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Zu unserer kleinen Charitas kam nach zwei Jahren noch ein kleines Mädchen, das wir Käthe nannten. Diesmal kam meine Kindheits- und Jugendfreundin Liesel Märkel aus dem Leubener Schulhaus, um mich zu vertreten und zu pflegen. Unter meinen Besuchern war auch wieder die Frau des Gastwirtes. Sie brachte mir, wie die andern auch, eine Zwetschentorte.
»Was haben Sie denn von mir gedacht,« sagte sie mit großer Zurückhaltung, »daß ich Ihnen vor zwei Jahren gar nichts geschenkt habe?«
Ich sah sie unsicher an und überlegte, was ich darauf antworten sollte.
»O,« sagte ich endlich verlegen, »ich kann doch gar nicht erwarten, daß Sie mir etwas schenken. Sie haben mich ja besucht, – das ist ganz genug.«
»Nein,« sagte sie, »ich hätte ebensogut etwas schenken können, wie die anderen, aber – ich hatte meine Gründe!«
Darauf wußte ich nichts zu sagen, und wir schwiegen eine Weile, dann sagte sie: »Wissen Sie, die alte Jomfru, die Sie damals bei sich hatten, die hat mich so furchtbar beleidigt. Ich konnte mich lange nicht überwinden, wieder ins Pastorat zu kommen.«
Ich war sehr erschrocken und fragte: »Aber, was hat die Ihnen denn getan?«
»Zum Glück versteh' ich Deutsch, ich habe, – so wahr ich hier sitze, – gehört, wie sie zu Herrn Pastor gesagt hat: ›Die Frau nehme ich lieber mit in die andere Stube, die hat keine Tem–pe–ra–tur!‹ Sie hat es wahrhaftig gesagt! Und das hat mich so furchtbar gekränkt! Das hat mir noch kein Mensch nachgesagt; nein, kein Mensch!«
»Aber, liebe Madame Karkau! Das ist ja ein Mißverständnis!«
»Das sagen Sie jetzt so, um die Jomfru herauszureißen. Geben Sie sich keine Mühe! Aber Sie sind ja schließlich unschuldig. – Man muß gerecht sein, und man muß auch vergeben können. Heute habe ich Ihnen nun eine Zwetschentorte mitgebracht.«
Als ich die Sache meinem Manne erzählte, sagte er: »Na ja, siehst du! Was willst du mehr? Die Frau glaubt sich vorsätzlich beleidigt, und sie vergibt dir und beschenkt dich.«
Eines Tages kam mein Mann zu mir und sagte: »Mads war eben da und hat gefragt, wie es mit dem Pachtkontrakt sei, ob wir ihn nicht erneuern wollten. Was meinst denn du dazu?«
»Nein!« rief ich entschieden, »der soll auf keinen Fall erneuert werden!« Mein Mann sah mich erstaunt an, da fuhr ich lebhaft fort: »Nein! – Wir müssen allein sein. Pächters und wir sind einander zu nahe, ich kann mich unter den Augen der Frau nicht entwickeln! Wir haben zu verschiedene Ansichten. Ich bin schüchtern ihr gegenüber, sie tritt so selbstbewußt auf, sie sieht so auf mich herab und sagt mir täglich, wieviel Sünde ich begehe.«
Mein Mann lachte und meinte: »Dafür bin ich wohl der Nächste. Aber wie sollte sie dir wohl Sünde vorwerfen?«
»Es ist Sünde, daß ich die Kinder kalt bade, Sünde, daß ich ihnen nur alle paar Stunden etwas zu essen gebe. Sie hat mir entrüstet gesagt, daß ich meine Kinder verhungern ließe. Glaubst du, sie sagt nur mir das? Mit welcher Geringschätzung sieht sie bei allem, was ich vornehme, auf mich herab!«
»Aber was denkst du dir denn? Glaubst du, daß du von einem der Höfe Butter, Milch und Eier bekommst?«
»Nein, das glaube ich freilich nicht. Ich habe darüber nachgedacht. Wir müssen selbst Landwirtschaft betreiben. Wir müssen lernen, Bauern zu werden.«
»Land genug haben wir, wir könnten, glaube ich, sechs bis acht Pferde halten. Wir hätten dann Pferde und Wagen, und du könntest nach Belieben ausfahren.«
Ich sah ihn erschrocken an und rief nach einer Pause: »So doch nicht! Ich, mit meiner Unkenntnis auf diesem Gebiet, ich sollte mit dänischen Knechten und Mägden wirtschaften!? Da käme ich ja aus dem Regen in die Traufe! Nein, wir wollen ganz klein anfangen. Es darf uns nicht über den Kopf wachsen. Ich will jeden Handgriff ordentlich lernen, und ich will ihn selbst ausführen können. Ich will nicht, daß ich in den Augen der Frauen ein ›Stjamp‹ bin. Wir haben dann dieselben Interessen wie die Bauern, und ich glaube, dadurch werden wir uns Respekt verschaffen. Weißt du, was neulich die alte Ester gesagt hat, nachdem sie uns ihren Stall gezeigt hatte? ›Der Pastor lobt alles, selbst die alte, magere Sau!‹ So geht's, wenn man nichts davon versteht.«
»Das sagte sie?«
Mein Mann sah mich lange nachdenklich an, und ich stellte unterdessen den gesamten Viehstand zusammen: »Ein paar Kühe, nicht mehr als zwei, ein paar Schafe und natürlich viel Hühner und Enten, da man nicht immer von Speck leben kann.«
»Hm!« machte mein Mann, »ich fürchte, wir begeben uns da auf ein Gebiet, was uns viel Unruhe und Sorgen schafft.«
»Du fürchtest natürlich, ich kann keine Bauerfrau werden. Laß mich mal versuchen! Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie mir zumute ist! Ich möchte mich Hals über Kopf in etwas stürzen, was mein ganzes Interesse in Anspruch nimmt. Ich möchte etwas schaffen, gestalten, ich habe solche Unruhe in mir. Meinst du nicht, wenn ich mich ganz auf etwas stürze, daß ich etwas zustande bringen könnte?«
»Butter? – Käse?«
»Wenn ich das ebensogut machen lerne wie eine richtige Bauerfrau?«
»Nun, ich werde mir die Sache überlegen.«
Als alles angeschafft war, bat ich Maren Spandet, vierzehn Tage zu uns zu kommen, um mir Unterricht in allem zu geben. Ich stürzte mich mit blindem Eifer auf meine neuen Aufgaben. Ich rahmte ab, ich butterte, knetete, machte Käse und überwachte das Füttern des Viehes. Ich kaufte Wolle und ein paar Kratzen, ich wollte kratzen und spinnen lernen. Das Spinnen gefiel mir ganz besonders. Ich lernte es heimlich und stellte mir vor, wie freudig überrascht mein Mann sein würde, wenn ich mit großer Sicherheit und Selbstverständlichkeit das Rad drehen könnte. Wir würden dann keine Wolle mehr kaufen, ich würde mit demselben stolzen Ausdruck die Kinderröckchen und Strümpfe vorzeigen wie die Bauerfrauen und sagen: »Selbst gesponnen!«
Die gute Maren lachte über meinen kindischen Eifer und meinte kopfschüttelnd: »Wenn Fruen nur nicht zu alt dazu ist! Unsereiner fängt das in der Kindheit an, dann sitzt das so drin!«
Zu alt! Ich zu alt, um spinnen zu lernen? – Es wurde ein Rad geborgt, und in der großen Küche übte ich. Die Kinder sahen interessiert zu. Ich hatte ihnen das feste Versprechen abgenommen, Vater nichts zu sagen, ich wollte ihn überraschen.
Dann kam der große Tag, an dem ich flott einen Faden spinnen konnte. Ich platzte beinahe vor Freude und Stolz.
»So,« sagte ich, »jetzt könnt ihr Vater bitten, ob er nicht mal kommen will.«
Beide stürzten fort, sie brachten ihn im Triumph herbei.
Ich gab meine Vorstellung. Mein Mann sah mit ernstem Gesicht zu, – aber er ließ mich ruhig weiterspinnen, ohne ein Wort zu sagen. Da hielt ich endlich inne und fragte unsicher: »Freust du dich denn nicht, daß ich so ohne Anstoß spinnen kann?«
»Nein,« sagte mein Mann lakonisch.
»Nein?!« rief ich enttäuscht, »nein? Ach – und – ich –«
Ich konnte nicht weiter sprechen, mein Mann aber sagte: »Wert hat das nicht. Es ist nicht mehr, als wenn du dich hinsetzest und eine Patience legst.«
Damit ging er. Die Kinder sahen etwas betreten aufs Rad und auf mich. Ich aber wischte mir die Augen und sagte zu Maren: »Bringen Sie das Spinnrad nur wieder zu Madame Jepsen, und sagen Sie vielen Dank.«
Es verging eine Zeit, dann kam wieder ein Sehnen und eine Unruhe über mich. – Beim Küster war ein Junge aus Kopenhagen, der machte mit Begeisterung allerlei unnützen Kram, Laubsägearbeit. Ich sah ihm einmal zu, ich sah, wie seine Augen leuchteten, wie seine ganze Seele bei seinem Schaffen war, er schenkte mir ein paar Zwirnwickel. ›Wie glücklich der Junge ist,‹ dachte ich im Nachhausegehen, ›er sieht, daß unter seinen Händen etwas entsteht. Es freut vielleicht niemanden als ihn selbst, aber er findet sein Glück in dieser Hingabe an eine Arbeit. Ich will wieder etwas vornehmen, was mir Aufgaben stellt und was mir rechte Freude macht.‹ Ich suchte meine Noten hervor und übte. Die anspruchslosen Übungen machten mir Freude. Die Musik lebte in mir, sie verfolgte mich bis in meine Träume. Das Schlimme war nur, daß die Musik, die ich in mir hörte, durchaus nicht in die Finger wollte. Aber ich wollte es zwingen, viel Üben mußte doch helfen! Ich hielt lange aus. Ich malte mir aus, wieweit ich bis zu Weihnachten sein könnte. Einmal fragte ich meinen Mann, ob er fände, daß ich vorwärts käme?
»Nicht besonders,« sagte er.
»Macht es dir denn Spaß, daß ich übe?« fragte ich gespannt.
»Spaß? Ach nein! Du hast Fleiß und Eifer, aber kein Talent.«
Stumm trug ich meine Noten weg. Wenn ich niemandem Freude mit meinem Tun machte, dann wollte ich's aufgeben. Aber niedergeschlagen war ich. Einsam fühlte ich mich.
Die Landwirtschaft stellte Anforderungen, die oft meine Kräfte überstiegen. In der Heuernte wurden alle Hände zum Wenden gebraucht.
Ich nahm die Kinder mit auf die Wiese und stellte mich mit in die Reihe der Arbeitenden. Zuerst ging es ganz gut, aber die Kinder hingen sich beide an meinen Rock, und bald zeigte es sich, daß ich mit den anderen nicht Schritt halten konnte. Es sah doch so leicht aus, ich hätte nicht gedacht, daß die Harke so schwer werden könnte.
»Hübsch in der Reihe bleiben!« rief mein Mann munter.
Aber ich konnte nicht mehr. Ich war vor Überanstrengung dem Weinen nahe, aber aushalten mußte ich, ich hatte ja so groß getan, so geprahlt, daß ich alle Schwierigkeiten zwingen würde. Ich hielt aus, aber alle Glieder schmerzten, und das Niederdrückende war, daß meine Arbeit gar nicht gerechnet wurde, man merkte nur, wenn ich nicht mitkam.
In dieser Zeit war es, daß ich beim Buttern ohnmächtig umfiel, da hielt mir mein Mann am Abend eine kleine Rede.
»Wenn du nur nicht so eigensinnig wärest! Du glaubst die Welt bleibt stehen, wenn du nicht alles selbst tust! Zeig' Dagmar, wie du es haben willst. Ordne an. Wenn du nun doch mal die Kräfte nicht hast, so bleib davon!«
»Ja natürlich, stellst du dich ein, so mußt du auch vorwärts.«
Da zog ich mich notgedrungen von der körperlichen Arbeit zurück.
Meine Unzulänglichkeit auf allen erprobten Gebieten machte mir viel innere Unruhe. Wenn ich – was der Entfernungen wegen selten geschah – mit anderen Pastorenfrauen darüber sprach, so sahen die mich befremdet an, schüttelten den Kopf und konnten nicht verstehen, weshalb ich mich innerlich hier nicht zurechtfand. Was wollte ich denn! Einen solchen Mann! Gesunde niedliche Kinder und keine Nahrungssorgen. Das war undankbar gegen Gott und Menschen. Ich hatte nach solchem Zusammensein ein peinigendes Schuldgefühl, und ich nahm mir vor, nicht mehr über mein Gefühl der Vereinsamung zu sprechen.