Charitas Bischoff
Bilder aus meinem Leben
Charitas Bischoff

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Brief von Fräulein Roquette

Kirkeby, d. 8. Juli 1874.

Liebe Frau Doktor!

Hier bin ich wieder! Der Wagen war nach Verabredung in Scherrebeck. Der Kutscher, der, – wie ich nachher hörte, für gewöhnlich Schmied ist, – kam auf mich zu und sagte, während er die kurze Pfeife aus dem Munde nahm, allerlei, wovon ich nur: »Pastor Bischoff« verstand. Das genügte ja auch. – Nach der fast zweistündigen Fahrt, hielt der Wagen endlich auf dem Hofe. Glückstrahlend kam der Pastor heraus und nahm meinen Glückwunsch zu seiner neuen Würde entgegen. Ich ging erst mal mit ihm ins Nebenzimmer. Ich mußte mich nach der langen Reise auch ein bißchen zurechtmachen. Dann gingen wir miteinander zu Charitas. Denken Sie sich mein Staunen! In der Wochenstube sitzen nicht weniger als vier Bauerfrauen, und Charitas selbst sitzt aufrecht, mit glühenden Backen und bemüht sich, die alle auf Dänisch zu unterhalten. Sie können sich denken, wie sie sich freute, daß ich endlich kam. Sie zeigte mit glücklichem Stolz auf das Körbchen neben ihrem Bette. Während ich mir das niedliche Kindchen noch besehe, kommt schon wieder eine Frau, und der unvorsichtige Pastor läßt sie auch ohne weiteres gleich herein. Da trat ich aber ganz energisch auf und sagte dem Pastor, er solle die Leute doch nicht gleich hereinlassen, sie hätten ja gar nicht die rechte Temperatur, um gleich ans Bett gelassen zu werden. Ich nahm die Frau sofort erst mit in die Nebenstube. Zu meiner Beruhigung gingen nun auch die anderen Frauen. Charitas sah mich flehend, hilfesuchend an und sagte: »Bitte, seien Sie doch nur vorsichtig! Ach, gerade freuen wir uns so, daß durch die Geburt des Kindes fürs erste das Eis gebrochen ist. Wirklich, das Kind hat Wunder vollbracht! Sie kommen, und sie sind gar nicht kalt und spöttisch.«

Da warf der Pastor in seiner trockenen Weise dazwischen: »Wie sollten sie wohl spöttisch sein! Du hast ja diesmal das Examen bestanden!«

»Ja,« sagte Charitas glücklich, »denken Sie nur, alle finden die Kleine so niedlich, und sie erzählen mir, daß seit über hundert Jahren kein Kind hier im Pastorat geboren ist. Lange Jahre haben Witwer oder Junggesellen hier gehaust, und der letzte Pastor, der aus Kopenhagen hierher kam, der brachte Kinder mit.« –

Der Pastor zeigte mir lächelnd mehrere Zwetschentorten aus Blätterteig. Ich schlug die Hände zusammen und fragte Charitas: »Sie haben doch davon nicht gegessen?«

Sie lachte und sagte: »Die sind doch für mich! So unangenehme, gezwungene Opfer habe ich in der letzten Zeit entgegennehmen müssen, nun soll ich dieses freiwillige, mir so angenehme Opfer nicht einmal haben?«

Der Pastor gab mir eine und nahm selbst eine, und während wir damit abzogen, sagte er: »Man opfert freilich den Göttern, den Genuß aber haben die Priester und Leviten.« Charitas sorgte sich noch sehr, ob die letzte Frau auch nicht beleidigt sei, es sei die Frau des Gastwirts, die verstände ein bißchen Deutsch, aber vielleicht nur soviel, daß daraus ein Mißverständnis entstehen könnte. Sie warnte mich, doch ja vorsichtig zu sein, da die Leute mißtrauisch und leicht verletzt seien.

»Ach Gott!« sagte sie, »wir wollen das Beste hoffen, es nahm nun gerade eine so erfreuliche Wendung!«

Ich ermahnte sie, sich zu beruhigen, sich zurückzulegen und gar nichts zu denken. Der Pastor ist bei aller Männlichkeit umsichtig und hilfsbereit wie eine Mutter. Er greift überall selbst mit an, und es steht ihm gut.

Als wir alles besorgt hatten, sagten wir dem kleinen Dienstmädchen, sie möge sich ins Nebenzimmer setzen und uns rufen, wenn wir gebraucht würden. Wir gingen in den Garten, der jetzt, da alles grün ist, wirklich sehr schön ist. Unter einem Walnußbaum steht eine Bank, darauf setzten wir uns, und ich ließ mir vom Pastor erzählen. Allerlei ungewohnte Arbeiten und Aufgaben sind in letzter Zeit an Charitas herangetreten, die ihr auch Aufregungen allerart gebracht haben, so daß er fast in Sorge gewesen sei, wie es gehen würde.

Ein Glück, daß der Pastor so ruhig ist, wirklich, die beiden ergänzen sich prachtvoll, denn eine ruhige Natur kann man ja Charitas nicht nennen. Wie lebhaft empfindet sie jeden Schmerz und jede Freude. Ich sprach dann über die hiesigen politischen Zustände; er sagte mir: »Sie trauen mir wohl zu, daß ich niemanden reize, liegt doch meine Aufgabe nicht auf politischem Gebiet. Sie sollen aber auch mich nicht reizen! Das darf ich mir nicht gefallen lassen, trotz allem Friedensbedürfnis, das ich habe. Sie dürfen nicht vergessen, daß ich deutscher Beamter bin. Werde ich darum nicht geliebt, so müssen wir das tragen, aber respektieren sollen sie meinen Standpunkt wenigstens.«

»Tun sie das denn nicht?« fragte ich.

»Ich habe doch mit allerlei zu kämpfen. Ich dulde es nicht, daß sie den Dannebrog auf den Kinderwagen legen, wenn ich zu einer Taufe gerufen werde. Auch bei Hochzeiten kommt es vor, daß aufreizende Lieder gesungen werden, so: von der giftigen Schlange, die aus Süden zu ihnen kommt. Ich habe ihnen gesagt: wenn sie mich einladen, komme ich, um Freud und Leid mit ihnen zu teilen. Wollen sie politische Lieder singen, dann zwingen sie mich, ihre Gesellschaft zu verlassen. – Und nun, in all das Feindselige kommt das liebe Kind als Friedensbringer! Hätten wir vor kurzem wohl gedacht, daß dieselben Bauerfrauen, die sich eben erst so spöttisch und überlegen gezeigt hatten, jetzt freiwillig mit den besten Gaben, die sie sich denken können, kommen und uns helfen würden?«

Dann sprach er von Frau Dietrich. Sie hat zur Pflege kommen wollen, aber gerade dafür wollte er sie nicht gern haben, sie, die ihr Leben lang so hart gegen sich selbst war, sie würde es lächerlich finden, die Rücksicht zu nehmen, wie wir sie nun einmal in Europa für geboten halten. »Wir müssen erst selbst besser im Sattel sitzen, bis wir unsere ungewöhnliche Mutter in unserem Haushalt aufnehmen. Die Bauern, die nicht mit ihr sprechen können, würden sich ein ganz verkehrtes Bild von ihr machen, und man kann ihr ja nicht auf den Buckel schreiben, was sie im Leben geleistet hat.«

So etwa sprach er, dann gingen wir hinein. Ich warf noch einen Blick auf den Hügel im Osten, in dem Gipfel der Kastanien saß der Kuckuck und rief unermüdlich sein »guck! guck!« in die weite Ebene, gerade als wollte er auffordern: »Kommt, hier gibt's was Neues zu sehen!«

d. 9. Juli.

Soweit schrieb ich gestern abend. Heute muß ich mich kürzer fassen. Charitas hat sich, – was ich ja gleich fürchtete, – gestern zu sehr mit Dänisch sprechen angestrengt, sie hatte Schüttelfrost und liegt nun im Fieber! Ich wollte natürlich, daß sofort nach dem Arzt geschickt würde, aber der Pastor sagte sehr niedergeschlagen: »Es war schon sehr schwer, einen Wagen aufzutreiben, der Sie von Scherrebeck holte. Jetzt, in der Heuernte, braucht jeder Pferde und Wagen dafür. Und dann – ! Ein wildfremder, dänischer Arzt? Wollen wir's nicht noch ein bißchen mit ansehen? –«

Also wir sehen es an. Ich war soeben bei ihr, sie ist ganz apathisch, mag nicht die Augen aufschlagen. Daß sie es auch mit der Stine gewagt haben! Aber ich habe das Mädchen doch zu ihr geschickt, leider wohnt sie im nächsten Dorf. –

Eine weitere Sorge ist das Kind! Das schreit, es hat Hunger, und doch dürfen wir die Mutter jetzt nicht anstrengen. Der Pastor überlegt, er will eine Bauerfrau bitten, von der er weiß, daß sie einen fast einjährigen Jungen an der Brust hat. –

So! Das Kind ist besorgt. Die Frau war ganz gefällig, sie legte das deutsche Kind an ihre dänische Brust. Na, wenn das keinen Zwiespalt gibt!?

Erstmal werden wir uns wohl auf allerlei Geschrei gefaßt machen müssen. Solche Frau hält sich doch auch im Essen und Trinken nicht danach. Wirklich, man weiß gar nicht, wie man's hat, wenn man in der Stadt ist. Hier ist's schon schwer, wenn alles seinen gewöhnlichen Trott geht, aber wehe, wenn außergewöhnliche Verhältnisse eintreten. Aber ich muß schließen. Wir anderen wollen ja auch essen, und wenn Zwetschentorte aus Blätterteig auch etwas sehr Gutes ist, ganz ausschließlich davon leben kann man doch nicht. Bischoff läßt herzlich grüßen. Die Kleine soll Charitas heißen, Frau Dietrich wünscht es, weil es ein Name ist, der schon lange in der Dietrichschen Familie vorkommt. Hoffentlich geht's hier bald wieder gut!

Treu Ihre
Emilie Roquette.


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