Charitas Bischoff
Bilder aus meinem Leben
Charitas Bischoff

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Die Rückkehr der Mutter

Amalie Dietrich

Einmal hatte ich Bäckerwaren ausgetragen und kam in der Dämmerung nach Hause. Auf der Vordiele stand eine Frau, ich wollte die Tür öffnen, damit sie sehen könnte, da sagte eine Stimme leise fragend: »Charitas?« Ich erschrak so heftig, daß ich laut aufschrie. Da wurde von innen die Tür geöffnet, und beim Schein des Lichtes sah ich, daß ich recht gehört hatte. Es war die Mutter!

Wir standen in der Stube, voll beschienen vom Lampenlicht. Ich war wie betäubt. Unendlicher Jubel durchzitterte mich; aber neben der Freude zog ein unbestimmtes Angstgefühl durch meine Seele. Es war die Mutter, aber wie sah sie aus! Sie war blaß und mager, die Lippen waren schmal und hatten einen bläulichen Schein, und die sonst so lebhaften Augen waren matt und lagen tief in den Höhlen.

Ich sah wie durch einen Nebel, daß Frau Winkler der Mutter einen Stuhl hinschob. Staunend, fragend ruhten aller Blicke auf dem blassen Gesicht.

»Da freust du dich,« sagte Frau Winkler zu mir, und zur Mutter gewandt fragte sie: »Kommen Sie denn grade von der Reise?«

»Ich komme jetzt von Herzogswalde.«

»Ach Gott,« sagte Frau Winkler, »das ist ja ein weiter Weg, da werden Sie müde und hungrig sein, gleich essen wir Abendbrot.«

Die Mutter dankte und sagte zu mir, während sie ihren Arm um mich legte und mich herzlich an sich drückte: »Du warst so schwer zu finden! Du bist weg von den Leuten, wo du zuerst warst.«

»Ja, ja,« sagte Frau Winkler, »das hat sie recht gemacht. Das ist kein Aufenthalt für ein heranwachsendes Kind! Mann und Sohn sind leichtsinnige Menschen. Man weiß kaum, wovon sie leben. Der Mann ist Kollekteur für Lotterielose, er hat auch Agenturen für Feuer- und Lebensversicherung, gelegentlich gibt er auch Tanzstunde. Und die Frau? Sie ist reich gewesen, die Tochter eines Fabrikbesitzers, ist sehr verwöhnt, die legt nun die Hände in den Schoß und grübelt über ihr Unglück nach. Nein, nein, da paßt kein Kind hin!«

Die Mutter stand auf, reichte Winklers die Hand und dankte ihnen. Sie nahm das Tuch vom Kopf, und nun sah ich mit stummem Staunen, daß sie nicht ihr volles, langes Haar mehr hatte; der Kopf war bedeckt mit dunklen, krausen Löschen. Sie sah meinen verwunderten Blick und sagte seufzend: »Ja, das alte Haar ist weg, aber du siehst, es kommt wieder. Das ist mir im Typhus alles ausgegangen. Der Kopf war ganz kahl und nackt.«

»Krank bist du gewesen?« fragte ich eifrig. »Wir konnten doch auch gar nicht begreifen, warum wir gar nichts von dir hörten. Wir wußten ja nicht einmal, ob du noch lebtest!«

»Ich habe in Holland lange im Krankenhaus gelegen. Ich war sehr krank. Als es besser wurde, habe ich geschrieben. Ob sie den Brief überhaupt nicht besorgt haben? – Die Rückreise mit dem schweren Wagen war mühsam, ich kam nur mit großen und häufigen Unterbrechungen vorwärts. Ich hätte Ruhe haben sollen und besondere Pflege, sagten die Ärzte im Krankenhaus.« Die Mutter seufzte, ihr Blick ruhte mit ernstem Ausdruck auf mir.

»Na,« meinte Winkler tröstend, »wenn das Haar nur wieder kommt, dann wird sich's schon auch mit dem übrigen machen. Nun sind Sie daheim, haben Ihre Ruhe und können sich pflegen.«

Darauf sagte die Mutter kein Wort, sie zog nur die Augenbrauen hoch. Ich beobachtete ihr Gesicht, es lag ein tiefer Ernst, eine schmerzliche Herbigkeit in ihren Zügen. Sie, die sonst so drastisch und lebhaft von ihren Reisen erzählen konnte, sie war heute schweigsam und verschlossen.

Nach dem Abendessen begleitete ich sie nach Siebenlehn. Sie hielt meine Hand fest in der ihren, und ich drängte mich liebebedürftig an ihre Seite.

»Sieh mal an,« sagte sie, »ich hätte ja kaum gedacht, daß du soviel Einsicht haben würdest.«

»Du meinst mit meinem Weggehen von Nagels?« fragte ich, »o, denke doch nicht, daß ich das so aus mir selber getan habe! Das hat nur der Pastor getan! Du solltest ihn kennen!«

»Der hat sich deiner angenommen?«

»Na, in den Stunden. Aber ich glaube fest, er hat gewußt, was ich brauchte, denn alles, was er sagte, das paßte grade für mich. O, wie er mich glücklich gemacht hat! Wie der weiß, wie es in einem aussieht, er sieht einem mit seinen klaren, blauen Augen bis auf den Grund, und man muß tun, was er will!«

»So, so, jawohl, ich kenne das!« sagte die Mutter.

»Ach, und nun bist du wieder da! Nun gehst du doch nicht wieder weg, nun bleib' ich endlich bei dir. Kann ich denn nicht gleich jetzt bei dir bleiben? Ich bin doch so froh! Ich will morgen ganz früh aufstehen, damit ich zur Schule zurechtkomme.«

»Du bleibst immer dieselbe! Grade wie es dir im Augenblick einfällt! Wolltest du wirklich von Winklers so wegbleiben? Übrigens kann ich dich nicht haben. Dir scheint noch gar nicht klar zu sein, daß wir kein Heim mehr haben.«

»Doch, Mutter,« sagte ich beklommen, »aber mir ist, als wäre nun alles wie früher, da du doch wieder da bist. Gehen wir denn nun nicht nach Herzogswalde?«

»Nein!«

Wir hatten Siebenlehn erreicht, die Mutter nahm mich in die Arme, küßte mich und sagte: »So, jetzt sei mein gutes, geduldiges Kind! Geh zurück und tu Winklers, was du ihnen an den Augen absehen kannst. Madame Hänels Christel fährt ja ein paarmal die Woche nach Gerditz, um Stückhefe zu holen; sie muß bei euch vorbei, ihr werde ich in den nächsten Tagen sagen, wo und wann du mich findest. Du hörst dann, was ich für die nächste Zukunft plane. Sei weiter glücklich in deinen Konfirmandenstunden, und nun geh!«

Einsam ging ich den Weg im Dunkeln zurück, ernste Gedanken bewegten mich.

 

Der Bescheid kam bald, und ich besuchte die Mutter. Sie hatte ein Stübchen im Hinterhaus bei Madame Hänel. Außer dem notwendigsten Mobiliar und der großen Truhe aus der Holzkammer war die Stube angefüllt mit Stößen von Papier und vielen Pflanzenpaketen, die hoch aufgetürmt an der Wand lehnten. Eine unklare Angst packte mich. Sollten denn wir die Sache mit den Sammlungen weiter führen? Aber das konnten wir doch gar nicht! Das konnte doch nur der Vater, der hatte die Sicherheit, die Kenntnisse, er wußte und bestimmte, welche Aufgaben jeder dabei zu erfüllen hatte. Die Mutter selbst hatte sich ihm blindlings untergeordnet. Wir hatten ja auch so vieles gar nicht! Ich sah mich um nach dem Regal mit den gedruckten Etiketten; da waren keine Pressen. Das alles fuhr mir flüchtig durch den Sinn, als mein Blick den ärmlichen Raum überschaute. Die Mutter war ja aber auch gar nicht mit ihren Pflanzen beschäftigt; sie hatte eine Strähne weißen Zwirn um den Hals, vor ihr lag ein großes gelbes Ei aus Wachs, sie nähte mit starrem, gewichstem Faden an einem gelb und rot gestreiften Flanellrock. Ganz verwundert ruhten meine Blicke auf dem ungewohnten Bilde.

»Mutter! Was machst du denn da?« rief ich nach unsrer Begrüßung.

»Ja, das rat mal!« sagte die Mutter lächelnd.

»Ist das denn für mich?«

Sie nickte und reichte mir ein Hemd aus grobem Stoff.

»Auch für mich?« fragte ich vergnügt.

»Auch für dich!« sagte die Mutter mit stolzem Nicken. Während ich beides eingehend besah, sagte sie: »Du sollst es an deinem Ehrentage ebenso haben wie andere, alles neu von Kopf zu Fuß. Den Tag erlebt man nur einmal, ich möchte doch auch das meine dazu tun, daß du ihn in guter Erinnerung behältst.«

Ich küßte sie schweigend, ich war zu bewegt, um in Worten zu danken, machte ich mir doch eine Vorstellung davon, welche Opfer es kostete, mir diese Aussteuer zu beschaffen.

»Es ist nur gut, daß du heute gekommen bist, Gläß-Malchen muß dir doch Maß zum Kleide nehmen, es wird ja Zeit! Geh mal da an die Truhe, und nimm mein schwarzes Kleid heraus, leg's nett zusammen, dann gehen wir gleich.«

»Soll ich denn daraus das Konfirmationskleid bekommen? Aber ist das denn nicht schade? Dann hast du ja kein schwarzes Kleid mehr.«

»Ach geh doch! Als ob auf mein Aussehen etwas ankäme! Die Kirche ist an solchen Tagen so voll, ich setz' mich in einen dunklen Winkel, wo mich kein Mensch sieht, ich bin ja in Nossen auch nicht bekannt.«

»Du nicht bekannt? Doch! Die Frau Naturforschern nennen sie dich.«

Die Mutter lachte.

»Nein, aber wirklich, Mutter, was ziehst du denn an?«

»Hast du eine Not!« sagte sie ungeduldig, »ich hab' ja noch allerlei Staat aus Bukarest, ich wartete immer bis er zu mir passen sollte, na, nun zieh' ich das Kleid an, obgleich es grade jetzt am allerschlechtesten paßt.«

»Mutter!? Das altmodische, bunte Seidenkleid!«

»Als ob auf ein Kleid etwas ankäme! Ob man sich nun den einen oder den andern Plunder umhängt! Ich meine, du solltest jetzt andere Dinge im Kopfe haben! Was ich für dich nötig finde, nun ja, aber damit hat die Kleiderfrage doch wahrhaftig genug Zelt und Interesse in Anspruch genommen. So, jetzt komm!«

Unterwegs wurde kein Wort gesprochen, bei Gläß-Malchen wurde das Kleid auseinander gebreitet. Malchen schüttelte bedenklich den Kopf, befühlte den Stoff, trat zur Mutter, klopfte ihr gönnerhaft auf die Schulter und sagte: »Ich will Ihnen einen guten Rat geben, Frau Dietrich, behalten Sie das Kleid für sich, tragen Sie es so auf, wie es ist. Ich würde für Sie nicht einmal Änderungen vorschlagen, obgleich man diese langen Schneppen schon lange nicht mehr trägt! Warten Sie mal, – das ist mehr als zehn Jahre her, daß man Schneppen trug. Hab' ich recht?«

»Das ist mein Hochzeitskleid. Es ist sechzehn Jahre alt,« sagte die Mutter mit verdrossenem Ausdruck.

»Sehen Sie wohl?« triumphierte Malchen, »ich ahnte so was! Der Tibet ist ja gut,« sagte sie und prüfte den Stoff zwischen den Fingern.

»Gut?« rief die Mutter, »freilich ist er gut! Den hat meine Mutter selbst von der Bierrasten in Roßwein geholt, ›bis an dein Ende,‹ so hat sie damals gesagt, ›kannst du das Kleid tragen.‹«

»Glaub' ich, können Sie auch, wenn die Mode Sie nicht stört.«

»Ach was!« knurrte die Mutter, »um die hab' ich mich noch nie gekümmert!«

»Na also! Ich schlag' Ihnen vor, kaufen Sie dem Kinde neuen Stoff, dann bekommt die etwas Ordentliches, und Sie behalten Ihr schwarzes Kleid.«

»Auf den Gedanken wäre ich vielleicht auch selbst verfallen, wenn ich das Geld für neuen Stoff gehabt hätte,« sagte die Mutter kalt, »wollen Sie dem Kind ein Kleid daraus machen?«

Malchen zuckte die Achseln, drehte das Kleid nach allen Seiten und sagte mit großer Zurückhaltung: »Ich will Ihnen offen sagen, es ist für eine Schneiderin, die auf sich hält, grade keine Freude, aus altem Kram neues Zeug zu machen, man verdient nicht das Salz dabei, aber ich will es Ihnen diesmal zu Gefallen tun.«

»Was ich dabei tun kann, will ich gern tun, etwa trennen oder beim Nähen helfen,«

Nein, »gern« tat die Mutter das nicht, aber ich wußte wohl, warum sie sich überwand.

Malchen schüttelte auch den Kopf und sagte von oben herab: »Man kann Ihr Nähen ja nicht grade unsolide nennen, im Gegenteil, Sie nähen wie für die Ewigkeit, aber Sie nähen zu derb, es ist, als ob Sie Lederhosen zwischen den Fingern hätten. Sie haben mir ja schon einmal geholfen, ich kenne Ihre Art. Nehmen Sie mir's nicht übel, aber es steht Ihnen nicht.«

Die Mutter sah geradeaus, der Ausdruck ihres Gesichtes war kalt, undurchdringlich, sie sah hochmütig aus, sie sprach kein Wort mehr, und als Malchen mir Maß genommen hatte, ging die Mutter wie eine beleidigte Königin aus der Tür.

Bald danach war meine Zeit in Nossen zu Ende. Von allem hieß es Abschied nehmen. Von der Schule zu scheiden, wurde mir nicht schwer. Mein Abgangszeugnis fiel nicht gut aus: Religion und Rechnen mangelhaft. Ich nahm es gleichmütig hin.

Dann kam die letzte Konfirmandenstunde. Ich konnte mich vor Schmerz kaum fassen. Fest sollten wir stehen den Versuchungen des Lebens gegenüber, ich gelobte es im stillen mit aufrichtigem Ernst. Der Pastor verteilte dünne Heftchen: Konfirmandenbüchlein. Ich sah durch Tränen, daß er mit zierlicher Schrift meinen Namen auf die Außenseite geschrieben hatte, ich streichelte die Stelle, ich legte meinen Kopf auf die Arme und weinte lange und heftig.

Auch der Tag der Konfirmation brachte mir große seelische Erregung. Ich fühlte eine heilige Weihe, zugleich aber hatte ich ein Gefühl schmerzlicher Sehnsucht, unendlicher Wehmut. Ich verglich mich mit andern Kindern, und ich sagte mir: so wie sonst mein Leben, so war auch dieser Tag anders als der meiner Gefährtinnen. – Gleich nach der Feier sagte die Mutter: »Winklers haben mich eingeladen, aber ich gehe nach Hause, ich möchte niemandem lästig fallen. Heute bleibst du noch hier, morgen kommst du zu mir.«

Das war schwer, ach, ich kannte die Mutter!

Ehe ich Nossen verließ, nahm ich Abschied vom Pastor.

»Du gehst nun wieder für immer nach Siebenlehn,« sagte er, »da ist im dortigen Pastorat eine frühere Schülerin von mir in Pension, sie heißt Fanny Axel. Willst du zu ihr gehen und ihr sagen, daß Mittwoch nachmittags konfirmierte Mädchen, die Zeit und Lust haben, zu mir zum Singen kommen können. Magst du ihr das bestellen?«

Ob ich wollte! Ob ich auch kommen dürfe? fragte ich schüchtern.

»Gewiß,« sagte der Pastor freundlich, »ich weiß nicht, hast du denn Zeit zum Singen?«

Ich nickte eifrig. Ich wollte doch so gern!

Am Abend kam ich bei der Mutter an. Sie sagte: »Wie gut, daß du da bist! Auf uns beiden liegt nun alle Arbeit. Wenn ich mich nur erst ordentlich erholt habe! Du bist auch so lange aus allem herausgekommen. Wir müssen ja des Vaters Arbeit mit tun. Du mußt sehen, daß du dich bald in alles hineinarbeitest.«

»Ach!« sagte ich mutlos, »wie können wir wohl Vaters Arbeit tun.«

»Es muß gehen!« sagte die Mutter kurz.

Ich sah mich um, verschiedene Stöße Papier lagen auf dem Fußboden, ein Brett war darüber gelegt, darauf lagen Steine in verschiedener Größe.

»Haben wir denn gar keine Pressen mehr?« fragte ich gedrückt.

»Nein, Pflanzen haben wir und Papier, aber man muß sich zu helfen wissen. Meinst du, wenn ich auf meinen Reisen sammele, ich hab' eine Presse bei mir? Das ist ja auch nicht nötig. Die Hauptsache sind Mut und Ausdauer. Wir müssen jetzt alle Gedanken auf unsern Beruf richten. Du mußt bei der Aufstellung der Verzeichnisse helfen und die Etiketten schreiben. Beim Sammeln lösen wir einander ab. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß wir uns hindurch arbeiten. Stell' dir vor, wenn uns das gelänge! Aber begeistert für unsere Aufgabe müssen wir beide sein. Die Seele muß in der Arbeit sein. Du hast noch gar nicht die rechte Begeisterung, und du bist doch zu begeistern!«

Meine Gedanken und Wünsche lagen vorläufig noch in einer ganz anderen Richtung. Ich sagte zögernd: »Ach, ich habe einen so großen Wunsch!«

Die Mutter sah mich fragend an, und ich fuhr fort: »Ich möchte so sehr gern beim Nossener Pastor die Singstunden mit nehmen, einmal in der Woche ist es nur.«

»Sin – gen!? Ist dir denn nach Singen zumute? Das nimmt drei Stunden Zeit! Ich wollte dir täglich in der Dämmerung ein Stündchen freigeben, daß du noch mit deinen früheren Freundinnen zusammen sein kannst, aber dieser Wunsch kommt mir ganz ungelegen!«

»Ach, siehst du, Mutter, das ist immer so, wenn du weg gewesen bist; du weißt dann nicht, was ich inzwischen erlebt habe. Bitte, bitte, schenk' mir die Singstunde!«

»Hat der Pastor dich denn extra dazu aufgefordert?«

»Wer Lust und Zeit hat, darf kommen.«

»Und wer hat Zeit?«

»O, die von Postmeisters, – Doktors, – Amtsrichters –«

»Ja, laß nur. Natürlich, die alle haben Zeit. Denkst du, daß du dazwischen paßt?«

»Es kommt mir nicht auf die an, nur auf den Pastor!«

»Nun, ich schenk' dir die Stunde.«

Sie schüttelte den Kopf und sah mich nachdenklich an, ich aber dankte ihr mit überschwenglichen Worten.

In einer meiner Freistunden ging ich ins Siebenlehner Pastorat und bestellte Fanny Axel die Grüße des Nossener Pastors. Ich begriff, daß sie vor Freude tief errötete. Sie schlug vor, wir wollten zusammen in den Zellwald gehen. Unterwegs sagte sie: die Singstunden könne sie leider nicht mitnehmen, da sie um die Zeit gerade beim Pastor Französisch hätte, aber ich möge sie doch öfter abholen, sie wolle doch gern wissen, was für Lieder wir sängen, auch wie es in den Konfirmandenstunden gewesen sei. Wie gern wollte ich das! Wie ich zu ihr aufsah! Wie ich sie beneidete, daß sie ganz in einem Pastorat sein durfte, sie durfte Französisch lernen, sie war in Pension! Und doch ließ sie sich von mir erzählen, sie brachte mich sogar nach Hause ganz über den Hof bis an unsere Haustür. Sie warf einen Blick nach oben und zögerte, ich forderte sie aber nicht auf, mit hinaufzukommen. Als sie ging, sah ich ihr bewundernd nach, wollte ich doch so gern von ihr lernen. Also solche kleine Trippelschritte machte man, so zierlich mit zwei Fingern faßte man sein Kleid an, wenn man über den Rinnstein stieg, und so drehte man den Kopf, und so sanft lächelte man, wenn man dem andern zuhörte. Ach, vielleicht ließe sich das alles lernen auch ohne Pension, und ich versuchte gleich das eine und andere.

Der Mutter erzählte ich begeistert von meiner vornehmen Bekanntschaft, sie lächelte und meinte, ich möge sie doch das nächste Mal mit heraufbringen, da ich öfter mit ihr zusammenkommen wolle, möchte sie sie auch kennen lernen.

Das war nun aber gar nicht nach meinem Sinn. Was sollte denn Fanny von uns denken? So wie die Pflanzenpakete bei uns herumlagen! Die mit Steinen beschwerten Papierstöße, überhaupt die ärmliche Stube die sollte sie doch lieber nicht sehen.

Die Mutter sah mich forschend an, sie durchschaute mich, ein leiser Spott lag in ihrem Blick, als sie sagte: »Weißt du, wie du bist?«

Ich sah sie mit banger Erwartung an, und sie fuhr fort: »Feige bist du!« Ich zuckte zusammen, die Mutter aber wiederholte: »Ja, feige! Du hast nicht den Mut, sie in dein armes Heim zu bringen. Warum schämst du dich? Man hat sich nur zu schämen, wenn man unrecht tut. Das nächste Mal bring' sie nur mit herauf.«

Ich fühlte mich wie geprügelt. Das nächste Mal brachte ich sie mit. Trotz der Mutter Reden hatte ich noch immer ein höchst unbehagliches Gefühl, und es war mir ganz recht, daß es nicht mehr so hell war, ich suchte durch lebhaftes Reden Fannys Aufmerksamkeit abzulenken, ich führte sie dienstbeflissen ans Fenster und versuchte, sie für den Garten zu interessieren.

Dann atmete ich erleichtert auf, als sie endlich ging.

Ich war gespannt, was die Mutter sagen würde; als sie meinem fragenden Blick begegnete, sagte sie: »Ihr paßt nicht zueinander.«

»Aber – – – «

»Nein, nein, euch führt nur das gemeinsame Interesse für den Pastor zusammen. Schade um das Mädchen, die hat ja ein ganz unnatürliches Wesen, wie sie die Augen verdreht, und wie sie das Köpfchen schief hält!«

»Mutter,« sagte ich belehrend, »das lernt sie doch so, dafür ist sie doch in Pension!«

Die Mutter lachte und sagte: »Sieh mal, wie klug du bist! Nein, das lernt sie nicht in der Pension, vielleicht hat man sie dahin gegeben, damit sie wieder natürlich wird. Jedenfalls wünsche ich nicht, daß du dich in der Beziehung nach ihr richtest!« –

Der Mittwoch kam, und ich ging in die Singstunde. Ich hatte mich so geeilt, daß ich zu früh ankam, die Mädchen waren allerdings da, aber noch nicht der Pastor. Verlegen stand ich an der Tür, keine beachtete meinen Gruß, sie waren sehr lebhaft, neckten einander, lachten und fühlten sich ganz sicher. Daß eine sehnsüchtig da stand und gern dazwischen gewesen wäre, das schien keine zu fühlen. Ich dachte an die Mutter, die mich so gern bei sich behalten hätte, und schmerzliche Reue regte sich in mir. Da ging die Tür auf, – der Pastor!

»Du stehst hier?« sagte er freundlich, gab mir die Hand und führte mich ans Klavier zu den andern. Jedes Unbehagen war verschwunden, ich sah und hörte nur ihn und sang mit Begeisterung die frommen Lieder, zu denen er die Begleitung spielte. Ich sagte mir: sonstwohin würde ich gehen und noch ganz anderes würde ich ertragen, wenn ich diese herrlichen Stunden haben dürfte; ich sang mit Hingabe und Begeisterung, ich sang auf dem einsamen Rückwege, es sang und klang in mir und gab mir eine Fülle von Mut und Kraft für die stille, Geduld fordernde Arbeit zu Hause.

Als die Mutter sah, daß das Singen meiner Aufgabe nicht im Wege stand, söhnte sie sich aus mit dem Zeitverlust.

Wenn ich auch noch so gern bei der Mutter war und freudig und willig mit ihr arbeitete, so freute ich mich doch den ganzen Tag auf die freie Zeit, die dem arbeitsreichen Tage folgte. Ich mochte dann mal nichts mehr von Botanik und lateinischen Namen hören. – Mein erster Gang war ins Pastorat, wo ich auf der Vordiele schüchtern nach Fanny fragte. Nicht immer durfte sie mit, es hieß oft, sie habe zu üben oder für ihre Stunden zu arbeiten. Wenn ich den Bescheid bekam, ging ich vom Pastorat ins Schulhaus und holte mir die Lehrertochter, das Größel-Helenchen ab. Manchmal traf es sich, daß Lenchen unaufgefordert sich Fanny und mir anschloß, wenn ich die letztere abgeholt hatte. Das war aber gar nicht nach meinem Geschmack, denn mit Fanny besprach ich nur die vergangenen Konfirmandenstunden, sang ihr die Lieder vor, die ich beim Pastor übte, oder wir wiederholten die Psalmen und Sprüche, die wir gelernt hatten. Das paßte Lenchen nicht, ging ich mit ihr allein, dann mochte ich sie ganz gern, ich sprach mit ihr ganz andere Dinge als mit Fanny. Aber es war noch etwas anderes, was mich störte, wenn wir zu dreien gingen. Lenchen hatte zu wenig Respekt vor Fanny, sie ging mit ihr um, als wäre sie ihresgleichen und das paßte doch nicht für die feine Pensionärin. Fanny und ich nannten einander »Sie«; als Lenchen das hörte, lachte sie laut auf und erklärte, so etwas Albernes sei ihr noch nicht vorgekommen, wir seien alle drei noch Kinder und sie bliebe beim »Du«. Es nützte nichts, daß ich ihr bedeutsame, bittende Blicke zuwarf, oder daß ich ihr heimlich einen Puff gab, sie berücksichtigte meine Wünsche nicht im geringsten. Als wir allein waren, stellte ich sie zur Rede, aber da kam ich schön an: »Du hast ja einen krankhaften Respekt vor der albernen Gans. Was ist sie denn? Dasselbe, was ich bin, eine Lehrertochter! Du kommst immer mit der ›Pension‹. Wenn meine Eltern das Geld hätten, dann könnte ich grade so gut Pensionärin sein wie die. Mit euch zusammenzugehen ist langweilig und albern. Du warst mir früher viel lieber.«

Das kränkte und verwirrte mich, war aber nicht imstande meinem Respekt vor Fanny Abbruch zu tun.

Im Hause selbst wohnte unter uns eine Bergmannsfamilie, die vom Lande herein gezogen war, die Leute hießen Sparmanns. Eines Tages bat mich die Frau, als ich für uns Besorgungen machen wollte, ihr etwas vom Kaufmann mitzubringen. Als ich ihr das Gewünschte in die Stube trug, sah ich zwei Männer in Bergmannstracht vor mir stehen, die sich gerade die Blenden vor den Leib schnallten. Der eine war lang und hager; der neben ihm stand, sah aus, als könne er das Kind des ersteren sein. Er war so groß wie ich, auf dem kleinen Körper saß ein ungewöhnlich großer Kopf, und aus dem blassen, faltigen Gesicht schauten mit unendlich schwermütigem Ausdruck ein Paar große, treue, braune Augen. Beide verließen mit einem treuherzigen »Glückauf!« das Zimmer. Ich sah ihnen staunend nach. Welch merkwürdige Erscheinung, der kleine Bergmann mit dem alten Gesicht! Er kam mir vor wie einer von den sieben Zwergen aus dem Märchen von Schneewittchen.

Die Frau sagte, als sie mein erstauntes Gesicht sah: »Ja, der Kleine ist ein Vetter meines Mannes. Von seinem 14. Jahr an ist er nicht mehr gewachsen, der arme Kerl! Na, kleine Leute kommen auch durch die Welt. Ist ein guter Kerl, der Ernst.«

Ich sah mich im Stübchen um, den Glanzpunkt bildete die Kommode mit den rosenbemalten, goldberänderten Tassen, und zwischen diesen Tassen lag ein großes, dickes Buch, das zog mich an. Eilig trat ich an die Kommode, streckte die Hand aus und fragte: »O, ein Buch! Darf ich?«

»Ja, gern!« sagte die Frau, »nimm es doch herunter. Es ist recht unhandlich, aber es sind hübsche Bilder und Geschichten darin. Mein Mann hat es von einem Onkel aus Freiberg geerbt.«

Während sie mir das erzählte, hatte ich das Buch längst vor mir auf dem Tisch liegen und sah mit interessiertem Gruseln auf die grellen Bilder. Alle nur erdenklichen Martern und Qualen, die die Christen unter den römischen Kaisern erduldet hatten, waren hier dargestellt. Ich war sehr erregt, und erst die Stimme der Frau, die freundlich einladend sagt«: »Komm doch immer, wenn du kannst, und besieh dir das Buch,« führte mich wieder in die Gegenwart und zu meiner Pflicht zurück.

»Jetzt muß ich hinauf,« rief ich tief aufseufzend, »aber ich komme wieder!«

»Das tu nur! Kannst du vorlesen?«

»Ja!« sagte ich überzeugt, »ich kann vorlesen.«

Wie gern ging ich, wenn es sich irgend tun ließ, in die Bergmannsstube und las den dreien vor. Es ließ sich besonders gut einrichten, wenn die Mutter zum Sammeln aus war. Oft rief dann die Frau: »Charitas, komm doch ein bißchen herunter, du sitzt da so allein. Komm doch, die Männer sind von der Schicht da, hier ist's gesellig!«

Die Bergleute hatten ihre Bergmannskittel mit einer gewirkten Wolljacke vertauscht, sie saßen da und qualmten aus kurzen Pfeifen. Ich setzte mich an den Tisch, mir gegenüber saß der Zwerg und sah mich voll ernster Teilnahme an. Die Frau hatte ein Nähzeug, und ich las mit ungewöhnlichem Aufwand an Pathos aus dem merkwürdigen Buch. Manchmal konnte ich vor heftigem Schluchzen nicht weiter lesen, dann qualmten die Männer, daß allen die Augen rot wurden. Aber, wenn wir den Schritt der Mutter hörten! Gewiß hätte ich oben noch Arbeit gefunden, aber ich erlag jedesmal der »Christenverfolgung«. Das Sonderbare war, daß die andern drei mit erschraken, sie standen gleichzeitig mit mir auf und baten dringend, in ängstlich lautem Flüsterton: »Du kommst doch bald wieder und liest uns wieder so schön vor! O! wie du lesen kannst!«

Die Mutter seufzte, und ich war ungewöhnlich gefällig und geschäftig. O, was hatte ich für ein schlechtes Gewissen!

Ich mußte meine Arbeit vorzeigen, die Mutter zuckte die Achseln und sagte seufzend: »Na, deine Hilfe, wenn ich nicht dahinter sitze!«

Als ich eines Tages, von einer Besorgung zurückkehrend, über den Marktplatz ging, liefen mir Kinder entgegen, die mir erregt zuriefen: »Du, geh nur mal auf den Hof im Schwarzen Roß, da ist euer Hektor!«

»Ist das wahr?« rief ich erregt.

»Ja, ganz gewiß, er liegt vor einem Wagen mit Töpferwaren, – geh nur mal hin!«

Ich eilte nach Hause, die Mutter sollte mitkommen, die mußte ihn doch auch sehen. Als ich es ihr erzählte, sah sie mich erstaunt und zweifelnd an und sagte: »Ach, den hab' ich doch expreß nach auswärts verkauft, ich wollte ihn nicht in der Nähe haben, weil es mir so weh tut, daß ich mich von ihm trennen mußte. Wie kommt denn der hierher!«

Sie stand aber doch auf, deckte schnell noch eine Lage Löschpapier auf ihre Pflanzen und ging mit mir nach dem Schwarzen Roß.

Richtig, da auf dem Hofplatz lag Hektor ausgespannt vor seinem Töpferwagen. Wir näherten uns vorsichtig, die Mutter rief mit leiser Stimme: »Hektor!«, da sprang er wie unsinnig an der Mutter hoch, sie konnte sich vor seinen Liebkosungen gar nicht erwehren, dann kam er zu mir, dieselbe freudige Aufregung. Der Mutter wurden die Augen feucht, sie nahm seinen Kopf zwischen ihre Hände und sagte weich: »Komm, Hektor, mach' uns nun nicht das Herz schwer, alter, guter Kamerad! Möchtest wieder mit mir fort? Wollen wir wieder nach Holland? So, so! Ja, wir haben manches miteinander erlebt, aber es hilft nichts, wir müssen uns trennen!«

Der Besitzer des Wagens kam, die Mutter sprach ein wenig mit ihm, dann nahmen wir zärtlichen Abschied von unserm treuen Freund und gingen wieder an unsere Arbeit.

»Von Holland hast du mir noch gar nicht viel erzählt,« sagte ich, »war es denn so schwer, daß du nicht davon sprechen magst?«

»Ja, es war eine lange, schwere Reise, besonders anstrengend, weil ich mich schon lange vor meiner Krankheit sehr schwach und elend fühlte. Ich habe aber auch Schönes erlebt. Wenn ich auf meinem mühsamen Wege nicht auch Verständnis und Liebe fände, dann weiß ich nicht, wie ich es aushielte.«

Die Mutter machte eine lange Pause, dann sagte sie kopfschüttelnd, wie zu sich selbst: »Sonderbare Dinge erlebt man!«

Ich sah sie erwartungsvoll an, und sie fuhr zögernd fort: »Ich war in Rotterdam gewesen, hatte, wie ich meinte, alle Apotheken, alle Lehranstalten und Gelehrten aufgesucht und fuhr mit Hektor fort. Ich wollte von hier nach Belgien, nach Brüssel. Am ersten Abend nach Rotterdam übernachtete ich in einem Dorf, es war alles ärmlich und elend und ich so todmüde, daß ich mir beim Zubettgehen wünschte, ich brauchte gar nicht wieder aufzuwachen. Alle Glieder schmerzten, und ich hatte ein Gefühl, als hätte ich Fieber. Als ich nun so lag, stürmten alle Eindrücke und Erlebnisse der letzten Zeit an mir vorüber. Ich sah die vielen, verschiedenen Menschen, ich hörte ihre Stimmen und schon halb im Schlaf plagte ich mich mit der fremden Sprache ab. Du kannst dir ja keine Vorstellung machen, wie das ist, wenn die Leute eine andre Sprache sprechen. Viele, mit denen ich zu tun hatte, konnten allerdings deutsch, aber es machte ihnen und mir doch Mühe miteinander zu verkehren. Wie ich nun all diese Erinnerungen an mir vorüberziehen lasse, ist mir plötzlich als ob ein scharfer Luftzug über mich hinfährt und gleichzeitig sagt eine Stimme ganz deutlich: ›Rotterdam, Prinzenstraße!‹ Ich erschrak, sah mich um, ermunterte mich völlig, machte Licht und durchsuchte das kleine Zimmer, es war aber nichts zu finden. Wer hatte hier gesprochen und was bedeutete das? Ich schrieb mir die gehörten Worte in mein Notizbuch und dachte so lange über das sonderbare Erlebnis nach, bis ich darüber einschlief. Am nächsten Morgen meinte ich, ich hätte diese sonderbare Sache geträumt, aber ein Blick in mein Notizbuch zeigte mir, daß ich die Stimme tatsächlich gehört hatte. Ich war zunächst unentschlossen, wohin ich meine Schritte lenken sollte, vorwärts nach Belgien? – oder zurück nach Rotterdam? Einen Tag mühsamer Fahrt vielleicht einem Hirngespinst zuliebe? ›Hektor,‹ sagte ich, ›was machen wir, kehren wir um? Haben wir etwas Wichtiges versäumt?‹ Ich schirrte Hektor ein, und wir marschierten tatsächlich zurück nach Rotterdam, gehorsam der geheimnisvollen Stimme folgend. Am nächsten Morgen ging ich nach der Prinzenstraße und da fand ich noch eine Apotheke, die ich vorher nicht besucht hatte. Ganz nach meiner Gewohnheit zeigte ich meine Herbarien. Der Herr besah alles, was ich bei mir hatte, er unterhielt sich eine Weile mit mir, empfahl die Sammlungen den jungen Herren in der Apotheke und nahm mich schließlich mit zu seiner Familie. Er habe einen leidenden Sohn, sagte er, der sich lebhaft für Botanik interessiere. Der Sohn ließ sich in eine Unterhaltung mit mir ein und bat mich schließlich, ich möge doch wiederkommen. Außer diesem Sohn, der auch Apotheker war, war noch ein Sohn und eine Tochter da. Was für Leute! Es war, als wenn wir einander schon jahrelang gekannt hätten, ich wurde in der Familie gehalten wie ein geliebtes Familienglied. Wie ich ausruhte in dieser Liebe! Sie gaben mir das Gefühl, als wären sie die Empfangenden. Wenn ich auch weiß, daß davon keine Rede sein konnte, so tat mir ihr Glaube, ihr Vertrauen so unendlich wohl, und mir war zumute, als wüchse ich innerlich an dieser Liebe. Schweren Herzens habe ich mich endlich trennen müssen, hoffentlich nicht auf immer; wenn es sich machen läßt, reise ich noch mal wieder nach Holland, um meine geliebten Eshuys wiederzusehen.«

Die Mutter stand auf, kramte in ihren Papieren und legte mir endlich fünf Photographien hin. Die Bilder erregten mein ganzes Interesse, waren es doch die ersten Photographien, die in unsern persönlichen Besitz kamen. In weite Fernen wanderten meine Gedanken, und nach langem Sinnen sagte ich: »Wenn du wieder zu diesen guten Leuten gehst, dann nimmst du mich mit, ich helf dir. Da ich nicht mehr zur Schule gehe, kann ich ja tun, was wir beide wollen.«

»Noch sind wir nicht so weit,« sagte die Mutter ausweichend, »und wenn ich so weit bin, so wird sich das doch nicht machen lassen.«

Wir kamen nun auf die geheimnisvolle Stimme zu sprechen, die Mutter wiegte sinnend den Kopf und sagt«: »Ich weiß es nicht. Es gibt doch wohl noch viel Merkwürdiges, wofür wir keine Erklärung finden. Möglich ist's ja, daß mir bei meinem ersten Aufenthalt jemand mal die Straße genannt hat, und sie ist mir an dem Abend wieder eingefallen. Die Vorstellung, die ich davon habe, ist so, wie ich sie dir geschildert habe. Jedenfalls war es kein Irrlicht, was mich wieder nach Rotterdam lockte.«


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