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Fünfundsiebzigstes Kapitel.
Der Löwenbändiger

Wie der Obrist in einem Regimente für seinen Sold der Bequemlichkeiten des Lebens zu pflegen gewohnt ist, die Beschwerden seiner Stellung aber seinen Officieren zu übertragen, oder wie der Chef eines Handlungshauses sich begnügt, in seinem Schaukelstuhle die Tagesneuigkeiten und Börsenberichte zu lesen und Abends das Theater besucht, um eine neue Sängerin oder Tänzerin zu sehen, die Geschäfte aber seinen Buchhaltern überträgt, so bürdete auch der Schlächter der Menagerie, Mr. Warren, alle Beschwerlichkeiten seines Berufs seinem neuen Gehülfen auf, während er selbst nur die Annehmlichkeiten desselben für sich in Anspruch nahm. Nur eine einzige Beschäftigung war es, die er sich nicht nehmen ließ, nämlich seine vierbeinigen Opfer mit eigener Hand abzuschlachten.

Mr. Warrens Gesicht trug stets die Todtenblässe einer jungen Dame aus der höchsten Aristokratie zur Schau, so daß es fast schien, als setzte er bei jedem Akte des Blutvergießens einige Tropfen seines eigenen Blutes zu.

Indessen hatte sein Gesicht·doch nicht das Interessante, was das blasse Gesicht einer Dame aus der höchsten Aristokratie zu haben pflegt. Vielmehr machte dasselbe einen äußerst widerwärtigen Eindruck, der noch erhöht wurde durch einen langen rothen Bart, in welchem sich Mr. Warren jedes Mal nach einem Akt des Blutvergießens die Hände abzuwischen pflegte, eine Gewohnheit, die nicht geeignet war, ihn zum Lieblinge der besseren Cirkel zu erheben.

Es war dies auch für Mr. Warren in der That sehr gleichgültig; denn derselbe liebte Geselligkeit ebensowenig, wie irgend eine harmlose Beschäftigung.

Seine Stellung schien ihm die eines höchsten Opferpriesters zu sein, und im Bewußtsein seines wichtigen Ranges hielt er es unter seiner Würde, mit irgend einem andern Mitgliede der Menagerie einen Verkehr zu pflegen.

Gleich am ersten Tage als Noddy sein neues Amt antrat, gab dieser Opferpriester ihm, wie er es nannte, ein herrliches Schauspiel indem er nämlich ein altes, lebensmüdes Roß, abschlachtete, und der junge Mann fand sich auch im höchsten Grade befriedigt durch das Schauspiel; erklärte indessen, daß er für die Zukunft auf alle Kunstgenüsse dieser Art verzichten müsse.

Er beschränkte daher seine Thätigkeit rein auf das Herumtragen des Fleisches in der Menagerie und auf das Füttern der Thiere, und weigerte sich ein für alle Mal, beim Schlachten gegenwärtig zu sein.

Diese Weigerung nahm ihm Mr. Warren durchaus nicht übel; denn wie gesagt, sie betraf die einzige Beschäftigung, die er für sich ganz allein in Anspruch nahm.

Freilich hatten seine Genossen von dieser Beschäftigung nicht eine so hohe Meinung, wie er selbst, und namentlich verächtlich wurde er behandelt von Tomahuhu, dem Löwenbändiger.

»Er ist ein feiger Lump«, sagte dieser zu Noddy. »Ein Thier, wenn es gebunden ist, am Boden liegt und kein Glied zu rühren vermag, zu tödten, das macht ihm Vergnügen, aber stelle ihn vor irgend eine Bestie, die beißen kann, und ich sage Dir, er hat nicht die Courage auch nur einen Schlag mit der Axt nach ihr zu führen.«

»Da wollte ich neulich den Ninus, – das ist nämlich der Löwe, welcher mit der Tigerin zusammen wohnt – eine Dosis Ricinus-Oel eingeben, und da ich Niemanden hatte, der mir dabei behülflich war, so engagirte ich ihn; aber Du hättest die Grimassen des Kerls sehen sollen, als ich die Aufforderung an ihn richtete. Er sah bald mich an, bald die Schale mit Ricinusöl und zog ein Gesicht, als sollte er die Quantität Ricinusöl selbst verschlucken.«

Noddy hatte während seiner kurzen Bekanntschaft mit Mr. Warren allerdings keine hohe Meinung von demselben erhalten; indessen schien sein Rechtsgefühl doch zu fordern, daß er hier dessen Partei ergreife. Er erwiderte daher, daß es ihm in der That keine leichte Arbeit scheine, einem Löwen eine Portion Ricinusöl einzugeben.

»O! das ist ganz einfach«, antwortete Tomahuhu. »Die Sache ist die. Man bindet dem Thiere die Vorderbeine zusammen, zieht es bis ans Gitter, erfaßt seinen Kopf, drückt das Maul zwischen die Stäbe, und ein Zweiter schüttet ihm dann das Ricinusöl hinein.

»Half Ihnen denn Mr. Warren?«

»Er mußte wohl« antwortete Tomahuhu. »Als ich den Löwen festhielt und ihn aufforderte, nun ihm das Oel in den Rachen zu schüttelt, da fing die elende Memme der Art an zu zittern, daß er das Oel verschüttete, ehe er sich dem Löwen auch nur auf fünf Schritte genähert hatte. Ich stieß ihn mit einem Fluche zurück und machte die Arbeit allein.« – –

Wie sich im Laufe der Zeit herausstellte, stand der Löwenbändiger mit dem Schlachter auch durchaus auf keinen freundschaftlichen Fuße; denn der letztere konnte es jenem nie verzeihen, daß er ihn stets eine feige Memme nannte, und sein Verdienst nicht im Mindesten würdigte; während Mr. Smith seinerseits Grund genug hatte, den Oberschlächter herzlich zu verachten. – –

Monate vergingen. Mr. Seyers führte seine Menagerie von einer Stadt Carolinas und Georgia's zu der Andern, ohne daß es ihm gelingen wollte, irgendwo ein so glänzendes Geschäft zu erzielen, wie es nach seiner Aeußerung Mr. Gamp vor ihm gemacht hatte.

Die politischen Verhältnisse, welche mit dem Ende des Jahres 1863 und dem Anfange von 1864 sich immer trauriger gestalteten, wirkten in nachtheiliger Weise auch auf die finanziellen Verhältnisse des Mr. Seyers.

Der Ruf nach Charleston wollte immer noch nicht erfolgen, und Noddy war fast geneigt, jenem Rufe dieselbe Bedeutung beizulegen, wie der berühmten Seeschlange, die sich in Mr. Seyers Menagerie befinden sollte, was ihm um so unangenehmer war, als er Charleston gerade für den Platz hielt, an welchem er am besten zu einem Resultate seiner Nachforschungen kommen konnte.

Zwischen ihm und seinem nächsten Vorgesetzten dem Oberschlächter Warren, bestand ein ziemlich kaltes Verhältniß, so eine Art Waffenstillstand, während er sich jedoch an Tomahuhu eng und vertrauensvoll anschloß. Und dieser seinerseits nahm ihn wie ein zärtlicher Freund unter seinen Schutz, ja machte ihn im Laufe der Zeit vollständig zu seinem Zögling. Er theilte mit ihm seine Wohnung, sein Bett, seinen Tisch und die Geheimnisse seiner gefährlichen Kunst.

Die Menagerie befand sich zu Summerfea, als die Nachricht von Grants Zug durch die Wilderneß nach Süd-Carolina kam und die Stimmung, die ohnehin schon eine äußerst gedrückte war, vollständig zum Sinken und Mr. Seyers in Gefahr brachte, dasselbe Schicksal zu haben, was vor ihm bereits Mr. Gamp gehabt.

Glücklicher Weise kam noch vor seinem gänzlichen Ruin die Nachricht, daß im Mai des Jahres 1864, also fast 9 Monate nach dem Eintritt Noddy's in die Menagerie, Lee bei Spottsylvania dem Vordringen Grants ein Ziel gesetzt habe, und dieser genöthigt sei, auf einem Umwege gegen Petersburg vorzurücken.

Der Süden athmete auf. Denn da es Lee gelungen war, Grant aufzuhalten, so war die größte Hoffnung vorhanden, daß man den Feind in seinem Siegeslaufe auf dem nunmehr von ihm eingeschlagenen Wege sehr leicht hemmen würde. Die Verschanzungen an der Waldonbahn galten nämlich beinahe für uneinnehmbar, und was uneinnehmbare Verschanzungen für Opfer kosten, das hatten die Unionisten außer bei Fredericksburg und in der Wilderneß oft genug erfahren.

Durch die Bemühung und Opferwilligkeit der Ritter vom goldenen Cirkel hatte man Geld genug zu Agitationen und Werbungen aufgebracht. Neger-Regimenter entstanden, und Regimenter von Freiwilligen zogen zur Verstärkung Lee's nach Virginien, während, wie man aus sicherer Quelle erfuhr, die Verstärkungen, deren Grant nach Jim's Bericht so sehr benöthigte, ausblieben.

Die Wirkung dieser neuesten Nachrichten vom Kriegsschauplatz auf die ganze Conföderation war eine außerordentliche.

Im Süden ist fast Jedermann reich, der nicht gerade ein Bettler ist, und jeder Reiche ist verschwenderisch und zum Luxus und Vergnügen geneigt. Indessen, so lange die Existenz der Secession auf dem Spiele stand, so lange Grant die Todeswaffe bereits der Rebellion auf die Brust gesetzt hatte, wagte Niemand, auch nur einen Cent anders zu verausgaben, als zum Nutzen des Staates, und Jedermann hielt es fast für ein Verbrechen, einem Vergnügen sich hinzugeben.

Mit der neuen Hoffnung aber kam neues Leben in alle Sphären der Bevölkerung. Jefferson Davis hörte auf, Geld zusammenzuscharren und in Sicherheit zu bringen, und stellte die Vorbereitung zu seiner Flucht nach Domingo ein. Der neue Kriegsminister, Mr. Sanders, blähte sich auf und wußte in Wort und Schrift seine Verdienste denen seines Vorgängers, Mr. Breckenridge, gegenüber, in das hellste Licht zu stellen. Und dieser sah mit Neid auf die glücklichen Erfolge seines Nachfolgers.

Die Sclavenbarone fingen an, sich im Ritterhause zu Festlichkeiten zu versammeln, und die Bürger der Städte den im Süden so beliebten Vergnügungen des Schauspiels und der sogenannten noblen Passionen hinzugeben.

Die natürliche Folge war, daß auch die Menagerie des Mr. Seyers sich eines lebhafteren Zuspruchs erfreute, und der Ruf des Löwenbändigers aus Centralafrika von Summersea aus mit vollen Backen in die Städte des Südens ausposaunt wurde.

An der Küste des atlantischen Meeres, in der Nähe der Mündung des Savannah, da liegt die Stadt, welche wegen ihres Reichthums nicht allein in Nord-Amerika, sondern in der ganzen Welt berühmt ist, die Stadt, welche man die Perle in den nordamerikanischen Freistaaten nennt, die Stadt, in welcher jeder Bürger ein reicher Mann, jedes Haus ein Pallast und jede Straße ein Sammelplatz des Luxus und des Reichthums ist: Charleston. Dieser Centralpunkt des Seehandels für die Südstaaten, dieser Stapelplatz der Schätze West-Indiens, dieser Stapelplatz der Vertreter der höchsten Aristocratie und der reichsten Industrie.

Charleston ist an Theatern und ähnlichen Instituten reicher als irgend eine Stadt Americas, denn Charleston war von der Aristokratie des Südens stets gesuchter, als Richmond, die Residenz selber, und war nur vernachlässigt, weil die politischen Verhältnisse die Aristocratie in die Nähe des Präsidenten nach Richmond geführt hatte.

Jetzt bei der günstigen Lage der Dinge gaben sich aber die Sclavenbarone ganz den alten Neigungen hin, die sie nur in der dringendsten Noth verlassen hatten.

Charleston war, wie sonst in Zeiten des Friedens alle Jahre, auch jetzt wieder die Parole der reichen Sclavenbarone. Nach Charleston zogen die Ritter des goldenen Cirkels, die Staatsmänner, die Geldmänner, und der Präsident der Republik selber, um in dieser Stadt des Luxus einige Wochen einen glänzenden Hof zu halten. Und nach Charleston folgten die Opern- und Schauspiel-Gesellschaften, die Männer des Sports und die Sclavenzüchter von Kentucky und Tennessee und die Apostaten aus dem neutralen Ohio.

Was Wunder, daß auch an Mr. Seyers die Aufforderung erging, mit seiner Menagerie nach Charleston zu kommen, um die Saison verherrlichen zu helfen?


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