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Noddy war während aller dieser Experimente bis in den dritten Himmel entzückt gewesen. Niemals in seinem Leben war es ihm in den Sinn gekommen, daß es dem Menschen möglich sei, eine solche Gewalt über die blutdürstigen Bestien der Wildniß zu erlangen, deren Schönheit er so oft mit geheimem Schauder bewundert hatte. Mit wahrhafter Verehrung blickte er auf den Thierbändiger aus Central-Afrika.
Obwohl sein gesunder Verstand ihm von vorn herein das Vorurtheil eingeflößt hatte, daß nach dem Inhalte des Plakates sowohl die große Menagerie des Mr. Seyers, als auch der Löwenbändiger aus Central-Afrika, Tomahuhu, und alles Uebrige, mit Einschluß der Seeschlange, Nichts als Humbug sei, so mußte er sich doch jetzt gestehen, daß er in diesem Löwenbändiger einen Mann kennen lernte, den er zu bewundern genöthigt war, in einem Grade, wie er bisher nie einen Mann bewundert hatte.
Seine Empfindungen sprachen sich denn auch auf seinem Gesicht so deutlich aus, daß selbst der Löwenbändiger bei einem flüchtigen Blicke, den er auf seinem Wege zufällig auf den Knaben warf, diesen Eindruck gewahrte, ihm auf die Schulter klopfte und mit gutmüthigem Lächeln sagte:
»Nun, mein Junge, was stierst Du mich an?«
Noddy war im Augenblicke nicht im Stande zu antworten. Als aber der Löwenbändiger durch die Masse des Publikums schreitend, den Fuß auf die Leiter setzte, um zu seiner Wohnung, die sich natürlich ebenfalls in einem der Wagen befand, emporzusteigen, fühlte er sich an dem Leopardenfell berührt.
Er blickte sich um und gewahrte den Mulattenknaben.
»Nun, Junge, was willst Du? Hast Du etwa auch Lust, ein Thierbändiger zu werden?«
Noddy erwiederte in ehrfurchtsvollem Tone, daß dies allerdings sein Wunsch sei.
»Da schlag dieser und jener drein,« rief Tomahuhu betroffen, »so vernarrt in mich und mein Handwerk habe ich mein Lebtag noch Keinen gesehen, am allerwenigsten einen Grünschnabel, wie Du einer bist! Scher Dich zu Hause, mein Junge; Du bist wahrscheinlich Deinem Herrn entlaufen und suchst Abenteuer. Diese Abenteuer aber, mein Junge, sind schon Manchem schlecht bekommen. Merke Dir's, geh' nach Hause.«
Noddy aber rührte sich nicht. Bescheiden seinen Hut ziehend, sagte er:
»Ich bin mit dem Vorsatz in die Menagerie gekommen, um in das Personal aufgenommen zu werden, und bitte Sie, Mr. Tomahuhu um Ihre Fürsprache, wenn Sie mich deren für würdig halten.«
Tomahuhu betrachtete den Knaben halb nachdenkend, halb mit theilnehmendem Blicke und sagte dann:
»Komm hinein, mein Junge, wir wollen einmal darüber ein ordentliches Wort plaudern.«
Er schritt auf der Leiter voran und Noddy folgte ihm.
Sein Gemach war so ausgestattet, wie es der enge Raum innerhalb eines Wagens nur zuließ. Auf dem Wagen befanden sich im Ganzen drei Wohnungen. Eine derselben nahm die Atzteken-Familie ein, die mittlere der Löwenbändiger, die dritte aber der Cicerone.
Die drei Wohnungen waren zwar durch Wände getrennt, indessen nicht so getrennt, daß nicht die Bewohner des einen Raumes sich vollständig hätten unterrichten können von jedem Worte, das im andern Raume lauter als im Flüsterton gesprochen wurde. So zum Beispiel machte Noddy nicht nur die Bemerkung, daß die Atztekenfamilie keineswegs, wie der Cicerone behauptet hatte, jeglicher menschlichen Sprache unkundig sei, vielmehr sogar auch das Englische ziemlich gut sprach, sondern erfuhr auch, das der Cicerone in dem dritten Gemach zu einem Collegen seiner als eines »noblen Jungen« rühmend erwähnte.
Das Mobiliar in dem Gemach des Löwenbändigers hatte das Eigenthümliche, daß immer ein Gegenstand verschiedenen Zwecken zu dienen schien. So zum Beispiel war das Sopha zugleich auch das Bett, ein Stuhl, winkt man ihn umklappte, zugleich eine Waschtoilette, und Bretter, welche an der Wand hingen, waren so eingerichtet, daß sie, herabgelassen, Tische bildeten. In einem Raum der Wand, welcher die Stelle eines Spindes vertrat, stand eine Flasche.
»Zunächst laß mich eine Herzstärkung nehmen,« sagte Tomahuhu, indem er nach derselben griff und einen tüchtigen Zug that.
Noddy wunderte sich, daß ein Mann, wie dieser, ein Mann von seinem Muthe und von seinem Gewerbe, welcher täglich ein halbes Dutzendmal sein Leben aufs Spiel setzte, einer solchen Herzstärkung bedurfte Der Löwenbändiger war nahe daran, in seiner Achtung um einige Grade zu sinken, und er konnte nicht umhin, ihm diese Bemerkung zu machen.
Tomahuhu lachte und erwiederte:
»Nein, mein Junge, ich trinke den Brandy nicht, um mir Courage zu machen, aber ich fühle immer, daß es wohlthut, wenn ich von den Löwen zurückkehre. Es erinnert mich daran, daß ich lebe, und daß das Leben auch seine Genüsse hat. Aber jetzt, ehe wir weiter sprechen, habe ich noch ein Geschäft zu besorgen.«
Mit diesen Worten nahm er aus demselben Schrank ein nicht im saubersten Zustande erhaltenes Buch, schlug dasselbe auf und zeigte es Noddy. Es enthielt nur Daten.
»Was bedeutet das?« fragte Noddy.
»In dieses Buch trage ich jeden Besuch ein, welchen ich bei den Löwen mache. Es ist heute seit 5 Jahren das 3987ste Mal, daß ich den Käfig betrete. Es ist nicht meinetwegen, es ist wegen meines Nachfolgers, welcher sich darnach richten kann.«
Nach dieser Erklärung ergriff er eine Feder und trug den 3988sten Besuch in jenes Buch ein. Dann nahm er die Messingkrone vom Haupte, warf das Leopardenfell in einen Winkel, streckte sich in eine Ecke seines kleinen Sophas und forderte Noddy auf, in der anderen Ecke Platz zu nehmen.
»Also seit fünf Jahren sind Sie bereits in dieser Menagerie?« begann Noddy.
»Seit beinah 5 Jahren. Als ich eintrat, war noch Mr. Gamp Besitzer der Menagerie, der mich von Baltimore her per Telegraph verschrieb. Der Mann, welcher vor mir diese Stelle hatte, war ein Schwarzer, und man hätte glauben sollen, daß eine Bestie, welche nur einigermaßen Reputation im Leibe hat, einen solchen Bissen verschmäht hätte, aber diese Bestien haben keinen Geschmack, das haben wir gesehen.«
»Sie haben den Schwarzen gefressen?«
»Sie haben ihn gefressen, und zwar hat ihn die Semiramis gefressen.«
»Wer ist Semiramis?«
»Die schöne Bestie, die Du mit dem Löwen in demselben Käfig gesehen hast, die bengalische Tigerin. Ich glaube, man hatte gerade einen Schwarzen sie zu dressiren gewählt, weil man glaubte, daß ein so schönes Thier, wie die Semiramis, sich an einen Schwarzen nicht vergreifen würde. Ich sage das nicht etwa, um Dich zu beleidigen, mein Junge. Wenn auch einer Deiner Voreltern ein Schwarzer gewesen ist, so bist Du doch ein ganz anderer Kerl, wie die meisten Farbigen. Erstlich bist Du kein Schwarzer, und zweitens bist Du ein Junge, welcher Courage hat, und drittens bist Du, wie Mr. Mops eben äußerte« – Mr. Mops war der Name des Cicerone – »ein nobler Junge. Ich habe alle Achtung vor Dir, und daß ich Dich nicht betrachte wie sonst einen Schwarzen, siehst Du daraus, daß ich mit Dir aus demselben Sopha sitze und Dir meinen Brandy zur Verfügung stelle.«
Noddy lehnte das Anerbieten ab und nahm mit Interesse das unterbrochene Gespräch wieder auf.
»Jene Tigerin ist wohl das gefährlichste Thier der Menagerie?«
»Natürlich ist sie es.«
»Und doch schien sie mir, während Sie sich in dem Nebenkäfig befanden, so friedfertig neben dem Löwen zu schlafen.«
»Zu schlafen? Die Bestie schlafen?« antwortete der Löwenbändiger verächtlich. »Jener gestreifte Teufel schläft nie, sondern macht höchstens die Augen zu, um desto ungestörter an Menschenfleisch zu denken.
»Hat das Schicksal des Schwarzen Sie nicht entmuthigt?«
»Ich wünsche fast jedes Mal, wenn ich meine großen Stiefeln anziehe, das Lederwams anlege und die alberne Krone aufsetze, daß ich dasselbe Schicksal haben möchte, wie er.«
»Aber ich weiß, Sie empfinden keine Furcht!« rief Noddy.
»Furcht, mein Junge?« antwortete Tomahuhu. »Wie kommst Du zu der thörichten Frage? Seh' ich aus wie ein Mann, der Furcht hat? – Furcht? Nein, aber ich weiß, daß das Sprichwort immer zutrifft: »Der Krug geht so lange zu Wasser bis er bricht!« und,« fügte der Thierbändiger sehr ernst hinzu, »daß auch die Reihe an mich kommen wird. Ich weiß, mein Handwerk ist ein gefährliches.«
»Aber wie fanden Sie nur zum aller ersten Male den Muth, zu den Thieren hineinzugehen, Mr. Tomahuhu? Haben Sie vielleicht in einer Gegend Afrika's gelebt, wo es viele Löwen giebt?«
»Ach Papperlapapp!« antwortete der Löwenbändiger, »ich habe weder je in Afrika gelebt, noch weiß ich überhaupt, was Central-Afrika ist. Ich habe mir nur sagen lassen von Mr. Seyers, daß es ein Land ist, wo es viele Löwen giebt. Gelesen habe ich von dem Lande nichts anders als den Namen auf den Plakaten des Mr. Seyers Ich habe die Vereinigten Staaten in meinem Leben nicht verlassen und denke auch nicht sie zu verlassen, so lange ich am Leben sein werde.«
»Aber Sie sind jedenfalls in einem fremden Lande geboren, Mr. Tomahuhu, denn Ihr Name klingt durchaus gar nicht englisch.«
»Bah!« lachte Tomahuhu, »der Name ist ebenso gut erfunden, wie mein Geburtstand. Ich heiße ganz einfach Smith. Da sich aber ein solcher Name auf einem solchen Anschlagzettel schlecht ausnimmt, und meine Geburtsstadt ebenso Wenig verspricht, wie mein Name, so hat Mr. Seyers Beides nach seinem Gefallen verändert. Ich verstatte Dir, mein Junge, mich ohne Umstände Mr. Smith zu nennen, und bitte Dich, von dem dummen Glauben zu lassen, daß ich von der Heimath der Bestien irgend etwas mehr weiß, als Du und alle Anderen, welche die Menagerie besuchen.«
Noddy wiederholte nach dieser Erklärung seine Frage, wie er zuerst den Muth gewonnen, in den Käfig zu gehen.
»Ja, siehst Du,« antwortete er, »als ich zuerst hineinging, waren nur zwei Löwen »drin, ein Löwe und eine Löwin. Mit der Tigerin mochte ich von vorn herein Nichts zu thun haben. Nachdem ich aber die beiden Löwen gehörig dressirt hatte, fügte ich einen nach dem andern hinzu, bis ich ihrer sieben zusammen hatte, und Du siehst, ich werde mit ihnen gut fertig.«
»Ich wundere mich nur, daß die Löwen Furcht haben vor einer so winzigen Waffe, wie eine Peitsche ist.«
»Winzige Waffe? Oho! Faß einmal diese Peitsche an.«
Mit diesen Worten hielt er dem Knaben die Peitsche, welche er noch in der Hand hielt, hin.
Noddy fühlte, daß dieselbe aus Stahl geflochten war.
»Nun faß einmal den Griff an, mein Junge.
»Der Griff ist mit Blei gefüllt!« rief Noddy im höchsten Erstaunen.
»Nicht mit Blei, sondern mit Quecksilber. Diese Peitsche ist Nichts, als ein ungeheurer Todtschläger, eine so fürchterliche Waffe, wie sie kein Mensch nur überhaupt gegen solche Bestien führen kann. Kein Revolver, keine Büchse oder Aehnliches, vermögen ihm solche Dienste zu leisten, wie diese Peitsche. Außerdem aber hat sie noch den Vortheil, sehr harmlos auszusehen. Die Zuschauer würden meine Produktion nicht halb so interessant finden, wenn sie mich mit Revolver oder Bowiemesser bewaffnet sähen. Das Interessante besteht ja für das Publikum hauptsächlich nur darin, daß sie jeden Moment die Aussicht auf das seltene Schauspiel haben, einen Menschen auffressen zu sehen. Wüßten sie, welche Waffe ich an meiner Peitsche habe, so würden die Vorstellungen unsere blasirten Barone langweilen, und aufhören, irgend eine Zugkraft zu üben.
Die Peitsche, von welcher Mr. Smith sprach, schien in der That eine unschuldige Waffe. Sie schien ganz aus Leder geflochten, indessen war eben nur der Griff mit Leder beflochten, die Peitsche selbst aber, wie Noddy bereits bemerkt, aus Stahldraht gefertigt.
Noddy betrachtete nachdenkend das Instrument.
»Wozu ist denn aber dieser schwere Griff? Ich habe nicht gesehen; daß Sie ihn benutzt haben?« fragte er.
»Ja, sieh' einmal«, antwortete der Löwenbändiger: »ein einziger Schlag mit diesem scheinbaren Stückchen Leder auf die richtige Stelle geführt und es giebt keinen Löwen, der nicht wie ein Kegel auf den Boden purzelte, um nie wieder aufzustehen.«
»Auf den Kopf muß der Schlag geführt werden?« fragte Noddy mit großem Interesse.
»Auf den Kopf, mein Junge. Die richtige Stelle aber ist ein Geheimniß unseres Handwerks«, antwortete Smith. »Ich will Dir für jetzt nur so viel sagen, daß Du, wenn Du den Käfig betreten solltest im Vertrauen auf diesen Griff, einem Löwen, und wäre er auch nicht älter, als drei Monate, eine Stunde lang auf dem Kopfe herumhämmern könntest, ohne daß er ein anderes Gefühl davon hätte, als wolltest Du ihm eine Fliege tödten. Willst Du mein Handwerk lernen, so wirst Du auch das Geheimniß dieses Schlages kennen lernen. Indessen es ist jetzt spät, mein Freund, und ich habe Lust mich zur Ruh' zu legen. Willst Du in Deiner Angelegenheit Mr. Seyers sprechen, so steige dort die Treppe zum andern Wagen hinauf. Dort wohnt Mr. Seyers und seine Frau. Es ist möglich, daß er Dir eine Stelle giebt. Willst Du gleich diese Nacht in der Menagerie bleiben, so kannst Du in meinem Zimmer schlafen, ... Gute Nacht, mein Junge!«
Mit diesen in freundlichem und herzlichem Tone gesprochenen Worten reichte er dem Knaben die Hand, öffnete die Thür seines Wagens und ließ ihn die Leiter hinuntersteigen.
Die Wohnung des Mr. Seyers und seiner Frau befand sich in dem gegenüberstehenden Wagen.
In der Menagerie war bereits Alles still, da die Diener derselben ihre Pflichten gegen die Thiere bereits erfüllt und sich zur Ruhe begeben hatten.
Das einzige Geräusch machte der Schakal, welcher durch sehr unangenehme Laute sein Mißfallen darüber auszudrücken schien, daß man ihm in einer so schönen Sommernacht nicht gestattete, einen Besuch in dem Hühnerhof irgend einer nahe gelegenen Farm zu machen.
Noddy nahm vorsichtig, um die Schläfer nicht zu stören, seinen Weg nach dem gegenüber stehenden Wagen, stieg die daran befindliche Leiter hinauf und bewegte den Klopfer an der Thür des Wagens,vielleicht etwas lauter, als man von seiner Schüchternheit hätte erwarten sollen.
Statt aber eingelassen zu werden, hörte er, daß man drinnen auf sein Klopfen einen gellenden Schrei ausstieß, welcher von dem Brummen eines tiefen Basses kräftigst accompagnirt wurde, und daß ein Riegel vorgeschoben wurde mit einer Hast, als ob eine Mörderbande draußen sei.
Während Noddy über dies Ereigniß erstaunt nachsann, hörte er eine weibliche Stimme die Worte rufen:
»Frage, William, was es giebt; sicherlich ist wieder der vermaledeite Kaiman ausgebrochen.«
Tritte näherten sich der Thür und die Baßstimme, in welcher Noddy die Stimme jenes dicken Herrn erkannte, der von der Balustrade herab das Publikum zum Eintritt in die Menagerie einzuladen pflegte, that die Frage:
»Ist's der Kaiman?«
Mit diesem Kaiman hatte es, wie Noddy später erfuhr, eine ganz absonderliche Bewandniß. Mr. Seyers hatte nämlich mit einigem Kostenaufwande diesem Bewohner des Mississippi das Vergnügen bereiten wollen, sich einmal in einer Badewanne nach seiner Lieblings Gewohnheit abzukühlen. Er hatte für ihn also eine große Badewanne machen, dieselbe mit Wasser anfüllen und den Kaiman aus seinem Behälter hineinschlüpfen lassen. Statt aber sich dieser Wohlthat zu freuen und dieselbe dankbarst durch ein möglichst anständiges Verhalten an den Tag zu legen, hatte das Ungeheuer sofort die Badewanne wieder verlassen, das Trockene gesucht und seinen Wärter mit einem genau dreizehn Fuß weit geöffneten Rachen einige Male vor den Wagen der Menagerie auf und abgejagt, bis es gelang, mit einem starken Netze es wieder einzufangen.
»Der Kaiman ist es nicht,« antwortete Noddy von draußen.
»So ist es Semiramis?« fragte die Stimme weiter.
»Auch Semiramis ist es nicht,« war Noddy's Antwort, der sich eines Lachens kaum enthalten konnte.
»Nun zum Teufel, was ist es denn?«
»Ein Fremder, welcher in Geschäftsangelegenheiten mit Mr. Sehers zu sprechen wünscht.«
»Geschäftsangelegenheiten? Um die jetzige Stunde?« brummte Mr. Seyers, schob aber dennoch, wenn auch zögernd, den Riegel zurück.
»Wer sind Sie?« fragte er, nachdem er den Knaben mit einem prüfenden Blicke vom Kopf bis zu den Zehen betrachtet hatte.
»Mein Name ist Noddy. Ich bin von Mr. Cleary erzogen worden, wie sein eigen Kind. Mr. Cleary aber ist nach dem Norden in die Gefangenschaft geführt; Mrs. Cleary aber, welche sich in Richmond befindet, wünscht nicht, mich bei sich zu haben; Miß Cleary endlich, zu deren Beschützer ich von ihrem Vater eingesetzt war, ist durch einen unglücklichen Zufall verschwunden. Ich habe sie gesucht nach besten Kräften, allein vergebens, und denke, daß der beste Weg, ihrer oder einer Person, welche sie kennt ansichtig zu werden, der ist, recht häufig an einem so viel besuchten Orte, wie Ihre Menagerie, anwesend zu sein. Das war's was mich bewog, Sie um eine Anstellung zu bitten.
»Du bist entlaufen,« brummte Mr. Seyers.
. »Ich bin nicht entlaufen,« antwortete Noddy; »Sie können mich getrost aufnehmen, denn Sie werden sehen, daß mich Niemand reklamirt. Da mir der Erwerb in Ihrer Menagerie beinahe Nebensache ist, und ich nicht mehr zu verdienen wünsche, als ich zu meinem Unterhalte brauche, und um vielleicht später, wenn Sie meiner Dienste nicht mehr bedürfen, meine Nachforschungen nach Miß Cleary fortsetzen zu können, so sehe ich nicht auf eine hohe Gage und bin mit jeder Stelle zufrieden, die Sie mir anzubieten für gut halten.«
Dies Anerbieten schien Mr. Seyers, obgleich er Anfangs sehr verstimmt geschienen hatte, doch so plausible, daß er die Thür vollends öffnete und Noddy in seine Wohnung einließ.
Die Wohnung des Mr. Seyers unterschied sich von denen, welche Noddy bisher gesehen hatte, zunächst schon dadurch, daß sie aus mehreren Piecen bestand. Die Abtheilung der ambulanten Wohnung, in welcher sich Noddy jetzt befand, schien eine Art Empfangszimmer zu sein.
Noch ehe Mr. Seyers das Gespräch fortsetzte, hörte Noddy aus dem Nebenzimmer eine schrille Stimme, die er ebenfalls bereits zu kennen glaubte, fragen:
»Nun, William, was ist's? – War's der Kaiman?«
»Es ist ein junger Mensch, welcher eine Anstellung sucht,« antwortete Seyers verdrießlich.
»Eine Anstellung sucht? – Du hast ihn doch fortgeschickt?« erwiderte die weibliche Stimme aus dem Nebenzimmer.
»Nein, Ma'am, mit Deiner Erlaubniß habe·ich ihn mit hereingebracht.«
»Mit meiner Erlaubniß?« Du müßtest mich doch kennen, Seyers, daß Du Dir nicht herausnimmst, einen jungen Mann zu engagiren, den ich nicht gesehen habe.«
»Und Du wirst Dir nicht herausnehmen, zu widersprechen, wenn ich einen jungen Mann engagire. Willst Du ihn aber sehen, so komme herein und nimm ihn in Augenschein.«
Wenn Mr. Seyers noch unentschlossen gewesen wäre, Noddy's Ersuchen Folge zu geben, so hätte jedenfalls der Widerspruch seiner Frau seinen Entschluß zu Noddy's Gunsten zur Reife gebracht; denn daß er mit dieser Dame nicht aus dem friedlichsten Fuße stand, leuchtete Noddy schon daraus ein, daß er ihm nach seinen letzten Worten mit verschmitztem Lächeln die Worte zuflüsterte:
»Sie kann nicht kommen, denn sie ist schon ausgekleidet.«
Darauf fuhr er so laut fort, daß seine Ehehälfte ihn deutlich verstehen mußte:
»Also junger Mann, ich betrachte unser Geschäft als abgemacht.« Flüsternd aber fügte er dann hinzu: »Ich sage das nur wegen ihrer« – mit einer Bewegung des Daumens auf die Thür des Nebenzimmers – »ich habe in meiner Menagerie keinen vacanten Posten, augenblicklich nicht, vielleicht später einmal, jetzt geht es nicht.«
Inzwischen vernahm Noddy deutlich das Rauschen eines seidenen Kleides im Nebenzimmer, als wenn Jemand eilig in ein solches hineinschlüpfte, und gleich daraus erschien in der Thür die Frau mit dem Essiggesichte, welche er bereits an der Kasse kennen zu lernen das Vergnügen gehabt hatte. Da sie außer dem Seidenkleide, das sie in aller Eile übergeworfen, keine andere Kleidung zu tragen schien, so erschien sie in einer fast fabelhaften Schlankheit, die etwas wahrhaft Beunruhigendes gewann, wenn man sie in Vergleich stellte mit der Corpulenz ihres Herrn Gemahls.
Sie trat mit einer Geberde ein, als ob sie nicht übel Lust hätte zuerst ihren Mann mit den Krallen ihrer Hände zu zerfleischen und demnächst mit Noddy zu verfahren, wie die Tigerin, nach Tomahuhu's Erzählung, mit jenem unglücklichen Schwarzen verfuhr.
Indessen besänftigte sich ihr Zorn schnell, als ihr scharfer und prüfender Blick Noddy's Aeußeres gemustert hatte. Der Knabe hatte unstreitig auf die Frau, welche für dergleichen Vorzüge keineswegs unempfänglich war, einen äußerst günstigen Eindruck gemacht. Der einzige Scrupel, der in ihrem Herzen gegen sein Engagement noch auftauchen mochte, war der, daß dies Engagement nicht von ihr, sondern von ihrem Manne ausging.
»Für welchen Posten hast Du den jungen Mann engagirt?« fragte sie ihren Mann.
»Ich habe ihn mit Deiner Erlaubniß gar nicht engagirt,« brummte Seyers, der sofort sah, daß sich der Wind zu drehen anfing, und deshalb seine Opposition nach der entgegengesetzten Seite richtete.
»Gar nicht engagirt?« sagte sie. »Und ich sage Dir, daß Du ihn engagiren mußt.«
»Und ich sage Dir, daß ich ihn nicht engagiren kann, und rathe Dir, daß Du hineingehst, denn Du bist eine widerwärtige Seeschlange.«
Der Ausdruck »Seeschlange« galt in der Menagerie für einen sehr harten Tadel, weil die Abwesenheit dieses seltenen Exemplar's, das mit ellenlangen Lettern auf dem Plakate figurirte, bei den Zuschauern oft zu den bittersten Klagen Veranlassung gab.
So oft auch Mrs. Seyers Versuche machte, das Scepter in die Hand zu nehmen, so wußte sie doch sehr genau, wie weit sie diesen Versuch treiben durfte· Es gab stets eine Grenze, welche sie nicht überschreiten durfte, ohne daß Mr. Seyers seine Autorität in einer äußerst kränkenden Weise zur Geltung brachte. Diese Grenze bezeichnete Mr. Seyers jedes Mal durch den Ausdruck: »Du Seeschlange.« Das war dann für seine Gemahlin das Signal, den Lauf ihrer Maschine zu mäßigen; wenn er sie aber gar mit dem Titel: »Du weibliche Atzteke« beehrte, so war es die höchste Zeit, die Maschine ganz zum Stehen zu bringen. Sie mußte aber alsdann, um Gefahr zu vermeiden, ein Sicherheits-Ventil öffnen und den Dampf nach einer andern Richtung hin ablassen, welches sie dadurch zu bewerkstelligen pflegte, daß sie das ganze Personal der Menagerie auszankte.
Da dieser Moment noch nicht eingetreten war, so hatte sie immerhin noch das Recht in gemäßigtem Tone ihre Meinung zu äußern. Sie sagte daher in so einschmeichelndem Tone als man ihr nach ihrem ersten Auftreten und ihrem sauren Gesicht kaum zugetraut hätte:
»Hast Du Dir's denn auch schon überlegt, lieber William, ob Du nicht irgend eine Stelle hast?«
»Ich habe mirs überlegt; ich habe keine Stelle, als die eines Schlächtergehülfen, und diese wird wahrscheinlich einem jungen Manne, welcher in Mr. Cleary's Hause erzogen und der Beschützer seiner Tochter ist, nicht zusagen.«
»Ich werde jede Stellung, welche Sie mir in Ihrem Institut gewähren, für ehrenvoll halten,« sagte Noddy bescheiden und mit einem verbindlichen Blick auf Mrs. Seyers, welche Antwort, den günstigen Eindruck, den er auf diese Dame gemacht, noch um ein Bedeutendes erhöhte.
»Wenn das ist, mein junger Freund, so soll es mir recht sein; indessen mache ich Ihnen begreiflich, daß die Gage nicht mehr beträgt, als fünf Dollars die Woche.«
»Wie ich Ihnen schon sagte, Mr. Seyers, liegt es mir nicht daran, einen großen Gehalt zu beziehen. Fünf Dollars die Woche werden mir genügen.«
Mrs. Seyers war sichtlich erfreut über dies Resultat der Verhandlungen und mit einem gütigen Nicken ihres sonst nicht schönen, jetzt noch um so weniger anziehenden Hauptes, als die Nachttoilette ihr Haar in unvortheilhafter Weise aufgelöst hatte, wandte sie sich mit den Worten an Noddy:
»In dem Falle können Sie gleich hier schlafen, und da wir für Sie noch keine besondere Wohnung hergerichtet haben, so werde ich Ihnen erlauben, in diesem Zimmer zu schlafen.«
Sie wies damit auf ein drittes, in dem Wagen befindliches Gemach, welches von dem Empfangszimmer nur durch einen Vorhang getrennt war.
»Indessen,« fügte die Dame hinzu, »bitte ich Sie, die Stiefeln vorher auszuziehen, damit Sie mir die Dielen nicht ruiniren.«
Das war in der That zu befürchten, denn wie Noddy bei dieser Gelegenheit bemerkte, waren nicht nur die Dielen, sondern auch die Wände und die Decke des Gemachs von polirtem Mahagoniholze.
Er lehnte das freundliche Anerbieten der Dame indessen ab, indem er sagte, daß bereits Mr. Tomahuhu, der Löwenbändiger, ihm erlaubt habe, die Nacht bei ihm zuzubringen. Freundlicher, als jemals zu erwarten stand, verabschiedete sich die Dame mit dem Essiggesicht von ihm und ihrem Manne und ließ Beide allein.
»Wenn es Ihnen recht ist, Mr. – wie war Ihr Name?«
»Noddy ist mein Name.«
»Also wenn es Ihnen recht ist, Mr. Noddy, so lassen Sie uns eine Cigarre zusammen rauchen, damit wir über Ihre Stellung ein Wenig plaudern.«
Mr. Seyers, der jedenfalls nichts Anders beabsichtigte, als seine werthe Ehehälfte erst zur Ruhe kommen zu lassen, um neuen Angriffen und Stürmen vorzubeugen, bot mit diesen Worten Noddy eine Cigarre an, die dieser jedoch bescheiden zurückwies, setzte sich selbst dann in einen Lehnstuhl und schob Noddy einen zweiten hin.
»Sie haben sich unsre Menagerie bereits angesehen?« begann er.
Noddy bejahte.
»Und finden dieselbe nach Ihrem Geschmack?«
Auch diese Frage wurde bejaht.
»Sie ist in der That eine der besten des Landes,« fuhr Mr. Seyers fort, »und hat sich des Beifalls der vornehmsten Personen erfreut. Ja, der Ruf unsres Tomahuhu ist bereits bis weit über die Grenzen dieses Landes hinausgedrungen, und jeden Tag sehe ich einer Aufforderung entgegen, nach Charleston zu kommen, um vor seiner Excellenz dem Präsidenten und der gesammten höchsten Aristokratie des Landes eine Vorstellung zu geben.«
Noddy sprach darüber unverhohlen seine Freude aus, die allerdings in etwas Anderem ihren Grund hatte, als der Ehre, Seine Excellenz den Präsidenten und die höchste Aristokratie des Landes kennen zu lernen, er fügte hinzu, daß dann die Einnahme voraussichtlich eine glänzendere sein werde.
»Es ist auch nöthig, erwiederte Mr. Seyers, »daß die Einnahme bald eine bessere wird, als hier in Aikin; denn sonst würde es mir am Ende nicht besser ergehen, als es Mr. Gamp, meinem Vorgänger, ergangen ist.«
Noddy wünschte zu wissen, wie es Mr. Gamp ergangen sei.
»Nun er war so verschuldet, daß er, als ich ihm die Menagerie abnahm, nicht mehr, als fünfzig Dollars baares Geld in der Tasche hatte von Allem was er besessen. Und das war um so schlimmer, als Mr. Gamp die Menagerie umherführte zu einer Zeit, die weniger traurig war, als die jetzige. Wer besucht unter den jetzigen Verhältnissen eine Menagerie? Es war zu Mr. Gamps Zeiten doch ganz anders, und Mr. Gamp hätte der reichste Mann im Lande werden können, bei einem Kopfe, wie er ihn hatte.«
Noddy fragte, ob Mr. Gamp besonderes Unglück gehabt habe.
»Das nicht,« antwortete Seyers, »aber leichtsinnig war er, und wenn er an einem Tage hundert Dollars verdient hatte, so verspielte er an demselben Abend zweihundert. Das konnte auf die Dauer nicht gehen. Wie oft ist es ihm nicht ergangen wie bei dem Geschäfte mit dem Ninus, mit dem er an einem einzigen Tage bloß durch Wetten achthundert Dollars gewonnen hat.«
»War dieser Ninus ein berühmtes Rennpferd?« fragte Noddy.
»Nein,« antwortete Mr. Seyers, »Ninus ist ein Löwe. Die Geschichte von der ich spreche, war folgende: Eines Tages machte Mr. Gamp bekannt, daß ein Farmer, Namens Johnson, sechs Bulldoggen habe, von denen er behaupte, daß sie den stärksten Löwen besiegen würden, und daß er zum Ergötzen des Publikums diese sechs Bulldogs mit Ninus, an einem bestimmten Abend kämpfen zu lassen beabsichtige
Das Gespräch wurde hier durch die Stimme der Mrs. Seyers abgeschnitten, welche rief, daß man mit dem Geplauder aufhören möge. da sie nicht schlafen könne. Mr. Seyers versprach Noddy, ihm diese merkwürdige Geschichte ein ander Mal zu erzählen.
Noddy verließ den Wagen, um den des Löwenbändigers wieder aufzusuchen. Dieser aber lag so tief im Schlafe, daß Noddy wohl zehn Minuten vergebens an die Thür klopfte, ehe sich überhaupt ein Geräusch hören ließ. Und als endlich der Wagen geöffnet wurde, war es nicht der Löwenbändiger, der ihn öffnete, sondern der Atzteke, welcher mit einem Heer von Fluchen und unter den lebensgefährlichsten Drohungen mit einem Bündel Pfeile, die mit Feuersteinspitzen versehen waren, sich Noddy entgegenstellte.