Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtundfunfzigstes Kapitel.
Der 9. September

Mit dem Mittagszuge des 9. September trafen auf der Washington-Bahn in New-York die Männer vom Bunde des unsichtbaren Feindes zusammen.

Payne und Bob Harrold, welche, um den Ausstand zu schüren, in New-York geblieben waren, erwarteten ihre Freunde bereits auf dem Bahnhofe. Alle trugen jene Reisetaschen von schwarzem Leder.

»Seid Ihr Eurer Sache auch gewiß, daß die Revolte die gehörigen Dimensionen haben wird?« fragte Booth seinen Freund Payne, als die ersten Begrüßungen beendet waren.

»Die Revolte wird solche Dimensionen haben«, antwortete Payne, »daß New-York, ehe 24 Stunden vergehen, einem Trümmerhaufen gleich sein kann – Und Ihr –?«

»Du siehst, Robert, wir sind bereit, sofort unser Werk zu beginnen. Wir sind unserer Sechs. Da wir doch mindestens Jeder das Feuer in vier verschiedenen Hotels anzulegen im Stande sind, so wird binnen 3 bis 4 Stunden New-York an vierundzwanzig Stellen in Flammen stehen.«

»Und was weiter?«

»Man wird nach einer Stelle zur Rettung eilen, man wird bestürzt sein, wenn man in demselben Augenblick erfährt, daß noch an vielen andern Stellen Feuer ausbreche. Die Verwirrung wird grenzenlos sein. Das ist dann der rechte Augenblick, dann gebt das Zeichen zum Losbruch und stürzt mit der Meute durch die Straßen. Laßt diese irischen Hunde plündern und morden was sie wollen, nur haltet darauf, daß sie die Häuser der Anhänger des Südens verschonen, da ist z. B. der reiche Banquier Aaron Levy,·Bovery Street, da ist der Rentier Mr. Powis und andere, diese Leute dürfen keinen Cent von ihrem Eigenthum einbüßen, allein den reichen Republikanern mag man Alles nehmen, und was man nicht wegnehmen kann, das mag man vernichten.«

»Welches wird aber Dein nächstes Ziel sein? Ich meine die Aushebungs-Office.«

»Versteht sich, die Listen müssen vernichtet, das Personal getödtet, das Gebäude niedergebrannt werden; das ist von größter Wichtigkeit, denn wenn die Regierung nicht die Namen der Ausgehobenen kennt, so muß sie ihre Armee so gut wie ganz von vorn schaffen, und ehe sie das bewerkstelligt, kann Lee namhafte Vortheile errungen haben.«

»Und dann die, Bank.«

»Versteht sich, die Bank. Laßt ihnen kein baares Geld, keinen Dollar, diesen republikanischen Hunden, die das Gold mit vollen Händen wegwerfen, um die Conföderation zu vernichten.«

»Und endlich eine Razzia unter den Niggern.«

»Das hat keinen Nutzen, Robert. Ob wir da ein paar tausend Nigger todtschlagen oder nicht, dadurch gewinnt unser Bund nicht viel, schlagt lieber die einflußreichen Männer todt und die Feinde der Conföderation, damit ist unserer Sache eher gedient.«

»Nein, Wilkes, laß mich. Ich muß meine Wuth kühlen an dieser gottverdammten Race von halbwilden Ungeheuern. Ich habe an ihnen den Tod meines Vaters zu rächen. –

»Dein Vater soll aber auch den Haß der Neger durch seine harte Behandlung gerechtfertigt haben.«

»Das mag wahr sein, es ist sogar wahr, daß er sie wie Thiere behandelte, allein hatte er nicht nach göttlichen und menschlichen Gesetzen ein Recht dazu? Ich werde seinen Tod fürchterlich rächen!«

»Wie Du willst, Robert«, sagte Booth nachgebend, »nur laß uns über dem Unwesentlichen nicht das Wesentliche vergessen. Ich fürchte, diese irischen Canaillen werden an nichts als die Befriedigung ihrer Habgier denken, und uns in unseren weit wichtigeren Plänen nicht unterstützen.«

»Möglich, doch giebt es in New-York noch außerdem Pöbel genug, der sich für Geld zu Allem gebrauchen läßt. Wir haben während Eurer Abwesenheit gut genug vorgearbeitet.«

»Wohl, so laß uns jetzt ans Werk gehen, die Zeit ist da. Wer weiß, ob die Regierung nicht schon Wind bekommen und Anstalten getroffen hat, Militair zu requiriren. –«

»Was thut es, Wilkes, wir haben einen Vorsprung, und einige Stunden genügen uns, diese Stadt zu Grunde zu richten. Wenn nicht morgen schon Militair da ist, so kommt es vergebens.«

Die sechs Männer mit den schwarzen Reisetaschen trennten sich, um sich in verschiedene Stadtgegenden zu begeben.

*

Während auf dem Washington Bahnhofe diese Unterredung stattfand, zwischen jenen verbrecherischen Verschworenen des Südens, fand in der unweit davon gelegenen Washington-Street eine Scene statt, welche bewies, daß es unter den Anhängern der Parthei des Südens doch Leute gab, welche von der allgemeinen Regel eine glänzende Ausnahme bildeten.

In der Washington-Street lag das Haus des Rentiers Patrick Powis.

Es war ein schöner sonniger Tag und Mr. Powis saß auf dem Balcon, von dem Laube einiger großblättrigen Topfpalmen vor den Sonnenstrahlen geschützt, die Zeitung lesend. Neben ihm auf dem Teppich kniete ein kleiner blondhäriger Knabe, die Steine eines Baukastens aufeinander thürmend; in einiger Entfernung saß auf einem Stuhl, das Lockenköpfchen traurig auf die Brüstung stützend, ein kleines Mädchen; sie hielt eine kostbare Puppe nachlässig auf dem Schooß und schenkte einem prächtigen Bilderbuche, das vor ihr auf dem Tische lag, nicht die mindeste Aufmerksamkeit In der Thür stand eine Matrone mit freundlichem, wohlwollendem Lächeln auf ihrem wohl conservirten runden Gesicht. Mit wahrer mütterlicher Zärtlichkeit schaute sie dem Spiele des kleinen Buben zu, welcher ihr von Zeit zu Zeit erklärte, was seine Bauwerke vorstellen sollten.

»Das ist hier die City-Hall,« sagte er, »Du weißt doch, Tante, das große, große Haus, wo immer die bösen Leute hingebracht werden. – Und dies hier ist unser Haus, das ist die Thür und da steht die liebe Tante« – er stellte an die Stelle, wo sich seine Phantasie die Thür ausmalte, ein Bauklötzchen aufrecht hin – »und hier ist eine Bank, da muß Mary's Puppe sitzen ... Mary, bring doch mal Deine Puppe her – Mary, hörst Du nicht?«

Das kleine Mädchen schien in der That so in Gedanken versunken, daß sie ihn erst nach mehrmaligem Rufen hörte; an seinem Spiel aber Theil zu nehmen, dazu machte sie keine Anstalten.

In ihren Augen glänzten Thränen.

Mrs. Powis, denn keine andere war die freundliche Dame, welche in der Thür stand, ging auf sie zu und nahm zärtlich ihr Köpfchen in ihren Arm.

»Du weinst, meine liebe Mary? – Will es Dir denn gar nicht hier gefallen?«

Das Kind umschloß schluchzend ihren Hals.

»Ach, liebe Taute, Du bist so gut, aber ...«

»Nun, Kind? Hast Du einen Wunsch, möchtest Du ein anderes Spielzeug haben? eine größere Puppe, oder einen hübschen Wagen für die Puppe. Sprich nur, Du sollst Alles haben.«

»Nichts, nichts Tante! – Du giebst uns so viel Spielsachen und so viel schöne Kleider, aber doch muß ich alle Tage weinen, und kann mich nicht über die schönen Sachen freuen.«

»Und Du hast mich nicht lieb?«

»Sehr lieb, Tante, aber ich muß immer an meine Mutter denken, die die Leute in das finstere Gefängniß gebracht haben, und an den Vater – ach, Mutter, Mutter! –«

Von Neuem brach sie in Schluchzen aus und konnte kein Wort mehr hervorbringen.

»Sei ruhig«, tröstete sie Mrs. Powis, »weine nicht mehr, Du herziges Kind, Deine Mutter wird wiederkommen, und man wird einsehen, daß man ihr Unrecht gethan hat, und dann wirst Du Dich nie wieder von Deiner Mutter zu trennen brauchen. Bis dahin aber will ich Dir die zärtlichste Mutter sein.«

Mr. Powis war so sehr in seine Lectüre vertieft, daß er von dieser Unterredung kein Wort gehört hatte. Es mußte ein interessanter Artikel sein, der ihn fesselte, denn er begleitete seine Lectüre mit dem lebhaftesten Mienenspiel und endlich sogar mit laut gesprochenen Worten.

»Das ist ein braver Kerl!« rief er, »und wenn er auch zu den Feinden der Conföderation gehört, so muß ich ihm doch nachsagen, er ist ein Held. – Wie war doch sein Name? –«

Er fuhr noch einmal mit dem Finger die Spalten entlang, um den Namen, welchen er übersehen, zu suchen. Plötzlich aber sprang er auf und rief seiner Frau zu:

»Hetty, kannst Du Dir's denken? – Oh, wie wird sie sich freuen, das zu hören!«

»Wer, Patrickn?« sagte seine Frau.

»Nun Esther, natürlich Esther, wo ist sie?«

»Sie hilft eben das Mittagsessen anrichten, das gute Wesen. Ach Gott, Patrick, sie ist immer so traurig, ich fürchte, sie hat tiefen Kummer.«

»Natürlich hat sie den, ich habe gesehen, welche Demüthigung sie sich in City Hall gefallen lassen mußte an dem Tage, als ich sie in unser Hans brachte, während der Verhandlung gegen M'Clellan. Natürlich betrübt sie das, und ein Mädchen von ihrem Gemüth wird so etwas nicht so leicht vergessen können; aber um so froher bin ich, ihr eine Mittheilung machen zu können, über welche sie sich freuen wird.«

»Was ist es denn?«

»Rufe sie, Hetty, dann sollst Du es ebenfalls erfahren.«

Mrs. Powis entfernte sich und kehrte nach einigen Minuten mit Miß Esther Brown auf den Balcon zurück.

Die junge Quadroone sah zwar immer noch schön aber schwermüthig aus, und ihr Antlitz verrieth deutlich, daß sie einen tiefen Gram in ihrem Herzen verschließe.

»Miß Brown«, redete Mr. Powis sie an; »Ich habe Nachricht von Ihrem Bruder.«

»Von meinem Bruder?« wiederholte Esther und ihre Züge hellten sich plötzlich auf.

»Ja wohl, von Ihrem Bruder«, fuhr Mr. Powis fort, »Sie s sagten doch, daß Sie einen Bruder Namens Edward hätten, der in Kentucky an dem Niggeraufstand theilnahm.«

»Allerdings, Sir. Was wissen Sie von ihm? Gott, ich bebe!«

»Fürchten Sie nichts für ihn; er ist sicher im Lager der Unionsarmee angekommen und dient jetzt unter Burnside.«

»Gott sei gepriesen!«

. »Ach, das ist noch nicht Alles, Ihr Bruder ist nicht nur ein feuriger Freiheitskämpfer, er ist ein Held. Er allein hat die Schlacht bei Reynoldsburg gewonnen und ohne ihn war Burnside und sein ganzes Corps verloren, da lesen Sie diesen Artikel. Sie können mit Recht stolz auf ihn sein, Miß Brown.«

Esther griff mit zitternden Händen nach der Zeitung und durchflog den Artikel.

Mr. und Mrs. Powis betrachteten sie mit herzlicher Theilnahme.

»Das liebe Mädchen«, flüsterte die Letztere »Wenn wir es doch nur erreichen könnten, daß ihr Herz froher gestimmt würde. Sieh Patrick wir haben das Unglück, daß alle unsere Gäste nicht frohen Herzens sein können. Die kleine Mary weint um ihre Mutter, der kleine Charles wirft die Bausteine über den Haufen, wenn ihn etwas an seinen Vater erinnert, und Esther ist von einem Schmerze bedrückt, der sie noch aufreiben wird, wenn sie ihn nicht mittheilt.

»Ah, was Esther betrifft,« meinte Mr. Powis, »so glaube ich, daß diese Nachricht von ihrem Bruder sie wohl froh machen wird, und die Kinder ...«

Das Rollen eines Wagens, welcher die Straße herabkam und vor der Thür seines Hauses hielt, übertönte seine letzten Worte.

»Wer kann das sein?« rief Mrs. Powis. – »Ein Besuch zu so ungewöhnlicher Tageszeit?«

Sie sollte nicht« lange in Ungewißheit über den Besuch bleiben, denn eben öffnete eine Dienerin die Thür:

»Eine Dame wünscht ...«

Sie konnte aber nicht sagen, was die Dame wünschte, und brauchte es auch nicht, denn in demselben Moment ward die Thür aufgerissen, und mit dem Rufe:

»Meine Kinder, meine Kinder!« stürzte die Dame ins Zimmer.

Hätten Mr. und Mrs. Powis die Dame in ihrem Leben nicht gesehen, sie würden dennoch gewußt haben, wer sie sei, denn kaum hatten die auf dem Balcon spielenden Kinder den Klang dieser Stimme vernommen, als sie alle Spielsachen weit von sich warfen und ins Zimmer stürzten:

»Mutter, Mutter!« riefen sie und warfen sich in ihre Arme.

Mrs. Powel preßte sie an's Herz, als wollte sie sie erdrücken, und ihre Thränen benetzten die Wangen der Kleinen. Kein Wort vermochte sie zu sprechen. Stumm hielt sie ihre Kinder in den Armen, als fürchtete sie, man möchte sie ihr wieder rauben. Wie im Irrsinn blickte sie umher, ob irgend ein Feind in der Nähe sei, der ihr diese seligen Minuten zu entreißen drohte.

Da fielen ihre Blicke auf Powis, der seine Augen trocknend, sich abwandte, und auf Mrs. Powis, welche in der Glückseligkeit ihres mitfühlenden Herzens bald lachte, bald weinte, bald ihren Mann, bald Esther umschlang. Der Anblick dieser befreundeten Seelen rief sie zum Bewußtsein zurück.

Sie stürzte auf Mr. Powis zu und drückte seine Hand in der ihrigen und auf Mrs. Powis, welche sie mit offnen Armen empfing und laut zu weinen begann, und nur einzelne Ausrufe hervorzubringen vermochte:

»O, gütiger Gott! – O, Sie arme Seele! – Gott sei gelobt und gepriesen, daß Sie wieder frei sind! – Siehst Du Patrick, ich sagte wohl, daß Mrs. Powel nicht lange würde dableiben müssen. – Ach Gott, welche Sünde, zu glauben daß Sie ein Unrecht begangen hätten! – O, Sie liebe Seele.«

In solchen Ausdrücken machte sich das Herz der guten Frau Luft, und ihr Mann accompagnirte nach besten Kräften. Er schob Mrs. Powel einen Sessel hin und zog sie fast gewaltsam darauf nieder, und bat sie ruhig zu sein und schüttelte ihr zum hundertsten Mal die Hand und betheuerte ihr, daß er ihr bester Freund sei.

Der kleine Charles aber gab dieser Scene stummer Glückseligkeit, und diesen abgebrochenen Sätzen durch die Frage ein bestimmtes Ziel:

»Warum weinst du, Mama? – Sieh einmal, der Onkel und die Tante sind so gut. Sie werden Dich hier behalten und Dich nicht wieder fortgehen lassen, und dann werde ich Dir meinen Baukasten und mein Pferd zeigen, und Mary hat ein so schönes Bilderbuch, ach es wird Dir hier bei der lieben Tante so gut gefallen! – nicht wahr, Du gehst doch nicht wieder fort?«

Mrs. Powel schloß dem kleinen Schwätzer mit Küssen den Mund, dem alten Herrn aber hatte diese Aeußerung des Kindes dieselbe Frage in den Mund gelegt.

Es währte indessen lange, bevor Mrs. Powel sich so weit sammeln konnte, um die Geschichte ihrer Freilassung zu erzählen.

Mr. Powis bemühte sich, ihr durch Fragen zu Hülfe zukommen und begann deshalb:

»Man hat also Ihre Unschuld erkannt, und den wahren Ueberbringer jenes Briefes aufgefunden?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Nein,« sagte sie traurig. »Nicht weil meine Unschuld anerkannt ist, bin ich frei, ich danke dies Glück einem Zufall, der mir noch heute unerklärlich ist.«

»Einem Zufall?« wiederholte Mr. Powis.

»So muß ich es nennen,« fuhr sie fort. »Ein Advokat, der mir völlig unbekannt ist, und dem auch ich, wie es scheint, völlig unbekannt bin, zahlte für mich eine Caution von fünftausend Dollars; auf diese Caution hin hat man mich freigelassen.«

»In wessen Auftrage zahlte er das Geld?«

»Wie er sagt im Auftrage Mr. Slowson's, des Directors der Westindischen Handelscompagnie in Boston.«

»Wunderbar! Wie kommt er zu dem Gelde? Und noch wunderbarer – wie kommt es, daß man Sie jetzt gegen Caution freiläßt, da man es mir doch abschlug, als ich mich zur Stellung der Caution bereit erklärte?«

»Er hat, wie er sagt, von Mr. Slowson 10.000 Dollars erhalten. Davon hat er 5000 als Caution gezahlt, 2500 mir eingehändigt zu meinem Unterhalt und 2500 behalten, um mit aller Energie den Proceß meines Mannes noch einmal aufzunehmen und die Mittel zu haben, sich Beweise für seine Unschuld zu verschaffen. – Daß man mich auf die Caution hin freiläßt, sagte er, das dankte ich dem Verdienste, das sich einer meiner Verwandten um die Republik erworben habe.« – –

Esther hatte Zartgefühl genug, diesem Gespräch nicht als Zeugin beizuwohnen. Sie war wieder auf den Balcon hinausgetreten und blickte nachdenkend über die Balustrade hinaus, und da Mrs. Powel sich jetzt von Neuem der Freude des Wiedersehens ihrer Kinder hingab, so hielt auch Powis seine Gegenwart für überflüssig und trat ebenfalls hinaus und stellte sich neben das schöne Mädchen.

»Nicht wahr,« hob er an, »der Artikel in der Zeitung hat Sie froher gemacht, Ihr Herz wenigstens von einem großen Theil seines Kummers befreit?«

Esther nickte langsam mit dem Kopfe.

Mr. Powis bemerkte zu seiner Betrübniß, daß die frohe Nachricht nicht ganz die gute Wirkung gehabt habe, die er sich versprochen hatte. Er fuhr deshalb, väterlich freundlich ihre Hand ergreifend, in theilnehmendem Tone fort:

»Sie sollten uns ihr Herz aufschließen, Miß Brown. Wenn Sie meine Frau und mich kennen würden, so würden Sie überzeugt sein, in uns die theilnehmendsten Freunde zu finden. – Sie sind all' den Gefahren, welchen Sie bisher ausgesetzt waren, glücklich entronnen. Hier in dieser Stadt, in diesem Hause sind Sie vor jeder ferneren Gefahr sicher, keiner Ihrer Verfolger ...«

Esther zuckte zusammen und prallte mit einem unterdrückten Schrei von dem Geländer zurück.

»Was ist Ihnen?« fragte Mr. Powis besorgt.

Stumm und erbleichend deutete sie auf die Straße hinab.

Mr. Powis folgte dieser Bewegung mit den Augen, dort ging eben ein Mann vorüber, welcher eine Reisetasche von schwarzem Leder in der Hand trug und mit eigenthümlichem Lachen hinauf küßte.

»Dieser Mann ist für Sie ein Gegenstand des Schreckens?« fragte Mr. Powis die junge Dame.

»Er ist mein größter Feind. Er ist ein Scheusal und seine Nähe bedeutet Unheil!« keuchte sie. Dann fügte sie hinzu: »Er grüßte Sie, kennen Sie ihn?«

»Versteht sich, es ist Mr. Atzerott der Agent der Demokraten im Norden.«

Esther nickte. Sie antwortete nicht, sondern folgte dem Mann mit den Augen. Er trat in das in der Nachbarschaft gelegene Staaten-Hotel.

»Er scheint eben von der Reise zu kommen,« meinte Mr. Powis.

»Es ist gut, daß er da ist. Ich werde dem Advokaten der Mrs. Powel sagen, daß er auf ihn besonders sein Augenmerk richtet.«

»Thun Sie das, Sir,« flüsterte Esther. »Denn ich sage Ihnen, wenn hier irgendwo ein Unheil geschieht, so ist seine Hand dabei im Spiele.«

»Sie haben ganz Recht, das Schlimmste von ihm zu denken,« versetzte Mr. Powis.« Ich bin jetzt auch mißtrauisch gegen ihn geworden; obwohl er von meiner Parthei ist, halte ich ihn für einen Schurken.«

»Das ist er, sein Sie überzeugt,« sagte Esther.

»So war er es, wie es scheint, der den Kummer über Sie brachte, welcher Sie so bedrückt?«

Esther schüttelte schwermüthig den Kopf.

»Sein Sie aufrichtig, Miß Brown. Sie vertrauen mir sicherlich nur aus dem Grunde nicht, weil ich der demokratischen Parthei angehöre, und weil Sie Ursache haben, von den Anhängern dieser Parthei nur übel zu denken. Aber lassen Sie das nicht den Grund sein, uns Ihr Herz zu verschließen, mein Herz geht seinen Weg für sich, und mein Gefühl für meine Nebenmenschen hat nichts mit dem Interesse der Politik gemein.«

»So wahr Gott lebt, Mr. Powis,« rief Esther fast mit Begeisterung, »ich mißtraue Ihnen nicht, und am wenigsten aus solchem Grunde, hätte ich im Süden unter den Leuten Ihrer Partei nur einen Mann getroffen wie Sie, ich hätte mich gescheut, den Schwur der Rache zu leisten! – Ich schätze Sie, wie keinen, und liebe Sie wie – wie ich jetzt keinen mehr liebe!«

Sie unterbrach sich plötzlich, denn in diesem Augenblick trat Atzerott wieder aus dem Staaten-Hotel heraus und ging quer über die Straße in das Hotel de France.

»Es wird ihm dort nicht gefallen haben,« meinte Powis, oder es war dort besetzt, oder ...«

»Feuer! – Feuer!« rief es von der Straße herauf. Erst riefen einzelne Stimmen, bald stießen Hunderte den Schreckensruf aus.

»Wo brennt es?« fragte Powis bestürzt vom Balcon herab.

»Im Staaten-Hotel!« erhielt er zur Antwort.

»Dann ist Atzerott der Brandstifter,« rief Esther.

Mr. Powis wollte gegen diese Behauptung etwas einwenden, als Esther wieder auf die Straße deutete.

»Sehen Sie dort – Atzerott verläßt auch das Hotel de France. Es sollte mich nicht wundern, wenn es auch da brennte.«

»Feuer! Feuer!« erscholl es wieder hundertstimmig von der Straße herauf.

Feuerspritzen rollten herbei, der Brand und das Getöse wuchsen von Minute zu Minute. Immer neue Massen des Volkes kamen heran.

»Wo brennt es?« fragten sie.

»Im Staaten-Hotel!« antworteten Einige.

»Nein, im Hotel de France!« antworteten Andere.

»Es brennt in beiden Hotels!« riefen wieder Andere.

»Warum kommen keine Löschmannschaften? – Ist schon telegraphirt? – Da, schon die ganzen Gebäude stehen in Brand!«

»Das Feuer ist angelegt!« rief Einer, der aus dem Staaten-Hotel heraus kam, »man fand die Betten eines Zimmers mit Benzinöl übergossen und brennenden Phosphor darin.«

»Gerade so ist's im Hotel de France auch gewesen!« antwortete Einer, der dort beim Retten behülflich war. »Es muß von dem Gast, der mit der schwarzen Reisetasche kam, angelegt sein!«

»Weshalb kommen nicht mehr Löschmannschaften?« rief man wieder von mehreren Seiten.

Da kam athemlos Einer herzugerannt.

»Ich war dort in der Feuerwache. Die Spritzen sind wo anders beschäftigt. – In der Fifth-Avenue-Street brennen drei Hotels.«

»Und in Broadway zwei, und in Fulham-Street eins!« berichteten Andere.

Da kam eine Polizei-Patrouille die Straße herauf.

»In Eure Häuser, Bürger. Schließt die Thüren. – New-York brennt an vierzehn Stellen, und der Pöbel stürmt von den Five points und von Castle Garden aus mordend und plündernd durch die Straßen. – Bleibt in Euren Häusern, bis es uns gelungen, die Banden zu überwältigen!«

Noch ehe dieser Aufforderung von allen Anwesenden hatte Folge geleistet werden können, hörte man bereits die räuberische Rotte brüllend sich nähern:

»Nieder mit den Niggern! – Nieder mit den Yankees! – Brennt ihre Häuser nieder und vertheilt ihre Dollar's!«

Esther, welche noch immer mit Mr. Powis vom Balcon herabblickte, erbleichte.

»Die Junker des Südens peitschen die Nigger zu Tode, der Pöbel des Nordens ermordet sie,« murmelte sie. – Nirgend, nirgend eine Zuflucht! – Ich bin verloren!«


 << zurück weiter >>