Ludwig Anzengruber
Gedichte
Ludwig Anzengruber

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Aus meiner Werdezeit

(1859–1864)

Des Bettlers Lied.Anm. zur dritten Auflage. Die erste Niederschrift dieser Verse findet sich als Einlageblatt in einem handschriftlich erhaltenen, vom Anzengruber-Kuratorium kürzlich erworbenen Heft: »Gedichte und poetische Versuche von Ludwig Gruber 1863« mit dem Datum: Warasdin 1864.

Hab' Flicken nur, kein ganzes Kleid,
Hab' Sorgen stets, kein halbes Leid,
Doch mag ich nicht zu Grabe gehn,
Die Sonne scheint zu froh und schön,
Wenn sie es gar so ehrlich meint,
Mir auf den breiten Rücken scheint,
Weiß nicht, was ich drum gäbe,
Weil ich nur lebe!

Sitz' Sonntags vor der Kirchenthür,
Da spenden Jung' und Alte mir,
Manch Kinderköpfchen, spielzerzaust,
Drückt mir das Pätschchen in die Faust
Und schaut mit großem frischen Blick
Nach mein'm »Vergelt es Gott« zurück.
Der Herr viel Glück ihm gebe,
Weil ich nur lebe!

Dann kehr' ich in der Schenke ein
Und trink' mein Gläschen goldnen Wein
Und spielt es durch die Adern leis',
Da klingt in mir die alte Weis' –
Da schleich' ich mich zum Waldeshang,
Vergess all Sorg und jeden Bang;
Mein Lied ich froh erhebe,
Weil ich nur lebe!

Da kriecht die Ameis übers Blatt,
So hurtig, seh' sie niemals matt,
Da schlagt der Fink, da glitzt der Tau,
Dort drüben singt des Försters Frau, –
Nun blinkt durchs Laub der Abendstern,
Grau winkt das Dörflein in der Fern',
Wüßt' nicht, daß sich's begäbe,
Wenn ich nicht lebe!


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