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Daß meine Mutter guten Grund hatte, über meinen Leichtsinn so empört zu sein, das sollte mir bald klar werden.
Mein Vater sagte eines Tages: »Ach, jeden Morgen diesen schwärzlichen Mehlpaps! Ich kann gar nicht mehr dagegen an, es ist so reizlos! Ich sehne mich nach einem ordentlichen Bohnenkaffee, dazu mal wieder Butterbrot. Was meinst du, könnten wir das nicht mal wieder haben?«
Die Mutter seufzte, warf einen traurigen, vorwurfsvollen Blick auf mich, dann griff sie nach der kleinen Schachtel, wo das Geld aufbewahrt wurde. Sie schüttelte sie – es kam kein Laut, – die Schachtel war leer. Die Mutter war nicht überrascht, sie stellte sie still an ihren Platz und überlegte, dann sagte sie traurig: »Dann muß ich borgen, das ist so schwer!«
»Mutter,« rief ich eifrig, »ich geh' mit, wenn du ausgehst.«
»Ja, komm,« sagte die Mutter, »vielleicht lernst du etwas.«
Wir gingen zu Madame Hänel. Mit trauriger, unsicherer Stimme bat die Mutter um ein paar Lot Kaffee. Schweigend wog Madame Hanel den Kaffee ab und reichte der Mutter das kleine Tütchen.
»Sie wissen,« sagte die Mutter, »sobald ich Geld habe, bringe ich es.«
Madame Hänel nickte und sagte: »Schon gut, wir kennen einander.«
Nun gingen wir in die Neugasse zum Bäcker Löwe. Die Mutter bat leise um ein Dreipfund-Brot. Ein schön gebräuntes, frisches Brot wurde ihr gereicht, ich sah, wie das Gesicht der Mutter sich aufhellte, als sie das Brot in Händen hatte. »Das Geld bringe ich hoffentlich in den nächsten Tagen,« sagte sie zögernd, »wir erwarten täglich Geld.«
Die Züge der Frau wurden hart und kalt, sie streckte die Hand aus, nahm das Brot zurück und sagte: »Ich gebe Brot nur gegen Geld.«
Die Mutter sah die Frau wie geistesabwesend an, wortlos nahm sie meine Hand und kehrte langsam mit mir um. Als ich auf der breiten Straße bleiben wollte, zeigte sie stumm nach einem dunklen, engen Gang, der ganz einsam an Hinterhäusern vorbeiführte. »Siehst du nun,« sagte sie mit müder Stimme, »wie gut wir deine fünfzehn Pfennige hätten brauchen können?« Ich drückte stumm ihre Hand und schämte mich. Die Mutter wischte sich öfters die Augen, dabei nahm sie nicht das Tütchen in acht. Der mühsam eroberte Schatz lag vor unsern Füßen in einer Pfütze.
»Ach,« sagte sie und sah sich erschrocken um, »wir müssen sie aufsammeln! Mach' schnell, daß uns niemand sieht!«
Als wir nach Hause kamen, nahm sie die Bohnen aus meiner Schürze und sagte: »Ein bißchen Kaffee hätte ich, aber Brot wollen sie mir ohne Geld nicht geben.«
Der Vater stand am Tisch und hatte allerlei Bücher vor sich, er sagte freudig: »Wir haben Geld genug. Geh nur gleich und bezahl' den Kaffee, wechsele das Geld, und bring Brot und Butter mit.«
Die Mutter sah dankbar nach oben und sagte erregt: »Also doch wieder Geld! Wer hat denn geschickt?«
»Das errätst du nicht.«
Die Mutter riet hin und her, aber der Vater schüttelte den Kopf und sagte: »Nein, es sind keine Außenstände, es ist ein Geschenk für Charitas von meinem Bruder aus Rußland.«
»Aus Rußland!?« sagte die Mutter mit gefalteten Händen.
»Dies Paket ist gekommen, während ihr fort waret, es sind botanische Bücher, die er verfaßt hat, auch einige Gedichte und Zeichnungen von ihm und neun Taler für Charitas.«
»Nun,« sagte die Mutter großmütig lächelnd, »das Königschießen soll nun unsrerseits vergessen sein! Jetzt bezahl' ich aber meinen Kaffee und hole Brot und Butter.«
»Und Fleisch!« rief ich übermütig.
»Dein Leichtsinn ist nicht auszurotten!« Damit verschwand sie lachend, ich aber trat zu den Büchern, blätterte in den botanischen Werken herum und griff zuletzt zu einem Gedichtband, der mich lebhaft interessierte.
»Hat der Onkel wirklich diese Gedichte gemacht?« fragte ich lebhaft.
Der Vater nickte und sagte: »Mein Bruder ist sehr begabt, und er hat, wie es scheint, Erfolg in Rußland.«