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Zehntes Kapitel.

Fortsetzung der Geschichte Edgar Vaughan's.

 

Anfänglich dachte ich mehr an die Schmerzen meiner Wunde, als an die Gefahr. Aber als ich einen französischen Wundarzt in Ajaccio befragte, war ich erstaunt, daß er mit bedenklichem Schulternzucken erklärte, ich solle Gott danken, wenn ich meinen Fuß behielte. Da ich etwas ungläubiger Natur bin, hegte ich zuerst die Vermuthung, daß er es nur darauf abgesehen habe, seine Dienste zu vergolden. Bei näherer Ueberlegung fand ich aber, daß er im Recht war. Ich hatte mich viel mehr um meine junge Frau als um meine Fußsohle bekümmert. Zwei Knochen derselben waren von der zwischen ihnen durchgefahrenen Kugel zersplittert worden, und es war sogar nicht unmöglich, daß letztere vergiftet war. Viele der Gebirgsbewohner verstehen sich auf die Bereitung starker Gifte, die sie selten für das Trinkgefäß, doch häufig für das Schwert oder die Flinte anwenden.

Sogar Symptome von Brand schienen vorhanden und meine Frau, die mich unverdrossen pflegte, vereinigte ihre Bitten mit denen des Wundarztes, daß ich mich der Amputation unterwerfen solle.

»Mein süßes Herz, glaubst Du, daß ich Dich weniger lieben würde, wenn Du an Krücken gehen müßtest, und noch dazu in Folge Deiner Liebe zu mir? Und weiter kann es im Grunde kein Unglück für uns sein. Anfänglich würde ich natürlich sehr viel weinen, denn ich liebe Deine kleine Zehe mehr als meine Augen, aber schließlich, Geliebter, würden wir uns darüber trösten.«

Da sie meine Zehen so sehr liebte, war ich entschlossen, dieselben zu behalten, wenn auch nur ihretwillen; und nach einer gefährlichen Krisis begann mein Fuß sich zu bessern. Mehr noch als der Kunst des geschickten Wundarztes verdankte ich meine Genesung der zarten Sorgfalt Lily's. Sechs Monate verstrichen, ehe ich wieder gehen konnte, und unsere kleine Yacht wurde mit der Erklärung unseres verlängerten Ausbleibens nach Calvi zurückgesandt. So großen Werth ich auf die »Lilie« legte, hätte ich das Fahrzeug dennoch jetzt gern verkauft. Meine herzige Wärterin jedoch wollte, obgleich sie schon vor unserer Verheirathung gewußt, daß ich kein wohlhabender Mann war, Nichts von dem Vorhaben hören; denn der Doktor verordnete mir, als ich mich kräftiger fühlte, beständig auf dem Wasser zu sein.

»Um keinen Preis, mein Lieber, wollen wir unsere kleine Liebesbarke verkaufen. Ich würde ihr nachweinen, wie ein Kind. Und, was noch wichtiger ist, Du kannst die Bewegung keines anderen Fahrzeuges vertragen, als die Deiner eigenen Yacht. Papa hat Geld die Hülle und Fülle, und er kann mir nie etwas abschlagen, wenn ich ihn im Ernst darum bitte.«

Im Bewußtsein meines niedrigen Betruges wäre ich lieber gestorben, als daß ich mich um Geld an Signor Dezio gewendet hätte, obgleich ich überzeugt war, daß er mir verziehen haben würde. So schrieb ich denn wieder an meinen gutherzigen Bruder und Bankier und theilte ihm Alles mit, was sich zugetragen, bat ihn jedoch, es nicht einmal Deiner Mutter zu sagen. Ich habe starke Gründe, zu vermuthen, daß er es nicht vor ihr geheim hielt, aber da ich den Gegenstand niemals in ihrer Gegenwart erwähnte, war sie viel zu sehr Dame, mich jemals darauf hinzuführen. Mein Motiv für diese Zurückhaltung war zuerst eine unbestimmte Furcht, mein Betrug gegen Signor Dezio möge zu früh an das Licht kommen. Auch ist es mir verhaßt, Leuten, die ich verabscheue, zum Gesprächsstoff zu dienen. Später hatte ich, wie Du hören wirst, andere und weit stichhaltigere Gründe.

Ich brauche Dir nicht zu sagen, daß Dein Vater, theure Clara (ich sollte Dich schon allein um seinetwillen lieben) mir einen warmen, gütigen und herzlichen Brief, von einer reichen Gabe begleitet, schickte – dieses Mal kein Darlehn, sondern ein Hochzeitsgeschenk – und das ein sehr freigebiges. Gleichzeitig bat er mich dringend, mit meiner jungen Frau nach Hause zu kommen, sobald ich die Seereise vertragen könne. Ach! hätte ich ihm nur nachgegeben, so wären nicht Lily und Henry, sondern ich selber zum Opfer gefallen.

Wir kehrten sobald wie möglich nach dem Vendetta-Thurm zurück, wo wir den guten Signor in heiterster Laune antrafen. Er war entzückt, seine liebliche Tochter wiederzusehen und noch entzückter über die Hoffnung auf einen kleinen Erben der grauen Mauern und Olivenhaine. Als sich diese Hoffnung erfüllt hatte und ihm ein kräftiger kleiner Enkel in die Arme gelegt wurde, da kannte seine Freude keine Grenzen. Er verkündete es überall, besuchte alle Freunde im ganzen Distrikt und vergaß selbst den Namen der Blutrache. Oftmals erinnerten wir ihn und flehten ihn an, vorsichtiger zu sein. Er antwortete, daß sein Leben jetzt von keinem Werth mehr sei; er habe seinen Hafen erreicht, und das alte Schiff sei mit Blumen umkränzt. Außerdem wisse er, daß die Gentili ein zu edeldenkendes Geschlecht seien, um das Blut eines alten, grauhaarigen Mannes zu vergießen, wenn die Gesetze es nicht geradezu verlangten. Und ich glaube, daß dem so war.

Ach! Der arme, alte Mann! Er war ein so vollkommener und echter Edelmann, wie nur je gesehen worden, obgleich er etwas cholerisch und nicht mit einem allzugroßen Geiste begabt war; das Herz hatte er aber auf dem rechten Fleck, und es war von echtem Stoff und leicht zugänglich. Er bekannte seine Schwächen freimüthig und hatte Mitgefühl für Menschen, die in Versuchung gerathen. Es gewährt mir eine innige Beruhigung, daß ich ihm, ehe sein weißes Haupt zur Ruhe gebettet wurde, meinen Fehler eingestanden und seine herzliche Vergebung erhalten habe. Er hatte Henry auf dem Schooß, und der Kleine schlummerte mit seiner Mutter zartem Finger im Munde lächelnd ein. Zuerst war der arme Signor ganz bestürzt über mein Bekenntniß, denn ich machte keinen Versuch, die Unehrenhaftigkeit meines Thuns zu übertünchen. Ich sagte ihm nur, daß die Gemeinheit nicht in meiner Natur liege, daß aber, obgleich ich meine geliebte Lily gewonnen, der Weg zu meinem Glück durch Schierling und Wermuth geführt habe. Nun sähe ich aber ein, wie unnöthig und dumm mein Betrug gewesen sei.

Als der Greis sich von dem Schreck über meine Unehrlichkeit etwas erholt hatte, wozu die Thränen seiner Tochter und das Lächeln seines Enkels nicht wenig beitrugen, da war er in der That erfreut, daß ich kein Landeigenthümer war. Er rieb sich die Hände und zupfte seinen Bart vor Vergnügen, denn jetzt brauchte sein kleiner Enrico niemals nach der barbarischen englischen Insel zu gehen. War er doch jetzt der rechtmäßige Besitzer aller Güter der Familie Della Croce, und was konnte er mehr wünschen? Was konnte ihm an dem Besitzthum in Gloisterio liegen? Trotzdem mußten wir versprechen, für den Fall, daß der ganz bewunderungswürdige Säugling, Master Henry Vaughan, jemals zu dem Besitzthum in der nicht auszusprechenden Grafschaft gelangen sollte, Lily's zweites Kind, wenn sie eines bekäme, die korsikanische Herrschaft übernehmen solle, denn seine größte Furcht war die, daß die Güter der Malaspina und Della Croce zu Nebengütern der Eisfelder des Nordens herabsinken könnten. Um die Erfüllung seiner Wünsche zu sichern, ließ er eine ganz nach seinem Sinn verfaßte Urkunde aufsetzen und las dieselbe uns und einigen Zeugen vor, worauf er sie unterzeichnete, sein Siegel darunter setzte und sie eigenhändig couvertirte. Dies ist eins der Dokumente, welche Du, meine tapfere Clara, vor jenem ränkevollen, heimtückischen Geiste gerettet hast.

Von nun an genossen wir für eine kurze Zeit ein tiefes und köstliches Glück. Das Verbrechen, welches mich beunruhigt hatte, war eingestanden und vergeben. Hinreichend, ja überreichlich mit Glücksgütern gesegnet, erfreute ich mich wieder einer kräftigen Gesundheit und Freiheit unter den Freien. Als reichsten und herrlichsten aller Schätze besaß ich eine süße, liebliche und höchst liebevolle Gattin, und ich liebte sie für die Ewigkeit. Kein Dichter hat je eine schönere Vision gehabt als den Anblick meiner Lily, wie sie unter dem Weinlaub sitzend ihr Kind auf dem Schooße hielt, das mit den sanften Augen verwundert zu der Schönheit seiner Mutter aufsah, während ihre eigenen von tiefem Glanz erfüllten Blicke ohne die Mühe des Denkens Alles zu dem Gatten hinübertrugen, was ihr Herz durchfluthete – Freude, ihm anzugehören, Hoffnung auf künftiges Glück, Furcht vor zu viel des Glückes und Stolz auf uns Alle Drei. Mitunter beugte sie sich in einer Anwandlung von jugendlichem Uebermuth mit einem koketten, munteren Blick liebkosend über das Kind und spielte die Kalte gegen mich. Aber, so eifersüchtig ich war, denn meine Liebe war leidenschaftlicher denn je, kann ich ehrlich gestehen, daß dieser einzige Versuch Lily's, meine Eifersucht erwecken zu wollen, total mißglückte und nur auf die liebe Schauspielerin zurückfiel. Wie unbescheiden der kleine Harry immer sein mochte, ich gönnte ihm seinen doppelten Antheil von Zärtlichkeit. Erstens sah ich ihn als ein Stück von mir selber an, und zweitens wußte ich, daß Alles, was er beanspruchte, nur ein Darlehen war und in Wirklichkeit seinem Vater gehörte.

Um diese Zeit schrieb ich abermals an meinen Bruder, kündigte ihm die Geburt meines Sohnes an und theilte ihm mit, daß wir denselben nach ihm benannt hatten, während ich ihm zugleich jede fernere Geheimhaltung meiner Heirath erließ. Dieser Brief gelangte nie in die Hände Deines theuren Vaters; das weiß ich sicher. Zu einer Zeit hegte ich den starken Verdacht, daß unser kaltblütiger, listiger Feind es ermöglicht habe, ihn aufzufangen. Doch nein, hätte er es gethan, so würde er später besser unterrichtet gewesen sein.

Nach jenem feigen Mordanschlag auf meine Braut und mich suchte ich natürlich, so viel ich konnte, von der Geschichte dieses Lepardo zu erfahren. Er war der einzige Sohn von Signor Dezio's einzigem Bruder, aber man wußte in der Nachbarschaft sehr wenig von ihm, da er von dem an der Ostseite der Insel gelegenen Orte Vescovato gekommen war. Er stand in dem Rufe großer Fähigkeiten und Ausdauer, und sein Onkel und Vormund hatte beabsichtigt, ihn für die französische Advokatencarriere zu erziehen. Er war aber von trotziger und finsterer Gemüthsart und bezeigte schon früh eine selbst für einen Corsikaner ungewöhnliche Wildheit. Dabei fehlte ihm der versöhnende Zug der Insulaner, nämlich ihr edler Patriotismus. Eine gute Eigenschaft besaß er indessen: strenges Festhalten an seinem Wort. Er konnte in Folge der häufig in der menschlichen Natur liegenden Widersprüche selbst falsch werden, um wahr zu sein; das heißt, er war im Stande, verrätherisch zu handeln, wo er sich nicht verantwortlich glaubte, wenn er dadurch das erreichen konnte, wozu er verpflichtet war. Schon in seinen Knabenjahren machte er der ihm bestimmten Laufbahn durch eine furchtbare Gewaltthätigkeit ein Ende. Er haßte alle Thiere, besonders Pferde und Maulesel. Eines Tages traf ihn ein Lehrer des Paoli-College, wie er mit wüthendem Geschrei aus sicherer Entfernung auf einen armen kleinen Pony lospeitschte, den er an einen Zaun gebunden hatte. Der Lehrer, ein ältlicher, höchst humaner und wohlwollender Mann, tadelte ihn in scharfer Weise und nannte ihn einen gemeinen Feigling. Der junge Bösewicht rannte mit wuthblitzenden Augen davon, holte ein Stilet und stieß es dem alten Manne in den Rücken. Dann warf er sich auf das mißhandelte Pferd, trieb es mit der Dolchspitze an und schlug in rasendem Ritt die Richtung nach Bastia ein. Seine Verfolger verloren seine Spur in der wilden Gebirgsgegend, es wurde jedoch angenommen, daß er die Stadt erreicht und sich auf eine englische Brigg geflüchtet habe, welche gerade rüstete, um am selben Abend nach Genua zu segeln. Der Pony wurde todt am Wege gefunden, mit dem Dolche des Unholdes in der Kehle. Es war kein Wunder, daß Lily, die mir dies Alles mit echt korsischer Wuth in ihrem Blick erzählte, daß meine Lily ihn haßte. Schon als sie noch ein kleines Mädchen war (sie zählte erst zehn Jahre, als er verschwand), hatte sie stets einen starken Widerwillen gegen ihn empfunden. Er war ungefähr sechs Jahre älter als Fiordalisa und vier Jahre jünger als ich. Er muß also, als er auf Lily schoß, dreiundzwanzig Jahre alt gewesen sein. Wie man sagt, führte er nach seinem Verschwinden aus der Heimath das Leben eines Seefahrers und machte sich durch seine Sprachkenntnisse sehr nützlich im Dienst des englischen Seehandels. Dann hatte er sich mit seinen Vorgesetzten entzweit und seitdem seine Zuflucht zum Schmuggeln in der Levante, wenn nicht gar zur Seeräuberei genommen.

Clara, ich wünsche aus Gründen, die ich nicht erklären kann, daß Du meiner Geschichte Schritt für Schritt folgst und Dir jeden Anhaltpunkt genau merkst. Deßhalb bitte ich Dich, Dir die Daten genau einzuprägen.

Wie Du gehört hast, kam ich im Mai 1829 nach Corsika. Am zwölften August desselben Jahres erblickte ich meine Lily zuerst. Lily und ich wurden am 21. März 1830 getraut, als ich 27 Jahre alt war. Unser kleiner Henry erblickte das Licht der Welt am darauf folgenden 24. Dezember, mehr denn zwei Jahre vor Deiner Geburt. Da Dein Vater noch keine Kinder hatte, sah ich meinen Harry als den muthmaßlichen Erben dieses Besitzthums an. Obgleich Deine Geburt ihm scheinbar seine Erbansprüche nahm, hat es sich in Folge von mir damals unbekannten Gründen später anders herausgestellt. Lebt er jetzt, so würde er nach dem Buchstaben des Gesetzes Anspruch auf den Besitz dieser Güter haben, wenn ich gestorben bin. Wäre er aber auch am Leben, so sollte er dennoch mit meinem Willen keinen Zollbreit davon sein nennen, weil nach dem Begriffe strenger Rechtlichkeit Alles Dir gehört. Ich bin jetzt uneingeschränkter Herr über das Besitzthum durch eine Akte, welche alle Formalitäten unnöthig macht. Ich habe seit Deiner theuren Mutter Tod so viel von Gewissensbissen zu leiden gehabt, daß ich schon, ehe Du mir das Leben gerettet, ein Schriftstück ausfertigen ließ, das mir vollkommen freie Disposition giebt. Wie Du schon weißt, habe ich darauf hin ein Testament gemacht, das Dir die Ländereien sichert. Dies war ebenfalls eines der Dokumente, welche jene elende Heuchlerin stehlen wollte.

Kehren wir zu dem alten Signor zurück. Er war jetzt überglücklich und, wie es alte Leute häufig sind, begierig, wichtige Pläne in's Leben zu rufen, welche seine Zeit überdauern sollten. Diesen Wunsch benutzte ich, um ihm einige englische Ansichten einzuimpfen. Es war freilich etwas spät, mit fünfundsechszig Jahren einen neuen Katechismus zu lernen, aber er erfreute sich des rüstigsten, frischesten Alters von der Welt. Warum sollten alle jene edlen Oliven abfallen und auf dem Boden verfaulen, alle jene verschiedenfarbige Trauben keinen größeren Nutzen haben, als der Regenbogen? Warum sollten alle herrlichen Marmorarten in dem Steinbruch ruhen, der purpurne Porphyr von Niolo, der grüne von Orezza, der Ophit in der Nähe von Bastia, die Granaten von Vizzavona – sogar der unvergleichliche weiße Alabaster –

»Heilige Mutter Gottes – ich habe ein so hübsches weißes Gestein in meiner Höhle am Golf von Porto. Mir sagte Jemand einmal, es sei der feinste Alabaster. Aber er müßte herausgehauen werden.«

Dies erschien ihm als ein Hinderniß.

»Wie wäre es, Vater« (so nannte ich ihn jetzt), »wenn wir, sobald Harry seinen ersten Zahn bekommen hat, Alle mit der Yacht hinführen, um die Höhle zu besichtigen?«

Und so geschah es; es hätte aber auch eine Seereise von London verlohnt, sie nur anzusehen. Es waren Pfeiler von Schnee, durchsichtig und wunderlich geädert, wie Gletscher mit Seegras durchschossen; außerdem war es eine glatte, harte und gleichmäßige Masse, die sich leicht verarbeiten ließ, wie ich zu meiner Lily Entzücken bewies. Es liegt noch ein Stück davon in dem Schubfach meines Nußbaumpultes. Einen viereckigen Block nahm ich jedoch mit nach Hause, und unter der originellen Kritik meiner Gattin stellte ich ein rohes Ebenbild des kleinen Henry daraus her. Vielleicht habe ich eine natürliche Anlage zur Bildhauerkunst, vielleicht war es die Parteilichkeit der Gattin – jedenfalls war die junge Mutter so entzückt davon, daß sie mir in einem ihrer schwermüthigen Momente das Versprechen abnahm, ihr, wenn sie bald und allein sterben würde, die kleine Figur auf die Brust zu legen.

Inzwischen war der Signor vergnügter denn je und freute sich auf den reichen Ertrag seiner großen Olivenhaine, Steinbrüche und Weinberge. Er bildete sich einen sinnreichen Plan, der ihn ungeheuer entzückte, mein Begriffsvermögen jedoch weit überstieg. Sobald er seinen Alabaster aus dem Steinbruch heraus hatte, wollte er junge Weinstöcke in die Gruben pflanzen, denn Jedermann wisse, daß der Wein am liebsten über Felsen rankt. Deßhalb müsse er sich sofort nach Corte begeben, um einen großen Vorrath von Werkzeugen anzuschaffen, die im Wasser des Restonica gehärtet seien. Jener wilde, ungestüme kleine Fluß besitzt eine magische Kraft. Wie man sagt, läutert sein Wasser den Stahl in solchem Grade, daß er niemals rosten kann. Ich habe sogar gehört, daß die Messerschmiede von Nord-Italien es importiren, um ihre besten Waffen darin zu kühlen. So wenig ich von geschäftlichen Dingen verstehe, empfahl ich dem Signor dringend, noch vor der Förderung des Alabasters Anordnungen wegen des Verkaufs und des Transports zu treffen. Diese Idee verwarf er jedoch gänzlich.

Da wir nun die Aussicht auf Crösus' Schätze besaßen und ohnedies so viel, wie zu unserem Glücke nothwendig war, auch nach unseren Ansichten hart gearbeitet hatten, so gestatteten wir uns alle Vier eine Tour durch Sizilien und Italien und nahmen uns vor, die bedeutendsten Marmorlager zu besichtigen. Um die Zeit, als wir alles dies gethan und genossen, (Himmel, wie wurde meine Frau in den Ateliers der Bildhauer bewundert!) als wir dann wieder an die Arbeit gegangen waren, auf allen Gütern geologische Forschungen angestellt hatten, unsere Pläne später über unserer Flasche Rogliano festzustellen und am nächsten Morgen die Berathungen von Neuem zu eröffnen pflegten, waren drei glückliche Jahre seit meiner Genesung von der langwierigen Wunde hingegangen, und der Sommer des Jahres 1833 herangerückt. Meine liebende Gattin zählte zwanzig Jahre, und wir sahen der Geburt eines Bruders oder einer Schwester Harrys entgegen. Inzwischen wurde uns die Nachricht Deiner Geburt, welche uns Alle, besonders meine Lily, hocherfreute. Sie pflegte dem jetzt schon würdevoll auf einem hohen Stuhle sitzenden Harry in der Weise zärtlicher Mütter von seiner kleinen Braut in dem entfernten, dunkeln Lande des Nordens zu erzählen.

Es war im Juli 1833, und der Signor wollte seine Reise nach Corte nicht länger aufschieben. Er ließ sich nicht zurückhalten, dieselbe allein auf seinem Lieblingspferd spanischer Rasse zu unternehmen, das so sicher wie ein Maulthier und so ausdauernd wie ein Prairiepferd war. Dann schlang er seine alte treue Flinte, deren beide Läufe geladen waren, über den Rücken, denn er hatte einen Gebirgsdistrikt zu durchreisen, der von Banditen unsicher gemacht wurde. Er mußte auf Seitenwegen nach Novella und bis zu der Brücke reiten, wo die Landstraßen von Calvi und Bastia zusammentreffen, dort ein ländliches Nachtquartier nehmen und am nächsten Tage den steilen Bergweg bis zur Stadt Corte hinunter verfolgen. Vergebens baten wir ihn, Begleitung mitzunehmen, oder wenigstens zu gestatten, daß ich mit ihm gehe. Er erwiederte, daß ich zurückbleiben müsse, um die Lilie und das Schneeglöckchen zu bewachen; ob er mich wohl zu solcher Zeit vom Hause fern halten könne, und ob ich glaube, daß ein Della Croce sich vor Banditen fürchte? Am Montag verließ er das Schloß, und am Sonnabend wollte er pünktlich zum Abendessen heimkehren. Er küßte und segnete seine Lily und das kleine Schneeglöckchen, wie er Harry nannte, der über seine Abreise weinte. Dann gab er auch mir ernst und mit zitternder Stimme seinen Segen. Zu dieser Zeit hatten wir einander schon so lieb gewonnen, wie Vater und Sohn.

Ich begleitete ihn bis an die Grenze seines Gutes. Dort in einem Hohlweg zündete ich ihm seine Cigarre an. Unter einer düsteren Vorahnung wartete ich, bis er an der Kluft des Berges vorbeigeritten war. Dort wendete er sich im Sattel, um mir sein letztes Lebewohl zuzuwinken, und sein wehender Bart hob sich wie eine weiße Wolke vom Morgenhimmel ab.



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