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Siebenundsechzigstes Kapitel.
In der Wilderneß

Wir übergehen in unserer Geschichte einen Zeitraum von sieben Monaten, während dessen im Norden die Emissaire des Südens unablässig beschäftigt waren, die ihnen gewordene Aufgabe zu erfüllen, Gräulscenen, wie wir sie bei der Pöbelemeute zu New-York schilderten, wiederholten sich in Washington, Baltimore und anderen größeren Städten, aber ohne einen größeren Erfolg als zu New-York

Ueberall hatte man versucht, den Pöbel gegen die Conseriptionen aufzustacheln, aber nichtsdeftoweniger gingen dieselben ununterbrochen ihren Gang fort.

Am Ende des Jahres 1863 hatten sich die Verhältnisse sehr zu Gunsten der Union verändert. Regierung und Volk hatten die Ueberzeugung gewonnen, daß nur die äußerste Energie und die vollständige Durchführung der Sklavenbefreiung, die Erhaltung der Union und einen dauernden Frieden herbeizuführen vermöchten.

Schon seit dem 1. Januar 1863 waren vom Congreß die Sklaven in den aufständischen Staaten frei erklärt, und am 1. Januar 1864 wurde zur vollständigen Ausführung dieses Beschlusses die Bewilligung der umfassendsten Geldmittel beschlossen.

Seit Grant den Oberbefehl über sämmtliche Streitkräfte des Nordens führte, begann sofort ein ganz veränderter Feldzugsplan. Der Norden hatte bisher seine Streitkräfte dadurch zersplittert, daß er die Staaten der Conföderation von den verschiedensten Punkten angriff. Das hatte vielen Nachtheil gehabt, denn es hatte nicht nur manches mißglückte Unternehmen, sondern auch unendliche Verluste zur Folge.

Ulysses Grant concentrirte alle auf den unbedeutenden Kriegsschauplätzen irgend entbehrlichen Streitkräfte in Virginien und an der Nordgrenze von Georgien. Sein Plan war, unaufhaltsam vorwärts bis an die Hauptstadt des Landes zu dringen, unbekümmert um die Forts und festen Plätze, welche zu beiden Seiten seines Zuges liegen blieben; während Sherman, der die Westarmee kommandirte, von Shattanooga aus demselben Ziele zustreben sollte.

Der Armee Grant's stand Lee gegenüber, der Armee Sherman's stand Johnston gegenüber.

So standen die Sachen zu Anfang des Jahres 1864. Beide Theile wußten, daß das kommende Jahr 1864 für die Entscheidung des Krieges maßgebend sein würde, und rüsteten sich daher mit Aufbietung aller ihrer Kräfte, und indem sie nicht bloß die reiche amerikanische Industrie und Technik, sondern auch die ganze Zähigkeit und Schwungkraft des amerikanischen Characters ausbeuteten, zum bevorstehenden Entscheidungskampfe.

Grant begann seine Operation am 5. Mai 1864 damit, daß er vom Rappahannock aus gegen Spottsylvania vorrückte.

Dieser Kriegszug Grant's steht in der Kriegsgeschichte fast einzig da. Selten ist irgend ein Kampf mit größerer Wuth und Erbitterung einerseits, und mit größerer Ausdauer und Zähigkeit andererseits gekämpft worden. Der entschlossene Widerstand Lee's, dem jeder Fuß breit Erde mit Menschenleben abgerungen werden mußte, der unbeugsame Wille, die unerschütterliche Festigkeit, mit welcher Grant, trotz der Hunderttausende von Menschenopfern, bei seinem Plan beharrte, das Alles macht diesen Kriegszug zu einem blutig schaurigen Drama, wie wir es in der Kriegsgeschichte der neueren Zeit vergebens suchen.

Zwischen dem Flusse Rappahannock und Spottsylvania dehnt sich eine weite wüste Ebene von etwa 40 Meilen Durchmesser aus. Es ist ödes Haideland mit nur niedrigen Hügeln und hin und wieder mit niedrigem Gestrüpp bewachsen, jener Art von Tannensträuchern, welche mit dem technischen Ausdruck unserer Kriegssprache mit »Kuscheln« bezeichnet werden.

Diese Ebene heißt die Wilderneß Wildniß. Da hindurch sollte der Zug zunächst gehen.

Unsterblichen Ruhm haben sich auf diesem Zuge die Truppen des Nordens errungen, und mit glänzenden Zügen stehen im Buch der Geschichte die Namen: Grant, Burnside, Hancock, Sigel, Sheridan, Wadsworth und viele andere verzeichnet. Und nie hat Haß und Wuth die Truppen zu größerer Unerschrockenheit, Verwegenheit und Todesverachtung getrieben, als bei den Truppen der Conföderirten der Fall war. Sie verdienten mit Lorbeern bekränzt zu sein, wenn sie nicht die Werkzeuge der Rebellen gewesen wären; allein mit Bewunderung muß man dennoch Männer wie Lee, Beauregard, Longstreet, und Hill erwähnen.

Am Morgen des 5. Mai mit Tagesgrauen rückten Grant's Colonnen in vorsichtigen Märschen vor. Man wußte, daß die Rebellen eine starke Position hinter einem Hügel, welcher ziemlich dicht bewachsen war, einnahmen.

Der erste Kampf begann, die Colonnen der Union stürmten; die Rebellen wichen.

»Das war ein leichter Sieg!« jubelten die Unionisten. »Wenn wir es überall nicht schlimmer haben, so stehen wir in wenigen Wochen vor Richmond.«

Welche Täuschung! – Mehr als eine halbe Million Menschen sollte noch erst geopfert werden, ehe dies Ziel erreicht wurde!

Schon um 3 Uhr Nachmittags sah Grant, daß der Rückzug der Rebellen nur ein Manöver gewesen war, welches den Zweck hatte, ihn in seinen Märschen weniger vorsichtig zu machen. Beinahe wäre dieser Zweck erreicht worden; denn die Schlachtordnung zog in der festen Ueberzeugung, daß der Feind nicht eher wieder Position fassen würde, als bei Spottsylvania, über die weite, fast baumlose Ebene dahin, ohne besondere Vorsichtsmaßregeln anzuwenden. Wozu auch? Konnte man ja doch fast vier Meilen weit jeden Feind erkennen.

Die Rebellen hielten plötzlich in ihrem Rückzuge inne; Schnell war ihre Schlachtordnung hergestellt. Wie eine breite und dicke Mauer standen ihre Colonnen. Was aber hatte das zu bedeuten? Zwei Divisionen Infanterie formirten sich mitten vor dieser Mauer zu einer keilförmigen Masse, welche begann sich vorwärts, dem anrückenden Feinde entgegen zu bewegen, während zugleich jene Mauer unmittelbar folgte.

Grant sollte bald erkennen, was das zu bedeuten hatte. Er blieb nicht lange zweifelhaft, daß das die Heeresmacht des General Hill sei, welcher diesen Keil in die Unionsarmee zu schieben und dieselbe auf diese Weise zu spalten, sich zur Aufgabe gemacht hatte.

Ein furchtbares Musketenfeuer empfing den Feind, aber vergebens. – Unaufhaltsam drang Hill vor, unbekümmert, ob sich hinter ihm die Ebene mit den Gefallenen bedeckte, und unaufhaltsam rückte die Schlachtlinie nach. Wegen des dazwischen liegenden Gebüschs konnte die Artillerie nicht in Anwendung kommen.

Die Rebellen feuerten keinen Schuß ab. Im dichtesten Hagel der Musketen-Kugeln marschirten sie so ruhig und kaltblütig vorwärts, als wäre der Feind hundert Meilen weit entfernt, statt einiger hundert Schritte. Es fehlte nicht viel, so wäre dieser tollkühne Plan Lees gelungen. General Getty stürzte sich auf den bereits im Geschwindschritt marschirenden Keil. Er stellte sich mit seiner Division ihm gerade in den Weg, allein sie achteten dieses Hindernis nicht mehr, als gälte es einen Wall zu übersteigen. Erst als sie zehn Schritte von der Schlachtlinie Getty's entfernt waren, gaben die Rebellen eine Musketen-Salve auf dieselbe. Furchtbar war die Wirkung. Die Bataillone prallten zurück, denn ein Drittel der Mannschaft lag todt oder verwundet am Boden. Hill aber marschirte vorwärts. –

Wieder kein Feuer von Seiten der Rebellen. Stumm und lautlos stürmten sie weiter. Hancocks Division bildete das Centrum der Schlachtlinie Grants. Auf diese war es abgesehen. Salven auf Salven ließ Hancock geben, und schwächer und schwächer wurden die Sturmkolonnen, aber nichts hielt sie ab, bis unmittelbar vor die Front des Gegners zu rücken. – Hier erfolgten erst wieder aus der Entfernung von nur 10 Schritten die vernichtenden Salven, und dann ging's mit Bajonett und Bowie-Messer mitten in die Reihen der Unionssoldaten, und eine Schlächterei begann, die seit Jahrtausenden beispiellos ist.

Hancock wich. Das Centrum war durchbrochen, und die nachfolgenden Colonnen Lees drangen mit Siegesgeheul auf die Bresche ein. –

Bestürzung ergriff die Soldaten der Union. Waren das Menschen oder waren ihre Gegner leibhaftige Teufel? Sie wichen. Das Centrum drängte sich zurück, der linke Flügel gerieth in Unordnung. Wie die Tiger wütheten die Rebellen in den Reihen ihrer Gegner, bis zum letzten Hauch Flüche gegen die »Yankees« ausstoßend.

Grant schickte eine Division nach der andern zu Hülfe, aber eine Division nach der andern wurde vernichtet. Die eiserne Stirn des Feldherrn umdüsterte sich. Schon verließ Muth und Siegesgewißheit seine Reserven, sie rückten zaghaft vor, denn sie wußten, daß sie nur das Geschick ihrer Kameraden theilen würden; ja einzelne Regimenter machten sogar Miene den Gehorsam zu verweigern.

»Wir werden geschlagen«, murmelte Grant. »Die Rebellion wird über uns triumphiren. – Die Rebellion siegt! – Ist denn kein Truppentheil da, der diesen Bestien die Spitze bieten will, der ihrer Mörderwuth trotzt?« – –

Stumm standen mehrere seiner Generäle um ihn, den Blick zu Boden gesenkt, denn auch ihnen drängte sich von Viertelstunde zu Viertelstunde mehr und mehr die Gewißheit einer furchtbaren Niederlage an.

Da sprengte ein Reiter heran, sprang vom Pferde und näherte sich dem Oberbefehlshaber.

»Was giebt's, Oberst Brown?« redete ihn Grant an. »Bringen Sie auch traurige Nachricht vom rechten Flügel?«

»Nein, Sir«, antwortete Edward Brown, »das nicht, ich habe nur eine Bitte des General Weitzel vorzutragen!«

»Sprechen Sie, lieber Brown.«

»Mr. Weitzel hat zwar um die Gunst gebeten, mit seiner Neger-Division auf den rechten Flügel gestellt zu werden, unter Burnside's Kommando, weil er glaubte, daß es dort am meisten Arbeit geben würde für die braven Schwarzen, allein er sieht, daß das Centrum und der linke Flügel angegriffen sind und bittet jetzt mit seiner Division gegen Hill und Lougstreet vorrücken zu dürfen.«

Grants Gesicht hellte sich auf.

»Er mag vorrücken, der tapfre Weitzel!« rief er, »und die Helden von Tennessee diesen Hyänen entgegen führen, ihr Beispiel wird vielleicht heilsam auf unsere anderen Truppen wirken.«

Dankend verabschiedete sich der Quadroone, schwang sich auf sein Pferd und gallopirte davon.

Eine Viertelstunde später marschirte die Neger-Division im Sturmschritt vorbei. Edward Brown führte die erste Angriffs-Colonne. Jubelnd und Siegesgeschrei ausstoßend, stürmten sie über die Ebene.

Dieselbe Taktik verfolgend, wie bei Reynoldsburg, suchte Edward eine gedeckte Stellung hinter einem Hügel zu gewinnen, welchen Hill beim Vordringen zu überschreiten hatte. Kampfesmuthig und rachgierig, konnten die erbitterten Neger kaum den Moment erwarten, wo ihnen Gelegenheit gegeben wurde, dem seit Decennien angesammelten Haß Luft zu schaffen und die Wollust der Rache zu empfinden.

Der Moment kam. Die flüchtigen Truppen Hancocks verfolgend, stürmten die Divisionen Hills über den Hügel.

Da, gleich einer Mine, welche sich im Boden öffnet, Tod und Verderben emporschleudernd, sprangen die Schwarzen auf, und stürzten sich mitten in den Feind. Mann an Mann rang. Messer und Fäuste waren die tödtlichen Waffen. Tiefer, immer tiefer hinein in die Mitte der Feinde drang Edward mit seinen Colonnen, bis der Haufe der Feinde aus Schwarzen und Weißen bunt gemischt erschien. Hyänen rangen mit Tigern der afrikanischen Küste und zerfleischten einander in grimmer Wuth.

Hill's Heeresabtheilung, schon ohnehin durch die Verluste bis auf ein Drittel zusammengeschmolzen, war so gut wie vernichtet. Weitzel warf sich auf Longstreet. Die Commandeure des linken Flügels faßten von neuem Position, Muth und Siegesgewißheit kehrten wieder. Die Fliehenden sammelten sich, und – Lee ward zurückgeschlagen.

Wuthschnaubend wandte sich Hill zur Flucht, über das mit Leichen bedeckte Schlachtfeld hin.

In ihrer wahnwitzigen Erbitterung ließen sie ihre Wuth noch an den Verwundeten aus, auf welche sie stießen. Man zertrat die verwundeten Unionssoldaten entweder mit den Füßen, indem ganze Brigaden über sie wegmarschirten, oder stieß ihnen das Bajonett durch die Brust.

30,000 Todte kostete dieser Sieg und 28000 Verwundete wurden mit einem Eisenbahntrain noch an demselben Tage nach Yorktown geschickt, und allein von der Unionsarmee waren 12,000 Gefangene oder Vermißte. Ganze Regimenter waren von den Rebellen gefangen genommen worden, und ebenso hatte man ganze Regimenter der Rebellen von Seiten der Unionisten gefangen genommen.

So blutig indessen dieser Kampf auch gewesen war, es sollten die erschöpften Soldaten doch noch nicht Ruhe haben.

Es war 9 Uhr Abends, als den ermüdeten Verfolgern das »Halt« ertönte, was ihnen endlich nach dem heißen Tage die ersehnte Ruhe verschaffen sollte.

Lee machte Front hinter den Schanzen, welche bereits ausgeworfen waren, um ihm im Falle eines Rückzuges Deckung zu geben.

Die feindlichen Armeen standen wieder einander gegenüber. Da wurde auf den Schanzen der Rebellen die weiße Fahne aufgesteckt. Ein Parlamentair erschien und erbat einen Waffenstillstand von 6 Stunden, um die Todten zu beerdigen und die Verwundeten zu verbinden. –

Der Waffenstillstand wurde bereitwillig gewährt. Compagnieen von beiden Seiten durchstreiften das weite Schlachtfeld und begannen die Todten zu begraben. In den Lagern zündete man Wachtfeuer an, um sich durch ein gutes Mahl und dann einen sechsstündigen Schlaf von den Strapazen des Tages zu erholen.

Die ehrlichen, arglosen Commandeure der Unionsarmee ahnten nichts von den perfiden Grundsätzen der Rebellen, wie sie die Führer derselben, die Ritter des goldenen Cirkels verbreiteten. Wie sollte der ehrliche deutsche General Sigel, oder der alte biedere Hancock daran denken, daß ihre Gegner, welche sie bei dem ernsten und traurigen Werte der Bestattung ihrer Todten wähnten, verrätherisch das heilige Recht des Waffenstillstandes verletzen und auf Verrath sinnen würden?

Diese Arglosigkeit kostete wieder viele tausend Opfer. Kaum zwei Stunden nach Abschluß des Waffenstillstandes, machten plötzlich die Rebellen einen Ausfall. Sigel und Hancock wurden angegriffen und ihre ganze Heeresabtheilung, welche sich der tiefsten Ruhe überlassen hatte, wäre vernichtet worden, wenn nicht Grant, der mißtrauisch genug war, um den Worten der Rebellen nicht zu glauben, noch rechtzeitig Hülfe gesandt hätte.

Die todtmüden Schläfer auf dem Rasen wurden ermordet, noch ehe sie erwachten und die Feinde mitten im Lager sahen. Glücklicher Weise war die Nacht finster, das Gebüsch, in welchem die Soldaten schliefen ziemlich dicht, und die Hülfe ziemlich nahe. Der Feind wurde zurückgetrieben, und Alles schwur ihm Rache für den folgenden Tag.

Die Erbitterung der Unionssoldaten gab der Erbitterung der Rebellen nichts mehr nach, denn sie hatten jetzt die Gewißheit, daß sie nicht gegen einen ehrlichen Feind, sondern gegen eine Bande von Meuchelmördern kämpften, welche mitten im Frieden die Schläfer auf ihrem Lager ermordeten.

Niemand that die Nacht ein Auge zu. Furcht vor neuen Ueberfällen und Aufregung und Wuth ließen Keinen den so nöthigen Schlaf finden.

Kaum graute der Morgen, so stellte Grant seine Schlachtordnung auf, kaum eine halbe Meile Etwa eine achtel deutsche Meile. von den feindlichen Schanzen.

Es sollte gestürmt werden, Lee aber eröffnete ein so mörderisches Geschützfeuer, daß es schlechterdings unmöglich war, den Sturm mit den ermüdeten Truppen zu wagen. Im Gegentheil, Grant war genöthigt, seiner Schlachtlinie eine mehr gedeckte Position zu geben und zunächst die Wirkung seiner Artillerie zu versuchen.

Allein es war durchaus unmöglich, auch nur eine der feindlichen Kanonen zum Schweigen zu bringen.

Die Schanzen waren mit großen Geschützen besetzt und so vortheilhaft angelegt, daß sie den Angreifern fast keine Blöße boten. Eine einzige Stelle nur gab es, dort stand auf einem Walle ein schwerer Achtzigpfünder, war dieser zum Schweigen gebracht, so war ein Sturm auf diese Stelle der Schanze möglich, denn hier konnte eine Sturmcolonne in ziemlich gedeckter Weise vorgehen, ohne von den übrigen Kanonen erreicht zu werden. Allein diese Kanone zu demontiren schien unmöglich, denn sie hatte eine solche Stellung, daß sie von Grants Artillerie, wie dieselbe jetzt ausgestellt war, so gut wie gar nicht erreicht werden konnte.

Gab es denn kein Mittel diese Kanone zu demontiren? Nein aller Vernunft nach nicht. Merkwürdiger Weise feuerte das Geschütz aber seit einer Stunde nicht mehr; doch wozu auch? die andern Geschütze thaten das ihrige, sicher wollte man den Achtzigpfünder erst in Thätigkeit setzen; wenn die Sturmcolonnen anrückten, denn, daß er demontirt sei, war durchaus nicht anzunehmen.

Grant hatte seinen Stab um sich zu einer Berathschlagung versammelt. Der Eine rieth dies, der Andere das. Burnside rieth den Sturm auf jede Gefahr hin; Hancock rieth, die Batterieen anders zu postiren, damit sie auf die zugänglichen Theile der Verschanzungen mit mehr Sicherheit zu wirken im Stande seien. Sheridan schlug vor, scheinbar den Sturm ganz aufzugeben, und den Feind durch ein fingirtes Marsch-Mannöver zu täuschen. Oberst Berdan, der Kommandeur des Scharfschützenregimentes meinte, daß es vielleicht gerathen sei, die Scharfschützen voranzuschicken und zu versuchen, ob man durch sie es nicht erreichen könne, die Batterie zum Schweigen zu bringen; allein alle Vorschläge hielten bei genauer Ueberlegung nicht Stich; indessen empfahl sich der des Oberst Berdan noch am meisten.

Das Scharfschützenregiment des Oberst Berdan gehört zu den interessantesten Erscheinungen, welche der amerikanische Krieg zeigt. Es nahm nur die besten Schützen auf, welche mit der sogenannten Teleskop-Rifle bewaffnet waren, d. h. einer Büchse, auf deren Visir ein kleines Fernrohr angebracht ist, und welche auf wahrhaft wunderbare Entfernungen ihr Ziel trifft.

Wer sich zum Eintritt in das Regiment meldete, mußte seine Geschicklichkeit im Schießen durch ein sehr strenges Examen darthun, und wiederholt haben die 500 Gewehre des Corps die vorzüglichsten Dienste geleistet.

Der berühmteste unter diesen Scharfschützen ist Old Seth, ein alter californischer Bärenjäger, welcher sich bis zum Ausbruche des Krieges mit der Jagd in den westlichen Prairien beschäftigte. Als aber die Union in Gefahr gerieth, trieb ihn sein Patriotismus, sich mit seiner langen, wohl erprobten Kugelbüchse bei Berdan zu melden. –

»Wenn wir den Sturm nur 24 Stunden verschieben wollen,« sagte Berdan, so bin ich im Stande, mit meinen Leuten das Geforderte zu leisten. Ich führe sie im Laufe der Nacht so nahe an die Schanzen, daß ihre Büchse wirken kann, und lasse sie sich dort eingraben, denn es giebt hier sonst keine gedeckte Stellung. Morgen früh kann alsdann der Sturm beginnen.«

»Der Vorschlag ist gut,« erwiderte Grant, »aber die Erbitterung unserer Leute wird sich nicht 24 Stunden gedulden, um den verrätherischen Ueberfall zu rächen; und wer steht uns dafür, ob sie während der Nacht, grade, wo Ihre Leute beim Eingraben beschäftigt sind, nicht wieder einen Ausfall machen und dabei Ihr Regiment decimiren. – Nein, nein, das geht nicht, wir dürfen die Scharfschützen, deren wir so nöthig bedürfen, und deren wir ohnehin so wenig haben, nicht auf diesen Posten, der so gut wie ein verlorner ist, schicken.«

»Das Regiment des Obersten hat ohnehin die letzte Nacht einen sehr empfindlichen Verlust erlitten,« bemerkte General Weitzel; »einen unersetzlichen Verlust.«

»Wiefern?« fragten Alle mit großer Theilnahme.

»Der beste Schütze der Armee wird seit dieser Nacht vermißt,« antwortete Berdan.

»Old Seth?« fragte Grant theilnehmend.

»Ja, Sir. Entweder ist der alte Bärenjäger von den Meuchelmördern getödtet worden, oder gefangen fortgeführt. – Sein Verschwinden hat im ganzen Regiment Sensation erregt. Einer der Sergeanten hat sich sogar erboten, ihn mit Gefahr seines Lebens aufzusuchen; auf allen Vieren kriechend wird er das Terrain der nächtlichen Metzelei durchsuchen, und wenn er ihn nicht findet, so werden sich alle seine Kameraden verschwören den alten Schützen zu rächen.«

»Wir wollen hoffen, daß es gelingt, ihn zu finden,« versetzte Grant, der sich stets warm für jeden Soldaten interessirte, welcher sich irgendwie auszeichnete.

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Während diese Berathungen gepflogen wurden, und schließlich sich die Generale dahin einigten, daß der einzige Weg, der ein günstiges Resultat des Sturmes verspreche, der sei, daß man jenen Achtzigpfünder zum Schweigen brächte, welcher die schwächste Stelle der Schanze so mächtig schätzte, und daß dies nur durch eine veränderte Position der Artillerie geschehen könne, die den Sturm auf zwei Tage verschieben würde, – während dieser Zeit durchsuchte der Sergeant des Scharfschützenregimentes das Terrain, auf welchem er Old Seth als Leiche oder Schwerverwundeten zu finden fürchten mußte. Dies Terrain war die Ebene, welche sich 6 bis 700 Schritte vor den Schanzen ausbreitete, denn bis hierher hatten die Schützen die zurückweichenden Feinde verfolgt.

Diese Ebene gewährte dem Suchenden fast keine Deckung, denn sie war nur von mäßig hohem, jetzt fast ganz niedergetretenem Grase und einigen Büscheln Heidekraut bewachsen. Allein auf dem Bauche kriechend bewegte sich der Sergeant vorwärts, jedes Buschwerk und Dorngesträuch benutzend, wobei er von Zeit zu Zeit den Namen des Gesuchten rief.

»Old Seth!« rief er hinter jedem Busch hervor; »Old Seth, wo bist Du?«

Aber keine Antwort erhielt er. Schon war er bis zur äußersten Grenze der Ebene vorgedrungen und kaum 600 Schritt von den Schanzen entfernt, also so nahe, daß die feindlichen Scharfschützen, mit welchen die Rebellen sehr gut versehen waren, ihn mit Leichtigkeit bei der geringsten unvorsichtigen Bewegung hätten erreichen können, und noch immer hatte des alten lieben Kameraden Stimme ihm nicht geantwortet, so daß er hoffnungslos bereits die Rückkehr antreten wollte; da endlich erscholl auf sein Rufen ein:

»Hier!« als Antwort.«

Freudig überrascht sah sich der Sergeant nach allen Seiten um, aber er sah Niemanden. Noch einmal wiederholte er daher die Frage:

»Wo denn?«

»Hier!«

»Bist Du schwer verwundet?«

»Bis jetzt noch nicht.«

»Was machst Du denn da?«

»Ich habe eine Kanone erobert.«

Der Sergeant hielt dies für einen Scherz und sagte deßhalb lachend:

»So bringe sie her.«

»Geht nicht,« antwortete Old Seth ernsthaft, »sie steht zu weit weg.«

Der Sergeant kroch jetzt näher nach der Gegend zu, wo die Stimme herkam, und fand Seth hinter einem großen Feldsteine flach ausgestreckt das Gewehr im Anschlag auf jene achtzigpfündige Kanone des Erdwalles, welcher sich als der zum Sturm geeignetste Punkt darbot.

»Ist jener Achtzigpfünder da die Kanone, die Du erobert hast?« fragte der Sergeant.

»Ja wohl,« antwortete Seth ohne seine Stellung, das Gewehr im Anschlage, auch nur einen Moment aufzugeben. – »Sie möchten gern den großen Schreihals da laden, aber der alte Seth läßt das nicht zu. So wie sich Einer zeigt der den Versuch macht, sich der Mündung zu nahen, so blase ich ihn weg. Vier, haben den Versuch schon mit einer Kugel im Kopf bezahlt, der fünfte zeigt sich bisweilen, ist so ein Gelbschnabel mit 'ner Epaulette, aber er wagt es nicht, denn er weiß, daß meine Kugel ihm nicht vorbeigeht. – Geh' nur nach Hause und bringe mir einen Sack voll Kugeln mit, ich mache sonst noch bankerott.«

»Aber um Alles in der Welt, Seth, wie kamst Du nur auf den Einfall, diese Kanone zu bewachen?«

»Ja, sieh mal, als wir die Nacht bei der Verfolgung jener Schurken bis hierher vordrangen, da dachte ich mir, daß diese Schanze der beste Punkt zum Sturm sei, und daß es unsern braven Jungens gewiß recht angenehm sein würde, wenn sie bei dem Geschäft der Achtzigpfünder nicht incommodirt. Ich blieb also zurück, um dem Schreihals das Maul zu stopfen. Geht denn der Sturm bald los?«

»Ich weiß es in der That nicht.«

»Nun so geh' nur und sage unsern Kameraden, daß sie sich ein Bischen beeilen möchten, »denn es könnte sein, mir passirt was.«

Der Sergeant zog sich zurück, erhob sich aber unvorsichtiger Weise etwas zu hoch über den Boden, und im selben Augenblicke sauste ihm eine Kugel am Kopfe vorbei.

»Bist Du verwundet?« fragte Seth.

»Nein, aber mein Hut ist zum Teufel.«

»Nun so geh, und bring' mir auch ein Stück Kautaback mit, für den Fall, daß es hier noch lange dauert.«

»Der Sergeant begab sich geraden Wegs nach dem Hauptquartier, weil er wußte, daß seine Nachricht nicht nur für den Oberst wichtig und erfreulich, sondern für den ganzen Generalstab von Interesse sein würde; und er täuschte sich darin nicht.

Wie ein Blitz zündete die Nachricht.

»Also das ist der Grund, weshalb jener Achtzigpfünder diesen Morgen noch keinen Laut von sich gegeben hat!« riefen Mehrere.

»Was säumen wir!« fügte Burnside hinzu. »Lassen Sie uns stürmen, Herr General. Wozu brauchen wir erst die Wirkung der Artillerie abzuwarten, wenn Old Seth uns allein eine ganze Batterie ersetzt?«

»Zum Sturm, Hurrah!« jubelten draußen die Soldaten und: »Zum Sturm!« ertönte Grants Kommando.

Vorwärts gings mit Jubelruf und Hurrah auf jenen Punkt der Schanze, welchen der Achtzigpfünder deckte; –aber der Achtzigpfünder schwieg.

Neben dem Ruf der Stürmenden:

»Es lebe die Union!« erscholl diesmal auch der Ruf:

»Es lebe Old Seth!«


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