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Sechstes Kapitel.

Fortsetzung der Geschichte Edgar Vaughan's.

 

So schwach und gebrechlich ich durch vorzeitiges Alter geworden bin, können dennoch weder mein kurzer Athem und die Beklemmung meines Herzens, noch die Lähmung meiner Glieder das Feuer ersticken oder hemmen, welches allein der Name jenes himmlischen Thales wieder in mir erweckt. Eine Minute dort zu verweilen wiegt ein Jahr des englischen Lebens auf. Das Leben ist ein Zeitraum, der nicht nach Pendel und Zeiger, nicht nach unseren eigenen Schritten, ja selbst nicht nach dem Rollen des Sonnenballes, dem Willkommen- und Scheidegruß der Natur zu bemessen ist, sondern nach dem Born in uns selber, nach der Quelle unseres Denkens und Fühlens. Jeder Athemzug aus der Luft, der reinen Gemahlin unseres Planeten, dem der Schöpfer sie selber vermählt hat, der Luft, um deren Muttermilch wir in Massen kämpfen, erfüllt uns hier mit lebendig sprudelnder Lebenskraft, die wir in anderen Ländern nur wie aus spärlichen Bergwässerchen einsaugen. Oh, in so heller, rosig blauer Luft, wo die Augen des Nordländers von Schönheit geblendet werden, wo jede Blume ein strahlender Stern ist, jede Wolke der Sonne Fußspur trägt, können in solchem Lande selbst getrennte Liebende wohl an ihre Trennung glauben? Jeder Felsen trägt sein Myrthensträußchen, jeder Baumstamm ist von Clematis umkränzt. Unter Steinrosen- und Oleanderbüschen schmückt sich verborgen die Nelke, bewacht vom munteren Auge des Stiefmütterchens. Ueber unseren Häuptern schweben in verschwenderischer Fülle Orangen, Citronen, Mandeln und Feigen, untermischt mit der rosig angehauchten Pfirsich und der purpurnen Traube. Und in weiter Ferne, an der Brust des dunkelen Gebirges, dessen weißes Haupt sich vom Himmel abzeichnet, lehnen Reihe über Reihe meergrüner Olivenbäume, immergrüne, silbergrau gesprengelte Riesengreise. Und oh, welchen Wohlgeruch spendet der Tribut des Bodens, nach dem Corsika's großer Sohn sich auf der öden Insel Napoleon auf St. Helena seit 1815. sehnte, wo das kalte Eisen seiner Selbstsucht ihm in die eigene Seele drang.

Jene Olivenbäume sind, wie man sagt, die größten der Welt und von den besten Arten. Aufgehäuft liegt die reiche Frucht zu den Füßen des herrlichen Baumes, denn die Natur ist hier zu freigebig, als daß die Menschen ihrer Gaben achten sollten. Auf diesen Distrikt Balagna sowohl, wie auf den noch nördlicheren, Nebbio, hatte mein schlauer, umsichtiger Freund meine Aufmerksamkeit ganz besonders gelenkt. Deßhalb, wie auch wegen der zauberhaften Schönheit ringsumher beschloß ich, den Sommer hier zu verleben. So ließ ich denn mein Fahrzeug bei Calvi abtakeln, und nachdem ich in Belgodere in einem kleinen Gasthaus (Locenda sollte ich es nennen, aber ich hasse das Spicken mit Fremdwörtern) mein Quartier aufgeschlagen, widmete ich mich mit Eifer dem Geschäft und dem Vergnügen.

Zuvörderst hatte ich das große Emblem des Friedens zu studiren. Wenn der alte Seneca nicht, wie die Corsikaner behaupten, ein großer Lügner war, so kann er unmöglich der Verfasser des Epigramms gewesen sein, welches erklärt, daß dieses Land die friedliche Frucht nicht kenne. Es ist kaum anzunehmen, daß einem Lande, welches sich so vorzüglich für jenen Baum eignet, und das so vielfach von Culturvölkern bebaut worden, seine Lebensstütze so lange gefehlt haben sollte. Die Insel ist in demselben Epigramm durchaus falsch beschrieben. Was die Einwohner betrifft, so ist die erste Zeile der wohlbekannten Strophe durch Jahrhunderte bestätigt. Zu der zweiten bekennen sie sich aber jetzt nicht, und wahrscheinlich haben sie das niemals gethan.

Erstes Gesetz: Die Rache. Zweites Gesetz: Vom Raube leben. Drittes Gesetz: Zu lügen. Viertes Gesetz: Die Götter verläugnen.

Die Corsikaner sind im Gegentheil stets wegen ihres Freimuthes, dessen Seele die Wahrheit ist, und wegen ihres Aberglaubens, dieses Auswuchses und Höckers der Religion, berühmt gewesen. Da ich die unbarmherzige harte Arbeit nicht liebe Labor improbus v. Virgil. ( Anm.d.Verf.), gegen die jene edlen Insulaner eine gleiche Abneigung hegen, und jede Freiheit liebte, welche die meinige nicht beeinträchtigte, so vertrug ich mich eine Zeit lang ganz vortrefflich mit den Eingeborenen. Die Zeit hatte mich mit ihrer Gewohnheit ausgesöhnt, anstatt eines Spazierstockes oder eines Regenschirmes lange, doppelläufige Flinten zu tragen, in deren Mündungen hineinzuschauen sie dem Fremden volle Gelegenheit gewähren. Sie sind Schützen ersten Ranges, aber sie werfen die Gewehre so sorglos über die Schulter, daß man in den Ecken der schmalen Gassen oft auf Haaresbreite gegen das kalte Metall anstreift. Auch große, kräftige Männer sind sie, besonders die Bergbewohner, und sie vereinen die angeborene Anmuth des Italieners mit der Würde des Spaniers. Die Frauen haben biegsame, schöne Formen, eine schwanengleiche Haltung und ein so ungezwungenes, höfliches Benehmen, wie wenige unserer hochgeborenen Damen besitzen.

Die Olivenbauer sagten mir ohne Rückhalt das Wenige, was sie von dem Baume wußten, dessen sinnbildliche Tugend sie niemals sonderlich beachtetet haben. Die Spielart, welche hauptsächlich gezogen wird, oder welche vielmehr von selbst am meisten dort wächst, ist diejenige, welche sie die Genueser Olive nennen. Die Besitzer thun sehr wenig zu ihrer Cultur, und Viele sind sogar zu träge, um die Früchte einzusammeln. Wie man sagt, giebt es zehn Millionen Olivenbäume auf der Insel. So weit wenigstens wurden sie auf Befehl der Regierung gezählt. Dann aber ermüdeten die Zählenden und unterließen es.

Welche Anzahl es immer sein mag, so wäre sie leicht zu verdreifachen, wenn Jemand die Energie besäße, die Wildlinge zu pfropfen, mit denen die Berge bedeckt sind. Die verschiedenen Sorten heißen: Die Saracener Olive, die Sabiner (letztere ist vielleicht die Regia Columella) Raggiacia Caesalpinus und Radius des Virgil. Trotzdem die letzte meiner Probefrucht sehr ähnlich sah, konnte ich sie dennoch nicht für dieselbe erklären, und da meine Auftraggeber eine ganz bestimmte Sorte mit ganz besonderen Eigenschaften gebrauchten, so war ich noch immer von dem eigentlichen Zweck meiner Reise so weit entfernt wie zuvor.

An einem herrlichen Sommerabend ritt ich längs der Berge in der Nähe des Dorfes Speloncato hin, wo der Weg durch eine plötzliche Biegung in ein bewaldetes Thal führt. Ganz versunken in die träumerische Schönheit der Natur dachte ich an Nichts, wie es einem echten Corsikaner geziemt, als mein Auge einen scharfen Schlag empfing. Es war Etwas von oben in meinen großen Bart hineingefallen. Im ersten heftigen Schmerz griff ich danach, und da ich noch nicht klar sehen konnte, hielt ich es für eine matte Flintenkugel, aber als meine Augen aufgehört hatten zu thränen, sah ich, daß ich eine halbausgewachsene Olive von jener Art in der Hand hielt, welche ich schon so lange suchte. Ich holte einige meiner Londoner Proben hervor, die chemisch präparirt waren, um ihr Einschrumpfen zu verhüten und verglich sie genau mit meinem Funde. Ja, es konnte kein Zweifel herrschen, dieselbe Birnenform, dieselbe bauchige Rundung in der Nähe des Stengels, dieselben violetten Linien in der Haut, und als ich sie auseinander schnitt, zeigte sich innen dieselbe körnige Bildung. Ich war in der That erfreut, mich endlich wirklich nützlich machen zu können, vorausgesetzt, daß hier viele Bäume von dieser höchst seltenen Art vorhanden waren. Als ich weiter in das Thal hineinritt, überzeugte ich mich, daß dasselbe nur mit Bäumen dieser Sorte, alten, grauen, von allen anderen verschiedenen Olivenbäumen bepflanzt war. Später entdeckte ich, daß sie eines ganz besonderen Bodens und einer besonderen Lage bedurften. Mit verhängtem Zügel sprengte ich nach dem Dorfe Speloncato zurück und erkundigte mich nach dem Besitzer dieses Oliven-Eldorados.

Dieser, der Signor Dezio Della Croce war Eigenthümer dieser ganzen lieblichen Thalsenkung und der großen Güter, die sich bis zum Wege nach Corte erstreckten, in der That der Hauptgrundbesitzer der ganzen Gegend. Er sei, berichtete der Bauer mit einigem Stolz, ein echter Abkömmling des großen Geschlechtes Cinarca, das schon seit tausend Jahren in den Annalen der Insel den ersten Platz eingenommen, und zu welchem der berühmte Graf Guidice Della Rocca, Richter von Corsika, vor 600 Jahren gehört habe.

(Beim Klange seines Namens öffnete Guidice die großen schläfrigen Augen und spitzte die Ohren. Ich habe zwar versprochen, durch keine Unterbrechung zu stören, er aber ist keine solche Verpflichtung eingegangen.)

»Lassen wir dem cinarchesischen Blute seinen vollen Werth, aber auch ihre Abstammung von dem Toskaner Malaspina war für die Familie Della Croce nicht zu verachten, denn die Ländereien dieser großen Markgrafen waren jetzt im Besitz des Signor Dezio. Und der Signor hatte eine Tochter, ein junges Mädchen – oh Madonna! Das lieblichste Mädchen in Corsika.«

Hier bekreuzte sich der Winzer. Während ich diese Berichte anhörte, begann ich meine noch unbenutzten Empfehlungsbriefe durchzusehen, welche ich stets bei mir trug. Es war mir auffallend, daß mir der Name Della Croce ganz bekannt schien, obgleich ich nicht wußte, woher, bis ein Brief von der gespreizten Hand des jungen Laurence Daldy zwischen den engen Schriftzügen Peters hervorsah. Laurence Daldy, der jüngere Sohn meiner Mutter, war damals als Spieler und Gardeoffizier damit beschäftigt, seines verstorbenen Vaters Vermögen in gestreckter Carriere durchzubringen. Diese Daldys waren von italienischer Abkunft und sie hatten ihren eigentlichen Namen D'Aldis nach mehrjährigem Leben in England in Daldy umgewandelt. Nun erinnerte ich mich auch, daß sie sich, wenn wir Vaughans sie in unseren Knabenjahren als unedle Söhne des Handels verhöhnten, mit ihren verwandtschaftlichen Beziehungen zu der alten Familie Della Croce zu brüsten pflegten.

Während ich den bewaldeten Berg hinanritt, auf dessen westlichem Felsenvorsprung der alte, graue Thurm der Malaspina's stand, begann ich mich natürlich in Vermuthungen über den Charakter meines Wirthes zu ergehen. Wie ich wußte, mußte er nothwendigerweise mein Wirth werden, denn Corsika ist der gastfreieste Ort der Welt. Obgleich ich mit den einfachen Sitten der Insel schon hinlänglich bekannt war, konnte ich nur erwarten, einen Mann von prunkender Umgebung und steifem, etwas anmaßendem Wesen zu finden. Die Sonne sank jetzt hernieder, und von der westlichen Meeresseite warf sie röthlich-goldene Feuerstrahlen auf den verfallenen Schloßthurm. Alles sah majestätisch, aber unheimlich öde aus. Wohin sollte ich mich wenden, wie sollte ich hineingelangen? Das schmale Thor, über dem das Wrack eines alten Schutzgatters hing, war in Stelle desselben durch eine Art Blendung versperrt. Die unteren Schießscharten waren fast bis an den Rand mit Brettern vernagelt, und die höher gelegenen Fenster durch Läden verschlossen. Das Ganze bekundete einen Zustand der Belagerung und Furcht. Einige prachtvolle Kastanienbäume, welche vor der Front des Thurmes gestanden haben mußten, waren gefällt, und sie trugen jetzt dazu bei, den Zutritt zu erschweren. Es gelang mir aber dennoch, über dieselben fortzusetzen, obgleich mein Pferd gerade kein geschulter Renner war. Dann machte ich Halt und sah mich rathlos um. Ich war schon lange genug in Corsika heimisch, um auch ohne den gewissen ominösen Glanz hinter einer Schießscharte und die Aussicht auf den Querdurchschnitt eines großen, doppelläufigen Gewehrs zu wissen, daß der Besitzer dieses alten Schlosses sich in dem angenehmen Zustand der Vendetta-Belagerung befand.

Jeden Augenblick in der Erwartung, erschossen zu werden, ohne daß irgend Jemand ein Wort darüber verlieren würde, schwenkte ich meinen Brief wie eine weiße Flagge wüthend über meinem Kopf. Jetzt wurde jene schreckliche Mündung zurückgezogen und ein Brett fortgeschoben, wahrscheinlich, um mich in Augenschein zu nehmen. Zum ersten Mal in meinem Leben bemühte ich mich, wie ein echter Britte auszusehen. Mein korsikanischer Ehrgeiz war schon im Abnehmen begriffen. So saß ich auf meinem Pferde und wartete; aber das, was kam, war tausendjährigen Wartens werth.

Hinter dem Bollwerk des Thurms, unter einer Fülle von Magnolienblüthen hervor, glitt das lieblichste Wesen durch den rosigen Schatten, das jemals außerhalb der Thore des Himmels gewandelt. Sie schien nicht zu gehen, sondern zu schweben. Eine rosa Mantille von der feinsten Gaze erhöhte die Schwärze ihres dichten Haares, schlang sich um ihren graziösen Kopf und ließ die zarten Wangen rosiger erscheinen. Das geschmeidige weiße Cachemirtuch, das sie hastig über die Schulter geworfen, verhüllte halb die weichen Formen der schlanken, biegsamen Gestalt, halb ließ es sie errathen, indem es jede leichte Bewegung zeigte. Und wenn sie lächelte – oh Clara, für ein Lächeln von ihr wäre ich von ihres Vaters Thurm herab- oder in die schwarzen Höhlen des Restonica Berühmte malerische Schlucht auf Korsika. hinabgesprungen. Der von dunklen Fransen umgebene Glanz ihrer Augen schien dann vor goldiger Freude zu tanzen, vor glückseligem Gefallen an ihrer eigenen Gabe zu gefallen; und dazu die herrlich geschwungene lachende Lippe, über die niemals ein böses Wort geflossen. Oh, meine Lily! meine geliebte Lily, ich werde Dich bald wiedersehen.

Liebe Clara, ich müßte nicht so reden und schäme mich fast! Noch dazu nach so vielen Jahren! Aber beim ersten Anblick Fiordalisa's war mein Schicksal für dieses und jenes Leben entschieden. Ich hatte noch kein Mädchen angeschaut, in Wahrheit verachtete ich sie Alle. Jetzt mußte ich für diese anmaßende Thorheit meinen Tribut bezahlen. Die Sprache und jede Kraft, außer der des Gesichts, verließ mich. Ich wagte nicht, vom Sattel zu steigen, ein solches Zittern hatte mich ergriffen.

Es war eine in unseren nebligen Ebenen ganz unbekannte Heimsuchung, die von unserer prosaischen Nation verlacht wird, aber in südlichen Himmelsstrichen sehr wohl als der Sonnenstich der Liebe bekannt ist. Mein Herzblatt – ich kann sie nicht anders nennen – war ganz erschrocken über mich. Ob sie die gleiche Heimsuchung in milderer Form empfand, ist mehr, als ich zu sagen weiß, aber ich hoffe es von ganzem Herzen; denn dann hat Gott, wie die südliche Sage berichtet, in dem Augenblick unsere Hände in einander gelegt.

Wie ich mein Pferd festband, ihr dann durch den Eingang folgte und ihres Vaters Begrüßung erwiderte, von dem Allem habe ich keine Ahnung. Alles, was ich weiß, ist, daß sie lächelte, und ich Nichts weiter wünschte. Aber ich konnte es nicht mitansehen, wie sie uns in der echt homerischen Weise, die noch in Corsika aufrecht erhalten wird, gleich einer Magd bediente. Wie flog sie auf einen Wink ihres Vaters, um die purpurnen Trauben oder den duftenden Broccio Brocciu: ein Käse aus Schaf- oder Ziegenmilch, der zu den bekanntesten korsischen Spezialitäten gehört; der sogenannte »König der korsischen Käse«. zu reichen! Alles, was sie that, stand ihr jedoch noch lieblicher an, als das, was sie soeben gethan hatte. Sie war die verkörperte Liebe und Anmuth, und wie sie in dem einfachen Zimmer hin und her glitt und ihre glänzenden, himmlischen Augen von warmer Gastfreundschaft strahlten, da schien es mitunter, als wenn der Signor Dezio Della Croce, ein sorgengebeugter Mann mit schneeweißem Bart, nicht wenig stolz auf sein süßes Kind war, aber zu viel Stolz besaß, um seinen Stolz zu zeigen. Was mich betrifft, so mußte er eine sehr geringe Meinung von meinem Italienisch bekommen haben.



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