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Siebentes Kapitel.

Fortsetzung der Geschichte Edgar Vaughan's.

 

Liebe Clara, sowohl Deinetwegen, wie um meiner süßen Geliebten willen, ziehe ich es vor, nicht bei jener stürmischen Zeit zu verweilen. Für diejenigen, welche es nicht ohne Worte verstehen, haben auch Worte keine Bedeutung, während für die, welche es verstehen, keine weiteren Worte nöthig sind; und ich, als alter, lebensmüder Mann weiß nicht, ob ich sie beneiden oder bedauern soll.

Zwischen dem Zenith der Begeisterung und dem Nadir Als Nadir wird in der Geometrie und in der Himmelsnavigation die dem Zenit entgegengesetzte Richtung bezeichnet. der Verzweiflung ward ich je nach dem Lächeln oder Stirnrunzeln meines Idols hin und her geschleudert. Obwohl sie kein thörichtes Kind, sondern ein verständiges, gefühlvolles Mädchen war, barg der Himmel ihrer Augen sowohl seinen Vorrath an Wolken wie an blendendem Sonnenschein. Ihre Natur war voll südlicher Leidenschaft. Dieselbe bildet einen Theil der Luft dort und der Schönheit ringsumher. Eine Minute solcher Liebe umfaßt in einer donnernden Fluth alle die trägen Gefühle, welche durch das armselige Bächlein rinnen, welches wir während einer zehnjährigen angelsächsischen Liebeswerbung nach goldenen Schätzen durchsuchen. Anstatt Lily (Lilie) hätte sie die Passionsblume genannt werden müssen.

Mein Lieb, mein Engelslieb! Wie matt sind doch die Worte unserer Sprache. Sie liebte mich von Anfang an. Im innersten meines Herzens fühlte ich dies, trotzdem ihr Stolz zu groß war, um es schon zu gestehen; nur ihre wunderbaren Augen verriethen sie hin und wieder. Mitunter, wenn sie mich am schlimmsten quälte und die Augen niederschlagend, mit den Füßchen die blühenden Orchideen streifend, die Spitzen ihrer durchsichtigen Finger an einander legte und that, als ob sie mit kaltem Blute die Reihe ihrer edlen Bewerber nachrechne – lange, mir sämmtlich furchtbar verhaßte Namen – dann schlug sie plötzlich, während ich zitterte und wie ein echter Brite finster dreinblickte, die seidigen Wimpern auf, und ein Strahl sanften, elektrischen Lichtes flog unter ihnen hervor und mitten in mein Herz hinein.

Was mich betrifft, so ergab ich mich sofort. Ich schützte keinen Augenblick des Zögerns vor. Mein Herz öffnete ich weit, und wenn sie sich geweigert hätte, ihr Heim darin zu nehmen, so sollte es für immer verödet bleiben.

Sie weigerte sich nicht. Das Lebenslicht meiner Seele kam zu mir, und Nichts blieb mir zu wünschen übrig.

Es geschah folgendermaßen. Eines Abends im August, als die Sonne unterging, und kosende Töne die Luft erfüllten, die Grille aus ihrem ersten Schlummer erwachte, und die Inseparables Die »Unzertrennlichen« sind im Original: » love-birds« (Wellensittiche). [In der Vorlage Druckfehler: »Insegarables«.] im Tamarindenlaub flüsterten, da saß Fiordalisa neben mir unter einem riesigen Korkbaum am westlichen Abhang. Das Schloß befand sich noch unter der Vendetta-Belagerung, und der ernste, ehrwürdige Signor war nicht so unvorsichtig, noch in das Freie zu kommen, nachdem die Sbirren zur Stadt zurückgekehrt waren. Meine Lily saß inmitten einer Masse von Blumen; ihre leichte Mantille hatte sie bei Seite gelegt, um ihr herrliches Haar dem Spiel der abendlichen Brise zu überlassen. Ueber die schneeweißen Schultern fiel das Labyrinth ihrer Flechten, durch welche ich ein paar rothe Nelken gewunden hatte. Ihre Gestalt ruhte in üppigem Farrenkraut, deren Wedel sich um ihre Taille legten. Die rosige Farbe ihrer Wangen wurde tiefer, weil ich mich so in ihre Nähe wagte, und ihre sanften, großen Augen strahlten von staunender Glückseligkeit.

Wir wußten so gut, wie Der, welcher uns erschaffen, daß wir uns liebten. Niemand, der nicht für immer liebt, hat solche Blicke, wie wir sie wechselten. Plötzlich, und ohne ein Wort legte ich in begeisterter Bewunderung meinen linken Arm um sie und zog sie näher an mich, sah ihr voll in die wunderbaren Augen und fand darin keine Ueberraschung, sondern einen Strahl heller Freude. Dann suchte ich ihre Lippen und fand dort die Antwort ihres Herzens. Wie sie mich küßte! So kann kein englisches Mädchen küssen. Dann stürmten jungfräuliche Gedanken auf sie ein – die Erinnerung an ihre hohe Abkunft und die noch höhere, von Gott erhaltene Unschuld. Wie weinte, erröthete und zitterte sie, bis sie sich dichter an mich schmiegte in der Furcht, mich erschreckt zu haben. Doch ich war noch nicht zufrieden, ich wollte auch das gesprochene Wort.

»Liebst Du mich, meine Lily, mit jeder Faser Deines Herzens?«

»So sehr, daß kein Tropfen meines Herzblutes der übrigen Welt mehr gehört.«

Es war die Wahrheit, und bei mir war es ebenso. Ich sagte es ihrem Vater noch an demselben Abend. Jetzt aber, mitten im Himmel des Entzückens und in der alle Erdenträume überwiegenden Freude that sich die Hölle meiner Sünde auf, die mich noch in jener Welt von meiner Lily trennen würde, hätte ich nicht durch meine lange Reue Hoffnung auf die göttliche Gnade. Manchem mag das Verbrechen nur klein erscheinen, ich betrachte es aber als eine furchtbare Sünde, die durch die schrecklichen Folgen zehnfach verschlimmert wurde.

Mit meinem Verbrechen will ich nicht die sündliche Anbetung bezeichnen, wie kalte Menschen sie nennen würden, die ich einem sterblichen Wesen zollte. Die Natur hatte meine Lily dazu bestimmt, angebetet zu werden, sonst hätte sie nicht ihre ganze Kunst verschwendet, um sie so göttlich zu gestalten. Nein, ich meine den schwarzen Betrug, daß ich mich für meinen Bruder ausgab. Oh, Clara, wende Dich nicht von mir.

Gleich vielen verderbenbringenden Sünden wurde auch diese ohne Nachdenken oder vielmehr ohne Ueberlegung begangen. Ich faßte weder einen Plan, noch hegte ich die geringste Absicht. Der Moment ergab sie, und die Versuchung ward zu groß. Wer hätte den Blick jenes liebenden, holden Wesens auf sich ruhen fühlen können, ohne geneigt zu sein, seine Seele zu verkaufen, um sie dadurch zu gewinnen?

Laurence Daldy war ein träger Bursche. Ich will meine Schuld nicht auf ihn wälzen, sondern nur eine Thatsache berichten. Wäre er kein träger Mensch gewesen, so würde Dein Vater jetzt noch leben und ach – auch meine Fiordalisa. Wenn er wollte, konnte er gut und leserlich, ja sogar, oh seltene Fähigkeit für einen Offizier, sogar richtig italienisch schreiben. Aber sein Brief an Signor Dezio, den er zwischen zwei Partieen Boule gekritzelt hatte, war ein vollständiges Krähennest, ein wirres Durcheinander von sandigen Krakelfüßen und Zickzackstrichen. In jener Zeit pflegten schlechte Schreiber ihr Machwerk mit Sand zu bestreuen, welcher die Dinte nicht trocknete, sondern nur verdickte. Das Resultat war zu oft eine sudelige Klexerei, den Heidelbeerflecken auf einem Kindergesicht ähnlich.

Lily und ich, wir hatten uns reiflich überlegt, wie wir uns ihrem Vater vorstellen wollten. Wie Kinder machten wir die Probe im Dämmerlicht unter den Bäumen. »Und dann mußt Du wissen,« flüsterte mein süßes Lieb, »gebe ich Dir gerade unter des theuren Vaters Bart einen herzhaften Kuß, und Du sollst sehen, welche Wirkung das haben wird. Daran wird er bemerken, mein süßes Herz, daß Nichts mehr dagegen zu thun ist, weil wir corsikanischen Mädchen so karg mit unseren Küssen sind.«

»Bist Du das wirklich, meine schöne Lily? Dann muß ich Dich lehren, freigebig damit zu werden, aber gegen mich allein.«

»Süßes Herz,« nannte sie mich stets seit dem ersten Augenblick, wo sie mir ihre Liebe gestanden; und so nennt sie mich jetzt auch ohne Zweifel im Himmel.

Die schmale Thür des langen düsteren Speisesaals war mit einer schweren Gardine verhängt. Die gastfreie Tafel zierten Wein und leckere Früchte, Melonen, Feigen, Pfirsiche, purpurne und goldfarbene Pflaumen, Granatäpfel, frische Mandeln, Aprikosen und Muskateller Trauben von den Spaliers des Capo Corso. Ueber sie hin spielten die milden Lichtstrahlen einer einzigen Lampe, sonst war das Zimmer dunkel. Am oberen Ende der Tafel saß Signor Dezio, den Gast und die Tochter erwartend. Am äußersten Fenster stand auf einem grobgezimmerten Sims der alte Schloßhüter, der seinen Posten schon seit fünfzig Jahren bekleidete, und dessen große Flinte den einzigen Eingang zu dem Schlosse vertheidigte.

Als wir schüchtern eintraten, während des Mädchens rechte Hand auf meinem Nacken ruhte, mein linker Arm um ihre biegsame Taille gelegt, und unsere beiden anderen Hände fest verschlungen waren, da blickte ich auf die störende Schildwache.

»Achte nicht auf ihn, mein süßes Herz. Denke, er sei nicht da. Ich nenne ihn Großpapa, und er kennt alle meine Geheimnisse.«

Signor Dezio sah erstaunt aus, als wir uns ihm leise näherten. Sein ganzes Leben war eine Reihe von niederschmetternden Schicksalsschlägen gewesen. Drei tapfere Söhne waren ihm durch die Vendetta grausam ermordet, und sein anmuthiges, liebendes Weib war am gebrochenen Herzen gestorben. Die einzige Hoffnung seines Hauses, seinen Liebling Fiordalisa, betrachtete er, obgleich sie sich ein Weib nannte und volle sechszehn Jahre zählte, nach seiner von Kummer verwirrten Zeitrechnung noch als ein Schooßkind. Noch immer nannte er sie seine »Ninnina« und sang ihr Nanas vor, wie er es nach dem Tode seiner Frau hatte thun müssen.

Als er nun so starr dasaß, zu erstaunt, um lächeln, die Stirne runzeln oder ein Wort sagen zu können, fiel Lily vor ihm auf die Kniee, wie ein griechisches Mädchen. Wir Engländer besitzen keine so biegsamen Gelenke, aber um Lily's willen konnte ich nicht neben ihr stehen bleiben. Darauf legte sie ihre weiche Rechte in meine harte Handfläche, schlang den linken Arm um meinen Hals und gab mir, während sie den Blick auf ihren Vater richtete, einen langen und liebevollen Kuß. Dann zog sie ihres Vaters Haupt zu sich herunter und küßte seinen schneeweißen Bart. Später sagte sie mir, jeder Vater, der sich hiernach hartnäckig bezeige, müsse sich den feststehenden Regeln gemäß selber und Niemand anders anklagen, wenn dem Mädchen Unglück wiederführe.

Während dieser ganzen Zeit sprach ich kein Wort und dachte an Nichts Anderes, als meine Lily zu beschirmen. Signor Dezio beobachtete noch ein feierliches Schweigen, aber Thränen standen in seinen Augen, und sein langer weißer Bart zitterte. Lily senkte den Kopf und harrte seiner Worte.

»Heilige Mutter Gottes! Mein Kindchen, woran denkst Du?«

»Ich denke daran, mich zu verheirathen, Vater.«

»Und eine neue Vendetta heraufzubeschwören und selber getödtet zu werden! Signor,« und er wendete sich mit stolzer Geberde zu mir, »diese Dame ist seit ihrer Kindheit mit ihrem Vetter Lepardo Della Croce verlobt.«

»Oh, ich hasse ihn,« rief Fiordalisa, die Hände ringend. »Oh, Madonna, wie hasse ich ihn! Und Dank der heiligen Jungfrau hat ihn Niemand seit sechs Jahren gesehen. Er ist ohne Zweifel auf irgend einer kannibalischen Insel gestorben. Ich sah es in der Spalla, in der Spalla des Hirten, und dort sah ich auch meinen Geliebten am Abend, ehe er kam.«

»Bei der Gnade der heiligen Mutter Maria! Wer hat Dir die Spalla gedeutet?«

»Der eisgraue Ziegenhirt von Ghidazzo.«

Und Fiordalisa sprang empor, flog in ein Nebenzimmer und holte aus einer dunkelen Nische die Kiste mit Reliquien. Darauf knieete sie vor ihrem Vater nieder, die rechte Hand auf die Kiste gelegt.

»Mein Kind, das ist nicht nöthig. Ich glaube Dir auch ohne Eid. Noch niemals hast Du die Grenzen der Wahrheit überschritten.«

Der alte Stammherr senkte gedankenvoll das Haupt. Er hatte seinen letzten Sohn dadurch verloren, daß er die Weisungen der Spalla nicht befolgt. Die Spalla ist das polirte Schulterblatt einer Ziege, und sie dient zum Wahrsagen. Auf ihr war Sampieros Tod und das Schicksal Napoleons gelesen worden. Der alte Mann, welcher Letzteres prophezeit hatte, lebte noch, genoß eines großen Ruhmes und durchzog das Land gleich einem Propheten der Vorzeit. Er war der eisgraue Ziegenhirt von Ghidazzo.

Lily sah ihren Sieg; sie sprang auf ihres Vaters Knie und liebkoste ihn. Ihr Triumph war vollständig. Während sie weinend an seiner Brust lag, ihm ihre kleine Geschichte in das Ohr flüsterte, und er sie küßte, tröstete und dabei ihrer geliebten Mutter gedachte, stürzte ich in's Freie und weinte unter den Olivenbäumen.

Endlich erhob sich der alte Mann und rief mich, denn aus der Thür wagte er sich nicht. Er that aber etwas weit Besseres, er schickte mir meine Geliebte nach. Endlich, als wir zurückkamen (wir fanden Gründe, uns nicht zu beeilen), begann er:

»Signor Vagheno, ich habe Sie genau beobachtet. Ich bin ein Mann von scharfer Beobachtungsgabe,« hier blinzelten Lily's Augen mir schalkhaft zu, »sonst würde ich in diesem Augenblick nicht mehr am Leben sein. Ich habe Sie beobachtet, und ich billige Ihren Charakter. Das, mein Herr, kann ich nicht von allen Engländern sagen, denen ich so glücklich war, zu begegnen. Es liegt in ihnen sehr viel von der Natur eines Hundes. Verzeihen Sie mir, mein Herr, bitte, unterbrechen Sie mich nicht. Ich urtheile nur von dem, was ich gesehen habe. Gott behüte mich, daß ich so zu Ihnen gesprochen hätte, so lange Sie mein Gast waren. Jetzt aber sind Sie ein Mitglied meiner Familie und zu dem Ergebniß meiner Beobachtungen berechtigt. Von der kleinen Insel selbst weiß ich Nichts, obgleich ich gehört habe, daß ihre Institutionen von barbarischem Charakter sein sollen.«

»Vendetta« lag mir auf den Lippen, aber ein Blick von Lily hielt das Wort zurück, und ich dachte an seine drei tapferen Söhne.

»Sie aber, mein geliebter Signor, sind ganz anders geartet. Sie besitzen in der That den Adel des korsischen Charakters. Und was noch viel mehr gilt, mein kleines Mädchen hat Ihnen ihr Herz zugewendet. Sie ist aber noch sehr jung, mein Herr, nur ein Kind, wie Sie sehen.«

Ich sah Nichts dergleichen, sondern eine blühende Mädchengestalt, die mit jedem Tage lieblicher wurde. Die arme Lily senkte die langen Wimpern und lächelte mit glühendem Erröthen. So erröthete Lavinia unter den Augen des Turnus Lavinia ist in der römischen Mythologie König Turnus versprochen. Ihr Vater, König Latinus, wollte sie jedoch lieber mit Aeneas verheiraten, um so ein altes Orakel zu erfüllen, dass Lavinia einen fremden Prinzen heiraten soll. Als Turnus dies erfuhr, griff er Aeneas an. Aeneas siegte und tötete Turnus..

»Dieses geliebte Kind ist jetzt die Erbin aller meiner Ländereien. Und wenn ihr Vetter Lepardo, dessen Tod sie auf der Spalla gesehen hat, in der That abgerufen worden, so ist sie die Letzte des Geschlechtes Della Croce. Ich kann das Billet Ihres Bruders nicht gut lesen. Er schreibt nicht das gute Corsikanische, das auf Unserer Seite des Gebirges gesprochen wird, sondern, wie ich glaube, Toskanisch. Den Anfang kann ich nicht entziffern, und dann sehe ich Ihren Namen Signor Valentine Vagheno, und daß Sie der Besitzer sehr großer Güter in einem gewissen Distrikt Gloisterio sind?« Er sah mich fragend an.

Anstatt zu erklären, daß ich nur der Bruder des großen Signor Valentino sei, verbeugte ich mich leider, während mir das Blut heiß in die Wangen stieg. Was konnte es schaden, warum sollte ich ihn unterbrechen, wenn er sich selbst täuschte? Lily verjagte noch jedes Zaudern, indem sie, in die kleinen Hände schlagend, ausrief: »Mein süßes Herz, wie mich das freut!«

»Dann will ich Ihnen meine Tochter unter zwei Bedingungen geben. Die erste ist, daß Sie die Insel verlassen und sechs Monate lang unsere Lily weder sehen, noch ihr schreiben, noch Nachricht von ihr erhalten. Ist ihre Liebe nach diesem Zeitraum noch unverändert, so wird sie alsdann beinahe alt genug zum Heirathen sein; das heißt, wenn Lepardo nicht zurückkehrt. Die andere Bedingung ist, daß Sie mir auf die heiligen Reliquien schwören, sich niemals von diesen alten Familienbesitzthümern zu trennen, sondern sie für Lily so lange erhalten, wie sie lebt, und sie dann ihrem zweiten Kinde zu bestimmen.«

Eine furchtbare Last sank mir vom Herzen – ich hatte geglaubt, daß er mir das Gelübde der verfluchten Vendetta auferlegen wollte. Selbst für meine Lily würde ich dasselbe kaum geleistet haben. So ging ich bereitwillig auf die letztere Bestimmung ein, obgleich sie auf einer groben Lüge meinerseits begründet war. Aber die Augen meiner Lily waren wegen der ersten Bedingung voller Thränen auf mich gerichtet, ihre runden Arme streckten sich mir entgegen, konnte ich da vor irgend Etwas zurückschrecken, außer offenbarem Mord? Gegen die erste Vorschrift kämpften wir vergebens an. Selbst Lily's Schmeicheln und Weinen blieb erfolglos.

Als wir uns endlich in die strenge Maßregel fügen mußten und Hand in Hand vor dem ehrwürdigen Greise knieten, flehte derselbe einen Segen auf uns herab, dessen ich nicht mehr bedurfte. Ich hatte meinen Segen schon von ihm erhalten.

Darauf setzten wir uns zum Abendessen und der treue Musketier, welcher die ganze Scene grimmig mitangesehen und ohne Alles zu hören, den Vorgang verstanden hatte, begann auf seinem erhöhten Platz einige Verse auf die fröhliche Gelegenheit zu improvisiren oder sie derselben glücklich anzupassen und zu einer kindlichen Melodie zu singen.

Als er seinen Vorrath erschöpft hatte, sprang er ohne Erlaubniß herab und leerte einen Humpen Luri-Wein auf unsere Gesundheit.

Lily war jetzt zu der ihr gebührenden Stellung erhöht. Sie war nicht mehr die den Gast bedienende Magd, wobei sie sich an zahlreichen Irrthümern meinerseits, die ihre eigenen Augen verursacht, ergötzt hatte. Jetzt saß sie an meiner Seite, wozu sie das gute Recht besaß, und bezeigte ein anmuthiges Entzücken über meine galanten Aufmerksamkeiten. Sie gestand, daß dieselben hübsch, aber durchaus nicht corsisch seien. Wie gern hätte ich es gesehen, wenn ihr Vater und der alte Füselier nicht dort gewesen wären!



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