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Dreiundsiebzigstes Kapitel.
Der Thierbändiger

Wie dem Leser bereits aus der Erzählung Mr. Cleary's bekannt ist, hatte man Noddy, den Mulattenknaben, den Freund und Gefährten der kleinen Fanny, mit den übrigen aufständigen Negern, die man in Tennessee eingefangen hatte, unters Militair gesteckt. Er hatte sich, wie wir ebenfalls wissen, zum Beweise seiner Unschuld auf Mistreß Cleary berufen, welche damals in Richmond sich aufhielt; diese Dame indessen haßte den Knaben, weil es ihr nicht entgangen war, daß er ihr zweideutiges Verhältniß zu Wilkes Booth beobachtet und richtig erkannt hatte. Dieser Haß und wohl auch die Furcht, daß er über kurz oder lang ihrem Gemahl seinen Verdacht mittheilen werde, hatte sie bewogen, seine Abführung zum Militair nicht nur zuzulassen, sondern geradezu zu verlangen.

Allein Noddy hätte Alles gewagt für seinen Herrn und das Kind seines Herrn. Er wußte, daß schimpflicher Tod die Strafe des Deserteurs sein würde, allein, er fürchtete diesen Tod nicht; das Gefühl der Dankbarkeit und der kindlichen Hingebung war in ihm stärker, als die Furcht vor jener schrecklichen Strafe. Er war es seinem Wohlthäter schuldig, so lange es in seiner Macht stand, der Beschützer seines Kindes zu sein. Er hatte diese Pflicht übernommen und sie war für ihn eine heilige Pflicht. Wie aber sollte er Fanny's Aufenthalt entdecken, wie sollte er erfahren, was aus ihr geworden, und wie sollte er ihr Beschützer sein, wenn er mit den Regimentern bis an die Grenze des Landes geschickt wurde? Wer sollte Fanny ein Freund und Beschützer sein, wenn er in der Schlacht fiele? –

Das waren die Erwägungen, welche ihn zwangen zu dersertiren. Es war das sicherlich nichts als jugendliche Uebereilung, denn er hätte wissen müssen, daß, wenn er im Lande blieb, er sehr leicht wieder ergriffen sein würde, wenn die Militairbehörde sein Entweichen mit seinem Signalement öffentlich bekannt machte.

Dies geschah jedoch nicht, weil, wie Cleary dem Kriegsminister erzählte, derselbe ihn bei der Militairbehörde reklamirt und das Verlangen ausgesprochen hatte, daß man nicht auf ihn fahnde.

Freilich wußte Noddy weder von diesen Schritten seines Herrn, noch überhaupt, daß derselbe der Gefangenschaft entgangen sei, er wandte deßhalb ganz die Vorsicht an, die ein Deserteur nöthig hat, um nicht ergriffen zu werden. Er kehrte zunächst nach Winchester zurück. Von allen Mitteln entblößt, hatte er mit den entsetzlichsten Entbehrungen zu kämpfen, denn durfte er es wagen, zu betteln, oder sich bei einem Bürger zu verdingen? – Im ersten Fall wäre er sofort verdächtig gewesen, im zweiten Falle hätte sein Brotherr ohne Zweifel von ihm einen Erlaubnißschein seines bisherigen Herrn verlangt, respective seinen Freibrief. Er war also darauf angewiesen, sich mit Existenzmitteln zu versehen, die für ihn nicht so gefährlich werden konnten. Hauptsächlich waren es andere Neger, welche sich ihres Stammgenossen annahmen, ihn verbargen und mit Nahrung versahen. Ging das nicht, so waren Pflanzen des Feldes seine Nahrung und der freie Himmel sein Nachtquartier.

In Winchester, wo er sich bei einer alten Negerin im Verborgenen einige Zeit aufhielt, um Erkundigungen über Fanny's Verbleiben einzuziehen, erfuhr er sehr nahe die Wahrheit, daß nämlich Fanny mit einer fremden Dame, die Niemand kannte, am Morgen nach seiner Verhaftung abgereist sei. Mit welcher Bahn sie gefahren, das konnte er nicht genau in Erfahrung bringen, nur schloß er aus dem Umstande, daß Fanny in Richmond nicht angekommen, daß sie überhaupt nicht mit der Cumberland-Bahn gefahren sei, und aus der Richtung, welche der Wagen, der die Dame mit den übrigen Kindern nach dem Bahnhof brachte, genommen, hielt er es für wahrscheinlich, daß sie mit der Georgia-Bahn gefahren sei.

Auf diesem Wege beschloß Noddy seine Nachforschungen anzustellen. Die alte Negerin schüttete die ganze Summe ihrer Ersparnisse, die freilich sich nur auf einige Dollars belief, bereitwillig in seine Hand, seiner ehrlichen Versicherung trauend, daß er ihr Alles wiedererstatten werde, wenn er seine Herrin gefunden habe.

Noddy, obwohl kaum dem Knabenalter entwachsen, hatte eine weit über sein Alter hinausgehende körperliche Ausbildung Er war wohl proportionirt gewachsen und kräftig und muskulös gebaut. Sein regelmäßiges Gesicht war von hellerer Farbe als meistens bei Mulatten der Fall ist, und obwohl es nicht gerade schön genannt werden konnte, so verliehen ihm doch die feurigen dunklen Augen, in denen sich Muth und Intelligenz zugleich ausdrückte, zuweilen auch ein Anflug von Schwärmerei sich kund gab, und der ruhige Ernst seiner Züge, die feste Entschlossenheit seines Wesens, etwas ungemein Anziehendes und Interressantes.

Er verfolgte die Straße nach Charlestown theils zu Fuß, theils mit der Bahn, indem er auf jeder Station Erkundigungen einzog, nach der Dame, welche in Begleitung mehrerer Kinder hier vor etwa drei Wochen durchgereist sei.

Er erhielt nur sehr mangelhafte Auskunft. Die meisten der Stationsbeamten konnten sich der Dame nicht erinnern, und die, welche sie gesehen zu haben glaubten, wußten nicht, bis zu welcher Station sie gefahren sei. Das war allerdings sehr trostlos, indessen wußte Noddy doch, daß er sich auf dem rechten Wege befand, und mit einer Geduld und Ausdauer setzte er seine Nachforschungen fort, welche seinen edlen Charakter im besten Lichte zeigte. Nicht einen Augenblick dachte er an die eigene Gefahr, wenigstens ließ er sich durch die eigene Gefahr niemals abhalten, ein Mittel zu ergreifen, was ihm möglicherweise zur Erreichung seines Zweckes helfen konnte.

Der Zweck, welchen er verfolgte, war ihm eine durch die heiligsten Pflichten gebotene Aufgabe, und mit dem ganzen Ernst und der ganzen Energie seines Wesens und mit der ganzen Selbstverleugnung seines hingebenden Charakters widmete er sich derselben.

Ohne ein bestimmtes Resultat zu erhalten, kam er bis zu dem Städtchen Aikin. Hier erhielt er die erste sichere Kunde über jene räthselhafte Dame. Dies war nämlich die Stadt, in welcher sie mit den Kindern übernachtet hatte. Er hörte von dem Wirth des Gasthofes, daß die Dame am andern Morgen früh weiter gereist sei, ob aber mit der Georgia-Bahn nach Charlestown oder mit der Süd-Bahn nach New-Orleans, das konnte er nicht sagen.

Noddy mußte einsehen, daß es ihm in jedem Falle unmöglich sein werde, auf diese Weise zum Ziele zu kommen. Gesetzt auch, sein Geld hätte ausgereicht, um erst in Charlestown und dann in New-Orleans Nachforschungen anzustellen, wie sollte er in diesen großen Städten erfahren, wer die Dame sei und wo sie wohne; und war es nicht auch möglich, daß sie nicht in einer dieser Städte selbst, sondern in der Nähe derselben ihren Aufenthalt hatte? – Ja, war es nicht möglich, daß sie von Aikin aus gar nicht weiter mit der Bahn gefahren war, sondern in der Nähe wohnte? –

Niedergeschlagen und sinnend, was er beginnen solle, ging er durch die Stadt, natürlich die lebhaftesten Straßen vermeidend und diejenigen aufsuchend, in denen sein Erscheinen am wenigsten verdächtig war.

Während er so, ohne aus seinen Weg besonders zu achten, in Nachdenken versunken weiter schlenderte, kam er bis an eins der Thore.

Schon im Begriff, wieder umzukehren, und die Richtung nach dem Bahnhofe einzuschlagen, bemerkte er an einem Pfeiler des Thores ein in den riesigen Dimensionen ausgeführtes Plakat, wie sie in Amerika meistens angewandt werden, und auf der mächtigen Fläche des rothen Papiers las er folgende mit fußlangen Lettern gedruckte Ankündigung:

No hoombock! Kein Humbug.
Sehen und staunen!

Die Fürsten der Wüste und der Prairie!

Das einzige Exemplar einer Seeschlange in ganz Nordamerika!

Größte Sammlung von wilden Thieren, Löwen und bengalischen Tigern, Schlangen und Bären, Elephanten und Hirschen, und andern seltenen Thieren, welche zu zahlreich sind, um sie alle aufzuzählen; unter dem höchsten Beifall

Sr.·Exzellenz des Präsidenten Jefferson Davis, des Staatssecretairs Mr. Benjamin und der vornehmen Personen des Landes!

Der Löwenbändiger aus Central-Afrika!

Tomahuhu, der Unüberwindliche.

Der aufopfernde Eigenthümer der Menagerie hat keine Kosten gescheut, nicht nur die seltensten Thiere herbeizuschaffen, sondern auch ungeheure Summen angewandt, um zwei der merkwürdigsten Exemplare von Atzteken zu engagiren. Zur Abwechselung der Unterhaltung: Auftreten der vorzüglichen Künstlergesellschaft des

Professor Reinsch

aus Berlin, ersten Gymnastikers und Akrobaten auf dem europäischen Continent, welcher in Barnum's Etablissement sich die goldene Medaille erworben.

Miss Agnes Reinsch,

die Königin der Ascension, welche nur noch kurze Zeit auftreten wird, da sie, obgleich noch im zarten Kindesalter, von hier aus nach dem Norden gehen wird, um auf dem Seile gleich Blondin den Niagara zu überschreiten. Menagerie und Vorstellung nur 20 Cents die Person. Kinder die Hälfte. Der Schauplatz befindet sich im Kastanienpark.

William Seyers, vormals Gamp.

Man eile, um es zu sehen! Denn der Eigenthümer kann jeden Tag gewärtigen, nach Charlestown befohlen zu werden, um vor dem Hofe und der versammelten hohen Aristokratie eine Vorstellung zu gehen!

Noddy hatte diese Ankündigung mit Interesse gelesen, nicht sowohl, weil die Neugierde ihn zog, die Wunder des Mr. Seyers zu schauen, denn dergleichen hatte er bereits zu sehen Gelegenheit gehabt, sondern weil ihm bei Lesung des Plakats ein Gedanke aufstieg, der seine Zweifel über den jetzt einzuschlagenden Operationsplan lösen konnte.

»Die Menagerie und die übrigen Productionen,« so dachte er bei sich, »versammeln täglich ein großes Publikum und auch stets ein neues, man hat dort Gelegenheit, während der Dauer der Vorstellungen, fast die sämmtlichen Bewohner der Stadt und der Umgegend zu sehen. Dann zieht die Menagerie in eine andere Gegend, dort sieht man wieder viele Tausende von Leuten. – Wo hätte ich also bessere Gelegenheit zu meinem Ziele zu kommen, als wenn ich in jener Menagerie eine Anstellung habe? Es ist doch wahrscheinlich, daß, wenn wir an einen Ort kommen, in dessen Nähe jene Dame, die ich suche, wohnt, sie auch einmal die Menagerie besuchen wird, und ich werde sie unter Tausenden herauserkennen.«

Es mochte noch ein anderer Grund vorhanden sein, der Noddy bewog, eine Anstellung in der Menagerie zu suchen. Dort war er am wenigsten in Gefahr, entdeckt zu werden, denn dort würde man ihn sicher nicht suchen, und der Eigenthümer eines solchen Instituts würde voraussichtlich weniger peinlich sein, wenn Noddy ihm keinen Freibrief seines bisherigen Herrn vorzuzeigen vermochte. Und endlich mochte wohl auch der Umstand noch den Entschluß beschleunigen, daß die Kasse des Abenteurers zu Ende ging, und er also gezwungen war, sich irgend eine Erwerbsquelle zu suchen.

Der Kastanienpark befand sich ganz in der Nähe des Thores, an welchem Noddy das Plakat gelesen hatte. Er gewahrte auch bereits von Weitem das kolossale Etablissement.

Es war ein großer viereckiger Raum, rings mit Segeltuch eingehegt, hinter welchem an einem Ende die Thierwagen standen, am andern aber die Bühne für die Vorstellungen des Mr. Reinsch aufgerichtet und das Thurmseil für die Productionen der Miß Agnes ausgespannt war.

Der Amerikaner liebt ein vielseitiges Amüsement, deshalb wird in solchen Schaustellungen stets alles Mögliche producirt, indessen schien es, als ob die Bewohner von Aikin bei Weitem mehr für die Menagerie als für die Leistungen der Gesellschaft des Mr. Reinsch inclinirten, denn ein dichter Kreis von Schaulustigen drängte sich nach dem Ende des Leinwand-Vierecks, an welchem sich die Thierwagen befanden, während nur Wenige Interresse nahmen an dem über die Leinwand hinausragenden Thurmseil und an den Stangen und Gerüsten der Akrobaten.

Obgleich das Segeltuch so dicht war und so sorgfältig aufgespannt, daß auch nicht die kleinste Lücke einem indiscreten Blick erlaubte, in das Innere zu dringen, so zeigte doch derjenige Theil der Bevölkerung von Aikin, dem eine Summe von 20 Cents unerschwinglich war, eine bewundernswürdige Ausdauer, sich an dem qualvollen Anblicke, des ihm verschlossenen Paradieses zu weiden. Vom Mittag bis zum Abend pflegten die Schaaren jener Unglücklichen dazustehen und geduldig das Bild vor der großen Bude neben der Eingangstreppe anzustarren, welche letztere ihnen erschien wie die Jakobsleiter, auf welcher der Weg in den Himmel führt. Wenn auch eigentlich keine Möglichkeit vorhanden war, daß ihnen von den Schätzen, welche das Viereck barg, etwas zu Gesichte kommen konnte, so gab doch die geduldige Menge ihren Platz nicht auf, sei es, daß sie hoffte, es werde irgend einer der mächtigen Thierwagen, durch einen glücklichen Zufall umstürzen und die Leinwand zerreißen, sei es, daß sie es nicht für unwahrscheinlich hielten, daß die Dame mit dem Essiggesicht, welche an der Kasse saß, sie einmal einladen würde, umsonst einzutreten.

Indessen so ganz unfruchtbar war die Ausdauer des dollarlosen Publikums doch nicht, denn trotz der sorgfältigen Aufspannung des Segeltuches gab es doch Manches zu sehen, was im höchsten Grade sehenswürdig war, namentlich bei einigermaßen bescheidenen Ansprüchen.

Da waren erstlich nicht weniger als zehn Männer offenbar vom höchsten Range und großem Reichthum, denn ihre bunte Kleidung mit – natürlich ächtem – Gold bordirt, und die Mützen mit den dicken – ebenfalls natürlich ächten –Goldspangen, bezeugten beides nur zu deutlich. Diese standen auf einer Ballustrade neben der Kasse und jeder von ihnen trug ein mächtiges Musikinstrument in der Hand. Alle Stunden einmal setzten sie diese Instrumente an die Lippen und mit kirschbraun geschwollenem Antlitz entlockten sie denselben Töne, wie sie kaum die Bestien drinnen hervorzubringen vermochten.

Dann trat zweitens von Zeit zu Zeit ein verdrießlich blickender Mann von respectablem Körperumfang mit einer dicken goldenen Uhrkette, woran ein mächtiges Petschaft hing, aus der Bude hervor, und in ihm sah man, wie man sich sehr richtig in die Ohren raunte, den großen Seyers in eigner Person vor sich. Derselbe trat an den Rand der Ballustrade und rief mit lauter Stimme:

»Näher! Treten Sie näher, meine Damen und Herren, um die größten Wunder der Wüste und der Prairien und die erstaunlichsten Leistungen der Gegenwart in Augenschein zu nehmen!«

Nach diesen Worten pflegte er sich dann an die Dame mit dem Essiggesicht zu wenden, und mit ihr leise einige Worte zu wechseln, offenbar über ein nicht sehr erquickliches Thema, denn die Dame pflegte gewöhnlich mit einer ärgerlichen Geberde auf die Kasse und mit einem energischen Schütteln ihres Kopfes der Unterredung ein Ende zu machen, worauf dann Mr. Seyers wieder ins Innere der Bude verschwand.

Endlich aber gab es für die Draußenstehenden selbst von den Thieren etwas zu hören, auch sogar zu sehen. Einmal hörte man das Kamel – wenigstens behauptete das ein Schreiber, der in seiner Jugend einmal den zoologischen Garten in Philadelphia gesehen hatte – ganz deutlich niesen, und einmal vernahm man einen Laut, welchen jener naturkundige Schreiber für das Gähnen des Elephanten erklärte, obgleich einige, freilich unwissende, Personen behaupten wollten, dieses Gähnen komme aus dem höchsteigenen Munde des Mr. Seyers. Diese Wahrnehmung erregte natürlich ungeheure Sensation unter den vom Paradiese Ausgeschlossenen; was aber deren Ausdauer noch mehr befestigte, war der Umstand, daß ein Junge einmal das Glück hatte, die Beine der weiblichen Hyäne durch ein Loch im Segeltuche zu sehen, welches Loch indessen, sobald man davon Kenntniß erhielt, sofort von Innen verstopft wurde.

Noddy brach sich mit den Ellenbogen Bahn durch die dichte Menge.

Er überlegte einen Augenblick, ob er gleich von vorn herein mit seinem Begehren sich an Mr. Seyers wenden oder ob er lieber erst als Zuschauer eintreten sollte, um so das Terrain von vorurtheilsfreiem Gesichtspunkte aus zu recognosciren. Nach einiger Erwägung für und wider entschloß er sich zu dem Letzteren.

Er trat also an die Dame mit dem Essiggesicht heran, legte einen 20-Centschein auf ihren Teller und ward dafür von Seiten der Dame mit einem liebenswürdigen Lächeln belohnt.

Er zauderte einen Augenblick, einzutreten, denn er überlegte noch einmal, ob es nicht besser sei, ihr lieber seine Absicht mitzutheilen. Als aber die Dame einen Blick auf seine bestäubte nicht eben elegante Kleidung warf, sagte sie mit einer schrillen Stimme, die sehr im Widerspruch stand mit dem eben gespendeten Lächeln:

»Nun, machen Sie, daß Sie hineinkommen, junger Mann und stehen Sie nicht den hohen Herrschaften und dem verehrten Publikum im Wege!«

Dies war allerdings nicht ein Ton, der Noddy besonders ermuthigen konnte. Ohne ein Wort zu erwidern trat er ein.

Die Vorstellungen im vordern und hintern Raum des Vierecks wechselten den ganzen Tag ab. Als Noddy eintrat, befand sich der Zuschauerkreis im letzten Theile, um den Vorstellungen der Gesellschaft des Mr. Reinsch, des größten Gymnastikers und Akrobaten des europäischen Continents zuzuschauen, und zwar erntete eben Miß Agnes einen fabelhaften Beifall für einen graziösen Tanz auf einem niedrigen Seil. Den Knaben interessirten diese Vorstellungen weniger, als die Menagerie; er zog es daher vor, zunächst diese in Augenschein zu nehmen.

Die Menagerie des Mr. Seyers vormals Gamp war in der That eine vorzügliche Sammlung wilder Thiere und bedeutend besser, als man nach der Marktschreierei des Anschlagezettels hätte vermuthen können. Die Thieren waren alle in bestem Zustande und zeichneten sich vortheilhaft vor ihren Leidensgenossen in andern Menagerien aus, welche gewöhnlich ein so verhungertes, lebensmüdes Aussehen haben, daß sie einen sehr traurigen Anblick gewähren.

Die Thiere waren in etwa zwanzig großen Wagen aufgestellt, von denen einige zwei, andere noch mehr Käsige enthielten, die in verschiedenen Etagen angebracht waren. So zum Beispiel bewohnte die weibliche Hyäne, deren Beine jenes dollarlose Individuum gesehen hatte, den untern Stock eines Käfigs, während in der Etage über ihr ein Schakal seine Wohnung hatte, der in unablässiger Eile den Käfig von einem Ende zum andern durchlief und selbst an den Eisenstäben in die Höhe kletterte, als habe er an der Decke seines Käfigs ein sehr dringendes Geschäft, gleich darauf aber wieder in die entfernteste Ecke sprang, als hätte er dort etwas vergessen, und überhaupt eine Unruhe an den Tag legte, welche ihn der Mietherin unter ihm sehr rücksichtslos erscheinen ließ.

Noddy hatte noch nicht viel von der Menagerie gesehen, als die Vorstellung am andern Ende des Zeltes bereits zu Ende war, und ein Mann, welcher den Cicerone der Menagerie machte, zu dem Elephanten trat und ihn aufforderte, eine Glocke zu läuten.

Dies war das Signal für die Zuschauer, daß jetzt die Vorträge über die Natur und Lebensweise der Thiere beginnen sollten und es sich deshalb in die betreffenden Raume verfügen möge.

Das geschah denn auch. Ein Kreis Wißbegieriger sammelte sich um den Cicerone und dieser begann seinen Vortrag. Derselbe war allerdings originell gering und zeichnete sich namentlich durch einen Reichthum der Phantasie aus, welche den Thieren Eigenschaften andichtete, von denen noch kein Naturforscher etwas weiß. Wir wollen indessen mit der Wiederholung dieses höchst interessanten Vortrags zurückhalten, und nur eine Eigenthümlichkeit desselben erwähnen, welche Noddy freilich jetzt noch nicht erkannte, aber später doch kennen lernte. Der Cicerone hatte nämlich die Eigenschaft, daß er sich dem Publikum gegenüber, an dessen Generosität er sich vergeblich mit seinem Hute wandte, einen ganz andern Vortrag hielt, als da, wo er eine einigermaßen erkleckliche Belohnung für seine Dienste erwarten durfte. Im letzten Falle schmeichelte er allen Thieren und versah sie mit allen nur erdenklichen Tugenden, im ersten Falle aber wußte er nur schlechte Eigenschaften von ihnen zu berichten und verfuhr gegen einzelne mit solcher Ungerechtigkeit, daß seine Darstellung ihres Charakters geradezu für Verleumdung gelten mußte.

Der Cicerone kannte das Publikum von Aikin gut genug, zu wissen, daß er seinen Hut so leer zurückziehen würde, als er ihn hinhalten würde, sein Vortrag war deshalb heute ungerechter als je, und da er außerdem nichts lieferte, als allbekannte Thatsachen, so fühlte sich Noddy sehr wenig angesprochen, hütete sich aber wohl, seinen künftigen Kollegen etwas von dem, was er dachte, merken zu lassen.

Die interessantesten Thiere von allen waren, obgleich der Cicerone gerade von ihnen am wenigsten zu sagen wußte, in den Augen Noddy's die Löwen und die Tiger, welche drei nebeneinanderliegende Käfige bewohnten. Den ersten nahmen drei Löwen und vier Löwinen ein, der mittlere wurde von der sogenannten »glücklichen Familie« bewohnt, womit der Cicerone eine Anzahl von Tigern bezeichnete, die dort haus'ten. Der dritte Käfig wurde von einem Löwen und einer Tigerin bewohnt.

Welch ein Unterschied zwischen dem König der Thiere, wie er so dalag, die Vordertatzen ausgestreckt, schläfrig und in sein Schicksal ergeben, aber doch mit den halbgeschlossenenen Augen ernst und klug um sich blickend, sich seiner Majestät und Kraft wohl bewußt – und zwischen der mit ihm eingekerkerten Tigerin, welche in ungeduldigen, geräuschlosen Schritten fortwährend hin und her ging, wobei ihre Augen blutlechzendes Feuer zu sprühen schienen gegen jeden, der sich nahte. Aber mochte die Tigerin gegen die ganze Schöpfung Wuth schnauben, so hob sie doch vorsichtig die Tatzen, so oft sie bei ihrem Hin- und Herschreiten den Vordertatzen des Löwen zu nahe kam, um den Gewaltigen nicht zu reizen.

Mit einem wahrhaft mörderischen Blick empfing das Thier den Cicerone, als dieser sich ihrem Käfig nahte. Unbeweglich stand es, jeden Muskel wie zum Sprunge angespannt, ein Bild der fürchterlichsten Schönheit, als ob der Erste, der es wage, in seine Nähe zu kommen, seiner Wirth zum Opfer fallen müsse.

»Geht Tomahuhu in diesen Käfig auch?« fragte Noddy.

»O ja,« antwortete der Cicerone. »Er geht stets hinein, wenn wir ein zahlreiches und respectables Publikum haben. So aber wie heute die Sachen hier stehen, so wäre es gegen seine Würde, es zu thun. Trotzdem aber wird er heute zu den sieben Löwen in den Käfig gehen, damit Niemand sagen kann, wir versprechen mehr, als wir halten. Wir unserestheils thun schon unsere Schuldigkeit, aber was das Publikum betrifft, so ist das immer undankbar genug gegen unsere Leistungen.«

»Betritt er denn den Tigerkäfig auch?« fragte Noddy, für welchen diese Thiere und deren Dressur, die ihm noch völlig unbekannt war, ein ungeheures Interesse hatte.

Er deutete bei diesen Worten auf den Käfig mit der »glücklichen Familie«, jener katzenartigen Thiere, welche in ihrer unheimlichen Geschmeidigkeit zähnefletschend in ruhelosem Hin- und Herrennen über- und untereinander wegglitten.

»Ob er diesen Käfig betritt?« antwortete der Cicerone mit geringschätzigem Lachen. »So lange ihm der liebe Gott seinen gesunden Verstand läßt, wird er nicht hineingehen, mein Freund.«

Der Cicerone wollte damit nicht etwa ausdrücken, daß er erwarte, Tomahuhu würde seinen Verstand einmal verlieren, sondern er wollte nur sagen, daß ein Besuch bei dieser glücklichen Familie sicherer Tod sein würde. –

Nun kamen die Atzteken an die Reihe. Die beiden verkrüppelten Zwerge stiegen aus ihrem Wagen, der ihnen zur Wohnung diente, auf einer Leiter herab und stellten sich dem Publikum vor. Der Cicerone behauptete, daß sie die Sprache des Landes nicht verständen Noddy hoffte, daß dies in der That der Fall sei, denn wenn sie das Englische verstanden hätten, so würden sie die Worte des Cicerone, der über sie in demselben Tone sprach, wie er von den Affen und Elephanten gesprochen, auf's Aeußerste verletzt haben.

Die Funktion des Cicerone endigte damit, daß er ankündigte, es werde nun die Dressur der Löwen durch Tomahuhu den Unüberwindlichen beginnen.

Die Pause welche, bis zum Erscheinen des Löwenbändigers eintrat, benutzte der Cicerone, seinen Zuhörern mitzutheilen, daß er es demjenigen, bei welchem sein Vortrag Beifall gefunden, anheim gebe, ihm dies durch die Spende irgend eines unbedeutenden Geldstückes zu bethätigen.

Diese zarte Andeutung brachte unter den Zuschauern eine fast wunderbare Wirkung hervor.

Die guten Aikinianer fingen plötzlich an, an Dingen Interesse zu nehmen, welche ihrer Aufmerksamkeit bis dahin völlig entgangen zu sein schienen. Da waren zum Beispiel die Latten, an welchen die Decke des Zeltes befestigt war, da waren die Wagengestelle und manches Andere, was sie mit einer Aufmerksamkeit in Augenschein nahmen, welche einer bessern Sache würdig war.

Der Cicerone sah ihrem Beginnen mit sardonischem Lächeln zu, zog seinen leeren Hut zurück, in welchen Niemand die zart angedeutete Spende geworfen, außer Noddy, der Mulattenknabe, für welche Freigebigkeit diesem die Auszeichnung wurde, daß sich der Empfänger an ihn mit den zwar vertraulich, aber so laut gesprochenen Worten wendete, daß die Aikinianer, wenn sie sonst wollten, sie vollständig hättest hören können.

»Haben Sie jemals im ganzen Gebiet der konföderirten Staaten ein solches·Lumpengesindel gesehen, wie dieses Volk von Aikin?«

Die Antwort wurde dem guten Noddy erspart durch das Eintreten des Löwenbändigers selber, des Mr. Tomahuhu aus Central-Afrika.

Das Auftreten des Löwenbändigers mußte in der That ein imposantes genannt werden. Seine Größe reichte über die gewöhnliche Größe weit hinaus; auf seinem Haupte glänzte eine Krone von Messing, welche in den Augen des Publikums natürlich pures Gold war. Gekleidet war er in einem Anzug von grünem Leder, und über seine Schultern hatte er ein Leopardenfell gehängt. Angeblich war, wie Mr. Seyers wenigstens zu behaupten pflegte, dies das Costüm, in welchem Tomahuhu, der Unüberwindliche, lediglich mit einer Peitsche bewaffnet, in den Wüsten Abyssiniens den Löwen nachjagte.

Er war unleugbar ein schöner Mann. In seinem ganzen Wesen sprach sich eine Ruhe und Majestät aus, welche der des Löwen, der mit der Tigerin in demselben Käfige sich befand, vollständig ebenbürtig zu sein schien. So wie an dem Löwen, war auch an ihm jeder Zoll ein König, und sein Blick majestätischer, als der vieler anderer Kronenträger.

Ohne auf das Publikum zu achten, das ihn mit Blicken anstaunte, wie die Bewohner von Schilda einen Fürsten von reinsten Geblüt anstaunen würden, ging er auf den Käfig, in welchem die Löwenfamilie versammelt war, zu, öffnete die Gitterthür, ging hinein und befand sich mitten unter den Bestien.

Er that das ohne jegliche Ostentation und ohne jegliche Bravour, sondern mit einem ruhigen, fast melancholischen Ernst in seinen Zügen, gleichsam als ob er ein gütiger Herr sei, welcher sich in die traurige Nothwendigkeit versetzt sieht, angezogene Untergebene zu züchtigen.

Er begann denn auch diesen Akt der Correktion sofort damit, daß er sich den sieben Wüstenbewohnern gegenüberstellte und ihnen durch eine drohende Geberde das laute Gebrüll untersagte; demjenigen aber, der sich ihm am ungehorsamsten zeigte, mit der Peitsche, welche er in der Hand hielt, eine Lection zukommen ließ, welche ihn bald zum Gehorsam zurückbrachte.

Darauf ergriff er den größten Löwen beim Schopf, richtete ihn hoch am Gitter empor, legte dessen Vordertatzen auf seine Schulter und sah ihm fest ins Auge, gleichsam als wollte er sagen: »Friß mich, wenn Du kannst!«

Der Löwe seinerseits aber schien ihm zur Antwort zu geben:

»Ich thäte es gern, aber ich kenne die Wirkung Deiner Peitsche.«

Die Production endete mit der sogenannten Löwenjagd, das heißt, er jagte die Thiere im Käfig umher, zwang sie, im wilden Uebereinander und Untereinander sich zu tummeln, über ihn wegzuspringen u. s. w. und schoß schließlich für 2 Cent Pulver über ihre Köpfe weg.


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