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Adalbert de Chamisso

Frauenliebe und -Leben und anderes

Morgentau

Wir wollen mit Kosen und Lieben
     Genießen der köstlichen Nacht;
Wo sind doch die Stunden geblieben!
     Es ist ja der Hahn schon erwacht.

Die Sonne, die bringt viel Leiden,
     Es weinet die scheidende Nacht;
Ich also muß weinen und scheiden,
     Es ist ja die Welt schon erwacht.

Ich wollt', es gäb' keine Sonne,
     Als eben dein Auge so klar,
Wir weilten in Tag und in Wonne,
     Und schliefe die Welt immerdar.

Adalbert de Chamisso

auf dem Schlosse seiner Väter Boncourt in der Champagne am 30. Januar 1781 geboren, wurde durch die Revolution von seinen fliehenden Eltern mit nach Preußen genommen. Obwohl seine Eltern später zurückkehrten, blieb er als Leutnant 1801 in Preußen. Verkehrte im Hause der weithin bekannten Familie Varnhagen von Ense. Schloß sich später der Weltreise des russischen Grafen Romanzoff an, wo er seine Erlebnisse in seinem Werk »Reise um die Welt« schilderte. Glücklich verheiratet lebte er in Berlin und wurde 1835 Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Er starb als guter Deutscher am 21. August 1838.

Frauen-Liebe und Leben

1.

Seit ich ihn gesehen,
     Glaub ich blind zu sein;
Wo ich hin nur blicke,
     Seh' ich ihn allein;
Wie im wachen Traume
     Schwebt sein Bild mir vor,
Taucht aus tiefstem Dunkel
     Heller nur empor.

Sonst ist licht- und farblos
     Alles um mich her,
Nach der Schwestern Spiele
     Nicht begehr' ich mehr,
Möchte lieber weinen
     Still im Kämmerlein;
Seit ich ihn gesehen,
     Glaub ich blind zu sein.

2.

Er, der herrlichste von allen,
     Wie so milde, wie so gut!
Holde Lippen, klares Auge,
     Heller Sinn und fester Mut,

So wie dort in blauer Tiefe
     Hell und herrlich jener Stern,
Also er an meinem Himmel,
     Hell und herrlich, hoch und fern.

Wandle, wandle deine Bahnen;
     Nur betrachten deinen Schein,
Nur in Demut ihn betrachten,
     Selig nur und traurig sein!

Höre nicht mein stilles Beten,
     Deinem Glücke nur geweiht;
Darfst mich niedre Magd nicht kennen,
     Hoher Stern der Herrlichkeit!

Nur die Würdigste von allen
     Soll beglücken deine Wahl,
Und ich will die Hohe segnen,
     Segnen viele tausendmal.

Will mich freuen dann und weinen,
     Selig, selig bin ich dann;
Sollte mir das Herz auch brechen,
     Brich, o Herz, was liegt daran!

3.

Ich kann's nicht fassen, nicht glauben,
     Es hat ein Traum mich berückt;
Wie hätt' er doch unter allen
     Mich Arme erhöht und beglückt?

Mir war's, er habe gesprochen:
     Ich bin auf ewig dein –
Mir war's – ich träumte noch immer,
     Es kann ja nimmer so sein.

O, laß im Traume mich sterben,
     Gewieget an seiner Brust,
Den seligsten Tod mich schlürfen
     In Tränen unendlicher Lust.

4.

Du Ring an meinem Finger,
     Mein goldnes Ringelein,
Ich drücke dich fromm an die Lippen,
     Dich fromm an das Herze mein.

Ich hatt' ihn ausgeträumet,
     Der Kindheit friedlichen Traum,
Ich fand allein mich, verloren
     Im öden, unendlichen Raum.

Du Ring an meinem Finger,
     Da hast du mich erst belehrt,
Hast meinem Blick erschlossen
     Des Lebens unendlichen Wert.

Ich werd' ihm dienen, ihm leben,
     Ihm angehören ganz,
Hin selber mich geben und finden
     Verklärt mich in seinem Glanz.

Du Ring an meinem Finger,
     Mein goldnes Ringelein,
Ich drücke dich fromm an die Lippen,
     Dich fromm an das Herze mein.

5.

     Helft mir, ihr Schwestern,
Freundlich mich schmücken,
Dient der Glücklichen heute, mir,
Windet geschäftig
Mir um die Stirne
Noch der blühenden Myrte Zier.

     Als ich befriedigt,
Freudigen Herzens
Dem Geliebten im Arme lag,
Immer noch rief er,
Sehnsucht im Herzen,
Ungeduldig den heut'gen Tag.

     Helft mir, ihr Schwestern,
Helft mir verscheuchen
Eine törichte Bangigkeit,
Daß ich mit klarem
Aug' ihn empfange,
Ihn, die Quelle der Freudigkeit.

     Bist, mein Geliebter,
Du mir erschienen,
Gibst du, Sonne, mir deinen Schein?
Laß mich in Andacht,
Laß mich in Demut
Mich verneigen dem Herren mein.

Streuet ihm, Schwestern,
Streuet ihm Blumen,
Bringt ihm knospende Rosen dar.
Aber euch, Schwestern,
Grüß ich mit Wehmut,
Freudig scheidend aus eurer Schar.

6.

Süßer Freund, du blickest
     Mich verwundert an,
Kannst es nicht begreifen,
     Wie ich weinen kann;
Laß der feuchten Perlen
     Ungewohnte Zier
Freudenhell erzittern
     In den Wimpern mir.

Wie so bang mein Busen,
     Wie so wonnevoll!
Wüßt' ich nur mit Worten,
     Wie ich's sagen soll;
Komm und birg dein Antlitz
     Hier an meiner Brust,
Will ins Ohr dir flüstern
     Alle meine Lust.

Hab' ob manchen Zeichen
     Mutter schon gefragt,
Hat die gute Mutter
     Alles mir gesagt,
Hat mich unterwiesen,
     Wie, nach allem Schein,
Bald für eine Wiege
     Muß gesorget sein.

Weißt du nun die Tränen,
     Die ich weinen kann,
Sollst du nicht sie sehen,
     Du geliebter Mann;
Bleib an meinem Herzen,
     Fühle dessen Schlag,
Daß ich fest und fester
     Nur dich drücken mag.

Hier an meinem Bette
     Hat die Wiege Raum,
Wo sie still verberge
     Meinen holden Traum;
Kommen wird der Morgen,
     Wo der Traum erwacht,
Und daraus dein Bildnis
     Mir entgegen lacht.

7.

An meinem Herzen, an meiner Brust,
Du meine Wonne, du meine Lust!

Das Glück' ist die Liebe, die Lieb' ist das Glück,
Ich hab' es gesagt und nehm's nicht zurück.

Hab' überglücklich mich geschätzt,
Bin überglücklich aber jetzt.

Nur die da säugt, nur die da liebt
Das Kind, dem sie die Nahrung gibt;

Nur eine Mutter weiß allein,
Was lieben heißt und glücklich sein.

O, wie bedaur' ich doch den Mann,
Der Mutterglück nicht fühlen kann!

Du schauest mich an und lächelst dazu,
Du lieber, lieber Engel, du!

An meinem Herzen, an meiner Brust,
Du meine Wonne, du meine Lust!

8.

Nun hast du mir den ersten Schmerz getan,
     Der aber traf.
Du schläfst, du harter, unbarmherz'ger Mann,
     Den Todesschlaf.

Es blicket die Verlass'ne vor sich hin,
     Die Welt ist leer.
Geliebet hab' ich und gelebt, ich bin
     Nicht lebend mehr.

Ich zieh' mich in mein Innres still zurück,
     Der Schleier fällt,
Da hab' ich dich und mein vergangnes Glück,
     Du meine Welt.

9.

Traum der eignen Tage,
     Die nun ferne sind,
Tochter meiner Tochter,
     Du mein süßes Kind,
Nimm, bevor die Müde
     Deckt das Leichentuch,
Nimm ins frische Leben
     Meinen Segensspruch.

Siehst mich grau von Haaren,
     Abgezehrt und bleich,
Bin wie du gewesen
     Jung und wonnereich,
Liebte, wie du liebtest,
     Ward wie du auch Braut,
Und auch du wirst altern,
     So wie ich ergraut.

Laß die Zeit im Fluge
     Wandeln fort und fort,
Nur beständig wahre
     Deines Busens Hort;
Hab' ich's einst gesprochen,
     Nehm' ich's nicht zurück:
Glück ist nur die Liebe,
     Liebe nur ist Glück.

Als ich, den ich liebte,
     In das Grab gelegt,
Hab' ich meine Liebe
     Treu in mir gehegt;
War mein Herz gebrochen,
     Blieb mir fest der Mut,
Und des Alters Asche
     Wahrt die heil'ge Glut.

Nimm, bevor die Müde
     Deckt das Leichentuch,
Nimm ins frische Leben
     Meinen Segensspruch:
Muß das Herz dir brechen,
     Bleibe fest dein Mut,
Sei der Schmerz der Liebe
     Dann dein höchstes Gut.

Küssen will ich, ich will küssen

     Freund, noch einen Kuß mir gib,
Einen Kuß von deinem Munde,
Ach! ich habe dich so lieb!
Freund, noch einen Kuß mir gib.
Werden möcht' ich sonst zum Dieb,
Wärst du karg in dieser Stunde;
Freund, noch einen Kuß mir gib,
Einen Kuß von deinem Munde.

     Küssen ist ein süßes Spiel,
Meinst du nicht, mein süßes Leben?
Nimmer ward es noch zuviel,
Küssen ist ein süßes Spiel.
Küsse, sondern Zahl und Ziel,
Geben, nehmen, wiedergeben,
Küssen ist ein süßes Spiel,
Meinst du nicht, mein süßes Leben?

     Gibst du einen Kuß mir nur,
Tausend geb' ich dir für einen.
Ach, wie schnelle läuft die Uhr,
Gibst du einen Kuß mir nur.
Ich verlange keinen Schwur,
Wenn es treu die Lippen meinen,
Gibst du einen Kuß mir nur,
Tausend geb' ich dir für einen.

     Flüchtig, eilig wie der Wind,
Ist die Zeit, wann wir uns küssen.
Stunden, wo wir selig sind,
Flüchtig, eilig wie der Wind!
Scheiden schon, ach, so geschwind!
O, wie werd' ich weinen müssen!
Flüchtig, eilig wie der Wind!
Ist die Zeit, wann wir uns küssen.

     Muß es denn geschieden sein,
Nur noch einen Kuß zum Scheiden!
Scheiden, meiden, welche Pein!
Muß es denn geschieden sein?
Lebe wohl und denke mein,
Mein in Freuden und in Leiden;
Muß es denn geschieden sein,
Noch nur einen Kuß zum Scheiden!

Tränen

1.

Was ist's, o Vater, was ich verbrach?
Du brichst mir das Herz und fragst nicht darnach.

Ich hab' ihm entsagt nach deinem Befehl,
Doch nicht ihn vergessen, ich hab' es nicht Hehl.

Noch lebt er in mir, ich selbst bin tot,
Und über mich schaltet dein strenges Gebot.

Wann Herz und Wille gebrochen sind,
Bittet um eins noch dein armes Kind.

Wann bald mein müdes Auge sich schließt,
Und Tränen vielleicht das deine vergießt;

An der Kirchwand dort, beim Holunderstrauch,
Wo die Mutter liegt, da lege mich auch.

2.

Ich hab' bevor der Morgen
     Im Osten noch gegraut,
Am Fenster zitternd geharret
     Und dort hinaus geschaut.

Und in der Mittagstunde,
     Da hab' ich bitter geweint,
Und habe doch im Herzen:
     Er kommt wohl noch, gemeint.

Die Nacht, die Nacht ist kommen,
     Vor der ich mich gescheut;
Nun ist der Tag verloren,
     Auf den ich mich gefreut.

3.

Nicht der Tau und nicht der Regen
Dringen, Mutter, in dein Grab,
     Tränen sind es,
Tränen deines armen Kindes
Rinnen heiß zu dir hinab.

Und ich grabe, grabe, grabe;
Von den Nägeln springt das Blut,
     Ach! mit Schmerzen,
Mit zerriss'nem blut'gem Herzen
Bring' ich dir hinab mein Gut.

Meinen Ring, sollst mir ihn wahren,
Gute Mutter, liebevoll;
     Ach! sie sagen,
Daß ich einen andern tragen,
Weg den meinen werfen soll.

Ring, mein Ring, du teures Kleinod!
Muß es denn geschieden sein?
     Ach! ich werde
Bald dich suchen in der Erde,
Und du wirst dann wieder mein.

4.

Denke, denke, mein Geliebter,
Meiner alten Lieb' und Treue,
Denke, wie aus freud'gem Herzen,
Sonder Harm und sonder Reue,
Frei das Wort ich dir gegeben,
Dich zu lieben, dir zu leben –
     Suche dir ein andres Lieb!

Ach! er kam, besah die Felder
Und das Haus, der Mutter Erbe,
Sprach und feilschte mit dem Vater,
Der befahl gestreng und herbe. –
Eitel war das Wort gesprochen,
Herz und Treue sind gebrochen –
     Suche dir ein andres Lieb!

Und der Priester mit dem Munde
Sprach den Segen unverdrossen,
Unerhöret einem Bunde,
Der im Himmel nicht geschlossen. –
Zieh' von hinnen! Zieh' von hinnen
Andres Glück dir zu gewinnen,
     Suche dir ein andres Lieb!

5.

     Die, deren Schoß geboren,
In Wonn' und Lust verloren,
Ihr Kind in Armen hält,
Sie gibt dir Preis und Ehren
Und weint des Dankes Zähren
Dir, Vater aller Welt.

     Und, welcher du verneinet
Des Leibes Segen, weinet
Und grämt und härmet sich,
Sie hebt zu dir die Arme
Und betet: Ach! erbarme,
Erbarme meiner dich!

     Ich Ärmste nur von allen,
In Schuld und Schmach gefallen,
Bin elend grenzenlos;
Ich bete: – Weh mir! – mache,
Aus Mitleid oder Rache,
Unfruchtbar meinen Schoß.

6.

Ich hab' ihn im Schlafe zu sehen gemeint,
Noch sträubt vor Entsetzen mein Haar sich empor,
O, hätt' ich doch schlaflos die Nacht durchweint,
     Wie manche der Nächte zuvor.

Ich sah ihn verstört, zerrissen und bleich,
Wie er in den Sand zu schreiben schien.
Er schrieb unsre Namen, ich kannt' es gleich,
     Da hab' ich wohl laut geschrien.

Er fuhr zusammen, vom Schrei erschreckt,
Und blickte mich an, verstummt wie das Grab;
Ich hielt ihm die Arme entgegengestreckt,
     Und er – er wandte sich ab.

7.

Wie so bleich ich geworden bin?
     Was willst du fragen?
Freue, freue dich immerhin,
     Ich will nicht klagen.

Hast das Haus und die Felder auch,
     Und hast den Garten,
Laß mich unterm Holunderstrauch
     Den Platz erwarten.

Tief das Plätzchen und lang und breit
     Nur wen'ge Schuhe,
Leg' ich dort mich zu guter Zeit
     Und halte Ruhe.

Verratene Liebe

Da nachts wir uns küßten, o Mädchen,
     Hat keiner uns zugeschaut;
Die Sterne, die standen am Himmel,
     Wir haben den Sternen getraut.

Es ist ein Stern gefallen,
     Der hat dem Meer uns verklagt;
Da hat das Meer es dem Ruder,
     Das Ruder dem Schiffer gesagt.

Da sang derselbe Schiffer
     Es seiner Liebsten vor;
Nun singen's auf Straßen und Märkten
     Die Mädchen und Knaben im Chor.

Morgentau

Wir wollen mit Kosen und Lieben
     Genießen der köstlichen Nacht;
Wo sind doch die Stunden geblieben!
     Es ist ja der Hahn schon erwacht.

Die Sonne, die bringt viel Leiden,
     Es weinet die scheidende Nacht;
Ich also muß weinen und scheiden,
     Es ist ja die Welt schon erwacht.

Ich wollt', es gäb' keine Sonne,
     Als eben dein Auge so klar,
Wir weilten in Tag und in Wonne,
     Und schliefe die Welt immerdar.

Laß reiten

     Es ritt ein Reiter die Straße hinaus,
Die Spur verwehte der Wind.
Ein Mädchen zerpflückt einen Rosenstrauß
Und weint die Augen sich blind.

     »Du warst mir so rosig und wohlgemut,
Wie bist du geworden so bleich?
Was heimlich im Herzen dir wehe tut,
Mein Kind, vertraue mir gleich.« –

     »Ich weine ja nicht um heimlichen Schmerz,
Weiß nicht, wie in Leiden ich steh;
Es tut mir, o Mutter, nicht bloß das Herz,
Es tut mir gar manches noch weh.« –

     »Herr Doktor, Herr Doktor, die Tochter ist krank,
O helft doch dem Kinde mein!« –
Wohl mischte der Doktor 'nen bittern Trank,
Doch konnt's nicht geholfen mehr sein.

     »'nen bittern Trank, den hab' ich still
Getrunken: – nun ist's vorbei!
Laß reiten, laß reiten, wer mag und will!
Man kommt doch dem Winde nicht bei.«


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