Charitas Bischoff
Bilder aus meinem Leben
Charitas Bischoff

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Der fremde Einschlag in der Bevölkerung

Ich habe oft gedacht: es ist eigentlich kein großes Verdienst, wenn die Leute in Nordschleswig gastfrei sind, denn in der großen Einsamkeit war es immer eine besondere Freude, wenn Menschen kamen und einen Gedankenaustausch ermöglichten.

Welche Freude und Anregung brachten uns die Kirchen- und Schulvisitationen! Wir hatten den Kreisschulinspektor Petersen aus Apenrade. Er kam als ein Fremder zu uns, aber wie bald hatten wir uns gefunden, wie anregend und lebhaft sprach er über alles, nachdem er in Begleitung meines Mannes die beiden Schulen der Gemeinde inspiziert hatte.

Oben unter den Kastanien saßen wir, ich lauschte mit lebhaftem Interesse seiner Unterhaltung über die nordschleswigsche Bevölkerung. Er kannte sie. Er sprach über ihre konservative Gesinnung, ihren festen Bibelglauben, ihre Kirchlichkeit und über ihre absolute Ehrlichkeit.

»Sie können Tag und Nacht alle Türen offen lassen, es wird Ihnen nichts gestohlen. Von groben Verbrechen, wie die Zeitungen in den großen Städten sie täglich berichten, werden Sie weit und breit nichts hören. Die Bauern lassen auch niemanden hungern, gewiß gibt es Arme, die sich redlich plagen müssen, aber die nötige Nahrung und Kleidung werden sie immer haben. Wenn die Höfe auch weit von einander liegen, so kennen die Leute einander trotzdem besser, als die Menschen in der Großstadt, die auf ein und demselben Flur wohnen.«

Ich wandte den Kopf, denn oben bei der Kirche zeigte sich eine Staubwolke, die ihre Richtung nach dem Pastorat hin nahm.

Der Schulinspektor unterbrach sich und folgte meinem Blick.

»Da scheint ja etwas sehr Aufregendes zu kommen,« sagte er.

»Schusters Kuh,« antwortete ich.

»Freilich, – sehr interessant!«

»Ach,« sagte ich lachend, »die Kuh ist Nebensache! Ich sehe mir aber jedesmal das entzückende Kind an, das die Kuh führt. Sehen Sie die graziöse Gestalt? Die kleine Dagmar, das Kind vom Schuster, ist sicher das schönste Mädchen in der Gemeinde. Sie sieht gar nicht aus, als ob sie hierher gehörte, sie hat etwas so Zierliches, Gewandtes. Die Kuh folgt dem Kinde mit der schwachen Gerte so willig, daß ich mich immer freue, wenn sie hier vorbeikommt.«

Der Schulrat klopfte meinem Mann freundlich auf die Schulter und fragte lachend: »Sieht die alles Nordschleswigsche in so rosigem Lichte?«

Mein Mann zog die Augenbrauen hoch und sagte: »Na, das wollen wir lieber nicht zu genau untersuchen.«

»Wie finden Sie denn das Schusterkind?«

»Ganz Zigeunertyp! Krauses, dunkles Haar, kohlschwarze Augen mit langen Wimpern, und ein geschmeidiges Figürchen.«

»Da kommt sie!« sagte ich halblaut.

»Ja,« sagte der Schulinspektor, »das ist Zigeunertyp.«

»Zigeunertyp?« sagte ich erstaunt, »hier zwischen dieser nordischen Bevölkerung, Zigeuner?« »Ja, das habe ich vorhin ganz vergessen, als ich von der hiesigen Bevölkerung sprach. Das muß Ihnen doch aufgefallen sein, daß ein Einschlag von dieser dunkeläugigen Rasse hier zu finden ist. Sie unterscheiden sich ja so auffallend von den helläugigen, blondhaarigen Nordländern. Sie sind auch wohl im Charakter verschieden von ihnen. Von den eingesessenen Bauern werden sie nicht sehr geschätzt, sie nennen sie Tatern.

»In früheren Zeiten haben sie die jütländische und nordschleswigsche Heide in südlicher Richtung bis hin nach Tondern unsicher gemacht. Mitten in der Heide bauten sie sich primitive Wohnungen und durchzogen die Dörfer als Scherenschleifer und Kesselflicker. Die Frauen schlossen sich als Wahrsagerinnen den Männern an. Die verbreitetere Kultur hat sie seßhaft gemacht, sie haben sich in kleine Besitztümer hinein geheiratet, sie üben ein Handwerk aus, manche aber führen ihr unstetes Leben fort. Sind Ihnen noch nicht die schwarzen, jütländischen Töpfe angeboten, die, in Heidekraut verpackt, von dunkeläugigen Leuten durchs Land gezogen werden? Da, wo sie sich festsetzten, fielen ihnen erstmal die verächtlichsten Gewerbe zu. Sie wurden Schinder, stiegen etwa zum Dorfschlachter, zum Schornsteinfeger und Dachdecker empor. Der Vater der kleinen Dagmar hat es also bis zum Schuster gebracht.«

»Ach,« sagte ich, »damit ist seine Wirksamkeit längst nicht erschöpft! Wenn eine Kuh kalbt, holt man den Schuster, wo ein krankes Stück Vieh ist, da muß er raten und helfen, meist kuriert er da mit Sympathie. Wo eine männliche Leiche ist, muß er sie rasieren, er ist überhaupt der Friseur des Dorfes. Mein Mann läßt sich von ihm Haar und Bart schneiden.«

»Ein vielseitig begabter Mann!« sagte der Schulinspektor.

Der Mond war inzwischen aufgegangen, in den Niederungen brauten die weißen Nebel. Von Schusters herüber ließ sich jetzt eine Ziehharmonika hören.

»Ist er zu allem übrigen auch noch musikalisch?« fragte unser Gast.

»Das ist der verwachsene Sohn Peter. Der Vater hat ihm die Ziehharmonika geschenkt, und jeden Abend hören wir dänische Volkslieder. Hören Sie? Jetzt singen sie das melancholische Drossellied:

Ein Drosselpaar im stillen Hain
Sich wiegt im Abendsonnenschein,
Das Aug' so trüb, das Herz so wund:
Es schlägt für sie die Trennungsstund'.

Ade! Mein Herzlieb, lebe wohl!
So klagt die eine wehmutsvoll.
Ach! In die Fremde muß ich ziehn,
Wo nimmer Freud und Glück mir blühn!

Darauf die andre tröstend sang:
Mach' dir das Herz nicht weich und bang!
Auch dir blüht Glück nach langem Weh,
Ade, mein Herzenslieb, Ade!«


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