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Dreizehntes Kapitel.

Fortsetzung der Geschichte Edgar Vaughan's.

 

Am nächsten Tage war ich ein anderer Mann. Meine ganze Energie und alle meine Verstandeskräfte waren zurückgekehrt, aber, Gott sei gelobt, ohne jene Schärfe des Urtheils und die kleinliche Verachtung meiner Nebenmenschen. Nichts ist schwerer abzustreifen, als diese den Kindern Deucalions Deukalion ist in der griechischen Mythologie der Sohn des Prometheus. Ihm wird dieselbe Rolle zugesprochen wie dem biblischen Noah. Wegen der Verdorbenheit der Menschen beschloss Zeus, das Eherne Zeitalter mit einer großen Flut zu beenden (die Deukalionische Flut). Prometheus hatte seinem Sohn befohlen, ein Schiff zu bauen. Als es zu regnen begann, bestiegen Deukalion und seine Frau Pyrrha es. Als die Flut schließlich abgelaufen war, waren der gerechte Deukalion und seine Frau Pyrrha die einzigen Überlebenden. anhaftenden in dem versteinernden Brunnen der Selbstsucht gebildete Kieselkruste. Obgleich ich mich nach besten Kräften bemüht und in letzterer Zeit um Hülfe gebetet habe, ist es mir nie vollständig gelungen, mich aus jener fluchwürdigen Hülle herauszuschälen. Sie war es auch, die mich Deiner warmen Natur entfremdete, Clara, einer Natur, die im Innersten derjenigen Deines Vaters gleich ist, der aber niemals freier Spielraum gestattet worden. Du wußtest den Grund nicht, Kindern können ihn niemals wissen; aber Dich fröstelte unwillkürlich, wenn Du in meine Nähe kamst.

Petro und Marcantonia würden über meine plötzliche Umwandlung erstaunt gewesen sein, hätten sie mir nicht kürzlich einen narkotischen Kräutertrank eingegeben, um den sie eigens selber den Monte Rotondo erstiegen hatten, und dem sie unfehlbare Heilkraft zuschrieben. Deßhalb erwartete das würdige Paar meine Genesung. Nun bemühten sie sich auch nicht länger, mir die Wahrheit in Bezug auf meine armen Kleinen vorzuenthalten, welche am Tage meiner Rückkehr fortgeschleppt worden. Was ich von diesem über mich hereingebrochenen Schicksal erfuhr, war Folgendes:

Gegen Sonnenuntergang war mein theures Weib, von ihrer Zärtlichkeit getrieben, hinausgegangen, um nach der vom Golf von Porto heimkehrenden Yacht auszuschauen. Unseren Liebling Harry, der damals im dritten Lebensjahr stand, hatte sie nebst seiner jungen Wärterin aus Muro mitgenommen. Lily saß auf der Klippe und beobachtete ein fernes Segel auf der hohen See, wahrscheinlich das unsere. Als sie sich dann gegen den Thurm zurückwandte, trat ein Mann hinter dem Gebüsch hervor und redete sie mit ihrem Mädchennamen an. Sie erkannte ihren Vetter Lepardo und vermuthete, daß er gekommen sei, um sie zu tödten. Trotzdem fragte sie ihn stolz, wie er wagen könne, sie in Gegenwart ihres Knaben und ihrer Dienerin so zu beleidigen. Er antwortete, daß es ihr richtiger Name, und sie zu keinem anderen berechtigt sei. Dann versprach er, ihr Nichts zu Leide zu thun, wenn sie das Mädchen fortschicken wolle, er habe ihr Wichtiges mitzutheilen. Darauf legte er ihr Dokumente und Briefe vor.

Inzwischen war der Thurm von seinen Kameraden umringt worden; sie wagten sich aber nicht hinein, weil der treue Füselier den einzigen an der steilen Bergseite gelegenen Aufgang vertheidigte und sein Enkel, ein tapferer Junge, neben ihm an der Schießscharte stand. Das Mädchen wurde indessen mit ihrem kleinen Pflegebefohlenen durchgelassen und sie war den beiden anderen Frauen bei den schwachen Vertheidigungsvorbereitungen behülflich. Die Zeit des Angriffs war klug gewählt. Die korsische Lebensweise ist so einfach und patriarchalisch, daß selbst Leute aus den höchsten Ständen äußerst wenig Diener halten. An diesem Abend waren nun die beiden einzigen außer dem alten Füselier zum Haushalt gehörenden männlichen Dienstboten in die Stadt geschickt, um Einkäufe für meine Heimkehr zu machen.

Trotzdem hielt der treue Füselier, den Blick auf den Flintenlauf gerichtet, den Feind zurück und es schien, als sollte ihm dies bis zur Rückkehr der Männer gelingen, während sein stämmiger Enkel auf dem Muschelhorn des Thorwächters blies, daß ihm die rothen Backen zu bersten drohten. Sie kannten ihren Feind jedoch sehr wenig; Lepardo Della Croce war nicht durch einen Greis und einen Knaben zu äffen. Das Kleid einer Dame flatterte vor dem schmalen Eingang im lebhaften Nordwind. Die arme Lily schwankte heran und an der Schußlinie vorüber. Sie dachte nicht an ihr Leben. Was galt ihr nach Allem, was sie gehört hatte, noch das Leben? Dicht hinter ihr, im Dämmerlicht unsichtbar und gedeckt von ihren wehenden Gewändern, schlich ihr schurkischer Vetter, dem sich gleich einer Reihe von dichtgepflanzten Bäumen zwanzig geschmeidige flinke Seeleute anschlossen. Nun blieb dem Schützen keine Aussicht mehr. Wie Dachziegel deckten sie Einer den Anderen, und die arme in ihrem gekränkten Stolze hochaufgerichtet voranschreitende Lily beschützte die ganze gebückt hinter ihr herschleichende Reihe. Franzosen, Engländer, Marokkaner und Malteser, eine so gemischte Bande, wie nur je geflucht hat, sie Alle brachen in ein schallendes Gelächter über den Vertheidigungszustand des alten Füseliers aus, so wie sie seine Schußlinie überschritten hatten. Alles im Innern des Hauses war ihnen auf Gnade und Ungnade ergeben. Zwar behauptete er noch das Eingangsthor, und sämmtliche Thüren waren gesperrt. Doch Thür und Thor hielten solche Seeleute wie sie nur für Landratten geschaffen. Sie kletterten an dem Epheu und den Kastanienzweigen oder auch nur an den Ecksteinen von Granit hinauf und benutzten jedes Fenster, jede Schießscharte zum Eindringen. Eines muß ich zu ihren Gunsten erwähnen: sie richteten sehr wenig Schaden an. Sie gehorchten jedem Wink ihres Kapitäns, und dieser wollte sich nur meiner Kinder und einiger Werthgegenstände bemächtigen, zu welchen er sich als Erbe seines Vaters berechtigt glaubte.

Als er beides erreicht hatte, zog er mit seinen Leuten wieder ab, welch letzteren er nur erlaubte, Wein und Lebensmittel zu nehmen, so viel sie vorfanden. Die drei Dienerinnen, wie auch die alte Schildwache und der Junge wurden an Händen und Füßen gebunden in eine Höhle am Strande geschleppt, um sie zu verhindern, das Dorf zu alarmiren. Die arme Lily blieb liegen, wo sie fiel. Niemand bekümmerte sich darum, ob sie zu sich kam oder nicht. Mein Liebling wurde aber auch in keiner Weise insultirt. Lepardo war zu stolz, um ein Mitglied seiner Familie zu beschimpfen, und überdies hatte er sein Wort verpfändet, das er, wie ihm nachgesagt wurde, stets hielt. Bald darauf segelten die Räuber vor dem Nordwind längs der Küste hin, demselben Nordwind, der mich so gehindert hatte. Für mich aber hatte Lepardo einen Brief voller Triumph und Hohn zurückgelassen; die Aufschrift lautete: »An Valentine Vaughan, den Engländer.« »Signor Valentine« war der Titel, den der alte Füselier mir gegeben und den die Umgegend mir ebenfalls beigelegt hatte. Zu meiner Ueberraschung war der Brief englisch und in einem besseren Englisch geschrieben, als von einem Ausländer zu erwarten war. Ich kann ihn Wort für Wort wiederholen:

»Mein Herr, – ich will mich Ihnen nicht gern mit einem guten Rathe aufdrängen, infolge der Ihrer Nation eigenen Stumpfheit sind Sie jedoch geneigt, Andere zu unterschätzen. Es ist mein Vorrecht, diesen Irrthum zu berichtigen, während ich meine eigenen mißachteten Rechte in Demuth ahnde. Sie haben mir meine Braut und mein rechtmäßiges Erbe in einer Weise gestohlen, welche Leute, die keine Kenntniß der menschlichen Natur besitzen, geneigt sein würden, als feige und sittenlos zu bezeichnen. Außerdem haben Sie die Erbin des edelsten Hauses in Corsika zur Buhlerin eines gemeinen Engländers herabgewürdigt. Hätte ich dies schon am Tage Ihrer Scheintrauung gewußt, so wäre nicht das arme Opfer, sondern Sie, Sie wären mein Ziel gewesen. Jetzt will ich Sie so langsam strafen, wie Sie es verdienen. Ihre unglückliche Buhlerin kennt Ihre Verrätherei, und Ihre beiden armen Bastarde nehme ich in meine Obhut. Ob ich sie noch in dieser Nacht ertränke, das hängt von den Sternen ab. Aber wenn ich ihrer schone, was immerhin möglich ist, weil sie meinem Erbe nicht im Wege stehen können, so werde ich sie, wenn sie alt genug sind, lehren, Ihren Namen zu verachten und zu hassen. Sie sollen erfahren, daß ihnen nicht die Liebe eines Vaters, sondern das Gelüste eines Vagabunden zu Theil geworden ist, und sie sollen wissen, daß Sie ihre Mutter verführt und dann getödtet haben. Denn, nach meiner bescheidenen Ansicht, stand ihr heute Abend der Tod im Gesicht geschrieben. Obgleich sie mich verrathen hat, bedaure ich sie. Ihnen aber, der meinen Namen beschimpft und mich beraubt hat, gewähre ich als Mann von freien und erhabenen Ansichten eine verachtungsvolle Nachsicht; das heißt, so lange Sie so unpünktlich sind, wie es den Bösen zukommt. Eins jedoch lassen Sie sich zur Warnung dienen. Wenn ich höre, daß Sie diese Zeit sündlicher Liebe jemals vergessen und zu Ihrer Gattin und Ihren Besitzthümern in England zurückkehren, so soll kein Haus, kein noch so festes Schloß Sie vor meinem Dolche schützen. Langsam und sicher – dieses Sprüchwort Ihres Volkes ist mein Wahrspruch.

Lepardo Della Croce.«



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