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Zweiundsechzigstes Kapitel.
Georg Borton

Wilkes Booth war so überrascht, als er sich so plötzlich dem Tode entrissen sah, daß er kein Wort hervorzubringen vermochte, willenlos folgte er seinem Führer, der ihn durch den finstern Hausflur die Treppen hinaufzog bis ins oberste Stockwerk.

Dort öffnete der Führer eine Thür und ließ den Geretteten in ein von einer Lampe erhelltes Zimmer treten.

Hatten bisher die kaum überstandene Todesangst und die Erschöpfung des Kampfes diesem die Zunge gelähmt, so ward er jetzt vollends sprachlos, als er seinem Retter in's Antlitz blickte. Als traute er seinen Augen nicht, oder als sähe er ein Gespenst, so starrte er den Jüngling an, der ihm einen Stuhl hinschob, und ihn ersuchte einen Augenblick auszuruhen.

Erst nach Verlauf einer geraumen Zeit fand er die Sprache wieder. Thränen entströmten seinen Augen, als er vor seinem Retter auf die Knie sank und seine Hand an seine Lippen drückte.

»Zum zweiten Mal, Sir, danke ich Ihnen mein Leben!« rief er begeistert. – O, wollte Gott daß ich Ihnen vergelten könnte, was Sie zweimal an mir thaten. Schon damals, als Sie noch im Lager Sheridan's ...«

George Borton schien mit sich zu kämpfen, seine Hand zitterte in der Booths. Mit einer Geberde, nicht weiter zu reden unterbrach er ihn; seine Lippen bewegten sich, als wollten sie etwas aussprechen, wogegen sich sein Inneres sträubte. Mit abgewandtem Gesicht, die Augen zu Boden geschlagen schwieg er eine Weile, da wandte er sich plötzlich an Booth und sagte flüsternd und zögernd:

»Sie täuschen sich Sir, im Lager Sheridan's war es ein Anderer.«

Booth musterte den jungen Mann mit zweifelnden und erstaunten Blicken, allein nur einen Augenblick konnten ihn die Worte seines Retters zweifelhaft machen.

»Leugnen Sie es nicht, edler Jüngling!« rief er. »Ich kann mich nicht täuschen. Erst zweimal sah ich Sie, allein mein Herz wird ewig das Bild meines Retters in den frischesten Farben bewahren.«

»Das Bild seines Retters!« wiederholte George für sich. »Nichts fühlt er als Dankbarkeit – Mein Gott, wenn ich es wagte, mich ihm zu entdecken – vielleicht dankte er mir nicht blos, vielleicht liebte er mich, liebte mich wie ich ihn liebe.«

George Borton kämpfte einen schweren Kampf mit sich selbst. Noch hielt Booth's Hand die seinige, und drückte sie so warm so zärtlich – doch nein, nein, das war nicht Liebe, das konnte nicht Liebe sein. Hatte er jene Miß Mary im Hause der Surratt geliebt? – Nein, eine Andere besaß sein Herz. Welche Demüthigung, wenn er ein Herz verstieß, daß sich ihm vertrauensvoll nahte, und wenn das Gefühl der Dankbarkeit in ihm nicht dem der Liebe Platz machte. – –

»Nein,« flüsterte Georg, »ich darf mich ihm nicht entdecken. Nie darf er wissen, ahnen, daß die Liebe zu ihm mich zum Theilhaber seiner Verbrechen zum Verräther an meinem Vaterland macht!«

Der Entschluß gab seiner Miene schnell einen andern Ausdruck. Schüchternheit und Zärtlichkeit schwanden schnell daraus und machten einem melancholischen Ernst Platz.

»Genug, Sir,« sagte er, »lassen Sie uns nicht an die Vergangenheit denken, sondern an die Gegenwart. Es ist keine Zeit zu verlieren, denn man wird das Haus durchsuchen. Hören Sie das Klopfen an der Hausthür?«

Booth hörte es allerdings, und das Gefährliche seiner Lage trat ihm wieder lebhaft vor die Seele, und besorgt sah er sich nach einem Versteck um.

»Kommen Sie mit mir,« fuhr George fort. »Ich habe für Ihre Rettung den Weg gebahnt.«

Er führte Booth in ein Hinterzimmer, in welchem ein Fenster geöffnet war.

»Dies Fenster geht in den Garten des Nachbarhauses, mittelst dieser Leine, welche ich hier festgebunden habe, lassen Sie sich hinab in den Garten, derselbe gehört zum Hause einer gewissen Mrs. Gamp. Sie werden bei ihr sicher Einlaß finden, denn wie ich gehört habe, finden junge Herrn dort sehr leicht Einlaß.«

»Und Sie?« fragte Booth, »Sie wollen hier bleiben?«

»Ich bleibe hier.«

»Aber man wird das Haus durchsuchen, man wird in Ihnen Denjenigen wieder erkennen, welcher mich von meinen Angreifern befreite und wird Sie verhaften.«

»Das ist sehr wahrscheinlich.«

»Und doch wollen Sie nicht mit mir fliehen?«

»Nein. Würde ich mit Ihnen fliehen, so würde man bei der Durchsuchung dieser Wohnung das Fenster offen, die Leine drangebunden finden und so den Weg entdecken, den wir genommen haben, man würde dann auch das Nachbarhaus durchsuchen und uns Beide finden, während so ...«

»Während so ich allein gerettet bin, und Sie, edler Freund, ergriffen werden – Mein Gott, welches Opfer wollen Sie mir bringen!«

»Säumen Sie nicht, ich höre bereits Stimmen.«

»Nein, ich lasse mich an Edelmuth nicht so sehr beschämen. Ich gehe nicht, wenn ich nicht Ihr Versprechen habe, daß Sie mir folgen.«

»Fliehen Sie, ehe es zu spät ist.«

»Sie versprechen?«

»Sorgen Sie nicht um mich.«

»Sie folgen mir?«

»Ich hoffe, wir sehn uns bald wieder! – Hinaus, hinaus!«

Es war in der That die höchste Zeit. Booth schwang sich zum Fenster hinaus, ergriff die Leine und ließ sich in den Garten des Nachbarhauses hinab, noch von unten heraufrufend:

»Aber Sie folgen mir doch!«

George antwortete nicht, sondern löste die Leine vom Fensterkreuz und warf sie in den Garten hinab, indem er murmelte:

»Er ist gerettet, Gott sei gelobt! O, welche Seligkeit, sich für den zu opfern, den man liebt! – Es ist ein Verbrechen, das ich beging, aber Gott verzeihe mir, ich kann nicht anders, ich muß ihn lieben; und wäre er selbst ein Mörder, ich würde eher sterben, ehe ich ihn verriethe!« – –

Es währte lange, bevor sich der Wirth herbeiließ, auf das Klopfen der Soldaten die Thür zu öffnen. Erst nachdem er vorsichtig die Laden geöffnet und sich überzeugt hatte, daß von den Tumultuanten nichts mehr zu sehen sei, folgte er dem Befehl des Offiziers, zündete ein Licht an und schloß die Hausthür auf.

»Wer wohnt hier in diesem Hause?« fragte ihn der Graf von Schleiden im gebieterischem Tone.

»Nun hier Parterre wohne ich,« antwortete der Wirth, verwundert über die ihm von dem Offizier gestellte Frage; »im Souterain wohnt –«

»Wer im Souterain wohnt, brauche ich nicht zu wissen,« unterbrach ihn der Offizier. »Es wohnt hier Jemand im Hause, der den Anführer der Banden eingelassen hat.«

»Unmöglich Sir, in diesem Hause ist Keiner, der das wagen würde.«

»Was ich sage, ist eine unleugbare Thatsache. Wohnt hier im Hause ein junger Mann Namens Borton?«

»Nein, Sir.«

»Herr, leugnen Sie nicht, oder ich muß Sie im Verdacht haben, mit ihm im Einverständniß zu stehen.«

»Wie – ich?«

»Allerdings, denn ich habe ihn erkannt und habe mich nicht geirrt, er trug eine Militairmütze und einen Militairmantel, als er die Hausthür öffnete.

»Ah, Sir, Sie meinen den jungen Mann, der heute Abend hier ankam, und nach seinen Verwandten fragte; der heißt aber nicht Borton sondern Powel.«

Schleiden schüttelte ungläubig den Kopf.

»Er sagte,« fuhr der Wirth fort, »daß er ein naher Verwandter des ehemaligen Kaufmann Powel sei; er habe erfahren, daß derselbe hier wohne, und verlangte zu ihm geführt zu werden. Ich sagte ihm daß sein Verwandter sowohl wie dessen Frau im Gefängnisse säße, und daß die Wohnung leer stehe. Er war über diese Nachricht sehr bestürzt, beharrte aber doch dabei, in der Wohnung zu bleiben, er wolle morgen schon die nöthigen Schritte zur Freilassung der beiden Gefangenen thun.«

»Powel ist nicht der Name des Mannes, den ich suche,« versetzte Schleiden, »indessen wäre es nicht unmöglich, daß er sich einen andern Namen beigelegt hat, und dennoch der Gesuchte ist.«

»Das ist sogar sehr wahrscheinlich,« bemerkte der Wirth, »denn an diesen Powels ist nicht viel dran· Der Mann ist wegen Unterschlagung verurtheilt, und die Frau ist angeschuldigt, von den Demokraten bestochen zu sein, um geheime Briefe eines Gefangenen des Court-Hauses zu expediren. – Ja, ja, es wird schon der richtige sein. Gehen Sie nur hinauf, ich wette, Sie werden den Galgenvogel in ihm schon erkennen. Ich habs immer gesagt, daß die Powels alle nichts taugen, und dieser gar kam mir vollends verdächtig vor, denn er brachte statt aller Reiseeffecten nur eine Menge kolossaler Bücher mit, und sein ganzes Wesen kam mir so verdächtig vor, daß ich ihn Anfangs gar nicht aufnehmen wollte.«

»Wo ist die Wohnung dieses Mannes?«

»Im obersten Stock, Sir. Wenn Sie erlauben, so leuchte ich Ihnen hinauf.«

Der Wirth ging voran, und der Graf Schleiden nebst einigen von seinen Leuten folgten.

George Borton öffnete auf das Klopfen des Offiziers sofort, und trat demselben ruhig, ernst und gefaßt entgegen. Das Interesse was er schon damals, als er diesen Jüngling beim Präsidenten sah, für ihn empfand, regte sich jetzt von Neuem. Wie war es möglich, daß diese Züge, so ruhig, so ohne Falsch, so melancholisch ernst, ihn täuschten?

»Nein, nein!« rief es in ihm, »dieser Jüngling ist kein Verbrecher, noch steht er mit Verbrechern im Bunde. Er ist unschuldig, er muß unschuldig sein! – Und doch, hatte nicht bereits Abraham Lincoln einen Verdacht auf ihn geworfen? – Abraham Lincoln's scharfer Blick pflegte nicht zu irren. – Diesmal aber, dies eine Mal irrte er gewiß!«

»Mr. Borton«, redete ihn der Offizier höflich und sanft an; »wir suchen Einen der Rebellen, welcher sich in dieses Haus geflüchtet hat.«

Kein Muskel seines Gesichts verrieth, daß der Angeredete sich schuldig fühlte; mit der Hand einen Bogen beschreibend antwortete er in gleichgültigem Tone:

»Durchsuchen Sie gefälligst die Wohnung, Sir.«

Dies geschah denn auch, natürlich ohne irgend einen Erfolg.

Schleiden kehrte mit mehr bekümmertem als verdrießlichem Gesicht zurück. Es beunruhigte ihn etwas, daß er mit der Flucht des Rebellen nichts zu thun hatte, mehrmals näherte er sich dem immer noch ruhig und gefaßt dastehendem Jüngling, um ihm etwas zu sagen, allein er schien mit sich selbst im Zweifel, auf welche Art er ihm das sagen sollte, was er auf dem Herzen hatte.

Endlich winkte er ihm, ihn in ein Nebenzimmer zu begleiten. Hier ergriff er mit Wärme die Hand des Jünglings.

»Mr. Borton,« begann er. »Ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, daß Sie den Mann, den wir suchen, ins Haus zogen, Sie können nicht leugnen, daß Sie es waren.«

»Leugne ich es denn?« sagte George Borton gelassen.

»Aber Sie wissen doch« fuhr der Offizier dringend fort, was meine Pflicht ist, wenn ich den Entsprungenen nicht finde?«

»Daß Sie mich verhaften, Sir.«

»Allerdings. – Mein lieber Mr. Borton, ich versichere Ihnen, ich theile den Verdacht nicht, welchen der Präsident gegen Sie zu hegen schien, ich hege kein Mißtrauen gegen Sie, schon vom ersten Augenblicke an schienen Sie mir mehr beklagenswerth als schuldig zu sein; dasselbe denke ich noch in diesem Augenblicke. Ich würde mir selbst einen Stich ins Herz versetzen, wenn ich gezwungen würde, Sie zu verhaften, und doch zwingt mich die Pflicht dazu, wenn Sie nicht den Entsprungenen ausliefern.«

George erwiederte den freundschaftlichen Händedruck und antwortete mit einem dankbaren Blick auf Schleiden:

»Ich bin selbst Soldat gewesen, Sir, und kenne die Pflicht eines Offiziers. Ich danke Ihnen für die Theilnahme, welche Sie mir beweisen, vielleicht unverdient beweisen, und es schmerzt mich, Ihnen eine Auskunft über den Verbleib des Entflohenen verweigern zu müssen. Wollen Sie mir eine Bitte gewähren, so ist es die, nicht weiter in mich zu dringen, da ich, wie ich Ihnen aufs Bestimmteste erkläre, bei meinem Schweigen verharren werde.

Mr. Schleiden blickte den Jüngling kummervoll an. Nach einer Pause, während welcher er einige Male auf und abgegangen war, begann er von Neuem.

»Sie kennen vielleicht nicht die Verbrechen in ihrer ganzen Größe, welche von den Schurken verübt wurden, die dieser Mensch anführte. Wenn nicht jetzt noch schnelle Hülfe kommt, so werden hunderte der schönsten Häuser ein Raub der Flammen sein, Tausende von Leichen Gemordeter liegen auf den Straßen. Sie wissen das ohne Zweifel nicht, sonst würden sie schwerlich Erbarmen mit den gehabt haben, welcher der Anführer der Mordbrenner war.«

»Ich wußte das Alles,« antwortete George mit einem tiefen Seufzer und tonloser Stimme. – »Er ist ein Verbrecher, welcher die schwerste Strafe verdient hat.«

»Unmöglich daß Sie es wußten, Mr. Borton;« rief Schleiden fast entsetzt vor dem Bekenntnisse des jungen Mannes.

»Es ist so wie ich sage,« versicherte George.

Schleiden schwieg. Noch kämpfe seine Neigung und sein gutes Vorurtheil gegen die Mißachtung, welche ihm dies Bekenntniß aufnöthigte.

Noch einmal wollte er versuchen, seiner guten Meinung den Sieg zu verschaffen; noch einmal wollte er dem jungen Manne Gelegenheit geben, diese seine gute Meinung zu rechtfertigen, er sagte daher:

»Das größte Verbrechen aber was verübt ist, ein Verbrechen, was nicht bloß Einzelne trifft, sondern vielleicht der Republick einen gefährlichen Stoß versetzt, das kannten Sie nicht! O sagen Sie, daß Sie es nicht kannten, sagen Sie, daß Sie nicht gewußt haben, daß es sich darum handelte, die Aushebungslisten zu vernichten, ich bitte Sie, lassen Sie mir den Trost zu glauben, daß Sie dies nicht gewußt haben.«

»Ich wußte, daß es sich darum handelte,« antwortete George, das Auge zu Boden senkend.

»Und dies fürchterliche Verbrechen können Sie, der Sie ein Patriot sind, billigen?« rief Schleiden fast entsetzt einen Schritt zurücktretend.

»Nein, Sir,« antwortete George, »Ich habe dies Verbrechen so wenig gebilligt wie die andern.«

»So beweisen Sie es dadurch, daß Sie den Verbrecher ausliefern. Sagen Sie mir, wo er hingekommen, nur ein Wort, nur eine Andeutung, eine Handbewegung, und ich schwöre Ihnen, daß Ihnen kein Härchen gekrümmt werden soll.«

George schüttelte das Haupt.

»Ich bitte Sie, Sir, nicht weiter in mich zu dringen. Mein Entschluß steht fest.«

»Sie wollen also den Bösewicht entkommen lassen, der die Conscriptionslisten vernichtete?«

»Vernichten wollte,« verbesserte George, »dies Verbrechen war wohl beabsichtigt aber es ist nicht ausgeführt.«

»Sie wissen nicht, daß das Gebäude in Asche gelegt ist?«

»Das Gebäude, ja – aber die Listen sind unversehrt.«

Der Offizier fixirte ihn verwundert und ungläubig, während George ruhig fortfuhr:

»Die Listen werden dem General Wallace wieder zugestellt werden, sobald er hier ist.«

Es fehlte wenig, so hätte Schleiden ihn in seine Arme geschlossen, allein George beugte einem solchen Ausbruch seiner Freude vor durch die Bemerkung:

»Nur noch um eine Gunst habe ich Sie zu bitten ehe Sie mich verhaften.«

Dies erinnerte den Offizier wieder an die schmerzliche Pflicht, welche ihm zu erfüllen oblag, und deren er sich so gern überhoben gesehen hätte. Mochten die Anzeichen auch noch so sehr zu seinen Ungunsten sprechen, er konnte den Jüngling nicht für einen Verbrecher halten. Noch eitlen Versuch mußte er machen, sein Herz zu erweichen, seine Hartnäckigkeit zu besiegen und sich von jener schweren Pflicht zu befreien.

»Sir!« rief er, die beiden Hände des Jünglings mit Innigkeit ergreifend. – »Sir, Sie haben eine Schwester, welche Sie liebt, und welche um Sie trauern wird. Thun Sie es um dieses holden Wesens willen, liefern Sie den Entsprungenen aus, um ihr den Gram zu ersparen, den ihr Ihre Gefangenschaft bereitete wird.«

»Ich eine Schwester?« fragte George verwundert. – »Woher wissen Sie? – Woher glauben Sie? –«

»Oh, leugnen Sie es nicht, daß jenes engelgleiche Wesen, welches an dem Tage Ihres Besuchs beim Präsidenten das Haus Ihres Freundes Conover verließ, bald nachdem Sie eingetreten waren, Ihre Schwester ist. – Sehen Sie, ich will offen gegen Sie sein, ich will Ihnen nicht verschweigen, daß das Bild jenes Mädchens, das ich nur einmal sah, in meinem Herzen lebt, daß ich kein höheres Glück kenne, als mir ihr Herz und ihre Liebe zu gewinnen, daß meine höchste Sehnsucht ist, sie wieder zu sehen, daß ...«

»O, halten Sie inne, Sir!« unterbrach ihn Borton, dessen Antlitz sich allmählig purpurn färbte und dessen Auge mit einem eigenthümlichen Gemisch von Mitleiden und Dankbarkeit an den Lippen des Offiziers hing. – »Sprechen Sie nicht weiter, Sir; ich kann, ich darf Sie nicht hören.«

»Sie dürfen mich nicht hören, Mr. Borton?«

»Nein, Sir, Sie werden sehen, daß ich es nicht darf, hören Sie erst meine Bitte.«

»Nein, lassen Sie mich ausreden, Mr. Borton. – Wie sollte ich, wenn mir jemals das Glück wird, Ihrer Schwester zu begegnen, es wagen, auch nur zu ihr aufzublicken, wenn ich ein Mittel unversucht gelassen hätte, den Bruder, der ihr theuer ist, von dem Irrwege, den er betreten, abzubringen? Wenn ich Sie anflehe, mich nicht zur Erfüllung meiner Pflicht zu zwingen, so geschieht dies ebenso um Ihrer Schwester willen als meiner selbst willen.«

In George's Auge perlte eine Thräne, als er antwortete:

»Sie werden die, welche Sie für meine Schwester halten, früher wiedersehen, als Sie es wünschen.«

»Früher, als ich es wünsche?« antwortete Schleiden. »Ich wollte sie stände in diesem Augenblicke hier, um mir durch ihre Bitten den unheilvollen Entschluß des Bruders abändern zu helfen.«

»Ich bitte Sie, über alle diese Dinge erst mit mir sprechen zu wollen, nachdem Sie mich einen Moment allein gelassen haben, um mich darauf vorzubereiten, Ihnen zur Haft zu folgen.«

»Ueberlegen Sie noch einmal, Sir!«

»Ich ändere nichts an meinem Beschlusse; das Einzige, um was ich Sie noch bitte, ist, mich einige Minuten allein zu lassen.«

Schleiden schien auf den Gedanken zu kommen, daß George Borton zu entfliehen beabsichtige, und athmete in neuer Hoffnung auf.

»Wollte Gott, es gelänge ihm zu entfliehen«, dachte er. »Es wäre meinem Herzen die schwerste Last genommen, die es je bedrückte.« –

George schien seine Gedanken zu errathen, denn lächelnd sagte er:

»Fürchten Sie nicht, Sir, daß ich entfliehen werde, ich verpfände Ihnen mein Ehrenwort, daß ich keinen Versuch zur Flucht machen werde.«

Diese Unterredung hatte in dem hinteren Zimmer stattgefunden, in dem vorderen warteten der Wirth und die Soldaten Mr. Schleidens auf das Resultat. Als der Graf den jungen Mann allein ließ, trat er zu den Uebrigen in's Vorderzimmer, dort verstimmt auf- und abschreitend.

»Nun wie steht's?« fragte der Wirth, dessen Neugierde ihm nicht Ruhe ließ, bis der Officier von selbst sein Schweigen brechen würde. »Nicht wahr, Sie fangen mit dem Galgenvogel nichts an? Aber so versteckt sind sie Alle diese Powels, es ist eine eingefleischte Verbrecherfamilie.«

»Schweigen Sie lieber«, unterbrach ihn Mr. Schleiden. »Damit nicht Ihre Beschuldigung den Unschuldigen mit dem Schuldigen trifft.«

»Kann der uns auch nicht entwischen?« fragte der Sergeant, der am Ausgang Posten stand, auf die verschlossene Thür des Nebenzimmers deutend.

»Er wird nicht entwischen«, erwiederte Schleiden kurz, und setzte wieder nachdenkend seinen Gang durch's Zimmer fort.

Es währte ziemlich lange, ehe George Borton seine Vorbereitungen beendet hatte, so daß der Graf schon von Neuem anfing zu hoffen, er möchte entflohen sein. Da aber öffnete sich die Thür des Nebenzimmers und – George Borton erschien? ... Nein, nicht George Borton, sondern eine Dame von hohem Wuchs mit schönem Gesicht, auf dem der Kummer lagerte – dieselbe Dame, welche Mr. Schleiden sich sehnte wieder zu sehen.

»Himmel, seine Schwester!« rief er betroffen.

Die Dame schüttelte den Kopf.

»Nicht seine Schwester, Mr. Schleiden, sondern er selbst. Ich will Ihnen das Räthsel erklären. Ich bin die Schwester des Mr. Charles Powel, welcher hier wohnte, die Begeisterung für die Sache der Republik trieb mich auf den Kampfplatz. Unter dem Namen George Borton trat ich, als Mann verkleidet, in die Armee, ich avancirte zum Officier, und suchte dem Vaterlande zu nützen, so viel ich konnte, bis – bis ... Doch Sie wissen genug. Meine Rolle als George Borton ist zu Ende, ich bin jetzt wieder Mary Powel.

Mr. Schleiden stand wie vernichtet.

»Gott, warum mußte ich sie wiedersehen!«

Die Hand an die Stirn gepreßt, schritt er hastig auf und ab, er wagte nicht aufzuschauen zu seiner Gefangenen, noch vermochte er die Fassung zu gewinnen, seinen Leuten einen Befehl zu ertheilen. – Sollte er sie fortführen, sie, die er anbetete, die er bewunderte? – Sollte er das Mädchen, das wie eine Heldin für das Vaterland gekämpft, der Anklage der Meuterei preisgeben? –

Nein, nein, er konnte das nicht mit seiner Ueberzeugung, seinem Gewissen vereinbaren; und doch, wie sollte er sich vor seinen Leuten, welche Zeugen der Scene waren, rechtfertigen? –

Mary machte dieser peinlichen Unschlüssigkeit ein Ende.

»Ich bin bereit Ihnen zu folgen, Sir,« sagte sie mit fester Stimme. – »Gehen Sie voran, Herr Sergeant.

»Mary – Mary!« rief der Offizier; aber was konnte er ändern? Mit eiserner Band forderte seine Stellung die Erfüllung seiner Pflicht. Er mußte sie verhaften.


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