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Neunundsechzigstes Kapitel.
Esther's Erzählung

Trauriger und kummervoller als je saß Miß Emmy Brown, die reiche Erbin, in den Polstern des Divans in ihrem Boudoir. Auf einem Schemel zu ihren Füßen hatte die Mulattin Margot Platz genommen und blickte mit ihren großen Augen theilnahmevoll zu ihrer Herrin hinaus. Ihre Lippen waren geöffnet, gleichsam als erwarte sie nur einen Wink ihrer Gebieterin, um sie zu dem herzlichen Trostworte, welches sie zu spenden wünschte, in Bewegung zu setzen.

Miß Emmy war in ihrem Schmerze schöner als sie es vielleicht in den Tagen des Glücks gewesen war. Der lange Kummer hatte ihr Gesicht gebleicht, aber diese Blässe, vereint mit dem sanften Feuer ihrer Augen, gaben ihr den göttlichen Hauch einer Heiligen, und was sie an der frischen Blüthe der Jugend einbüßte, ward ihr hundertfach ersetzt durch den ätherischen Duft, durch den himmlischen Zauber, welchen das Seelenleiden über ihre holden Züge gebreitet hatte.

Stundenlang saß Emmy sprachlos, und stundenlang harrte geduldig die treue Margot ihres Winkes.

Eine Dienerin erschien und servirte Chocolade und etwas Gebäck. Das veranlaßte endlich die schöne Trauernde, ihre bleichen Lippen zu öffnen.

»Margot,« sagte sie, als die Dienerin sich entfernt hatte, »trage Alles wieder hinaus; ich habe heute keinen Appetit.«

»Oh, Herrin,« flehte Margot; »geben Sie sich ihrem Kummer doch nicht allzusehr hin. Monate und Monate dauert das jetzt nun schon, und es wird nicht anders, es wird immer schlimmer mit Ihnen, Sie werden sich abhärmen und abgrämen, bis Sie zuletzt in's Grab sinken; o mein Gott was soll daraus werden!«

»Ich wollte, ich wäre schon im Grabe!« versetzte Emmy. »Der Tod wäre mir die süßeste Erlösung aus meinem Kummer.«

»Ach wenn Mr. Seward es wüßte, wie Sie sich bekümmern um ihn; und wie Sie vor Herzeleid zusehends hinsiechen, er würde mitten durch unsere Armee sich den Weg bahnen, um zu Ihnen zu kommen und Sie zu trösten, und Ihnen zu sagen, daß er nie aufhören wird, Sie zu lieben.«

»Daß er mich liebt, Margot, das hat er mir ja in hundert Briefen geschrieben, aber das ist es ja, was mir das Herz bricht. Wenn er mich vergessen hätte, vielleicht, daß ich dann auch aufhören könnte, ihn zu lieben; so aber wird die Wunde meines Herzens durch seine Briefe, die ich fast mit jeder Post erhalte, immer von Neuem ausgerissen und wird bluten, bis ich daran sterbe.«

»Oh, theuerste Herrin sprechen Sie nicht so – Was soll ich sagen, um Sie zu trösten? – Wäre nur Mr. Seward hier ...«

»Nein, wünsche das nicht, Margot; nein, nie darf er mich wiedersehen!«

»Und warum nicht, Miß?«

»Weil ich einen Andern heirathen muß.«

»Muß? – Müssen Sie Mr. Berckley heirathen, wegen des Scheines, den Sie unterschrieben haben?«

»Es bleibt kein anderer Ausweg«

»Aber Mr. Berckley scheint das Project ganz aufgegeben zu haben. Schon seit sieben Monaten ist er aus der Gefangenschaft frei und hier in Richmond; aber hat er Ihnen eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt? – Nein, er hat Sie, wo er mit Ihnen zusammen kam, nur flüchtig begrüßt. Wenn ihm und Ihrem Vormunde noch so sehr an dieser Heirath läge wie früher, so hätten sie beide schon längst die Sache betrieben.«

Emmy schwieg eine Weile in ruhigem Nachdenken und hob das Haupt, das sie in die Hand gestützt, ein wenig empor, als ob sie sich durch die Worte ihrer Dienerin erleichtert fühlte, allein bald ließ sie schwer seufzend das Haupt wieder sinken, indem sie fast flüsternd sagte:

»Es ist nicht allein wegen des Scheines. – Ich müßte einen Andern heirathen, auch wenn der Schein nicht existirte!«

»Wie?« rief Margot befremdet, »Sie lieben also Mr. Frederick nicht?«

Emmy antwortete nur durch ein Aufschlagen ihres verklärten Auges, wobei sie ihre Hand aufs Herz drückte.

»Was sage ich?« fuhr Margot fort. »Ich weiß, daß Sie ihn lieben, aber warum wollen Sie ihn nicht heirathen, noch dazu wenn Berckley verzichtet?«

»Margot, Da weißt, auch Esther liebt ihn!«

»Miß Esther aber wird aus Liebe zu Ihnen ihm gewiß gern entsagen.«

»Das wird sie, ja, das hat sie sogar gethan. Aber Esther ist ohnehin unglücklich genug, sie soll nicht durch mich noch mehr zu leiden haben, als sie schon gelitten hat. Sie wird Frederic nie besitzen wollen, so lange sie weiß, daß ich frei bin, wenn ich aber einem Andern meine Hand gereicht habe, dann wird sie die Seine werden!«

»Das wird sie nie, so wahr ein Gott im Himmel lebt!« rief hier plötzlich eine volltönende weibliche Stimme.

Emmy stieß vor Ueberraschung einen Schrei aus, als sie sich aber nach der Thür umwandte, von welcher her die Stimme kam, da verwandelte sich der Schrei der Ueberraschung in einen Ausruf der Freude.

»Esther, theure Freundin! Gelobt sei Gott, der Dich wieder zu mir führte!« rief sie aufspringend und die Freundin in ihre Arme schließend.

Thränen der Freude flossen über die blassen Wangen des schönen Mädchens, und auch in den dunklen Wimpern der Quadroone zitterte eine Perle.

Lange fanden die Freundinnen nicht Worte, den Gefühlen ihres Herzens Ausdruck zu geben. Esther faßte sich zuerst, indem sie die Schwester zu sich auf den Divan niederzog, die Arme um ihren Hals schlang und ihr Haupt zu sich heran an ihren Busen zog, begann sie in sanftem Tone:

»Emmy, die Sorge um Dein Glück führt mich zu Dir zurück!«

»Der Sorge um mein Glück setzest Du die Sorge um Deine Sicherheit nach!« unterbrach sie Emmy. »Mein Gott, jetzt erst fällt es mir ein, welcher Gefahr Du Dich aussetzest, daß Du nach Richmond zurückgekehrt bist. O, daß mir die Freude des Wiedersehens durch die Angst um Deine Sicherheit verkümmert werden muß.«

»Sei meinetwegen ohne Sorge, Emmy. Du weißt ja, daß ich eine Freigelassene bin. Ich kann also reisen, wohin es mir beliebt.«

»Aber man verfolgt Dich hier, weil man Dich fürchtet. O, traue diesem Breckenridge nicht, er wird Dich fangen und einkerkern lassen. – Ach, so sehr ich mich auch freue, Dich, theure Freundin bei mir zu haben, an Deinem Herzen meinen Kummer ausweinen zu können, so wünschte ich doch lieber, Du wärest im Norden geblieben und hättest Dich nicht wieder nach dem Süden gewagt.«

»Ich wäre im Norden geblieben, Emmy, obwohl ich dort mehr gelitten habe, als mir je hier mitten unter den Sclavenhaltern begegnet ist, aber Deinetwegen. ...«

»Wie? Du hattest dort zu leiden?« unterbrach sie Emmy. »Was ist Dir geschehen? sprich, Theure. Mein Gott ja, ich sehe es Dir an, Du blickst düsterer als je; wie ist es möglich, daß man Dir im Lande der Freiheit übel begegnen konnte? Sprich, Esther, erzähle mir –«

»Von mir ein ander Mal, Emmy; laß uns jetzt von Dir sprechen und von Deiner Zukunft.«

»Nein, nein, laß das; daran änderst Du nichts. Ich werde nichts eher hören, als bis Du mir Alles, Alles erzählt hast.«

»Aber Emmy, wozu das? Was ich gelitten habe, das ist überstanden, während Du im Begriff bist, einer Zeit der Leiden entgegen zu gehen, welche sich noch abwenden lassen, wenn Du dem Rath der besten Freundin folgst. Mr. Berckley. ...«

»Kein Wort mehr von Mr. Berckley, bevor Du mir Deine Geschichte erzählt hast. Esther; ich bestehe nun einmal darauf. Wie könnte ich Lust haben, irgend etwas Anderes zu hören und zu deuten, bevor ich nicht den Kummer der Freundin kenne? – Erzähle erst, hernach magst Du über meine Angelegenheiten sprechen.«

»Nun, da Du es willst,« versetzte Esther, »so muß ich Dir schon willfahren Höre also die Geschichte meiner Leiden.«

Sie begann damit, zu berichten, wie sie sich gleich tief im Herzen verletzt gefühlt habe, daß selbst in den Staaten, welche schon vor einem Jahre die Sclaverei aufhoben, im Lande der höchsten Freiheit, der Fluch nicht ausgelöscht sei, welcher auf den Abkömmlingen der Schwarzen laste. Wie ein Messerstich habe es ihr Herz verwundet, daß man ihr Zeugnis gegen M'Clellan zurückwies aus keinem andern Grunde, als weil sie von Negern abstamme. Sie erzählte dann, daß es ihr ein Balsam auf diese Wunde gewesen sei, als ein Bürger sich ihrer angenommen und sie wie Seinesgleichen behandelt habe, dieser Bürger aber sei grade ein Anhänger des Südens gewesen.

»Es ist ein Glück,« sagte sie, »daß dieser unheilvolle Krieg nicht schon jetzt beendet ist, die befreiten Neger würden sich unter dem Schutz der freien Republik kaum glücklicher fühlen, als unter der Peitsche ihrer bisherigen Tyrannen Diese zerfleischten allerdings den Körper, aber das Vorurtheil, das noch bis heute in der Union herrscht, das verletzt und mordet das Gefühl der Neger. Der wahre Friede und das Glück wird nicht wiederkehren, bis nicht die letzte Spur dieses unseligen Vorurtheils ausgerottet ist; und alsdann erst wird die Union den stolzen Namen eitler Republik zu einer Wahrheit machen.«

Sie fuhr dann fort zu berichten, was ihr während der Pöbel-Emeute in New-York widerfahren sei. Wie sie von zwei Buben, deren Einen sie persönlich kenne, ergriffen und in das Haus einer Kupplerin geschleppt sei; wie man sie dort gebunden und geknebelt habe, ehe sie Zeit gehabt, sich durch einen Dolchstoß in die eigene Brust ihrer Gewalt zu entziehen.

»Viele Stunden lag ich dort auf einem Canapé, zu welchem Zwecke, das ist mir bis heute unbekannt. Ich glaubte damals sicherlich, daß man mich ermorden wolle, und begreife bis jetzt noch nicht, weshalb man mich leben ließ, ja ich begreife nicht einmal, welchem Umstande ich meine Befreiung zu danken habe, oder vielmehr, welches die Beweggründe der Person waren, die sich für mich verwandte.«

»Erzähle,« bat Emmy, »Du spannst mich auf?s Aeußerste. Wie wurdest Du aus der fürchterlichen Lage befreit?«

»Wie ich Dir schon sagte,« fuhr Esther fort, »lag ich gefesselt, daß ich kaum ein Glied zu rühren vermochte und geknebelt, daß ich fast dem Ersticken nahe war, in einem Zimmer im Hause jener Kupplerin. Stunde auf Stunde verrann, Niemand ließ sich bei mir sehen, der mich befreite oder meinem Leben ein Ende machte. Die Qualen vermehrten sich von Minute zu Minute. Tausendmal flehte ich zum Himmel, diesen Qualen durch den Tod ein Ende zu machen, aber mein Gebet ward nicht erhört und meine Kräfte trotzten der Folter. Vom Nachmittage an bis tief in die Nacht lag ich da, ohne auch nur einen Laut vernommen zu haben, in der furchtbaren Ungewißheit, was mit mir geschehen werde, und über die Folterqualen meiner gefesselten Glieder ächzend.«

»Entsetzlich!«

»Erst lange nach Mitternacht vernahm ich einen Laut. Ein Mann sprach mit der Kupplerin. Sie sprachen so leise, daß ich von dem, was sie sprachen, nichts zu verstehen vermochte. Nach einer geraumen Zeit öffnete sich die Thür des Zimmers, in welchem ich lag. Ich raffte noch einmal meine Kräfte zusammen, um die Fesseln zu zersprengen, und nicht widerstandslos zu sterben, denn ich glaubte, daß jetzt meine letzte Stunde geschlagen habe. Die Kupplerin mit einem Manne trat ein.

»Gott, ich bebe!«

»Der Mann war Keiner von denen, welche mich hierher gebracht hatten, ich hatte ihn nie gesehen. Sie trugen Beide eine Kiste, welche sie hinter einen Vorhang stellten. Es war diesmal nicht auf mich abgesehen!«

»Gott sei gelobt!'· rief Emmy mit einem Seufzer der Erleichterung. »O, wie mein Herz pocht, fahre fort, Schwester; ich zittere, das Ende zu hören.«

»Beide verließen das Zimmer wieder, ohne mehr als einen gleichgültigen Blick auf mich geworfen zu haben. Inzwischen hatte sich ein Klopfen an der Hausthür hören lassen, und Mrs. Gamp, so hieß die Kupplerin, öffnete. Es war ein Mann, welchen sie einließ. Jetzt wurde das Gespräch so laut geführt, daß ich den Inhalt im Ganzen zu verstehen vermochte. Die Stimme des zuletzt Angekommenen schien mir bekannt, schien Einem von meinen Peinigern anzugehören Er wollte hinein in das Zimmer, in welchem ich mich befand, der Andere aber verweigerte ihm den Eintritt. Es gab einen heftigen Wortwechsel, dessen Resultat war, daß der Erstgekommene versprach, mich meinen Feinden auszuliefern.«

»Wie wird das enden! Gütiger Himmel, Schwester, was mußt Du gelitten haben!«

»Den Tod, Emmy, fürchtete ich nicht; ich hatte ihn mir ja oft herbei gewünscht, denn was soll mir das Leben? Ungeliebt von dem, für welchen ich den letzten Tropfen Blut vergießen würde, und verachtet von allen Menschen, was kann ich da für mein Leben hoffen?«

»Esther!« rief Emmy im Tone des Vorwurfs; »wie kannst Du nur so ungerecht sein, daß Du sagst, Du seist von Allen verachtet.«

»Ich that Unrecht daran!« versetzte Esther, die Freundin fester an ihre Brust pressend; »Du, Du verachtest mich nicht, Du liebst mich, und um Deinetwillen will ich leben.«

»Nicht bloß um meinetwillen, Esther, Dir blüht sicherlich noch ein schöner Paradies, als ich je zu erreichen hoffen darf. Doch fahre fort, wie entgingst Du dem Geschick, in die Hände Deiner Peiniger ausgeliefert zu werden?«

»Als meine Angst den Gipfel erreicht hatte, als ich jede Minute erwarten mußte, daß sich die Thür öffnen würde, und daß Einer von jenen Bösewichtern einträte, da pocht es mit starken Schlägen an den Laden eines Fensters. Mrs. Gamps mit ihren beiden Gästen blickte zum Fenster der Küche hinaus und ich hörte die Letzteren den Namen »Wilkes Booth« aussprechen.«

»Der Schauspieler, welcher hier zuletzt als Brutus auftrat, und sich in dieser Rolle mit Lorbeeren bedeckte?«

»Derselbe; er spielt jetzt den Brutus nicht mehr auf den Brettern, welche die Welt bedeuten, sondern in dem Weltdrama selber. Dieser Wilkes Booth war es, welchen die Kupplerin durch das Fenster ins Zimmer – es führte kein andrer Weg von dem Garten zu diesen Theil des Hauses – einließ. Die Alte schien absichtlich kein Licht mit sich genommen zu haben, damit ihr neuer Gast mich nicht bemerke, allein, der schwache Lichtschein des Nachthimmels, welcher durch den geöffneten Laden auf mein Lager fiel, hatte ihn dennoch mich erblicken lassen. Die Bewegungen und Anstrengungen, welche ich absichtlich machte, während sein Blick auf mein Lager fiel, zeigten ihm, daß ich gebunden sei. Theilnahmlos jedoch schritt er an mir vorüber in das Nebenzimmer. Die beiden dort bereits anwesenden Männer waren Freunde von ihm. Ich hörte, wie er ihnen die Geschichte seiner wunderbaren Rettung erzählte; der Arm, welcher den verhängnißvollen Streich auf ihn führen wollte, habe sich bereits erhoben, da sei ihm, wie vom Himmel gesandt, ein Retter erschienen, dessen Person ihm eben so räthselhaft sei, wie seine Rettung selber. Als er seine Erzählung beendet hatte, fragte er, ob er hier die Nacht bleiben könne? Mrs. Gamp verneinte die Frage, da das Zimmer, durch welches er eben gekommen, und welches das einzige sei, das ihr sicher scheine, besetzt sei.«

»Was ist das für ein Mädchen, das dort gebunden liegt?« fragte Booth.

»Es ist eine Beute, die ich gemacht,« antwortete Einer der beiden Andern. Ich bin eben im Begriff, sie hinweg zu bringen.

»Was solls mit dieser Beute?« fuhr Booth fort.

»Ich denke, daß das meine Sache ist, was ich mit ihr beginne,« antwortete der Andere trotzig.

»Ganz recht, Robert, ich will auch nichts dawider sagen,« fuhr Booth fort. »Aber schaffe sie nur fort, damit ich einen Versteck habe. Uebrigens mache ich Dir zur Bedingung, daß es ohne Aufsehen geschieht, damit nicht etwa das Auge der Patrouillen oder eines Polizeibeamten auf dies Haus aufmerksam gemacht wird.«

»Sei unbesorgt,« antwortete der, den er Robert genannt hatte. »Ich habe bereits mit Mrs. Gamp Rücksprache genommen. Sie hat einen Krankenkorb, dahinein lasse ich das Mädchen legen und durch zwei Träger fortschaffen. Dies hat nichts Auffälliges, da man ja überall in der Stadt die Verwundeten auf den Straßen aufsucht und in Krankenkörben nach den Hospitälern schafft. Nach einem Hospital freilich werde ich meine Beute nicht bringen lassen, sondern an einen andern sichern Ort, wo sie Niemand, selbst John nicht ausfinden soll, der Lust haben wird, sie mir streitig zu machen. Es ist das zugleich ein Ort, an dem ihr plötzliches Verschwinden eben kein Aufsehen erregt, und wenn man nach einigen Tagen im East River einen weiblichen Leichnam ausfischt, so wird Niemand wissen, daß derselbe aus dem Asyl kam, das ich meiner Beute geben werde.«

»Der Krankenkorb steht bereits im Hausflur,« nahm hier Mrs. Gamp das Wort, »wenn es Ihnen also gefällig ist?« –

»Ich werde sie gleich hinaus bringen,« sagte der, welcher die Kiste hineingestellt hatte, »aber ich muß bemerken, daß, wenn Wilkes ferner die Zimmer bewohnen wird, ich ihm Gesellschaft leisten werde.«

»Sie haben sonderbare Einfälle, Bob,« antwortete Booth.

»Gleichviel, ob sonderbar oder nicht, nur unter dieser Bedingung liefere ich das Mädchen aus.«

»Nun so geh, und hole sie, daß dem Geschäft endlich ein Ende gemacht wird,« rief Booth ungeduldig.

»Dies war das Gespräch, das ich deutlich hörte, und das mich überzeugen mußte, daß ich auch von Booth keine Rettung und kein Erbarmen hoffen dürfe; ich war also rettungslos der Willkür zweier Bösewichter preisgegeben – O Gott, flehte ich, ist es möglich, so laß mich in dieser Minute sterben! – Da öffnete sich die Thür. Derselbe Mann, welcher mit Mrs. Gamp die Kiste hinein gebracht hatte, und welchen sie Bob genannt hatten, trat ein, packte mich und trug mich auf seinen Armen in das erleuchtete Nebenzimmer, in welchem sich die drei andern Personen befanden. Erbarmen flehend wandte ich meinen Blick – denn einen Laut auszustoßen, verhinderte mich der Knebel – von Einem zum Andern, allein das Auge jenes Robert begegnete meinem Blick mit einem eigenthümlichen Funkeln, welches mich – Gott, ich schaudere, wenn ich daran denke – das Verbrechen ahnen ließ, dessen Opfer ich werden sollte. Mrs. Gamp schien mit ihrem Lächeln zu sagen: Ich freue mich, daß mein Werk gelungen ist, und mein Ruf als geschickte Kupplerin in dieser Affaire sich bestätigt hat. Der Mann, welcher mich hinaus getragen hatte, erwiderte den Blick so stupide, als ob ihm mein stummes Flehen gänzlich unverständlich sei, und Booth saß in Nachdenken versunken in der Sophaecke und hielt es nicht der Mühe werth, sich ein einziges Mal nach dem Opfer seiner Freunde umzuschauen. Von all diesen Personen hatte ich also nichts zu hoffen.«

»Entsetzlich! fürchterlich!« rief Emmy.

»Bob setzte mich in einen Lehnstuhl, denn da ich auch an den Füßen gebunden war, vermochte ich nicht zu stehen, und sagte zu dem Andern: Nun sieh zu, was Du weiter mit ihr machst.«

»Hilf sie mir wenigstens in den Korb legen,« versetzte Robert.

»Meinetwegen auch das noch, –« antwortete Bob, und trat an meinen Sessel, um mich von Neuem anzupacken.

In diesem Augenblick ertönte ein mächtiges Klopfen an der Hausthür.

»Hölle und Teufel!« rief Robert, »das ist John. Er darf sie nicht sehen. Faß an, Bob, wir müssen sie in den Krankenkorb legen, ehe er sie zu Gesicht bekommt. Oeffnen Sie nicht, Mrs. Gamp, bevor wir sie in den Korb gelegt und zugedeckt haben.«

»So geschah es in der That. Die beiden Männer packten mich und trugen mich in den Hausflur, wo ein Krankenkorb bereit stand. Ich ward hineingelegt und der Deckel über dem Korbe zugemacht. Als dies geschehen war, öffnete Mrs. Gamp die Thür.

»Was zum Kuckuk, alte Hexe, fällt Dir ein, daß Du mich draußen warten läßt?« polterte der Mann, welcher eintrat.

»Ich erkannte in der Stimme dieses Mannes sofort die eines gewissen Atzerott, eines Menschen, welcher bereits mehr als einmal Unglück über mich gebracht hat.«

»Was hat der Korb zu bedeuten?« fragte er.

»Eure von Mrs. Gamps Mietherinnen ist krank geworden,« antwortete Robert, »und muß sofort in's Hospital.«

Atzerott brummte etwas in den Bart und trat in's Zimmer, wohin ihm die Andern folgten Es währte nicht lange, so entspann sich drinnen ein Gespräch, welches so überlaut geführt wurde, daß ich manches davon verstehen konnte. Ich hörte, wie Atzerott stürmisch verlangte, in das Zimmer zu treten, in welchem ich mich befunden hatte, und wie Mrs Gamp und Mr. Robert sich bemühten, ihn davon zurückzuhalten und endlich der, den sie Bob nannten, ihm erklärte, es sei vergebens, dort zu suchen, denn das Mädchen sei nicht mehr dort. –

»Nicht mehr dort?« brüllte Atzerott, »wo ist sie denn? – Heraus mit der Sprache, Ihr Hallunken, wo habt Ihr sie?«

»Bob antwortete ihm, er möge sich deswegen an Robert halten; was dieser antwortete konnte ich nicht verstehen, jedenfalls aber mußte Atzerott auf den Verdacht gekommen sein, daß ich es vielleicht sei, die in dem Krankenkorbe läge, denn mit furchtbarem Geräusch ward die Thür aufgerissen und Atzerott stürzte hinaus. Er ergriff den Deckel des Korbes, um ihn emporzuheben, Robert suchte ihn davon zurückzuhalten. Sie rangen mit einander, und Atzerott stieß laute Flüche aus und tobte, daß ich zu hoffen begann, es werde Jemand draußen auf den Lärm aufmerksam werden und hineinkommen. Was mir Hoffnung gab, das war für Booth der sich noch immer im Zimmer befand, ein Gegenstand der Besorgniß, denn er trat hinaus und rief mit gebieterischer Stimme:

»Was soll das heißen? – keinen Lärm sage ich, oder wollt Ihr die Polizei herbeirufen?«

»Ich will sehen, was in dem Korbe ist. rief Atzerott und ergriff von Neuem den Deckel: diesmal gelang es denn Andern nicht, ihn gewaltsam davon zurückzuhalten, denn Atzerott hob den Deckel auf und erblickte mich.

»Ha! Hinterlistiger,« rief er. »Also Du wolltest sie mir rauben? Dachte ich mir's doch, daß Deine viehische Begierde nicht ruhen würde. Aber diesmal soll Dir die Lust vergehen, das Mädchen ist mein, und ich will sie an einen Ort bringen, wo sie vor Deiner Entdeckung gesichert ist.«

»Der Andere wollte Protest einlegen, Atzerott aber stieß ihn zurück. Wüthend zog Robert ein Bowiermesser und stürzte sich auf Atzerott.

»Seid Ihr rasend?« schrie Booth mitten zwischen sie springend. »Seid Ihr vernunftbegabte Menschen oder seid Ihr wilde Thiere? – Noch ein Wort des lauten Zankens, und ich tödte mit eigener Hand das Mädchen, um den Gegenstand des Streites aus dem Wege zu räumen.«

»Er deutete bei diesen Worten auf mich, und sein Blick, welcher seiner Handbewegung folgte, traf mich, denn Atzerott hatte den Deckel des Korbes nicht wieder geschlossen. Booth stockte, als sein Auge dem meinigen begegnete. Aufmerksam betrachtete er mich. Verstand er meinen erbarmenflehenden Blick, oder war es etwas anderes, das ihn bewegte? Seine Miene nahm den Ausdruck der Ueberraschung an.

»Sie ist mein! wiederholte Atzerott trotzig, wenn auch in weniger lautem Ton, und ich werde nicht zugeben, daß Einer Hand an sie legt.«

»Ich habe dasselbe Recht an dem Mädchen, wie Du selbst,« erwiderte Payne. »Sie ist unsere Gefangene, folglich gehört sie Jedem gleich viel.«

»Zurück!« unterbrach ihn Booth und schob den Sprecher sowohl wie Atzerott bei Seite, während er sich zugleich gebieterisch neben den Korb stellte. »Dies Mädchen wird Keiner von Euch besitzen.«

»Oho,« brummte Atzerott, »welches Recht haben Sie, das zu befehlen!«

»Schweigen Sie, John,« herrschte ihn Booth an. »Mrs. Gamp, nehmen Sie dem Mädchen die Fesseln ab.«

»Was?« rief Robert hinzuspringend. »Du willst sie freilassen und nicht tödten?«

»Nein,« antwortete er. »Ich tödte sie nicht.«

»Aber sie muß sterben,« wiederholte Jener; »Du siehst ein, daß sie sonst an uns zur Verrätherin wird.«

»Das werden wir sehen. Geht sie meine Bedingungen nicht ein, so mag sie sterben, jedenfalls aber soll sie Eurer Willkür nicht preisgegeben sein.«

»Dann wandte er sich an mich.

»Stehen Sie auf, Miß Brown.«

»Da Mrs. Gamp mir die Fesseln von den Händen und Füßen gelöst hatte, so war ich im Stande, seiner Aufforderung zu folgen. Den Knebel nahm er mir selbst vom Munde.

»Treten Sie ein,« fuhr Booth fort, auf die Thür des Zimmers deutend. »Nehmen Sie hier in dem Lehnstuhl Platz, Sie werden erschöpft sein.«

»Dem war in der That so. Ich war dermaßen erschöpft, daß ich mich kaum aufrecht zu erhalten vermochte, ein Wort des Dankes hervorzubringen, war mir ganz unmöglich.«

»Ich athme von Neuem auf!« rief Emmy. »Es hat mir fast das Herz abgepreßt, bevor ich Dich aus der entsetzlichen Lage befreit wußte.«

»Du gute Seele,« antwortete Esther. »Ich hätte Dir gern die Erzählung meiner Leiden erspart, aber Du wolltest es ja.«

»Ach, wie Unrecht ist es von Dir«, versetzte Emmy, »daß Du, um mir einige Minuten der Angst zu ersparen, Dir den Trost versagen wolltest, Dein Herz der Schwester auszuschütten. Doch fahre jetzt fort, ich brenne vor Verlangen, das Ende zu erfahren. Welches Interesse nahm der Schauspieler an Dir, und woher kannte er Dich?«

»Er hatte mich in dem Hause Deines Vormunds gesehen, auch mehrfach hier in Richmond«, antwortete Esther. »Welcher Art das Interesse war, das er an mir nahm, sollst Du gleich erfahren. Auf seinen Befehl brachte Mrs. Gamp ein Glas Wein, womit ich meine verschmachteten Lippen benetzte. Meine Lebensgeister kehrten schnell zurück, daß ich im Stande war zu sprechen, und meinem Retter zu danken.

»Danken Sie mir nicht, antwortete Booth, ob ich Ihnen das Leben zu retten im Stande bin, das wird von Ihnen selbst abhängen.

»Ich antwortete, daß ich ihm auch schon dankbar sei, für das Versprechen, mich der Willkür jener rohen Gesellen entziehen zu wollen, und daß ich es für eine Großmuth halten würde, wenn er mir auf der Stelle zu sterben gestattete.

»Ob Sie sterben müssen,« entgegnete er, »oder ob ich Sie freilassen darf, wird sich sogleich zeigen. Ich wünsche nicht, daß Sie sterben, denn ich bin einer Person zu Dank verpflichtet, ja ich verdanke dieser Person bereits zweimal mein Leben, welche, wie ich weiß, sich für Sie interessirt. Als Sie in Richmond aus dem Park Mr. Tuckers entflohen, es war während des Maskenballes im Ritterhause, da wurden Sie von einem Manne in das Haus von Miß Emmy Brown geleitet; von einem Mann, den ich vorher auf dem Maskenball gesehen hatte. Ich sah ihn, Sie aus dem Pakt führen; ich hätte es verhindern können, allein ich habe gegen diesen Jüngling eine Pflicht des Dankes abzutragen und that es nicht. Ich vermuthe, daß dieser Jüngling Ihnen nahe steht, vielleicht ein Bräutigam, ein Verwandter –«

»Weil meint er?« unterbrach sie Emmy. »Du wurdest damals von Mr. Conover und Mr. Borton hierher begleitet.«

»Ich vermuthe«, versetzte Esther, »daß er Mr. Borton meinte, eben jenen jungen Mann, der in diesem Zimmer anwesend war, als ich aus diesem Hause entfloh.«

»Der? –Unmöglich!« rief Esther, »Mr. Borton ist ein Spion der Unionsarmee, ja, vielleicht gar nicht einmal ein Manu, sondern ein Mädchen.«

»Wunderbar!« sagte Esther, »Booth vermuthete, daß die Liebe die Ursache jener Theilnahme für mich sei, und mir scheint gerade Liebe die Ursache, daß sich jener Mr. Borton, oder jenes Mädchen, das sich diesen Namen gab, zum Retter von Booth machte. – Doch höre weiter. Booth setzte mir nun auseinander, welche Gefahr es für ihn und seine Freunde haben würde, wenn sie mich frei ließen, ich könnte nämlich ja von dem Vorgefallenen sofort Anzeige machen und ihn und seine Freunde der Behörde ausliefern.«

»Ich kann Sie also nur unter der Bedingung frei lassen,« schloß er, »daß Sie mir schwören, von dem, was Ihnen hier begegnet ist, vor dem Ablauf von drei Monaten keine Silbe über Ihre Lippen kommen zu lassen, noch auch den Behörden meinen und meiner Freunde Namen zu nennen.«

»Ich überlegte. Doch weshalb sollte ich mich weigern, den Schwur zu leisten? Etwa, um als Märtyrin meines Patriotismus zu sterben? Was hätte meine Weigerung der Regierung genützt? – Weigerte ich mich den Schwur zu leisten, so mußte ich sterben, und die Regierung erfuhr von den Entdeckungen, die ich gemacht hatte, nichts. Leistete ich aber den Schwur, so konnte ich wenigstens nach drei Monaten der Behörde Anzeige von dem machen, was mir begegnet war. Ich leistete also den Schwur und konnte, trotz der Versuche Atzerotts und der Andern, sich dem Befehl Booths zu widersetzen, frei ausgehen. –«

»Und hast Du nicht nach dreien Monaten die Anzeige gemacht?« fragte Emmy.

»Ich that es nicht«, sagte Esther. »Der Erfolg wäre ja auch vorauszusehen gewesen«

»Welcher?«

»Man hätte mir einfach nicht geglaubt, weil die Glaubwürdigkeit einer Negerin und derer, die von Negern abstammen, vom Senate zwar dekretirt, aber weder bei dem Publikum, noch bei den Beamten anerkannt ist; und man hätte meiner Anzeige um so weniger geglaubt, als ich sie erst nach drei Monaten machte. Nach den Personen, welche ich nahmhaft machen konnte, wäre zwar geforscht worden, aber weder der Aufenthalt Booth's, oder Atzerott's, noch jener Mrs. Gamp wäre ermittelt.«

»Aber was bewog Dich, das Asyl, das Du im Norden hattest, zu verlassen und hierher zurückzukehren, wo Dir so viel Gefahr droht?« sagte Emmy.

»Die Sorge um Dich, Schwester,« antwortete Esther. »Leider erfuhr ich erst kürzlich, daß Berckley während des Aufstandes in New-York aus dem Gefängnisse befreit sei. Von dem Augenblicke an, da ich wußte, daß Du von Neuem heimgesucht würdest von den Werbungen dieses Menschen, ließ es mir nicht Ruhe. Ich mußte Dich sehen, um, wenn es noch nicht zu spät sein sollte, Dich vor dieser Verbindung zu schützen. Ich danke Gott, daß es noch nicht zu spät ist.

»Aber, Theure, Du setzest Deine Freiheit aufs Spiel.«

»Was gilt mir die Freiheit, was gilt mir das Leben, ich werfe Beides weg, wenn ich Dir damit nützen kann.«

»Sage das nicht, Esther, Frederick liebt Dich ...«

»Nichts von ihm, er liebt mich nicht, sondern liebt Dich. Ich schwöre Dir, daß ich ihm nie angehören werde, selbst wenn Du ihm auf immer entsagtest. – Welche Angst habe ich um Dich ausgestanden, wie hat mein Herz gepocht, ehe ich wußte, daß Du noch nicht jene unwürdigen Fesseln trägst, welche der Orden der Ritter Dir anzulegen bemüht ist.«

»Es scheint, als ob Berckley den Plan, mich zu heirathen, aufgegeben hat, denn ich habe, seit ich meinem Vormund den Revers unterschrieb, nichts wieder von der Heirath gehört, selbst Mr. Berckley hat keinerlei Versuch gemacht, mir seine Absichten oder seine Neigung für mich auszusprechen.«

»Hm, sonderbar! – doch traue ich dem nicht. Dein Vermögen ist dem Orden zu verlockend.«

In diesem Augenblick hielt ein Wagen vor der Thür an.

»Besuch?« fragte Emmy befremdet. »Wer könnte das sein?«

Sie war einige Minuten in großer Spannung, da erschien Margot. Sie sah sehr niedergeschlagen aus, als sie meldete:

»Mr. Berckley bittet Miß Brown um eine Unterredung.«

Emmy wurde wo möglich noch bleicher, als sie ohnehin schon war. In Esthers Wangen schoß die Röthe des Unwillens.

»Laß mich Zeugin dieser Unterredung sein,« bat sie. »Ich muß wissen, wie weit diese Menschen ihre Nichtswürdigkeit treiben, und wo möglich ein Mittel heraus finden, ihnen entgegen zu arbeiten.«

»Esther, bedenke doch, wenn dieser Mensch Dich hier sieht, wenn er erfährt, wer Du bist ...

»Fürchte nichts für mich. Ich habe ein Mittel in Händen, was mich vor jeder Verfolgung dieser Leute schützt. Laß ihn eintreten.«


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