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Einundsechzigstes Kapitel.
Die Kiste von Eichenholz

Die Dummheit ist die Schwester des Verbrechens, und das ist gut, denn ginge die Klugheit mit dem Verbrechen Hand in Hand, und ließe nie die Verbrecher im Stiche, so würde nicht die Hälfte der Verbrechen entdeckt oder verhindert werden können.

Alle Verbrecher sind dumm, und nur dadurch ist es zu erklären, daß das Unheil, welches die Straßenemeute in New-York anrichtete, nicht hundertfach größer war. – –

Bob Harrold hatte sich, wie berichtet, der Bande angeschlossen, welche es lediglich auf Raub abgesehen hatte. Auch ihm war strenger Befehl geworden, die Häuser zu verschonen, wo Anhänger des Südens wohnten, allein, was kümmerte ihn die politische Gesinnung. Für Geld hätte er sich leicht gewinnen lassen, denselben Coup, zu dem er von den Junkern des Südens gedungen war, auch gegen diese selbst auszuführen.

Harrold war unter Verbrechern und unter Verbrechen aufgewachsen, und man sollte daher meinen, daß ihm die Erfahrung die Klugheit gebracht hätte, allein die Leidenschaft ließ auch ihn am Ziel vorbeischießen. Wie leicht wäre es ihm gewesen, mit seiner Bande die Bank zu stürmen und sich in den Besitz von Millionen zu setzen, aber auf diesen Einfall kam er erst, als es bereits zu spät war. Seine Gier ließ ihn vorher nicht daraus kommen. Jedes Haus, das ihm Schätze zu bergen schien, wurde durchsucht und geplündert.

»Wer weiß noch ein Haus, das sich zu durchsuchen lohnt?« das war die Frage, die sich jedesmal wiederholte, wenn man mit einem Hause fertig war.

Niemand antwortete auf diese Frage: »die Bank«, sondern es wurden stets nur Privathäuser genannt, in welchen Harrold und seine Irländer für ihre Geldgier Befriedigung finden konnten.

»Wer weiß jetzt noch ein Haus?« so tönte auch die Frage, als es schon zu dunkeln begann, also zu derselben Zeit, als Wilkes Booth das Gebäude der Werbebüreaus, und Atzerott das Niegerwaisenhaus in Brand stecken ließ.

»Es muß etwas Gutes sein«, fügte Atzerott dieser Frage hinzu, »denn wo wir erst viel suchen müssen, werden wir im Dunkeln nichts finden.«

»Ich weiß etwas Gutes!« ließ sich ein Irländer vernehmen.

»Heraus damit!«

»Ja, das Ding hat ein Aber, der Mann ist von der demokratischen Parthei.«

»Ah was geht uns die demokratische Parthei an! Wer ist's!«

»Der Banquier Aaron Levy, Bovery-Street Nr. 14. – Es ist viel Geld bei ihm im Hause.«

»Gut, laßt uns dahin gehen!«

Die Masse setzte sich in Bewegung. Der Weg nach der Bovery-Street war nicht zu weit und bald zurückgelegt.

Das Hans des Banquiers war verschlossen, wie alle Häuser.

»Aufgemacht!« riefen die Plünderer.

Vorsichtig öffnete sich ein Laden im ersten Stock, das Fenster ward ein wenig hinaufgeschoben Man hat in Amerika wie in England in vielen großen Häusern keine Fenster mit Flügeln, sondern der untere Theil des Fensters ist so eingerichtet, daß er hienaufgeschoben und herabgelassen werden kann., und ein Kopf ward vorsichtig hinausgesteckt, dessen orientalisch gebogene Nase den Inhaber desselben sofort als einen Juden, und dessen hohe steife Vatermörder und elegantes Neglige ihn als den Chef des Hauses erkennen ließen.

»Was wünschen Sie, Gentlemen'?« fragte der Mann mit einem demüthig einschmeichelnden Tone.

»Dein Geld verdammter Jude!« riefen mehrere Stimmen.

»Oh, Sie müssen da im Irrthum sein, Gentlemen«, fuhr Mr. Aaron Levy fort. »Mein Haus gehört nicht in den Bereich Ihrer Wirksamkeit, ich habe von Mr. Breckenridge das heilige Versprechen, daß ich von solchen Attentaten auf mein Eigenthum ...«

»Ach was gehen uns die Versprechungen Mr. Breckenridge's an!« unterbrach ihn Harrold. – »Aufgemacht, oder wir müssen die Thür erbrechen.«

»Aber, mein bester Sir, bedenken Sie ...«

Nichts da – Aufgemacht!«

»Du lieber Gott, könnten wir uns nicht wenigstens einigen? – Wollen Sie sieh nicht lieber mit einer Summe abfinden lassen?«

»Abfinden?« höhnte Harrold, »das fehlte noch! – Nein, Jude, wir wollen Alles haben.«

»Aber Sie werden doch wenigstens Rücksicht nehmen gegen meine Person?«

»Ha, ha, ha! – Natürlich, wir werden Dich leben lassen und Dir Gelegenheit geben, neue Schätze zusammen zu scharren, für den Fall, daß wir einmal wiederkommen. – Nun aber keine weiteren Umstände gemacht Die Zeit drängt, es wird dunkel!«

Mr. Levy verschwand allerdings vom Fenster, allein die Thür ward nicht geöffnet, wohl aber hörten die draußen Harrenden im Innern des Gemachs ein Geräusch, als ob man Kisten und Schränke forttrüge.

»Oh!« rief Harrold, »der Schuft bringt erst seine Schätze in Sicherheit. – Her mit dem Brecheisen!«

In wenigen Minuten war die Thür erbrochen.

Harrold hatte richtig vermuthet. Aaron Levy und ein Buchhalter, die allein anwesend waren, waren eben beschäftigt, eine anscheinend schwere Kiste von Eichenholz, welche mit starkem Stahl beschlagen und einem großen Vorlegeschloß versehen war, die Treppe hinaufzuschleppen.

»Halt!« schrie ihm Harrold zu, indem er ihn zugleich am Arme packte. – Was soll's mit der Kiste? – Niedersetzen!«

Der Banquier gehorchte mit einem schweren Seufzer, und indem er Harrold zuflüsterte:

»Nehmen Sie Alles, was ich habe, Sir, aber lassen Sie diese Kiste unangetastet.«

»Und weshalb? Was enthält sie? – Du wirst wohl all Dein baares Geld darin haben. – Nein, daraus wird nichts, die Kiste gehört mir!« erklärte Harrold.

»Ich weiß nicht, was die Kiste enthält,« versetzte Mr. Levy, »sie ist Eigenthum der Conföderirten Staaten und ist mir in Boston zur Aufbewahrung übergeben worden.«

»Oh, desto besser, so werde ich mich daraus bezahlt machen, ich habe ohnehin noch eine Forderung an die Conföderirten Staaten.«

Während diese Verhandlung auf dem Hausflur stattfand, hatten die Irländer und das übrige Gesindel die Comtoirs und die übrigen Gemächer des Hauses geöffnet und alle Winkel durchsucht. Was irgend Werth hatte, wurde mitgenommen, verschlossene Kisten, deren Inhalt man nicht kannte, wurden zum Fenster hinausgeworfen, da man sich nicht Zeit ließ, sie erst zu durchsuchen, und die Weiber, welche draußen warteten, beluden sich mit dem Raub und brachten ihn in Sicherheit. Die eichene Kiste aber nahm Harrold für sich und einen Andern, dessen er nothwendig bedurfte, in Anspruch.

Noch einen Blick warfen die Plünderer, als sie bereits Alles durchstöbert hatten umher, um sich zu überzeugen, daß ihnen auch nichts entgangen sei, da entdeckte Einer noch in einem Verschlage eine unscheinbare Holzkiste, auf welche er sofort losstürzte.

»Was ist das?« fragte er den Banquier.

»Ich glaube, es sind nur Kleider darin,« antwortete dieser.

»Kleider? – Wie sollten Kleider so aufbewahrt werden? – Lüge nicht, Jude, es ist noch etwas Anderes darin.«

»Ich schwöre Ihnen, Gentlemen, daß ich es nicht weiß. Die Kiste ist Eigenthum Mr. Atzerott's.«

»Eigenthum Mr. Atzerott's,« fragte Harrold aufmerksam. »Wie kamst Du denn dazu?«

»Mr. Atzerott hatte den Inhalt der Kiste zum Geschenk für eine gewisse Mrs. Powel bestimmt, dieselbe aber hat das Geschenk abgelehnt und die Kiste ihrem Hauswirth zurückgegeben, dieser aber hat sie zu mir gebracht, um sie gelegentlich Mr. Atzerott zurück zu erstatten.«

Harrold hatte bereits von dieser Kiste gehört. Sich schnell entfernend rief er seinen Gefährten zu:

»Laßt ihm die Kiste, kommt!«

Allein auf die Habgier der Räuber machte diese Mahnung keinen Eindruck, ein Irländer bemächtigte sich ihrer ohne Umstände und verließ mit den Andern das Haus.

Draußen war es bereits finster, und um so finsterer, als die Straßenlaternen nicht angezündet waren.

»Weiß Jemand noch ein Haus?« hörte man wieder fragen.

Allein es schien Niemand sich auf eins zu besinnen, dessen Plünderung in der Nacht verlohnte. Ja, Mehrere sprachen sogar die Ansicht aus, daß es besser sei, jetzt die Arbeit während der Nacht auszusetzen, und die Nacht lieber zu benutzen, um die in den Wohnungen aufgespeicherten geraubten Gegenstände aus der Stadt an sichere Orte zu schaffen, damit, wenn wirklich Miliz kommen sollte und Einer oder der Andere ergriffen würde, von der Beute nichts vorgefunden würde. Da dieser Ansicht allmählig die Meisten beitraten, so fingen die Massen schon an, sich zu zerstreuen und auch Harrold entfernte sich, um mit zwei Anderen die Kiste in Sicherheit zu bringen.

Da plötzlich stand er still, und wurde bleich im Gesicht. Er schlug sich mit der Hand vor die Stirn und rief:

»Oh, ich Dummkopf, – ich Dummkopf!«

»Was hast Du?« fragten seine Gefährten.

»Die Bank!« stöhnte er. – »Warum haben wir nicht an die Bank gedacht!«

Wie ein Blitz zündete dies Wort.

»Die Bank, die Bank!« tönte es von einem Munde zum andern, und schnell ward der Entschluß, die Arbeit für die Nacht einzustellen, aufgegeben. Wieder versammelten sich Alle um Harrold.

»Es ist noch nicht zu spät,« schrieen sie. »In der Bank kann man auch bei Nacht Geld finden – Vorwärts zur Bank!«

Und die Masse setzte sich zu diesem letzten, größten Raubunternehmen in Bewegung.

______________________

Diejenige Abtheilung der Rebellen, welche sich um Booth geschaart hatte, und welche noch die einzige war, die nicht für eigenes, sondern für das Interesse ihrer Auftraggeber wirkte, hatte, nachdem das Gebäude der Aushebungsbureaus in Brand gesteckt war, sich nach der Wohnung des General Wallace begeben. Der General war gar nicht in New-York anwesend und konnte deshalb auch nicht nach den Listen geschickt haben. Sein Haus wurde den Flammen übergeben.

Noch ein Coup war auszuführen nach dem Befehle der Ritter vom goldenen Cirkel, nämlich die Erstürmung der Gefängnisse und zumal die des Court-Hauses, in welchem der Präsident des Ordens, Mr. Berckley, und mehrere andere Anhänger des Südens gefangen waren.

Booth machte sich, nachdem der Abend vollends hereingebrochen, an's Werk.

Mit Waffen wohl versehen, begannen seine Schaaren den Kampf mit den Wachen des Gefängnisses. So heftig diese auch Widerstand leisteten, sie mußten der Anzahl des Gegners weichen. Wie hart der Kampf gekämpft war, und wie tapferen Widerstand die Wachen geleistet, davon zeugten die Todten, die man am nächsten Tage auf dem Platze fand, es waren von den Beamten und Posten allein funfzig Mann getödtet, d. h., drei Viertel von der ganzen Anzahl.

Nachdem der Eingang erstürmt war, drang die Menge mit lautem Jubelschrei ein. Die Wächter wurden gezwungen, alle Zellen der Gefangenen zu öffnen, thaten sie es nicht gutwillig, so wurden sie niedergestoßen, man nahm ihnen die Schlüssel ab und öffnete selbst die Kerker.

Ueberrascht und trunken von dem unerwarteten Glück ihrer Befreiung, schlossen sich die Gefangenen der Horde ihrer Befreier an, wodurch ihre Anzahl um mehrere Hundert wilder Verbrecher vermehrt wurde.

Rache, Rache! das war die Parole dieser Elenden, Rache an Denen, welche sie zum Gefängnisse verurtheilt hatten. Wüthend ballten sie die eben erst von den Ketten befreiten Fäuste gegen die Richter und Senatoren und schwuren ihnen Tod und Verderben.

Booth sah dies mit wahrer Herzensfreude. Das waren Leute, wie er sie brauchte, zu jeder verzweifelten That, zu jedem verruchten Mord bereit. – Es gab noch mehr Gefängnisse in New-York. Er faßte den Plan, sie unverzüglich alle zu öffnen, und sich durch diesen Succurs eine Macht zu schaffen, welche selbst der Miliz, falls solche käme, gewachsen sein würde.

»Ein Tausend solcher Leute«, sagte er zu seinem Freunde Arnold, der ihn bewundernd bis in·den Tod begleitet hätte, »und den Untergang New-Yorks kann keine Macht der Erde hemmen!«

»Du fürchtest nicht, Wilkes, daß Miliz der Stadt zu Hülfe kommt?« fragte Arnold besorgt.

»Wo soll sie die Hülfe hernehmen?« fragte er höhnisch. »In der Nähe ist kein Militair, vor morgen Abend kann keine Compagnie hier sein, und morgen Abend, George, ist hoffentlich diese Stadt bereits vom Erdboden vertilgt.«

Muthvoll und begeisternd rief er der Menge sein »Vorwärts« zu, und vorwärts ging es, um auch die Gefängnisse von City-Hall zu öffnen.

Ein furchtbares Aussehen hatte diese wilde Rotte, welche beim Schein der Fackeln tobend und heulend den Broadway hinabstürmte.

Schon hatten sie City Hall erreicht, schon fingen sie an, von den Wachen unter Drohungen die Niederlegung der Waffen zu verlangen, schon fielen mehrere Schüsse der Revolver, schon begann man mit dem Widderbalken das Thor zu bearbeiten. – Da – was war das? – Hufschlag dröhnte, Waffen klirrten – näher und näher kam das Geräusch ...

Die Meuterer horchten auf. Die Finsternis gestattete ihnen nicht weit die Straße hinauf zu sehen, aber Schrecken malte sich auf den Gesichtern der Menge und Grimm und Wuth auf dem Antlitz ihres Anführers.

»Ha, wir sind verrathen!« rief Booth. »Irgend ein Schurke muß der Regierung Anzeige von dem Plan gemacht haben, sonst wäre es unmöglich, daß jetzt schon Miliz hier wäre. Nur noch einige Stunden Vorsprung, und wir hätten unsren Zweck erreicht, jetzt. ... Doch wir wollen kämpfen, Leute. Wir wollen den Hunden, die man auf uns hetzt, den Sieg nicht allzu leicht machen. – Du, George« – wandte er sich an Mr. Arnold – »und O'Laughlin, Ihr tragt Sorge, daß .Mr. Berckley glücklich entkommt, verlaßt mit ihm ohne Verzug die Stadt.«

Nur ungern trennte sich Arnold von seinem Freund, um so mehr, da er ihn in Gefahr wußte. Wie gern hätte er mit ihm sein Schicksal getheilt, allein Booth legte es ihm an's Herz, wie sehr die Befreiung Berckley's dem Süden von Wichtigkeit wäre, und so sah er sich also durch die Pflicht zu der Trennung gezwungen.

Booth hatte in der Eile versucht der Cavallerie, welche daher sprengte, durch eine Barrikade ein Hinderniß zu bereiten, allein es war zu spät. –

Lincoln hatte auf die Warnung George Bortons sofort per Telegraph ein Regiment Cavallerie und ein Regiment Infanterie nach New-York entsenden lassen, da aber die Truppen in entfernten Staaten stationirt waren, so war trotz der rechtzeitigen Warnung doch die Hülfe nicht ganz zu rechter Zeit eingetroffen, aber doch immer noch früh genug, um dem Unheil, bevor es den Gipfel erreichte, einen Damm zu setzen.

Es war eine Escadron Kürassiere, welche, der Graf Schleiden an der Spitze, im Galopp heransprengte und auf die Meuterer stieß, noch ehe die Barrikade, welche sie bauten, zu einem nennenswerthen Schutzmittel gediehen war. Karabinerschüsse krachten, das Hurrah der Soldaten und das Geheul der Banden widerhallte in den Straßen; mitten in die dichten Haufen sprengten die Reiter, und die Hufe der Rosse zerstampften, was nicht weichen konnte und wollte, und die gewichtigen Säbelklingen mähten rechts und links das Gesindel nieder. Wohl mancher von den Tapfern sank durch eine Pistolenkugel getroffen vom Pferde, aber unerschrocken drangen sie auf die wüthende Menge, die von Booth unablässig angefeuert wurde. Immer weiter und weiter trieben sie die Rebellen zurück, deren Zahl immer geringer wurde.

Erhielten sie durch ihre Genossen Succurs? – Eine schwarze Masse vom Schein der Fackeln, welche einige derselben trugen, beleuchtet, tauchte in der Ferne auf und kam in schnellen Schritten heran. Voraus ging ein Mann, welcher mit einem andern eine Kiste von Eichenholz trug. Das war Bob Harrold mit seiner Räuberhorde.

»Wohin?« rief ihm Booth zu.

»Nach der Bank, der Bank!« antworteten hundert Stimmen.

»Zurück!« antwortete Booth, »wir sind angegriffen, zurück gedrängt. Zurück, baut Barrikaden, damit wir Widerstand leisten können.«

Harrolds Banden wichen allerdings zurück, aber sie dachten nicht daran, Barrikaden zu bauen oder Widerstand zu leisten, sondern nur sich und ihren Raub in Sicherheit zu bringen. Schnell hatten sie sich in die sich verzweigenden Straßen zerstreut und Booth stand wieder mit einigen Wenigen, die ihm treu geblieben waren, dem Feind allein gegenüber.

Weiter und weiter wurden sie zurückgedrängt bis in eine Querstraße der Fulham-Street. Noch ließen sie nicht den Muth sinken, noch kämpften sie unverdrossen Sie warfen Feuerbrände zwischen die Pferde, daß sie sich bäumten und entsetzliche Verwirrung anrichteten und ihre Reiter zu Boden warfen, sie wälzten ein Branntweinfaß auf die Straße, das sie aus einem offnen Lager holten, zerbrachen es, daß die Flüssigkeit sich über die Straße ergoß und zündeten dieselbe an, allein es gelang ihnen nicht, ihre Verfolger zurückzuhalten. Immer wieder forderte Booth seine Gefährten auf, nicht den Muth zu verlieren, immer neue Vertheidigungsmittel ersann er, aber es blieb doch weiter nichts übrig, als sein Heil in der Flucht zu suchen.

In jene schmale Querstraße flüchteten sie sich, weil ihnen dort hindurch die Cavallerie nicht so leicht folgen konnte und am andern Ende derselben sich ein Zaun befand, der ein im Neubau begriffenes Grundstück einschloß. Diesen Zaun wollten sie überspringen und den Reitern so die Verfolgung unmöglich machen.

Aber wehe, noch bevor sie den Zaun erreichten sahen sie eine Abtheilung Infanterie ihnen entgegenkommen.

Sie waren eingeschlossen. Nach keiner Seite war ein Entweichen möglich. Booth selbst stand einen Augenblick wie vom Donner getroffen.

»Flieht in die Häuser!« rief er dann und machte selbst einen Versuch, sich auf diese Weise zu retten; aber wehe! alle Häuser waren verschlossen, und kein Klopfen an den Thüren half. – Die Häuser erbrechen? ... Das wäre wohl möglich gewesen, indessen es fehlte die Zeit, denn näher und näher rückten die beiden Abtheilungen der Truppen, und in wenigen Minuten hatten sie die Schaar der Rebellen zwischen sich gedrängt. Und wenn es ihnen auch gelang die Thür oder die Läden eines Hauses zu öffnen, würden nicht ihre Verfolger das Haus durchsuchen und sie dennoch ergreifen? –

Was halfs? der Versuch wenigstens mußte gemacht werden. Doch kaum erdröhnte der erste Schlag gegen einen Laden, da war auch schon Schleidens Cavallerie mitten unter ihnen.

»Zurück – zurück!«

Doch auch noch rückwärts war der Weg gesperrt, denn zwanzig Schritte hinter ihnen machte die Infanterie-Abtheilung Halt!

Jetzt galt es für sein Leben zu ringen. Mit dem Muthe Rasender wehrten sie sich, alles in ihrer Hand ward zur furchtbaren Waffe, und wer keinen Gegenstand zu seiner Vertheidigung mehr hatte, wehrte sich mit Fäusten und Zähnen; und Booth selbst ging mit dem Beispiel des Löwenmuthes voran.

»Ergreift ihn!« rief Schleiden, »Bindet ihn, schlagt ihn nicht hier todt, die meuterische Canaille muß an den Galgen!«

Allein mit dem Revolver in der einen, und einem Dolch in der andern Hand um sich fechtend hielt Booth seine Angreifer zurück. Mit dem Rücken in der Nische einer Hausthür lehnend, hatte er eine so vortheilhafte Position, daß seine Ergreifung nur mit den größten Opfern möglich war.

Schleiden sah es, sprang vom Pferde, eilte auf ihn zu und holte mit seinem Degen zu einem Hiebe auf die Hand des Wüthenden aus.

In demselben Moment aber ward die Hausthür, an welcher Booth lehnte, aufgerissen, ein Kopf und eine Hand wurden sichtbar, letztere streckte sich nach dem Angegriffenen aus, riß ihn mit einem kräftigen Ruck hinein, und die Thür schloß sich wieder.

Das Alles war das Werk weniger Sekunden. Der Gefangene war verschwunden, noch ehe die Umstehenden recht begriffen hatten, wie es zugegangen sei.

Einer aber befand sich unter ihnen, der das Gesicht der Person, die jenen gerettet erkannt hatte, denn diese Züge waren tief in sein Herz eingegraben. Seine Lippen bewegten sich und murmelten den Namen:

»George Borton!«


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