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7. Tante und Cousinen.

Die »Jungenfurcht« war beim Heranwachsen der Steddens ordentlich epidemisch geworden. »Ich reiße aus,« erklärte Tante Mile vor den großen Ferien kurz und bündig.

»Ich möchte mir erlauben, daran zu erinnern, daß Hildchen während der Ferien mit mir verreisen sollte,« meinte Fräulein Schönchen höflich, doch mit einer gewissen Anzüglichkeit im Tone.

»Na, ich allein bin der Bande nicht gewachsen!« rief Baldinger und wurde durch die Umstände genötigt, auch einmal nicht an seine Fabrik, sondern an die Familie zu denken. So entstand denn nach einer schlaflosen Nacht in seinem Kopfe ein Plan, der sich in der Ausführung praktisch erwies, und soweit er die Steddens betraf, alle Jahre erneuert wurde.

Baldinger reiste selbst nach Eisenach, um seinen Schwager für diesen Plan zu stimmen.

»Leider,« begann er dort, »kann ich nicht länger das ›Vergnügen‹ haben, meine lieben Verwandten während der Ferien bei mir aufzunehmen. Mile wird alt, und der Lärm greift sie zu sehr an. Die Schönchen fürchtet die Verantwortung wegen Hildes, und ich« – Baldinger verschluckte schnell, daß er der Bande nicht gewachsen wäre, und setzte hinzu – »mit mir allein würdet ihr euch langweilen, denn auch Hildchen soll in diesem Sommer verreisen, um ihre Tante Lavinia zu besuchen und ihre Cousinen kennen zu lernen.«

Der Professor machte bei dieser Erklärung ein etwas langes Gesicht und blickte hilfesuchend nach seiner lieben Frau, die sich, ebenfalls Trost suchend, nach ihrem lieben Manne umsah. Die Steddens waren nicht wohlhabend und mußten sich, um sieben Jungen zu erziehen, sehr einschränken. An eine Ferienreise, außer zu Verwandten, war deshalb nicht zu denken.

Baldingers scharfen Augen entgingen die Blicke des Ehepaars nicht. Sie thaten ihm aber wohl, denn sie erleichterten es ihm, den Vorschlag zu machen, mit dem er jetzt herausrücken wollte.

»Lieber Schwager, liebe Schwägerin« – er reichte beiden die Hand –, »ihr müßt mir nicht übelnehmen, was ich euch zu sagen habe.« – Frau Professor begriff sofort, was folgen würde, und beschloß, sich nur anstandshalber ein wenig dagegen zu sträuben; doch ihr erleichtertes Gemüt verriet sich gleich in ihren Mienen, und diese beruhigten wieder den nicht so schnell begreifenden Professor.

Nach Baldingers Plane sollte nämlich die ganze Steddensche Familie auf seine Kosten – »da ja die Ferienzeit eigentlich ihm gehöre« – entweder in die Berge oder an die Seeküste gehen. Dieser Vorschlag fand, wie gesagt, bei den Eltern nur scheinbaren Widerstand, von den sieben Jungen aber wurde er mit ohrenzerreißendem Jubel aufgenommen. Sie waren gleich bei der Hand, auf die Freigebigkeit des Onkels, von der man schon glänzende Beweise hatte, einen großartigen Reiseplan aufzubauen. Darüber freute sich Baldinger herzlich und kehrte zwar mit geleerter Brieftasche, aber mit einem durch dankbare Liebe erwärmten Gemüte nach Wermsdorf zurück.

»Und wie sich Lavinia freuen wird, Hildchen kennen zu lernen!« sagte Frau Professor beim Abschiede.

Tante Lavinia war ihre ältere Schwester. Sie hatten sich aber weit auseinander verheiratet: Frau Amtsrat Lavinia Goldeshofen nach Stettin und Frau Professor nach Eisenach. So kam es, daß sie sich seit Jahren nicht gesehen hatten, denn Frau Amalie konnte weder ihre sieben Jungen, noch weniger ihren unpraktischen Mann auf die Dauer verlassen. Die Mittel der Frau Amtsrat aber, einer Witwe, waren sehr beschränkt; doch klagte sie nie, selbst nicht gegen die Schwester. Der Gedanke, daß der reiche Schwager darin eine Anspielung auf seine Kasse erblicken könnte, hielt sie von jeder solchen Mitteilung zurück, wie sie auch seine Einladung unter verschiedenen Vorwänden stets abzulehnen wußte. –

»Es sieht weniger großartig aus, wenn du an die Schwägerin Lavinia nach Bromberg schreibst,« hatte Baldinger zu Mile gesagt und hinter dieser Ausflucht seine Unlust, selbst zu schreiben, versteckt. Frau Amtsrat war nach dem Tode ihres Mannes dorthin gezogen.

Der Brief drückte vierzehn Tage lang als schwere Last auf Miles Herzen. Doch wie hätte sie dem Bruder eine Gefälligkeit abschlagen können? Einen Brief zu schreiben, war aber für sie keine bloße Gefälligkeit, es war eine Heldenthat, und viele Briefbogen wurden dabei verbraucht, ehe er zustande kam.

Frau Amtsrat Goldeshofen saß mit ihrer ältesten Tochter in der kleinen Wohnstube, als Tante Miles Brief eintraf. Es war für sie unmöglich, daraus klug zu werden. »Du mußt den Brief einmal durchlesen, Mariechen,« wendete sie sich an ihre Tochter, die im einfachsten, schon etwas verwaschenen Hauskleide an der Nähmaschine saß und gestickte Streifen auf ein weißes Kleidchen nähte.

Mariechens Persönlichkeit ist nicht ganz leicht zu beschreiben, denn sie gehörte zu den äußerlich unscheinbaren Menschen, die nach keiner Seite hervorstechende Eigenschaften zeigen. Häßlich? O nein, durchaus nicht häßlich; da möchte man Mariechen eher hübsch nennen. Ein hübsches Mädchen? – Nein, das wäre zu viel gesagt; hübsche Mädchen fallen den Leuten auf; Mariechen aber zog die Blicke nicht auf sich. Sie war weder groß noch klein; in ihrem Ausdruck eine ruhige Verständigkeit. Manchmal, wenn sie die jüngere Schwester anblickte, die jetzt eben ins Zimmer trat, leuchteten die kleinen Augen Mariechens voll zärtlicher Liebe; die Hände waren ausgearbeitet wie Dienstmädchenhände, aber gut geformt und zu feinen Arbeiten geschickt. Wer Mariechen länger beobachtete – vorausgesetzt, daß er zu beobachten verstand –, der würde zu dem Schlusse gekommen sein, daß man dem Mädchen gar nicht ansah, was alles in ihm steckte: ein Herz, überreich an Liebe und Aufopferung; ein klarer Verstand, gepaart mit einer Bildung, die sich aber fast scheu verbarg, und dabei ein großes musikalisches Talent. Als der Vater noch lebte, durfte Mariechen die beste Schule besuchen; er hielt ihr auch den vorzüglichsten Klavierlehrer, denn der Vater war auf sein Mariechen stolz. Aber nach seinem Tode hatten sich die Verhältnisse völlig geändert. Es waren nicht allein die beschränkten Mittel, die Mariechen zu den gröbsten Arbeiten nötigten – das entzückende junge Mädchen, das jetzt eben den Hut und die mit einem Lederriemen zusammengeschnürten Bücher ablegte, trug die Hauptschuld daran.

Fe wurde es genannt – eine Abkürzung von Fedora, und wie eine Fee sah es aus. Langes, goldblondes Haar hing ihm offen über die Schultern. Das Gesichtchen war ein wahres Engelsantlitz – rosig, lieblich, unschuldig – und diese blauen Augen! Wer konnte Fe widerstehen, wenn ihn diese Augen anblickten! Mit ihren blauen Augen und dem süßen Lächeln aber regierte die schöne Fe das ganze Haus.

Es war sonderbar, während bei Mariechen niemand nach ihrer äußern Erscheinung fragte, mußte man bei Fe immer denken: »Ach, wie reizend lächelt sie! Wie bezaubernd ist ihr Augenaufschlag! Wie anmutig bewegt sie sich!«

Mariechen hatte ihre guten, grauen Augen nicht, damit sie bewundert würden, sondern einfach, damit sie sehen konnte; das war aber ein großer Unterschied mit Fes Augen, die bewundert sein wollten.

Keinem Menschen fiel es ein, zu sagen: »Wie hübsch ist Mariechen gekleidet!« obwohl ihr Anzug einer einfachen Eleganz nicht entbehrte; doch das Kleid war nichts Besonderes, nichts, das von der Erscheinung getrennt werden konnte.

Bei der dreizehnjährigen Fe aber sagten die Leute: »Wie schön steht ihr der Hut! Wie eigen sieht sie in dem einfachen Cambrickleidchen aus! Das Mädchen mag anziehen, was es will, es ist stets entzückend!«

Und doch war's gerade Mariechen, die alle Kleider für Fe nähte, die nach der Modezeitung die Schnitte zeichnete und die die Farben zusammenstellte.

»Bist du soweit, daß ich das weiße Kleid anprobieren kann?« fragte jetzt Fe.

»Bekomme ich denn nicht erst einen Kuß?« erkundigte sich die Mama.

»Du bist wohl eifersüchtig auf mein reizendes Kleid, Mama?«

»Sieh nur, Fe, soeben habe ich einen Brief von Mile Baldinger bekommen, der Schwester deines Onkels.«

»Onkel Baldinger hat sich niemals um uns gekümmert!« rief Fe, und der süße, kleine Mund sah auf einmal trotzig aus.

»Die gute Mile muß etwas konfus sein,« meinte die Amtsrätin und setzte die Brille auf. »Vielleicht kommt ihr dahinter, was sie meint,« und sie las nun vor: »Liebe Frau Schwägerin! Weil ich in Augusts Namen schreibe, erlaube ich mir die Freiheit deshalb zu nehmen« – die beiden Mädchen lachten – »das Kind ist gut; darauf können Sie sich verlassen. Es macht keine Unbequemlichkeiten. Wenn Sie sich dran stoßen, so bleibt's doch das einzige Ihrer verstorbenen Schwester. Ich will nicht an traurigen Erinnerungen rühren. Fräulein Schönchen wird sie begleiten, nur auf eine Nacht; die übrigen vier Wochen geht sie zu den Eltern. – Entschuldigen Sie gefälligst, aber ich bin 's Briefschreiben nicht gewohnt und leide an Gedächtnisschwäche. Der Zug kommt um ein Uhr in Bromberg an; der August würde dankbar sein, wenn Sie jemand auf die Bahn schicken. Grauer Mantel, rote Blumen auf dem Hut – ich meine die Schönchen; was das Kind anziehen wird, weiß noch kein Mensch. Sie haben noch Zeit zum Antworten, was eine Beruhigung wäre, wegen der Ungewißheit. Mit verwandtschaftlicher Hochachtung.

Mile Baldinger.

 

»Ach – da habe ich vergessen, den Tag zu melden: den 15. Juli. Umstände brauchen Sie nicht zu machen. Bitte um Entschuldigung deshalb.«

»Was sind die Baldingers eigentlich für Leute?« fragte das Schulmädchen mit hochmütigem Nasenrümpfen. »Der Brief klingt ja ganz ungebildet; ich dachte, Onkel wäre ein reicher Mann.«

»Er hat sich von unten heraufgearbeitet und ist ein sehr achtenswerter Mann; das kannst du mir glauben. – Nun, was meinst du, Mariechen? Das ist doch offenbar die Ankündigung eines Besuchs?«

Mariechen lachte. »Wenn man den Brief überdenkt, kommt man zu folgendem Schlusse: Am 15. Juli, nachmittags ein Uhr, wird Fräulein Schönchen, die Erzieherin, mit Hilde Baldinger in Bromberg eintreffen und bittet abgeholt zu werden. Die Erzieherin wird nur eine Nacht bleiben und sich dann zu ihren Eltern begeben, das anspruchslose Hildchen aber soll vier Wochen im Hause der Tante zubringen. – Hab' ich's getroffen, Mama?«

Bild: Fritz Bergen

»Mile muß etwas konfus sein …«

»Ach, Kinder, was fangen wir an? Ich glaube nicht, daß die einzige Tochter eines so reichen Mannes ganz ohne Ansprüche ist.«

»Sorge dich nur nicht, Mutterchen, es wird sich alles ganz gut einrichten lassen,« versetzte Mariechen beruhigend.

»Du weißt doch am besten, Kind, wie sehr wir uns einschränken müssen!«

»Aber du darfst auch nicht vergessen, daß Hilde deine Nichte ist. Ich freue mich wirklich, das kleine Mädchen kennen zu lernen.«

»Natürlich freue ich mich auch.« – Der Frau Amtsrat liefen dabei die Thränen herunter.

»Und vielleicht ladet mich der Onkel dann auch einmal ein!« rief Fe mit leuchtenden Augen.

»Ja, darauf hin, Fe, kannst du das Feenhäuschen an Hilde abtreten,« bemerkte die Schwester und nahm ihre Arbeit wieder auf, denn das Kleid sollte zum Schulfeste fertig sein.

Fe aber machte, als an die Abtretung ihres Stübchens gemahnt wurde, ein etwas verdrießliches Gesichtchen.

Das Feenhäuschen war ihr eigenstes Reich, ein zwar nur kleiner, aber ganz entzückend ausgestatteter Raum. Alle Jahre zu Weihnachten, ebenso an Fes Geburtstag, kam etwas Neues dazu – »ein Federchen für das Nestchen«, wie Fe sagte. Hier merkte man nicht, wie ängstlich Mutter und Mariechen zu sparen genötigt waren. Die Einrichtung bestand hauptsächlich aus Bambusmöbeln, die sich so recht zu einem Jungmädchenzimmer eignen. Dazwischen eine solche Fülle von Niedlichkeiten, orientalischen Shawls, Blumen und Ausschmückungen aller Art, daß man nicht begriff, wie immer wieder etwas Neues Platz finden konnte.

Und wie von Feenhänden wurde es auch sauber und blank erhalten, ohne daß die kleine Bewohnerin selbst jemals eine Hand zu rühren brauchte. Wenn Fe aus der Schule zurückkam, dann war das hinter Vorhängen verborgene Bett schon gemacht, der Kanarienvogel badete in frischem Wasser, die Blumen hatten alle getrunken, und nirgends zeigte sich ein Stäubchen. Fröhlich guckte sich dann Fe in ihrem kleinen Reiche um, sprach ein paar Worte mit dem Vögelchen, kämmte ihr Haar, und war dann während des Mittagsmahles die Augenweide von Mutter und Schwester.

Mariechen sah immer ein bißchen erhitzt aus, und wenn sie auch die Hände nach dem Anrichten noch schnell abgewaschen hatte, so rosig und weiß, wie Fes sorgsam gepflegte Hände, konnten sie nicht aussehen, weil sie mit Küchentöpfen und der Kohlenschaufel hantiert hatte.

Mariechen aber dachte gar nicht an ihre Hände und die glühenden Wangen, wenn es nur Fe gut schmeckte. Bloß wenn diese eine spöttische Bemerkung darüber machte, fiel's ihr ein, daß sie sich wohl auch lieber fortbilden würde, als Tag für Tag Mägdearbeit zu verrichten; denn ein Dienstmädchen konnte die Amtsrätin nicht halten, nur eine Aufwartefrau.

Mutter und Schwester liebten diese Jüngste geradezu abgöttisch, darum ließen sie das Kind auch nicht merken, wie sehr sie seinetwegen sparen und darben mußten. Fe sollte nicht unter den beschränkten Verhältnissen leiden, ihr sollte es an nichts fehlen; jede Unbequemlichkeit wurde ihr aus dem Wege geräumt.

Ihren Unterricht empfing sie in dem ersten Institut, wo nur die vornehmsten und reichsten jungen Mädchen unterrichtet wurden. »Wir müssen Fe den Weg in die besten Kreise öffnen,« sagte die Mutter. »Sie paßt nun einmal unter die vornehme Welt.« Und Mariechen stimmte zu; sie stimmte selbst zu, wenn ihr die Verwöhnung der Mutter zu weit zu gehen schien. – Mutter würde am Ende denken, daß ich Fe beneide, dachte sie, und da sie Fe liebte, fiel ihr das Entsagen nicht schwer.

Während Mutter und Mariechen mit der einfachsten Kost vorlieb nahmen, wurde für Fe immer etwas Besonderes aufgetischt.

»Fe muß besonders gut ernährt werden, weil sie sich in der Schule zu sehr anstrengt,« sagte Frau Amtsrat.

Fe strengte sich nun zwar in der Schule durchaus nicht über ihre Kräfte an, doch die saftigen Beefsteaks, die süßen Eierspeisen und Kompotts ließ sie sich trotzdem schmecken.

Hatte aber Fe vielleicht einmal aus einer Zuckertüte einer ihrer Freundinnen zuviel genascht, und brachte sie dann den gewohnten Appetit nicht mit nach Hause, dann blickten sich Mutter und Schwester kopfschüttelnd an, und das Kind wurde den ganzen Tag mit Aengstlichkeit beobachtet.

Fe schien durchaus nicht einverstanden, ihr Stübchen an die Cousine abzutreten, und sogleich dachte die Mutter an einen andern Vorschlag. »Wie wär's denn, Mariechen, wenn wir unsre Schlafstube räumten? Ich schlafe auf dem Sofa hier, und für dich legen wir am Abend eine Matratze in die Küche.«

»Nein, liebe Mama, das gebe ich nicht zu,« erklärte Mariechen, von ihrer Arbeit aufblickend. »Das Sofa hier ist viel zu kurz für dich; so ein Lager kann man im Notfall eine Nacht benutzen, aber nicht vier Wochen lang.« – Von der Zumutung, in einer heißen Küche zu schlafen, in der sie, weil sie nach der Straße ging, nicht einmal ein Fenster öffnen könnte, erwähnte Mariechen nichts.

Fe saß schmollend in einem Winkelchen, nickte trotzig mit dem Köpfchen und sagte: »Ich weiß schon einen Ausweg, aber ich verrate ihn nicht.«

»Nun, Herzchen, rede doch,« bat die Mutter. »Du hast ja oft gescheite Einfälle; laß hören, was du dir in deinem klugen Köpfchen ausgedacht hast.«

»Nein, ich sage kein Wort. Mariechen will mich ja doch aus dem Feenhäuschen vertreiben.«

Schließlich aber wurde Fes Vorschlag von Mariechen erraten. »Sie will wahrscheinlich, daß wir die gute Stube als Gaststube einrichten, Mutter.«

Die »gute Stube« war eine Art Heiligtum. Ihre Reinhaltung kostete zwar viel Zeit, dafür war sie aber auch der Stolz der beiden Frauen. Alle Hände breiteten sie darüber, damit weder Sonne noch Staub den Plüschmöbeln und Vorhängen schaden konnte. Jeder Besuch wurde in der guten Stube angenommen, und sie Salon zu nennen, war Mariechen nur zu bescheiden. Hier wurden auch die kleinen Kaffee- und Theegesellschaften gegeben, und dann stand hier das Klavier, an dem Mariechen, wenn sie sich am Abend freimachen konnte, ein Stündchen spielte.

Das Klavierspiel war ihr größtes Vergnügen. Jetzt fehlte es freilich zum Ueben an Zeit, die sie Fe opfern mußte, um sie im Klavierspiel zu unterrichten. Daß Fe nicht die gehofften Fortschritte machte, lag aber nicht an der Lehrerin, sondern an der Trägheit und dem Mangel an Begabung der Schülerin.

Nicht allein die Stunde am Klavier, auch der kleine Garten, nach dem hinaus die Wohnzimmer lagen, war ein Quell der Freuden für Mariechen. Sein Umfang war sehr bescheiden, aber das fleißige Mädchen setzte seinen Stolz darein, ihn mit eignen Händen so zu halten, daß er nicht nur eine Fülle bunter Blumen hervorbrachte, sondern auch allerhand Beeren, ja selbst auf einem Beete Salat und Kohlrabi, und am Geländer Laufbohnen. Sie ließ sich auch nicht die Mühe verdrießen, an schönen Tagen für jede Mahlzeit in der Laube zu decken und das Essen hinauszutragen. Ihre größte Freude aber war es, nach gethaner Arbeit mit einem guten Buche in dem Gärtchen zu sitzen und am Lesen eines Dichters den müden Geist wieder zu erfrischen.

Die Freuden der Geselligkeit, Bälle, Theater und Konzerte hatte Mariechen nicht kennen gelernt; denn gerade in dem Zeitpunkt, wo sie in die Welt eingeführt werden sollte, starb der Vater. Mariechen aber fügte sich klaglos in die Verhältnisse; sie begnügte sich mit den stillen Freuden, die sie sich im Hause zu verschaffen wußte und durch ihre Liebe zu Mutter und Schwester doppelt genoß.

Nur bisweilen fiel es wie ein Blitz in die Seele Mariechens, daß die Liebe zu Fe sie und die Mutter blind gemacht habe, und daß am Ende in dem vergötterten Mädchen ein eigenwilliges, selbstsüchtiges und eitles Geschöpf aufwachse.

Aber dieser Gedanke war für Mariechen so unerträglich, daß sie ihn gleich wieder zu verscheuchen suchte; nur wenn die Mutter mit ihr über Fes Zukunft beriet, wollte die Sorge aus Mariechens Herz nicht immer weichen.

»Unsre Fe hat natürlich ein Recht, daß wir sie nicht der Gesellschaft entziehen, in der sie zu glänzen berufen ist,« sagte die Mutter eines Tages. »Wie sollen wir aber die Ausgaben für ein geselliges Leben und was dazu gehört bestreiten?«

»Wenn ich meine Musik nicht vernachlässigt hätte, könnte ich Unterricht geben,« versetzte Mariechen. Als aber die Mutter ruhig auf diesen Vorschlag einging, fühlte Mariechen doch, daß etwas wie Bitterkeit in ihrem Herzen aufstieg. Nicht allein, daß sie wie eine Magd gearbeitet hatte, um Fe zu erziehen, jetzt sollte sie auch noch, damit die kleine Schönheit in der Gesellschaft glänzen und eine gute Partie machen könnte, Stunden geben und Geld verdienen!

»Mutter scheint gar nicht daran zu denken, daß ich auch ein junges Mädchen bin, daß ich auch manchmal nach den Freuden, die andre Mädchen genießen, ein Verlangen trage, und daß ich mir mit meinem Talente, wenn es ausgebildet worden wäre, wohl selbst eine Stellung in der Gesellschaft hätte erringen können.« – Wenn Mariechen aber derlei Gedanken kamen, schalt sie sich und arbeitete doppelt fleißig, um sie fernzuhalten.


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