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Bilder aus Jütland.

 

I.
Jütland

Vom Eiderstrom zu Skagens nackten Dünen
Krümmt nordwärts Jütland sich, begränzt vom Meer;
Die fette Heerde gras't am Grab der Hünen,
In Buchten tummelt sich der Fische Heer.

Aus dem dänischen Trauerspiele Svend Grathe.

 

Als Urzeit noch ein frischer Schaum schwamm auf der Zeiten Wogen,
Lag Jütland eine Wildniß da, mit Nebeln dicht umzogen.
Ein Wald nur war's, darin empor die Eiche stolz geschossen,
Die dicken Zweige hielten sich wie Brüder eng umschlossen.
Gen Nordens Thule zog kein Schiff entlang den dunklen Küsten,
Wo Wölfe hausen ungestört und mächt'ge Adler nisten.
Es herrschte tiefe Dämmerung, Jahrhunderte entschwanden,
Eh' hier des Beiles Schlag erscholl und Menschen her sich fanden.
Doch einsam war nicht die Natur: sich rohe Kräfte zeigen,
Und singend muntrer Vögel Schaar hüpft schaukelnd in den Zweigen.
– Da stieg aus Meerestiefen auf ein Nebel, scharf und stille,
Und barg der Sonne warmen Strahl mit feuchter, kalter Hülle.
Erstarrend mußten Blum' und Gras, die Eiche selbst erliegen;
Die Erd' spie rothe Flammen aus, die Meeresfluthen stiegen.
Verzweifelnd stürzte sich das Thier und heulend in die Wogen,
Fort bei der Elemente Kampf die Menschen bebend zogen.
Wie Lava dampfte heiß das Moor, ertödtend, was da lebte; –
Ein Chaos ward, worüber stumm der Todesengel schwebte;
Mit violetten Blüthen wuchs das schwarze Kraut der Haide.
– Doch in des Landes Osten stand der Wald im Sommerkleide;
Der Vogel baute hier sein Nest, die Menschen kehrten wieder,
Im Eden hinter schwarzem Sumpf, da ließen sie sich nieder.
Ein kräftiges Geschlecht ersproß, und alte Sagen melden,
Wie um den König sich geschaart, zum Kampf bereit, die Helden;
Wie mancher Barde, liederreich, im Volk ward hochgeehret,
Wie manches kräft'ge Wort erscholl, manch' Methhorn ward geleeret. –
Wie dies Geschlecht, so schwanden viel' mit ihren stolzen Träumen,
Doch in der Zeiten Wechsel blieb der Brandung wildes Schäumen
An Skagen's Riff, und schweigend sah der Mond auf's Land hernieder,
Als Christi Kreuz gepflanzet ward bei fremder Mönche Lieder.
Er sah die stolze Ritterzeit, sah ihre Burgen ragen,
Niels Ebbesen sein Leben kühn für Dänmark's Rettung wagen.
Der Zeiten Auge, strahlt er noch mit seinem bleichen Scheine
Auf Jütlands haidbewachs'nes Moor und duft'ge Buchenhaine;
Sieht, wie im Sturm die Eiche bebt, sieht stolz das Meer ergossen,
Und sieht des Friedens Blumen mild am Bautasteine sprossen.

 

II.
Die Haide im Regenwetter.

Röslein, Röslein, Röslein roth,
Röslein auf der Haiden.

Goethe.

 

Ach, grau in grau des Himmels Dom!
Und nieder gießt ein Regenstrom;
Rings Sumpf, so weit die Augen späh'n,
Und Haidekraut, wohin wir seh'n.
Verkrüppelt nur das Gras gedeiht;
Doch, auch das kleinste Grün erfreut!

Im tiefen Sand keucht das Gespann,
Und Haid'kraut schlägt an's Rad heran.
Sieh' dort das Mädchen und den Knaben
Die Schafe hüten an dem Graben;
Der Knabe flötet auf dem Ried,
Sie singt dazu ein frommes Lied.

Sie kennt auch sonst der Lieder viel,
Selbst »Roat, der vom Seile fiel.«
– Doch sag', was dort für Leute waten?
Ein Haufe wandernder Nomaden;
Zigeuner werden sie genannt,
Auch Beutelschneider hier zu Land.

Das Weib, das auf dem Rücken dort
Die Wiege trägt, ist hübsch, auf Wort!
Das Kind schläft, wie auf sammtnen Kissen,
Trotz Sturm und heft'gen Regengüssen;
Die andern Kinder laufen mit:
So klein sie sind, sie halten Schritt.

Vielleicht – schon der Gedanke macht
Mich heiter in der finstern Nacht –
Treff' ich Preciosa hier, die Feine,
Die Süße, Liebe, Holde, Reine!
Wo weilt der Haide Sonne jetzt? –
Ward sie vielleicht in's Loch gesetzt?

 

III.
Ruhe auf der Haide.

– – Die nackte Haide,
Die sich selbst begränzt. ...

Grundtvig.

 

Trauernd und groß liegt vor uns
Die schwarzbraune Haide;
Einsam und hellgrün ragt ein Wacholderstrauch
Zwischen dem Haid'kraut.
Ringsum strecken sich Hügel,
Einem Gebirgskamm' gleich, mitten durch's Land.
Aber an jeder Böschung,
Selbst in den Spuren der Räder,
Dringt Haid'kraut rothgelb hervor.
Es ist, als ob ein ausgestorbener Erdball
Unter uns läg', ein trauerndes Grab.
Doch der Vollmond strahlet so hell am tiefblauen Himmel,
Wo Wolken, phantastisch geformet,
Wie schwimmende Berge gleiten.
Alles ist stille;
Man hört nur das Knarren des Rades
Im tiefen Sande des Weges.
Mäntelumhüllt sitzen schweigend wir da,
Denn der Wind bläs't scharf her aus Westen
Ueber die nackte, schwarzbraune Haide.
Hier liegt eine Hütte,
Einsam, in trauriger Gegend.
Einsturz drohend und niedrig,
Gleich einem Wrack auf windstillem Meer,
Steht sie da vor uns.
Sieh', im losen, nächtlichen Kleide
Kommt die Wirthin heraus,
Mit verwitterten, häßlichen Zügen.
Nachlässig hängt das zerriss'ne Gewand
Um die spitzigen, knöchernen Lenden.
Mit trocknem Haid'kraut zündet sie Feuer;
Sie bläset es an, und kohlschwarz
Wirbelt der Rauch in die Höhe,
Und die Flammen werfen röthlichen Schein
Auf das hag're, gefurchte Antlitz.
Draußen lagern wir uns,
Brauen den Punsch und sitzen wie Götter
Auf der bräunlichen, schlummernden Erd', die in Lüften
Segelt dahin mit dem Monde.
Schmunzelnd nimmt auch die Alte ihr Glas,
Nippt oft daran und erzählet
Von den Spaniern, die hier
Einst gewesen im Kriege;
Wie die fremden Gäste, die Niemand verstand, ihr Lager
Aufschlugen hier, inmitten der Haiden;
Wie sie oft weinten, recht wie die Kinder,
Rufend der Heimath Land;
Dann wieder tanzten und hüpften in hellen Nächten,
Singend die fremden, heimischen Lieder,
Fern von der Heimath, alleine
Auf der nackten, schwarzbraunen Haide. –
Das Mahl ist zu Ende;
Auf dem Wagen sitzen wir wieder
Und winken der Alten Leb'wohl,
Die uns gespenstisch anstarrt und nicket.
Doch hinter der Thüre
Lauschet ein junges Mädchen mit Neugier.
Staunend blickt sie uns an, gähnend und streckend
Die trägen, herrlichen Glieder.
Das Kleid, das sie lose um sich geworfen,
Fällt von der üppigen Schulter,
Und zeigt auf der Haide uns Marmor.

 

IV.
Der Knabe und seine Mutter auf der Haide.

Das Grüne, Blau' und Rothe war nur Tand;
Ob ich im Schwarzen wohl die Wahrheit fand?

C. Wilster.

 

So sprich doch, Herzensmutter; gieb Antwort Deinem Sohn;
Seh' ich den Vater nimmer? Deckt ihn die Erde schon?
Du schwiegst, so oft ich fragte, wer doch mein Vater war;
Allnächtlich hab' ich Träume gar fremd und wunderbar.
War nicht der Vater König? Sprich nur das eine Wort:
Zieh'n wir durch Busch und Haide so heimlich immerfort?«

»Wo sind die schwarzen Wälder? Dort sang, dort tanzte man.
Wo sind die großen Berge? Oft denk' ich noch daran!
O sprich, wo ist mein Vater? O sag' mir, wer er war!
Allnächtlich hab' ich Träume gar fremd und wunderbar.
Ich will den Traum erzählen, Herzmutter, deute ihn:
Mir war, als ob der Vater zur Nachtzeit mir erschien.

»'nen Regenbogen sah ich ruhn auf der Berge zwei,
Und unterm Bogen schwebte mein Vater stolz und frei.
Am Hals hing eine Kette; er trug 'ne Krone klar,
Und ringsum flogen Engel mit schnee'gem Flügelpaar.
Ich sah', wie er mir winkte. Der Traum war licht und hell;
O sprich doch, gute Mutter, wo finden wir ihn schnell?«

»»Schweig still mit Deinem Träumen! Was solch ein Narr sich denkt:
Dein Vater ward in Ungarn, woher du kommst, gehenkt.
Stolz war er wie ein König, selbst unterm Galgenpfahl;–-
Jetzt ward er wohl schon lange der schwarzen Raben Mahl.
Du lagst an meinem Herzen, als ich dem Loch entfloh. –
Was wirst Du blaß? – Nun, Junge, komm doch! was greinst Du so?««

 

V.
Gemälde von Jütland's westlicher Küste.

Wie eine Leiche ruht die Erde hier,
Der Himmel blickt im blutigen Gewand,
Gleich einem Mörder, nieder auf sein Opfer.

Atterbom.

 

Man sieht nicht einen Strauch; das Haid'kraut selbst verschwand;
Ein Hälmchen hie und da nur dringt aus tiefem Sand;
Die Düne, die von Tag zu Tage sich erneut
In wechselnder Gestalt, ist rings mit Wrack bestreut.
Dort liegt vor uns das Meer, das keine Gränzen hat,
So weit das Auge reicht, ganz spiegelklar und glatt;
Das Ufer ist besä't mit Steinen, groß und klein,
Und alle kugelrund, mit buntem, farb'gem Schein.
Die Fischer geh'n zum Strand, sie singen froh ein Lied; –
Ein herrliches Geschlecht, mit Mark in jedem Glied.
Die Hände falten sie und sprechen ein Gebet;
Mit Gott dann in den Kahn! – Der Wind vom Lande weht!

*

Ein altes Weib steht dort am Strand,
Ihr spärlich Haar grau wie der Sand;
Sie trinkt des Sonnenstrahles Gluth,
Und schüttelt sich: es thut so gut.
Ihr runzlich Antlitz sich verzieht
Zum Lächeln, als hinaus sie sieht,
Denn auf dem trügerischen Meer
Treibt jetzt ein stolzer Segler her,
Doch ohne Steu'r und ohne Mast –
Jetzt hat der Flugsand ihn erfaßt!
Man sieht, es ist das Todtenschiff –
Fest bohrt es sich jetzt in das Riff!
– Fromm sinkt das alte Weib auf's Knie,
Ein Vater Unser betet sie:
»Gott, wollest gnädig auf uns seh'n!
»An unserm Strand laß es gescheh'n!
»Das Schiff versinkt; – wo, ist ja gleich. –
»Ach! unser täglich Brod uns reich'!«

*

Wie's Grab, so stille ruhet das Meer und hell und klar,
Doch aus der Tiefe steiget ein Sausen wunderbar;
Die Fischerböte eilen, von reicher Beute schwer,
Mit starken Ruderschlägen an's sichre Ufer her.
Und plötzlich trübt die Fluth sich, und brandend steigt die See,
Wirft riesenhoch die Welle mit Brausen in die Höh';
Mit donnerndem Getöse steigt sie dem Himmel zu,
Zerschmettert von der Brandung, zerstiebt sie dann im Nu.
Von starkem Arm gerudert, mit Adlerblick gelenkt,
Ein jedes Boot doch sicher durch diese Brandung schwenkt;
Jetzt springt in's Meer der Fischer, und durch den Wogendrang
Zieht er den Kahn; – es schleppet das Weib nach Haus den Fang,
Umringt von ihren Kindern, und keuchend ob der Last;
Doch finster steh'n die Männer am Strand und lautlos fast.
– Was schwebt dort auf der Tiefe? Was spähen sie? – Ein Schiff
Kämpft mit der See und treibet mit Macht hierher auf's Riff.
Gekappt ist schon der Mastbaum; sieh! wie's der Brandung naht; –
Jetzt wirft's die Riesenwelle zerschmettert an's Gestad'!
Fest an den Mast geklammert, die Mannschaft sich noch hält;
Ein kräft'ger Schlag der Wellen hat ihn an's Land geschnellt;
Doch, sieh! die flieh'nde Woge hat wieder ihn erfaßt,
Und jedes Glied zermalmet im Rollen jetzt der Mast.
Nun stürzt er in die Tiefe, – empor kein Seufzer dringt.
– Die See wird still, es glänzet der Mond, der Sturm verklingt;
An's Ufer treiben Kisten und mancher bunte Tand, –
Die Fischer sammeln jubelnd die Trümmer aus dem Sand.

 

VI.
An der Nordsee.

Herrliches Meer,
An deinem schwellenden Busen bin ich daheim.

Ingemann.

 

Sind Felsen jene dunklen Massen dort?
O nein, sie stürzen wild hinab und fort;
Die schneebedeckten Häupter, aufwärts steigend,
Verschwinden bald, sich neigend. –
Sind's Wolken, die dort tief im Thale schweben
Und plötzlich dann sich auf zum Himmel heben?
O nein, es ist das Meer, vernimm der Tiefe Sang!
Noch nie vernahm mein Ohr so starken Orgelklang,
Erschütternd Seele und Gedanken,
Denn hier ist Alles groß und sonder Schranken.
– Was birgst du, Welle, in der Tiefe Bucht?
Was sahst du wohl auf deiner stolzen Flucht?
Was hörtest du, der Erde Wieg' und Gruft,
Herrliches Meer?
Am Nordpol sah, geküßt von eis'ger Luft,
Die Woge dein der Sonne Untergang
Und der Eisberge ew'ge Lagerschicht;
Sie fühlte des Aequators Gluthen bang;
Sie ruhte, ausgebreitet still und dicht,
An jenem Eiland, wo die Weiden niederhängen;
Sie hörte da, wo sich die Klippen drängen.
Wie auf der Küste Sand,
Was tiefgerührt die Menschenbrust empfand.
Wetteifernd sang sie mit den Vögelein,
Hinstreichend über Perlen und Gebein;
Sie sah im Luftstrom, bei des Sturmes Chor,
Die Welt bewundrungswürdig groß und hehr; –
Du hebst dich selbst so groß aus Wieg' und Gruft empor.
Herrliches Meer!
Und doch, was bist du, mit des Himmels Meer verglichen,
Wo unsre Erd' nur eine Insel klein,
Wo Sonn' und Mond, ja selber alle Sterne,
Wie Inseln schwimmen in der weit'sten Ferne?
Und wiederum ist dieses Weltgewimmel
Ein Tropfen nur im unermeßlichen
Und unbegriff'nen Himmel!
– Jetzt faß ich erst, tief in der Seele mein,
Was mir auf Cherubschwingen
Der Tod dereinst wird bringen.
D'rum brause, Meer, mit Wellen, hoch gehoben; –
Mit dir und mit dem Sturm will meinen Gott ich loben.


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