Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel.

Fortsetzung der Geschichte Edgar Vaughan's.

 

Obwohl Lily und ich den Wunsch hegten, Alles so verschwiegen wie möglich zu halten, wurde jetzt in jedem Hause Balagna's von unserer Verlobung gesprochen. Ihr väterlicher Füselier und mein munterer Steuermann duldeten nicht, obwohl sie stets nach einer anderen Richtung blickten, wenn wir uns näherten, daß die Blume von Corsika, wie sie jetzt genannt wurde, ungesehen für mich blühen sollte. Meine Matrosen achteten viel mehr auf sie, als auf ihre Arbeit und würden für ein Lächeln von Lily in's Wasser gesprungen sein.

Die Sitte der Insel schrieb große Hochzeitsfestlichkeiten vor und der Signor war darauf bedacht, hierin Alles zu übertreffen, was je gesehen worden. Wir, die wir nur mit uns selber beschäftigt waren, thaten unser Möglichstes, dies zu vereiteln; er aber verachtete den Gedanken einer stillen Hochzeit. Nie werde ich vergessen, wie er die silberweißen Brauen zusammenzog, als ich endlich einen Versuch machte, ihn zu unseren Ansichten zu bekehren.

»Signor Vagheno, es scheint mir, daß Sie vergessen, wessen Tochter es ist, die Sie liebt. Auf Ihrer entlegenen, doch geschätzten Insel mag man es wohl gewohnt sein, daß die Töchter heimlich gestohlen werden, ehe der Vater sich nur umblicken kann. Ich habe sogar gehört, daß sie über einen Besenstiel springen. Das ist hier nicht Sitte. Fiordalisa Della Croce ist mein einziges Kind, die Freude meines Alters und durchaus kein Mädchen, dessen man sich zu schämen braucht. Meine Mittel erlauben mir, gastfrei zu sein, und ich bin entschlossen, Gastfreiheit zu üben.«

Die Corsen sind höchst erregbarer Natur, und wenn sie sich beleidigt fühlen, so scheint es, als ob sie beim Sprechen um sich schlagen wollten. Als der gute Signor seine Rede beendet, zitterte jedes Haar in seinem Barte vor Entrüstung. Seine Tochter warf sich jedoch in seine Arme, küßte den Sturm hinweg und versprach, wenn es sein müsse, sich ganz mit Gold und Korallen zu bedecken. So wurden denn die Parolanti oder Vermittler angerufen, und unter beiderseitiger Verpfändung der Ehre ein Waffenstillstand für eine Woche unterzeichnet. Mit stolz erhobenem Haupte verließ Signor Dezio das Haus, um in der Stadt Alles zu bestellen, was er sah; und sehr zornig wurde er wieder, weil ich den Tag nicht aufschieben wollte, damit er eine Schiffsladung unnöthiger Dinge von Marseille kommen lassen könne. Diesmal bestand ich auf meinem Willen. Abgesehen von meiner leidenschaftlichen Liebe und meiner Furcht vor störenden Zwischenfällen ist mir Nichts auf der Welt so verhaßt, als mich überall angaffen zu lassen. Und noch weit schlimmer ist es, von einer fremden Bevölkerung angestarrt zu werden. Den Corsen ist edles Benehmen angeboren, aber es war nicht von ihnen zu verlangen, daß sie ohne Neugierde auf den glücklichen Fremdling blicken sollten, der ihre Lilie gewonnen.

Ich will Dich nicht, wie es mir selber erging, mit allen Ceremonien des Hochzeitstages ermüden. Alles, was ich wollte, war meine Braut, und sie wollte Nichts außer mir. Dennoch konnten wir nicht umhin, von dem herzlichen guten Willen der Umgegend gerührt zu werden. Der Ruhm von Lily's Schönheit war bis nach Sardinien hinübergedrungen, und manches schöne Weib kam herbei, um sich mit ihr zu messen. Aber so sehr sich Frauen auf solche Sachen verstehen, so konnte doch keine Einzige einen Tadel oder Fehler an Lily entdecken, und unsere schöne Balagneserin schickte sie nach Hause, wo sie ihre Spiegel zerschlagen mochten.

Es war an einem köstlichen Frühlingsmorgen, als ich während eines fürchterlichen Getöses von Schüssen, Trompeten, Mandolinen und Geigen mit nervösem Lächeln unter dem Triumphbogen vor meinem fingirten Hause stand. Da es sehr wesentlich war, daß die Braut in das Haus ihres Bräutigams geführt werde, so war ein provisorisches Haus aus Brettern, Zweigen und Blumen hergestellt worden. Hier mußte ich den Festzug erwarten, der endlich erschien. Zuerst kamen fünfzig wohlbewaffnete, mit Laub und Bändern bekränzte Jünglinge, darauf vierundzwanzig ganz gleich gekleidete Jungfrauen, die sangen und Blumen streuten; sodann ein schöner, auf einem Pony reitender Edelknabe, als Symbol der Nachkommen des Hauses. Ich sah Keinen an, außer meiner Lily. Auf einem schneeweißen Zelter, der über und über mit Blumen bedeckt war, erschien, von ihrem Vater begleitet, der neben ihr herschritt, die Lilie, die schönste Blume von allen, in weißen Muslin gekleidet, lächelnd und selbstbewußt. Ein herrlicher Kranz umgab ihr Haupt; es war ihr eigenes schwarzes Haar, das ihre zarten Finger mit Myrthenzweigen durchwunden hatten. Ein Châle oder Fazoletto von durchsichtigem violettem Flor war auf ihrem Kopfe befestigt, und sie umhüllend wie eine abendliche Wolke die Sonne, fiel er über den sich schüchtern hebenden Busen und theilte sich unterhalb der vom Mieder umschlossenen runden Taille. Mir erschien sie wie eine aus amethystfarbener See emporstrebende weiße Koralle. Hinter ihr schritten die Behörden des Distrikts. Die Schlüssel hingen schon an Lily's knappem Gürtel. Es war meine Aufgabe, sie vom Pferde zu heben, und sie mit steifer Förmlichkeit in das Haus zu führen. Dies that ich mit vorzüglichem Anstand, während ich Aller Augen auf mich gerichtet fühlte. Als sie jedoch im Hause war, brachte ich den Faltenwurf des Fazoletto's in Unordnung. Ich hörte den Greis draußen rufen:

»Wer seid Ihr, tapfere Söhne der Berge, die Ihr meine Tochter entführt habt? Ihr scheint mir in der That muthige und edle Männer zu sein, und dennoch habt Ihr sie wie Banditen geraubt. Wißt Ihr nicht, daß sie die schönste Blume ist, die jemals in Corsika gezogen ward?«

»Ja, Alterchen, ich weiß das sehr wohl, und deßhalb habe ich sie mir auch zugeeignet.« Noch ein jungfräulicher Kuß, und mit Lily am Arm trete ich hinaus, um zu antworten:

»Wir sind Freunde, die um Gastfreundschaft bitten. Wir haben die schönste Blume auf dem ganzen Gestade von Corsika gepflückt und bringen sie zum Priester als passendes Opfer für die Madonna.«

»So reitet ungehindert weiter, meine edlen Freunde; und dann kommt wieder und erfreut Euch an meinem Festmahl.«

Kein weiteres Zögern. Die Jungfrauen können es kaum möglich machen, mit ihren Blumen vor uns zu bleiben. Die bewaffneten Jünglinge stehen zu beiden Seiten der Kirchenthür. Die Kerzen sind schon angezündet, der Weg durch die kleine Kirche ist mit blühenden Myrtenzweigen bestreut. Lily geht, den Schleier um sich ziehend, Hand in Hand mit mir hinein.

Fiordalisa Della Croce ist jetzt Lily Vaughan. Unter dem Getöse von Hurrah's, Schüssen und Sackpfeifen werden wir in den Festsaal geführt. Dort müssen wir uns neben einander setzen, und ein hübscher, dicker Säugling wird Lily auf den Schooß gelegt, um sie an ihre künftigen Pflichten zu erinnern. Sie hätschelt und küßt ihn, als wenn sie letztere schon verstehe und schenkt ihm dann ein Mützchen, mit Korallen und bunten Bändern geziert. Nun wirft Lily ihren Fazoletto ab und giebt mir als Andenken die Myrten aus ihrem Haar. Alle, die sich als verwandt mit ihr betrachten können, bis zum vierzigsten Grade, drängen sich an sie heran und schütteln ihr mit dem guten alten Wunsche die Hand: »Langes Leben und zunehmende Freuden; Söhne wie er und Töchter gleich Dir.«

Nach dem Festmahl und der Eröffnung des Balles sind wir frei. Gott sei Dank, endlich ist Lily mein; ermüdet und entzückt sinkt sie an meine Brust. Clara, behalte dies im Gedächtniß: Die kleine Kirche, in der wir getraut wurden, heißt St. Katharina auf der Klippe, und ich schrieb meinen richtigen Namen Edgar Malins Vaughan in das Kirchenregister. Der Name Malins wurde wahrscheinlich für Valentine gehalten, denn ich schrieb ihn stets mit einem Schnörkel am Ende. Der Signor begleitete uns mit seinen sämmtlichen Freunden bis an die Grenze seiner Domäne. Dort sagten wir ihm herzlich Lebewohl, und sie kehrten zurück, um ihr Fest weiterzufeiern. Meine kleine Yacht lag in der Bucht, und wir sahen, wie das Boot abstieß, um uns der Verabredung gemäß zu holen. Wir wollten nach Girolata segeln, wo der Signor ein Landhaus besaß, das selbst für zwei Liebende wie wir einsam genug war. In drei bis vier Stunden konnten wir dorthin gelangen, und die Sonne stand noch am Himmel. Jetzt, wo Niemand uns sehen konnte, führte Lily zu meiner besonderen Freude einen kleinen Tanz aus. Wie strahlte sie voller Lebenslust, jetzt, wo alle Plage vorüber war. Dann trippelte sie schelmisch neben mir nach den zur St. Katharinenbucht hinabführenden Stufen. Die Bucht glich einem in die riesigen Felsenriffe gegrabenen Brunnen. Als wir die steilen, schmalen Stufen hinabschritten, zitterte Lily an meinem Arm. Das Haus mit den lärmenden Festgenossen war uns aus Gesichts- und Gehörweite entschwunden. Natürlich blieben wir hin und wieder stehen, denn das Boot konnte noch nicht am Landungsplatz sein, und wir hatten uns viel zu erzählen.

Als wir unterhalb eines vorspringenden Felsens an das Ufer traten, stand ein großer Mann vor uns. Seine Augen und sein Bart waren schwarz wie Jet, und er trug den weiten Anzug eines südlichen Seefahrers. Drei Matrosen, unverkennbar Engländer, saßen rauchend und kartenspielend im Schatten der Klippe. Lily schreckte heftig zusammen, aber obwohl sie sich erbleichend an mich klammerte, blickte sie dem Zudringlichen tapfer in das Gesicht. Er war ganz erstaunt über ihre Schönheit, ich über seinen unverschämten Blick.

»Fiordalisa Della Croce,« sprach er in reinem toskanischem Accent, »sieh mich an! Ich bin gekommen, um Dich als die Meine zu fordern.«

Er unterstand sich sogar, seine schmale aber muskulöse Hand auf meiner Lily Schulter zu legen. Sie sprang zurück wie vor einer Schlange.

Ich wußte, daß es Lepardo sein müsse.

»Mein Herr,« sprach ich, so ruhig ich konnte, »haben Sie die Güte, meiner Gattin den Weg freizugeben.«

Der höhnische, anmaßende Blick, den er kaum der Mühe werth hielt, mir zuzuwerfen, war ehrenhaft, im Vergleich mit der gemeinen Frechheit, mit der er sie anstarrte.

»Signor, sie ist zu schön. Ich verlange meine Rechte. Sie mögen kommen, wenn ich ihrer überdrüssig bin, wenn das überhaupt möglich ist.«

Und er fuhr mit seiner behaarten Lippe unter den Hut meines geliebten Weibes. Meine Muskeln spannten sich, meine ganze Kraft lag in dem Schlag. Wie ein Dreschflegel fiel er zu Boden, und ich glaubte, er sei für eine Stunde betäubt. Doch während ich meine Geliebte in das Boot trug, welches jetzt dicht am Ufer war, sprang er auf und stürzte mit einem Dolche auf mich zu – einem Dolche, gleich dem, welchen Du kennst. Ich bemerkte ihn nicht, aber Lily sah ihn über meine Schulter. Sie riß sich aus meinen Armen und warf sich zwischen uns. Er stieß sie zur Seite, stürzte wie ein Panther auf mich zu und zielte gerade auf mein Herz. Wie es kam, daß er mich nicht traf, weiß ich nicht, glaube aber, daß Lily daran schuld war. Ehe er sich wieder sammeln konnte, rang ich mit ihm, entwand ihm den Dolch und warf denselben weit in das Meer. Eins und zwar das Wichtigste unterließ ich jedoch. Ich hätte ihn gründlich betäuben müssen. Jetzt in das Boot mit Lily – ich ergriff ein Ruder, und wir flogen pfeilschnell dahin. Die drei englischen Matrosen rannten herbei, und als eine Welle das Boot emporhob, ergriff Einer das Steuer. Ein Schlag meines Ruders auf seine Finger, und er ließ das Boot mit einem Fluche los. Nun war Alles gut, der Weg frei, und wir ruderten auf Tod und Leben, um die Yacht zu erreichen. Am liebsten hätte ich den Kampf aufgenommen, denn mein Blut war in Wallung, was aber wäre aus Lily geworden? Wir waren nur Drei gegen Vier, und Keiner von uns hatte Waffen.

Inzwischen schlich sich der schwarze Italiener, einen Corsen mag ich ihn nicht nennen, nach einem Büschel Seegras, wo seine doppelläufige Flinte lag. Während ich aus Leibeskräften ruderte, sah ich, wie er das Pulver untersuchte, seine rothe Mütze auf einen Felsen, das blitzende Gewehr auf die Mütze legte und mit geschlossenem Auge fest zielte – nicht auf mich, sondern auf Lily.

Die arme Lily saß neben mir auf der Ruderbank, und ihre Blicke waren starr vor Schrecken. Ohne mir Zeit zum Nachdenken zu nehmen, warf ich mich mit dem Ruder vor die Geliebte. Ein Sausen durch die Luft, ein Stoß gegen mein Handgelenk, ein leichter Schlag auf meine Brust, und die Kugel fiel zu meinen Füßen nieder. Sie war durch den Rudergriff von hartem Eschenholz gegangen. »Bücke dich, Lily, um Gotteswillen, er feuert den anderen Lauf ab.« Ich warf sie auf den Boden des Kahnes; der Unmensch konnte sie jetzt nicht sehen. So leicht kamen wir aber nicht davon. Wie eine Katze klomm er den steilen Felsen hinan, das verfluchte Gewehr noch in der Hand haltend. So gelangte er fünfzig Fuß höher und gewann den Blick über das ganze Boot. Wir waren noch nicht achtzig Yards entfernt. Jetzt zielte er kaltblütig auf meine am Boden hingestreckte Lily. Ich hatte am nächsten Morgen graue Haare. Mich vorwärts neigend, – 156 warf ich mich über mein Weib, mochte er mich immerhin tödten. Ein Schwanken des Bootes – wir hatten eine unruhige See – und der Kopf meines Lieblings zeigte sich. Er benutzte den Moment und gab Feuer. Gott sei gedankt, er hatte zu wenig Pulver auf der Pfanne. Mein Herzblatt blieb unversehrt. Die Kugel erreichte Lily nicht, sondern durchbohrte meinen linken Fuß. Sie drang in die Sohle und fuhr unterhalb des Spanns wieder heraus. Glücklicherweise hatte ich meine Tanzschuhe anbehalten, sonst wäre die Kugel in der Wunde stecken geblieben. Der Schurke konnte nicht sehen, daß er Jemand getroffen hatte, und er verfluchte uns in gewähltem Italienisch.

Die arme Lily war vollständig ohnmächtig und wußte Nichts von meiner Wunde. Ich selber hob sie, auf einem Bein stehend, an Bord der Yacht. Niemand sonst sollte sie anrühren. Ich war so wüthend auf jenen kaltblütigen Missethäter, daß ich, hätte ich nur gehen können, umgekehrt wäre, um mit ihm zu fechten. Meine Leute hatten ebenfalls Lust dazu, aber als Lily zur Besinnung kam, mich weinend umschlang und Gott und ihren Heiligen dankte, bemerkte ich, daß mein Fuß ganz im Blut schwamm und schon steif wurde. Die arme Kleine, was für ein Aufhebens machte sie davon! Ich würde die zehnfachen Schmerzen für ihr Lächeln und ihre Thränen ertragen haben. Soviel war sicher, unter Gottes gnädigem Schutze verdankten wir uns gegenseitig das Leben und betrachteten es von jetzt an als Eines.

Als wir mit vollen Segeln um die felsige Landspitze fuhren, sahen wir unterhalb der Klippen verborgen, ein niedriges schlangenähnliches Fahrzeug, eine Felukke, liegen. Sie hatte Bänke für drei Paar Ruder und machte den Eindruck eines echten Piratenschiffes. Dies war natürlich Lepardo's Boot. Wir segelten jetzt nach Ajaccio, weil meine theure Lily mich flehentlich gebeten hatte, den Gedanken an Girolato aufzugeben, wo keine ärztliche Hülfe zu haben gewesen wäre. Außerdem wollte sie dem bösen Lepardo entfliehen und ich will gern eingestehen, daß ich trotz ihrer köstlichen Pflege nicht den Ehrgeiz besaß, noch einmal während unserer Flitterwochen als Zielscheibe für Schießübungen zu dienen.



 << zurück weiter >>