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Einundachtzigstes Kapitel.
Die Vergeltung

Mr. Cleary fand den Tag nicht Ruhe. Der Entschluß stand bei ihm fest: »Du mußt ihn retten.« Wie aber sollte er es, ohne selbst sich eines Verraths schuldig zu machen, anfangen? Durfte er es wagen, seinen Freunden einen Gefangenen zu entziehen, auf den diese einen besonderen Werth legten? – Und doch wieder mußte er sich die Frage vorlegen: »Hat denn Mr. Brown sich davon abhalten lassen, sich großmüthig gegen mich zu zeigen, als seine Freunde ihm die Anschuldigung der Verrätherei in's Antlitz schleuderten, da er von Burnside meine Freilassung forderte?«

Es dunkelte bereits, und immer noch hatte sich seine Aufregung nicht gelegt. Da klopfte es vorsichtig an die Thür. Mr. Cleary hatte angeordnet, daß ihn Niemand störe. Er drehte sich deshalb unwillig um; allein sein Unwillen legte sich, als er in das halb verschmitzt, halb gutmüthig grinsende Gesicht des Negers Scipio sah.

»Sie haben befohlen, Sir«, begann dieser.

»Scipio ist Dein Name?«. ... fragte Cleary.

»Ja wohl, Massah.«

»Wessen Eigenthum bist Du?«

»Nationaleigenthum, Massah. Ich gehörte ursprünglich Mr. Sanders – Sie wissen, dem Kriegsminister. Indessen Mr. Sanders ist ein großer Patriot und hat mich als freiwillige Gabe auf dem Altar des Vaterlandes geopfert.

»Das heißt, er hat Dich an die Regierung verschenkt?«

»Nicht an die Regierung. Massah, sondern an das Gelbefieberhospital zu Leesburg. Man schenkte dort nicht Neger hin, auf die man großen Werth legte, denn Sie wissen wohl, in Leesburg starben die Meisten am gelben Fieber. Aber die Neger blieben doch Alle am Leben. Für die Zeit nun, die das gelbe Fieber pausirt, da giebt es keine Arbeit für uns in Leesburg. Im Winter erkrankt Niemand am gelben Fieber, und für diese Zeit sind wir von der Hospitalverwaltung nach Libby vermiethet. Im Juli oder August wird's wohl wieder Arbeit geben, und da gehen wir wieder dahin.«

»Liegt Dir an Deiner Freiheit, Scipio?«

»O, Massah!« rief Scipio, plötzlich ernst werdend, »an meiner Freiheit? Mein Leben ist mir nicht so viel werth. Ich wollte, Mr. Sander's Voigt, William, hätte mich todt geschlagen, wenn ich wüßte, daß die Nigger nach dem Tode frei sind.«

»Du kannst frei werden, Scipio?«

»Was?«

»Ich selbst kaufe Dich der Hospitalverwaltung zu Leesburg ab und gebe Dir die Freiheit.«

»Massah sind sehr gütig, zu scherzen mit einem armen Nigger; aber ich bitte Sie, Massah, treiben Sie nicht grausamen Scherz. Ich ertrage Alles, ertrage Peitsche und Folter, aber ertrage nicht, daß man über mich spottet und mich beschimpft, weil ich nicht frei sein kann, wie ich es sein möchte.«

»Ich spreche im Ernste, Scipio. Ich gebe Dir die Freiheit, indessen ich verlange Von Dir einen Dienst.«

»Ich frei?« jauchzte Scipio, und sein großes Auge glänzte, sein Antlitz nahm einen Ausdruck der höchsten Freude an, und mit der seiner Race eigenthümlichen Lebendigkeit der Geberden sprang er mit den merkwürdigsten Verrenkungen seiner Glieder im Zimmer umher, warf sich auf die Erde, umfaßte Mr. Cleary's Kniee, ergriff seine Kleider und drückte sie an die Lippen, sprang wieder jubelnd auf und setzte diesen Ausbruch seiner Freude fort, bis Mr. Cleary ihn von Neuem anredete:

»Gieb Dich der frohen Hoffnung nicht zu früh hin, Scipio. Der Dienst, den ich von Dir verlange, ist kein leichter, und könnte Dir möglicher Weise das Leben kosten.«

Scipio's Freude hatte sich merkwürdiger Weise schnell gedämpft; ja, sie war fast in das Gegentheil umgeschlagen. Mit traurigem Gesichte und resignirter Miene stand er vor Mr. Cleary und sagte kleinlaut:

»Massah, Sie sind ein edler Mann; ich habe es oft gehört von ihren Niggern. Aber Scipio ist klug; Scipio kennt die Weißen,« hierbei schoß er einen schlauen Blick auf Mr. Cleary. »Scipio kennt auch die Gesetze: Ein Weißer braucht einem Nigger nicht Wort zu halten.«

»Du mißtraust mir?«

»O nein! Massah, nicht mißtrauen,« sagte er ausweichend »Sie sind ein sehr guter Herr, aber Scipio thut Nichts für ein Versprechen, das ein Weißer ihm giebt.«

»Gut, so will ich mich schriftlich verpflichten, Dich loszukaufen.«

»O!« lächelte Scipio mit listigem Blinzeln, »Massah meinen wohl, ich wüßte nicht, daß ein Weißer mit einem Nigger nicht schriftlichen Kontract machen darf? Schriftlicher Kontract hat keine Gültigkeit.«

Mr. Cleary stampfte mit dem Fuße.

»O! über diese Gesetze, die mich hindern werden, mich dem Retter meines Lebens dankbar zu zeigen. – Was verlangst Du, das ich thue?« wandte er sich dann an den Neger; »Welche Sicherheit verlangst Du dafür, daß ich mein Wort halte, sobald Du mir den Dienst erwiesen, den ich von Dir verlange?«

»Gar·keine, Massah. Scipio nimmt von einem Weißen keine Sicherheit. Scipio kennt Mr. Sanders, Mr. Thompson, Mr. Tucker, Mr. Breckenridge und alle Ihre Freunde, und thut gegen alle Ihre Freunde Nichts aus Gefälligkeit oder Vertrauen. Weiße haben die Nigger oft betrogen, immer betrogen, Weiße halten Niggern nicht Wort; aber Mr. Cleary« fügte er plötzlich mit einer gewissen Feierlichkeit in seiner Stimme hinzu, »Nigger lügen nicht, Nigger halten Wort, auch ohne schriftlichen Kontract.«

»Nun?« fragte Cleary erwartungsvoll.

»Mr. Cleary, lassen Sie uns den Vertrag umkehren. Ich kann nicht Ihnen vertrauen, aber vertrauen Sie mir. Machen Sie mich frei, und ich verspreche Ihnen, daß ich thun will, was Sie von mir verlangen.«

»O, über diese Frechheit des Schwarzen ...« fuhr Cleary auf; aber sich plötzlich besinnend, schlug er einen andern Ton an: »Ich soll Dir vertrauen, während Du mir mißtrauest?«

»Kann mir nicht helfen, Massah. Wenn Massah Cleary nicht eingehen will auf meinen Vorschlag, kann aus unsrem Geschäft nichts werden.«

»Aber welche Sicherheit habe ich, daß ich mein Geld und das Vertrauen meiner Freunde nicht umsonst weggebe?«

»Mein heiliges Wort, Massah.«

Der Neger hatte sowohl in seinen Mienen wie in seinem ganzen Auftreten etwas so Bestimmtes und Festes, daß Cleary wohl einsah, er könne auf keinem andern Wege zum Ziele kommen, als auf diesen Vorschlag des Negers einzugehen. Er setzte sich also an den Schreibtisch und schrieb. Darauf reichte er Scipio das Blatt:

»Da lies.«

Scipio nahm das Papier in die Hand und betrachtete es lächelnd.

»Genügt das?« fragte Cleary.

Scipio zuckte die Achseln.

»Mr. Sanders,« sagte er, »hält es nicht für nöthig, daß die Nigger lesen lernen. Mr. Sanders sagt: Nigger brauchen nur zu arbeiten, aber brauchen nicht in lesen; und darum, Massah, kann ich nicht lesen, was hier geschrieben steht.«

»So werde ich es Dir vorlesen,« sagte Mr. Cleary. »Es ist ein Schreiben an die Lazarethverwaltung in Leesburg, worin ich dieselbe auffordere, Dir den Freibrief auszustellen und die Kosten der Loskaufung auf mein Conto zu schreiben. Gieb her.«

»O!« rief der Schwarze; »Scipio ist klug; Scipio glaubt nicht, daß das auf dem Papier steht, was ein Weißer ihm vorlies't.«

Mit diesen Worten öffnete er die Thür, sprang hinaus und war mit dem Blatte verschwunden.

»Schurke! Spitzbube!« rief ihm Cleary nach. – »Der Hund hat mich betrogen,« fluchte er als die Verfolgung des Schwarzen von Seiten der Diener des Hotels vergeblich blieb. »Er hat mein Schreiben in Händen; er wird es an die zuständige Behörde abgeben, ist frei, und ich habe Niemanden, dem ich mich anvertrauen darf!« –

Es mochte eine Stunde vergangen sein. Cleary's Aufregung wuchs: denn konnte nicht schon in dieser Nacht der Verwundete bei der mangelhaften Behandlung, die er im Lazareth hatte, seinen Wunden erliegen, und konnte er selbst je in seinem Leben einen frohen Augenblick haben mit der Last auf dem Gewissen, an seinem Tode schuld zu sein? Und doch, was sollte er. thun?

»Es geht nicht,« sagte er, »ich mag überlegen, so viel ich will, ich finde kein Mittel, es giebt keinen Weg, Dich zu retten, Du hochherziger Jüngling. Dieser schwarze Schurke hätte es können, aber Mr. Payne hat Recht, diese Schwarzen sind nur Halbwilde Sie haben kein menschliches Gefühl, sondern nur viehische Leidenschaften in ihrer Brust.«

»Das ist nicht wahr Massah,« antwortete hier eine Stimme in flüsterndem Tone.

Cleary wandte sich um und sah in dem Dämmerlicht, das bereits im Zimmer herrschte, die Gestalt Scipio's.

»Es ist richtig mit dem Schein; Sir,« fügte Scipio hinzu. »Ich habe ihn mir von einem meiner Freunde vorlesen lassen; er lautet, so wie Sie sagten.«

»Und wo hast Du den Schein?«

»Schon abgeschickt nach Leesburg, Sir; Gleich besorgt, damit Ihnen der Handel nicht wieder leid wird. Welches ist nun der Gegendienst Massah? Sie haben mein Wort, – ich leiste denselben.«

Nach einigem Zaudern sagte Cleary:

»Zunächst habe ich Dir eine Bedingung zu stellen, nämlich, daß Du das, was ich Dir sagen werde, als tiefes Geheimniß in Deiner Brust verschließest, selbst wenn Du nicht beabsichtigst, es auszuführen, sondern Dich durch die Gefahr, die das Unternehmen bietet, davon abschrecken lässest.«

»Gefahr für mein Leben fürchte ich nicht. Die Freiheit ist mit meinem Leben nicht zu theuer bezahlt. Sprechen Sie aus, was es ist.«

»Du sahst den Mann, den Obristen von der Unionsarmee in Eurem Lazareth auf dem Stroh liegen?«

»Der, nach dessen Namen Sie fragten?«

»Derselbe. Du kennst seinen Namen?«

Scipio nickte bejahend.

»Sein Name ist Edward Brown,« sagte Mr. Cleary. »Dieser Mann muß aus dem Gefängniß befreit werden.«

»Ah!« machte Scipio.

»Willst Du es unternehmen, ihn zu retten?«

»Gewiß, Massah, ich will es unternehmen; will auch mein Leben wagen; aber ich sage, es geht nicht. Die Wache ist streng; dazu kommt, der Mann ist krank, sehr krank; stirbt vielleicht schon diese Nacht.«

»Er muß vor allen Dingen eine ganz besondere Pflege haben.«

»Die soll er haben, Massah, darüber sein Sie beruhigt.«

»Giebt es kein Mittel, ihm zur Freiheit zu helfen?«

»Hm, Massah. Wenn es eins giebt, so finde ich es, Scipio hat auch seiner Schwester zur Flucht verhelfen, und Scipio hilft gern dem Manne, in dessen Adern schwarzes Blut fließt. Aber ich glaube nicht, daß es geht.«

»Tausend Dollars erhältst Du, außer Deiner Freiheit, Scipio, wenn Du mir die Gewißheit giebst, daß er frei ist.«

»Schön, Massah; aber das Versprechen verstärkt meinen Eifer nicht. Ich habe versprochen, daß ich für meinen Freibrief Ihnen den Dienst leisten will, und diese Bezahlung habe ich ja voraus bekommen, mehr darf ich nicht verlangen. Wollen Massah mir später tausend Dollars geben, gut; wollen Massah nicht, – ich werde darum nicht nachlässiger sein.«

»Du zweifelst also an der Möglichkeit?«

Scipio überlegte eine Weile. Mit seiner Linken rieb er die Stirn und mit der Rechten schlug er seine Kniee, als ob er durch diese Manipulation einen klugen Gedanken gewaltsam aus sich herauszutreiben versuchte.

Nach einer langen Pause, während welcher Mr. Cleary in Spannung auf ein Resultat wartete, sagte Scipio:

»Es giebt ein Mittel, Massah. Ob es glückt, weiß ich nicht. Wenn es glückt, ist Scipio frei und ist Massah Brown frei; wenn es nicht glückt, ist Massah Brown des Todes und ist Scipio des Todes. Meine Hand, Massah Cleary, ich wage es!«

 

Ende des dritten Bandes.

 


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