waren sein Wesen, sein Charakter und seine Ansichten so ausgebildet, entschieden und fest, als ob er die Sitten der ganzen civilisirten Welt gesehen und ihre sämmtlichen Grundsätze auf Lager genommen hätte. Wäre ihm irgend eine Verwickelung, ein Conflikt oder ein Labyrinth vorgeführt worden, dessen Irrgänge sich über das halbe Weltall erstreckten, so würde er, war die Frage eine praktische, im Augenblick die richtige Lösung gefunden, war sie eine theoretische, dieselbe ruhig bei Seite gelegt haben. Ich habe erlebt, wie mancher gelehrte Richter einen Fall auf das Klarste zusammenstellte, ihn aller weitschweifigen Worte und falschen Schlüsse entledigte, sämmtliche Widersprüche ausglich, alle dunkelen Punkte erhellte und schließlich die jungfräuliche Wahrheit ohne Schlacken und künstlichen Glanz an das reine, farblose Licht der Sonne förderte. Alles dies schien Peter Green in einem Augenblick ohne Anstrengung und ohne den Proceß des Nachdenkens zu thun. Es war nicht, als ob er im Fluge zu seinem Schluß gelangte, sondern als flöge derselbe ihm entgegen.

Trotz aller dieser praktischen Eigenschaften war mein Freund so bescheiden und fröhlich, wie nur irgend ein Mensch, der schlechte Witze macht, oder über die Anderer lacht. Außerdem war er freigebig, warmherzig und nicht sarkastisch – in einem Wort das Musterbild des englischen Kaufmannes, welcher Stand mehr dazu gethan hat, dieses Land in der Achtung der Welt zu heben, als selbst seine großen Krieger.

Dieser Mann durchschaute nun auf den ersten Blick die Mängel in meiner Natur und Lebensstellung. Ein so thätiger Geist wie der seine konnte nicht an die Möglichkeit glauben, daß irgend Jemand ohne Beschäftigung glücklich sein könne. Unter Beschäftigung verstand er aber weder die Jagd auf Schmetterlinge, noch das Auflauern eines Fuchses, sondern wirkliche angelsächsische Arbeit; eine Arbeit, welche die Muskeln anspannt und das Gehirn festigt. Er selber arbeitete mit allen seinen Kräften. Er war Keiner von denen, welche mit der Pfeife auf den Tisch tupfend, über Alles aburtheilen. Er war ein Mann, der den Rock abstreifte und ohne viele Worte, aber mit desto mehr Gedanken zugriff. Dieser Mann nun, der sich mir tief vepflichtet fühlte und mich zu lieben begann, während meine Zurückhaltung und Apathie vor seiner Thatkraft zerstoben, dieser Mann bemühte sich, eine Methode zu finden, um mich zu einem glücklichen und nützlichen Menschen zu machen. So wunderbar schnell er sonst das Richtige zu treffen pflegte, gebrauchte er doch, wie ich glaube, volle fünf Minuten, um für einen so unpraktischen Menschen wie mich den rechten Weg zu entdecken. Als er ihn herausgefunden, währte es sogar eine Woche, ehe er die Schnecke aus ihrem Hause gelockt hatte. Die Jahre angenehmer Trägheit und objektiver Gleichgültigkeit, aus deren ruhigem Geleise ich höchstens durch das hohle Treiben unserer modernen Gesellschaft zuweilen aufgerüttelt worden, sie hatten aus mir weder einen Sybariten, noch einen hochmüthigen Tadler gemacht, und noch weniger gehörte ich zu Denen, die auf das Glück warten. Ich war nur ein beschaulicher Insulaner geworden, ein Eingeborener von Haiti, der einmal in Spanien gewesen, und dem jetzt die Ansicht der spanischen Schiffe genügte. Mein Adelantado Ein Adelantado war im Mittelalter ein Beamter der kastilischen Krone mit richterlichen und Regierungskompetenzen für einen festgelegten Bereich. war aber ein Mann von Gold und Eisen. Die Firma »Green, Vowler und Green« betrieb einen ausgedehnten Handel mit Oel und getrockneten Früchten. Sie hatte die sämmtlichen Oliven-Distrikte des europäischen Festlandes durchsuchen lassen, und da sie bemerkte, daß die Preise stiegen, und die Waare sich verminderte, wünschte sie jetzt eine neue Oelquelle zu eröffnen.

Als Peter Green meine Liebe zu urwüchsiger Freiheit bemerkte, dem einzigen Thema, bei dem ich jemals warm und begeistert wurde, hatte er das Mittel erspäht, mich von einigen meiner thörichten Ideen zu befreien, meinem unthätigen Leben eine kleine Anregung zu geben und vielleicht sogar eine lukrative Geschäftsverbindung herzustellen. Er wußte, wie er Alles zu wissen schien, was in der Handelswelt vorging, daß es eine herrliche, mit Juwelen, Marmor und allen Schätzen der Natur reich gesegnete Insel giebt, vor Allem ein von Oliven, Citronen und Trauben strotzendes Land. Und diese gesegnete Insel war in Folge der französischen und genuesischen Unwissenheit dem englischen Handel noch bis jetzt unbekannt geblieben. Es war die Insel, welche von Seneca geschmäht worden, von ihren Einwohnern vergöttert wird und reichlicher mit Blut getränkt ist, als alle Schlachtfelder von Emathia Region in Makedonien, zu der auch deren Hauptstadt Pella zählte. Das Gebiet von Imathia stand im Mittelpunkt der antiken makedonischen Kultur. Philipp II. und Alexander d. Gr. hatten hier ihre Ausgangspunkte., die Mutter von Helden und Welteroberern (wenn das ein Vorzug ist), mit einem Wort – Corsika. Mehrmals haben unsere Landsleute allerdings versucht, dem edlen, jedoch durch beschränkte Traditionen herabgekommenen Geschlechte die Hand zu schütteln, und schließlich werden wir ohne Zweifel wie immer Erfolg haben, aber die Grundfaser der Corsikaner ist fast so widerspänstig, wie unsere eigene. In der That sind sie von gleichem Urstoff, nur das Gewebe ist ein anderes. Sie sind furchtlos, männlich, einfach, großmüthig und höchst gastfrei, und ihre Vaterlandsliebe übersteigt diejenige aller anderen Nationen; aber oh, verhängnißvolle Verirrung – Fleiß bedeutet ihnen Sklaverei, Arbeit halten sie für eine Schande! Und schlimmer als Alles ist der Dämon dieser Insel, der Fluch der Blutrache.

»Das ist gerade der richtige Platz für Sie, Vaughan,« sagte der unerschütterliche Peter. »Jedermann dort ist so würdevoll wie ein Adler, der soeben ein Lamm geraubt hat. Dort giebt es keine Gesetze, die der Rede werth sind, außer dem natürlichen der Vendetta, herrliche Gleichheit, überall majestätische Männlichkeit und echte Weiblichkeit, und die Vertreterinnen der letzteren thun alle Arbeit, die gethan wird, was indessen nicht viel sagen will. Würde das Land des Sampiero und Paoli Korsische Freiheitshelden des 16. bzw. 18. Jh., die für die Unabhängigkeit von Genua kämpften. Paoli gab 1755 Korsika eine demokratische Verfassung, an der Napoléons Vater mitarbeitete. Die Übernahme Korsikas durch Frankreich 1790 konnte er nicht verhindern., dessen Gesetzgeber Rousseau werden sollte, wenn er nicht zu träge gewesen wäre, würde das nicht der richtige Himmelsstrich für Sie sein? Nach allen Hofgesellschaften und Maskeraden, die Ihnen so viel Vergnügen bereiten – Sie brauchen kein so finsteres Gesicht zu ziehen, wie ein Bandit. Sie ärgern sich nur, weil man Sie dort nicht vermißt, Sie sind wie alle die Anderen, oder weßhalb nähmen Sie sonst Notiz von dem Unsinn? – nach allem Londoner Flitterkram wird der Monte Rotondo Der Monte Rotondo ist mit 2.622 Metern der zweithöchste Berg Korsikas. Ihnen wie eine frische Auster nach abscheulichem Biskuit schmecken.«

»Das ist allerdings richtig, mein Freund, aber eine Auster, die mit der Schale verschluckt werden soll.«

»Und ist das nicht gerade das Rechte für Sie? Kalk ist gut gegen Uebelkeit. Außerdem sind Sie gerade der Mann, den wir gebrauchen. Sie verstehen in ausgezeichneter Opernmanier und mit Gefühl italienisch zu sprechen, und es wird nicht lange währen, so fraternisiren Sie mit den Corsen. Vielleicht vertreiben Sie die Franzosen, die ohnehin nicht wissen, was sie mit der Insel beginnen sollen und ernennen Sie zu ihrem König wie Theodor von Neuhoff Freiherr Theodor Stephan von Neuhoff (1694-1756) war ein deutscher politischer Abenteurer, dem es Mitte des 18. Jh. gelang, sich vorübergehend an die Spitze der korsischen Unabhängigkeitsbewegung gegen Genua zu stellen. Er ging als erster und einziger frei gewählter König von Korsika ( Theodor I., 1736) in die Geschichte ein.. Dann beschränken Sie den Freihandel auf die Flotte der Firma »Green, Vowler und Green.« Es ist aber mein völliger Ernst; überlegen Sie sich die Sache, mein lieber Vaughan. Alles ist besser als diese cynische Lässigkeit. Das Reisen wird manche Ihrer Ansichten berichtigen und alle erweitern; eine gewöhnliche Erfahrung, doch gerade die, welche Ihnen fehlt. Natürlich zahlen wir Alles, was Sie gebrauchen und geben Ihnen dazu ein anständiges Gehalt. Wir verlangen dafür Nichts weiter von Ihnen, als daß Sie mehr erforschen als ein Tourist und uns eine einfache Beschreibung von Allem liefern. Sie besitzen viel Beobachtungsgabe; wenden Sie dieselbe nützlich anstatt zu Ihrer Plage an. Wir kennen die großen Schätze, welche jene Insel birgt, recht gut, aber wir möchten wissen, wie sie liegen, und wie wir ihnen am besten beikommen können.«

»Sie würden also erwarten, daß ich kaufmännische Anordnungen träfe?«

Peter lachte aus vollem Hause. »Das würde ich mir wohl nicht einbilden. Etwas sonderbarer Art würden dieselben sein, ohne Zweifel platonisch, aber nicht ganz der doppelten Buchführung angepaßt.«

»Dann wollen Sie mich wohl als Kundschafter ausschicken?«

»Ich habe Ihnen Alles gesagt, was wir wünschen. Wenn Sie Bekanntschaften schließen, um so besser, doch überlassen wir das Ihnen. Vielleicht werden Sie dort gesellig.«

»Wie lange würde mein Engagement währen?«

»Bis Sie das Land gründlich durchstreift haben, wenn Sie so lange Topp halten. Wenn Sie sich Ihres Auftrages gut erledigt haben, so würden wir Sie nach Sardinien senden. Welche Aussicht für einen unbeschäftigten Menschen, obgleich es mich zum Sterben langweilen würde, da es so wenig dabei zu thun giebt. Sie können Ihre Reise aber, wenn Sie es wünschen, abkürzen. Viele unserer Leute würden das Anerbieten mit Freude begrüßen, aber für ein solches Land müssen wir einen vollkommenen Gentleman haben. Ein Handlungsreisender mit schlechten Manieren würde bald die Ladung einer Flinte kennen lernen. Er würde die corsikanischen Mädchen küssen, die, wie man sagt, wunderbar lieblich sind, aber gefährlich eifersüchtige Liebhaber besitzen; und Jeder trägt ein Gewehr. Einen schüchternen Mann verachten sie, einen unverschämten schießen sie todt, und die meisten unserer Landsleute sind das Eine oder das Andere, oder auch Beides. Wollen Sie es unternehmen? Ja oder nein? Ihr Ja würde ich indessen als eine besondere Gunst gegen mich betrachten.«

»Dann sage ich natürlich Ja. Wann soll ich reisen?«

»Morgen, wenn Sie es wünschen oder im nächsten Monat, wenn Sie das vorziehen. Wir können Ihnen Empfehlungen mitgeben. Für einen vollkommenen Gentleman ist keine wirkliche Gefahr vorhanden, oder ich würde Sie um alle Oliven Europas nicht hinreisen lassen. Merken Sie sich, wir gebrauchen eine besondere Sorte, sehr lang und spitz zulaufend, den echten ›Radius des Virgil.‹ Nach Virgils »Georgica« II, 86. Sie sollen eine Probe davon haben. Bis jetzt kennen wir erst einen Landstrich Italiens, wo die Frucht wächst, wir sind ihr jedoch in Corsika auf der Spur. Herrliche Bursche, diese Corsikaner, wenn die Hälfte von dem wahr ist, was ich über sie gehört habe, herrliche Bursche, wenn nur ihre Trägheit nicht wäre und die Vendetta.«

Um mich kurz zu fassen – ich erhielt sehr klar geschriebene Instruktionen und befand mich eine Woche später auf dem Wege nach Bonifacio in meiner eigenen kleinen flinken Yacht, ein Luxus, nach dem ich stets getrachtet hatte, und den ich mir jetzt für einige Zeit erlauben durfte. Vor meiner Abreise protestirte Dein armer Vater, Clara, noch auf das Eifrigste gegen den Plan und kam sogar eigens nach London, in der vergeblichen Hoffnung, mich zurückhalten. Er hatte eine dunkle Vorahnung, daß es böse enden würde, und so geschah es in der That.

»Ned,« sagte er noch einmal, »wir sind nur unserer Zwei und mein liebes Weib ist sehr zart. Ich war in Genua, wo diese Insulaner sehr gut bekannt sind, und selbst dort werden sie selten ohne Schauder erwähnt. Sie sind ein prachtvolles kriegerisches Geschlecht, edel und tapfer, aber sie erschießen einen Menschen mit eben so wenig Gewissensbissen wie einen Vogel. Ich bitte Dich flehentlich, lieber Bruder, nicht das Leben des letzten Mitgliedes unserer Familie zu gefährden, indem Du Dich in ein Land begiebst, wo Blut so reichlich fließt wie Wasser. Du weißt auch, daß Dein Gemüth nicht das sanfteste in der Welt ist. Gehe nicht, mein lieber Bruder, gehe nicht. Ich würde sonst kommen müssen, Dich zu rächen, und ich verstehe mich nicht auf die Vendetta.«

Oh, hätte ich nur auf ihn gehört! Und dennoch, ich weiß es nicht. – Nach einer angenehmen Seereise erreichte ich Mitte Mai die prächtige Insel. Meine Absicht war, sie von der Südspitze zu umschiffen, die westliche Seite zuerst, und von jedem Ankerplatz aus Wanderungen in das Land hinein zu unternehmen, während mir meine Yacht als bequemes Hauptquartier dienen sollte. Freilich würde ich Strapazen ausgesetzt sein, aber welcher junge Mann hätte daran gedacht, wo ein abenteuerliches Leben vor ihm lag?

Ich will Dich nicht mit einer langen Beschreibung von Corsika ermüden, liebes Kind. Es ist ein Land, das alle Lieblichkeit und Majestät, allen Reichthum und alle Dürftigkeit, alles Lächeln und Drohen der ganzen Welt in sich vereinigt. Ich könnte stundenlang darüber sprechen. Du verlangst aber mehr danach, zu wissen, was ich gethan und was mir geschehen, als was ich gesehen habe. Von dem unheimlichen Felsen Bonifacio mit den Straßen, wo die Leute keine Ellbogen haben müßten, und dem Thurm Torrione fuhren wir längs der phantastisch geformten Küste dahin, welche den Eindruck macht, als habe die Zeit in Gestalt eines riesenhaften Kaninchens an ihr genagt, über die blaue, gegen Klippen schäumende, bald weiß, bald gluthroth schimmernde See, bis wir den himmlischen Paradiesgarten Balagna erreichten.



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