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Das Hohelied Salomons

Übersetzt von W. von Goethe

Das Hohelied Salomons

Goethe an Merk:
»Ich habe das ›Hohelied Salomons‹ übersetzt, welches ist die herrlichste Sammlung Liebeslieder, die Gott erschaffen hat.«

 

Küß' er mich den Kuß seines Mundes! Trefflicher ist deine Liebe denn Wein. Welch ein süßer Geruch deine Salbe, ausgegossne Salb' ist dein Name, drum lieben dich die Mädchen. Zeuch mich! Laufen wir doch schon nach dir! Führte mich der König in seine Kammer, wir sprängen und freuten uns in dir, priesen deine Lieb' über den Wein.

Lieben dich doch die Edlen all!

Schwarz bin ich, doch schön, Töchter Jerusalems! Wie Hütten Kedars, wie Teppiche Salomos.

Schaut mich nicht an, daß ich braun bin, von der Sonne verbrannt. Meiner Mutter Söhne feinden mich an, sie stellten mich zur Weinberge Hüterin. Den Weinberg, der mein war, hütet' ich nicht.

Sage mir, du, den meine Seele liebt, wo du weidest? Wo du ruhest am Mittag? Warum soll ich umgehn an den Herden deiner Gesellen?

Weißt du's nicht, schönste der Weiber, folg' nur den Tapfen der Herde, weide deine Böcke um die Wohnung der Hirten.

Meinem reisigen Zeug unter Pharaos Wagen vergleich ich dich, mein Liebchen. Schön sind deine Backen in den Spangen, dein Hals in den Ketten. Spangen von Gold sollst du haben mit silbernen Pöcklein.

Solang der König mich koset, gibt meine Narde den Ruch.

Ein Büschel Myrrhen ist mein Freund, zwischen meinen Brüsten übernachtend. Ein Trauben Kopher ist mir mein Freund in den Wingerten Engedi.

Sieh, du bist schön, meine Freundin! Sieh, du bist schön! Taubenaugen die deinen.

Sieh, du bist schön, mein Freund. Auch lieblich! Unser Bette grünt, unsrer Hütte Balken sind Zedern, unsre Zinnen Zypressen.

Ich bin die Rose im Tal! Bin ein Maiblümchen! Wie die Rose unter den Dornen, so ist mein Liebchen unter den Mädchen. Wie der Apfelbaum unter den Waldbäumen, ist mein Liebster unter den Männern. Seines Schattens begehr' ich, niedersitz' ich, und süß ist meinem Gaum seine Frucht. Er führt mich in die Kelter, über mich weht seine Liebe. Stützet mich mit Flaschen, polstert mir mit Äpfeln, denn krank bin ich für Liebe. Seine Linke trägt mein Haupt, seine Rechte herzt mich. Ich beschwör' euch, Töchter Jerusalems, bei den Rehen, bei den Hinden des Feldes, rühret sie nicht, reget sie nicht, meine Freundin, bis sie mag.

Sie ist's, die Stimme meines Freunds. Er kommt! Er gleicht, mein Freund, einer Hinde, er gleicht einem Rehbock. Er steht schon an der Wand, siehet durchs Fenster, gucket durch Gitter! Da beginnt er und spricht: »Steh auf, meine Freundin, meine Schöne, und komm. Der Winter ist vorbei, der Regen vorüber. Hin ist er! Blumen sprossen vom Boden, der Lenz ist gekommen, und der Turteltaube Stimme hört ihr im Lande. Der Feigenbaum knotet. Die Rebe duftet. Steh auf, meine Freundin, meine Schöne, und komm. Meine Taube in den Steinritzen, im Hohlhort des Felshangs. Zeig' mir dein Antlitz, tön' deine Stimme, denn lieblich ist deine Stimme, schön dein Antlitz. Fahet uns die Füchse, die kleinen Füchse, die die Wingerte verderben, die fruchtbaren Wingerte.

Mein Freund ist mein, ich sein, der unter Lilien weidet. Bis der Tag atmet, die Schatten fliehen, wende dich, sei gleich, mein Freund, einer Hinde, einem Rehbock auf den Bergen Bether.

Auf meiner Schlafstätte zwischen den Gebirgen sucht' ich, den meine Seele liebt, sucht' ihn, aber fand ihn nicht. Aufstehen will ich und umgehen in der Stadt, auf den Märkten und Straßen suchen, den meine Seele liebt; ich sucht' ihn, aber fand ihn nicht. Mich trafen die umgehenden Hüter der Stadt: den meine Seele liebt, saht ihr ihn nicht? Kaum, da ich sie vorüber war, fand ich, den meine Seele liebt, ich fass' ihn, ich lass' ihn nicht.

Mit mir soll er in meiner Mutter Haus, in meiner Mutter Kammer.

Wer ist, die herauftritt aus der Wüsten wie Rauchsäulen, wie Gerauch, Myrrhen und Weihrauch, köstlicher Spezereien?

Schön bist du, meine Freundin, ja, schön, Taubenaugen die deinen zwischen deinen Locken.

Dein Haar eine blinkende Ziegenherde auf dem Berge Gilead. Deine Zähne eine geschorene Herde, aus der Schwemme steigend, all zwillingsträchtig, kein Mißfall unter ihnen. Deine Lippen eine rosenfarbe Schnur, lieblich deine Rede! Wie der Ritz am Granatapfel deine Schläfe zwischen deinen Locken. Wie der Turn David dein Hals, gebauet zur Wehre, dran hängen tausend Schilde, alles Schilde der Helden. Deine beiden Brüste wie Rehzwillinge, die unter Lilien weiden. Völlig schön bist, meine Freundin, kein Flecken an dir.

Komm vom Libanon, meine Braut, komm vom Libanon! Schau her von dem Gipfel Amana, vom Gipfel Senir und Hermon, von den Wohnungen der Löwen, von den Bergen der Parden.

Gewonnen hast du mich, Schwester, liebe Braut, mit deiner Augen einem, mit deiner Halsketten einer. Hold ist deine Liebe, Schwester, liebe Braut! Trefflicher deine Liebe denn Wein, deiner Salbe Geruch über alle Gewürze.

Honig triefen deine Lippen, meine Braut, unter deiner Zunge sind Honig und Milch, deiner Kleider Geruch wie der Ruch Libanons. Schwester, liebe Braut, ein verschlossner Garten bist du, eine verschlossne Quelle, ein versiegelter Born. Dein Gewächse ein Lustgarten, Granatbäume mit der Würzfrucht, Cypern mit Narden, Narden und Safran, Kalmus und Cynnamen, allerlei Weihrauchbäume, Myrrhen und Aloe und all die trefflichen Würzen. Wie ein Gartenbrunn, ein Born lebendiger Wasser, Bäche vom Libanon. Hebe dich, Nordwind, komm, Südwind, durchwehe meinen Garten, daß seine Würze triefen.

Er komme in seinen Garten, mein Freund, und esse die Frucht seiner Würze!

Schwester, liebe Braut, ich kam zu meinem Garten, brach ab meine Myrrhen, meine Würze, aß meinen Seim, meinen Honig, trank meinen Wein, meine Milch.

Esset, Gesellen! Trinket, werdet trunken in Liebe.

Ich schlafe, aber mein Herz wacht. Horch! Die Stimme meines klopfenden Freundes: »Öffne mir, meine Schwester, meine Freundin, meine Taube, meine Fromme, denn mein Haupt ist voll Taus und meine Locken voll Nachttropfen.« – »Bin ich doch entkleidet, wie soll ich mich anziehen? Hab' ich doch die Füße gewaschen, soll ich sie wieder besudeln?« Da reichte mein Freund mit der Hand durchs Schalter, und mich überliefs. Da stund ich auf, meinem Freunde zu öffnen, meine Hände troffen von Myrrhen, Myrrhen liefen über meine Hände an dem Riegel am Schloß. Ich öffnete meinem Freund, aber er war weggeschlichen, hingegangen. Auf seine Stimme kam ich hervor, ich sucht' ihn und fand ihn nicht, rief ihm, er antwortet' nicht. Mich trafen die umgehenden Wächter der Stadt, schlugen mich, verwundeten mich, nahmen mir den Schleier, die Wächter der Mauern.

Ich beschwör' euch, Töchter Jerusalems. Findet ihr meinen Freund, wollt ihr ihm sagen, daß ich für Liebe krank bin. »Was ist dein Freund vor andern Freunden, du schönste der Weiber, was ist dein Freund vor andern Freunden, daß du uns so beschwörest?« Mein Freund ist weiß und rot, auserkoren unter viel Tausenden. Sein Haupt das reinste Gold, seine Haarlocken schwarz wie ein Rabe. Seine Augen Taubenaugen an den Wasserbächen, gewaschen in Milch, stehend in Fülle. Würzgärtlein seine Wangen, volle Büsche des Weihrauchs, seine Lippen Rosen träufelnd, köstliche Myrrhen. Seine Hände Goldringe, mit Türkisen besetzt, sein Leib glänzend Elfenbein, geschmückt mit Saphiren. Seine Beine wie Marmorsäulen auf güldenen Sockeln. Seine Gestalt wie der Libanon, auserwählet wie Zedern. Seine Kehle voll Süßigkeit, er, ganz mein Begehren. Ein solcher ist mein Liebster, mein Freund ist ein solcher, o Töchter Jerusalems.

»Wohin ging dein Freund, du schönste der Weiber? Wohin wandte sich dein Freund? Wir wollen ihn mit dir suchen.« Mein Freund ging in seinen Garten hinab, zu den Würzbeeten, sich zu weiden im Garten, Lilien zu pflücken. Mein Freund ist mein, und ich bin sein, der unter Lilien sich weidet.

Schön bist du, meine Freundin, wie Thirza! Herrlich wie Jerusalem! Schrecklich wie Heerspitzen. Wende deine Augen ab von mir, sie machen mich brünstig.

Sechzig sind der Königinnen, achtzig der Kebsweiber, Jungfrauen unzählig. Aber eine ist meine Taube, eine meine Fromme. Die einzige ihrer Mutter, die Köstliche ihrer Mutter. Sie sahen die Mädchen, sie priesen die Königinnen und Kebsweiber und rühmten sie.

Wer ist, die hervorblickt wie die Morgenröte? Lieblich wie der Mond, rein wie die Sonne, furchtbar wie Heerspitzen?

Zum Nußgarten bin ich gangen, zu schauen das grünende Tal, zu sehen, ob der Weinstock triebe, ob die Granatbäume blühten.

Kehre! Kehre! Sulamith! Kehre! Kehre! Daß wir dich sehen. Seht ihr nicht Sulamith wie einen Reihentanz der Engel? Schön ist dein Gang in den Schuhen, o Fürstentochter, deiner Lenden gleiche Gestalt wie zwo Spangen, Spangen, des Künstlers Meisterstück. Dein Nabel ein runder Becher der Fülle, dein Leib ein Weizenhaufen, umsteckt mit Rosen. Dein Hals ein elfenbeinener Turn, deine Augen wie die Teiche zu Hesbon am Tore Bathrabbim, deine Nase der Turn Libanon, schauend gegen Damaskus. Dein Haupt auf dir wie Karmel, deine Haarflechten wie Purpur des Königs, in Falten gebunden. Wie schön bist du, wie lieblich! du Liebe in Wollüsten. Deine Gestalt ist Palmen gleich, Weintrauben deine Brüste. Ich will auf den Palmbaum steigen, sagt' ich, und seine Zweige ergreifen. Laß deine Brüste sein wie Trauben am Weinstock, deiner Nasen Ruch wie Äpfel, dein Gaum wie guter Wein, der mir glatt eingehe, der die Schlafenden geschwätzig macht.

Ich bin meinem Freunde, bin auch sein ganzes Begehren!

Komm, mein Freund, laß uns aufs Feld gehen, auf den Landhäusern schlafen. Früh stehen wir auf zu den Weinbergen, sehen, ob er, der Weinstock, blühe, Beeren treibe, Blüten die Granatbäume haben. Da will ich dich herzen nach Vermögen.

Die Lilien geben den Ruch, vor unsrer Tür sind allerlei Würze, heurige, fernige. Meine Liebe bewahrt' ich dir!

Hätt' ich dich wie meinen Bruder, der meiner Mutter Brüste saugt. Fänd' ich dich draus, ich küßte dich, niemand sollte mich höhnen. Ich führte dich in meiner Mutter Haus, daß du mich lehrtest! Tränke dich mit Würzwein, mit Most der Granaten.

Wer ist, die heraufgeht aus der Wüsten, sich gesellet zu ihrem Freund?

Unterm Apfelbaum weck' ich dich, wo deine Mutter dich gebar, wo dein pflegte, die dich zeugte.

Setze mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn stark wie der Tod ist die Liebe, Eifer, gewaltig wie die Hölle, ihre Glut Feuerglut, eine fressende Flamme. Viel Wasser können die Liebe nicht löschen, Ströme sie nicht ersäufen. Böt' einer all sein Hab und Gut um Liebe, man spottete nur sein.


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