Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel.
Hochkirch

In dem gräflichen Witwenhause beurlaubte sich der Graf erst nach Mitternacht von den Damen. Er hatte beim Abendtisch den heitersten Wirt gemacht und selbst einen Toast auf den Sieger der nächsten Bataille ausgebracht. Die Einquartierten nannten ihn einen scharmanten Mann. Auch jetzt, als er Eugenie auf den Scheitel küßte, strahlte sein Gesicht von Freudigkeit.

»Ihre Audienz bei Friedrich,« sagte die Tochter, »ist zu Ihrer Zufriedenheit ausgefallen.«

»Wie konnte es anders sein! Er ist der Monarch des Jahrhunderts, wenn ich nicht sagen darf, des Universums. Was ist ihm fremd? Schlachtenpläne im Kopfe, agiert dieser außerordentliche Mann in den Kabinettsintrigen von Petersburg bis Neapel. Seine Krone wankte und er dichtete. Die Kanonade beginnt und er spielt die Flöte. Er gewinnt eine Schlacht und überdenkt im Augenblick, wo er das Kommando zur letzten Attacke gibt, wie viel die Porzellanfabrik in Berlin abwirft. Alles ist diesem Geiste gegenwärtig, er kennt das Vermögen, die Verhältnisse der Familien – selbst für unsere interessiert er sich.«

»Der außerordentliche Mann!« rief das Fräulein.

»Er hat mich nach Berlin eingeladen und ich denke, mein Kind, nächsten Winter mit dir dort zu verbringen. Er hat gehört, wie du für seine Heldengröße schwärmst, und ich freue mich, dich ihm vorzustellen.«

»Ich bewundere Ihren Mut,« sagte Eugenie.

»Sie deployieren doch zu sehr Ihre genommene Partei,« setzte warnend das Fräulein hinzu.

Der Graf erschrak nicht. Er klopfte leise auf den Emailledeckel seiner Dose und eine Art Heiligenschein von Zuversicht leuchtete um seine Perücke, indem er den Kopf schüttelte:

»Es gibt Momente, wo einem schärferen, geprüften Blicke denn doch der notwendige Ausgang nicht verborgen bleibt. – Dieser chaotische Kampf wird sich lichten, die aufgeregte, ermüdete Zeit sehnt sich nach Ruhe und die Staaten verlangen nach einem Manne mit fester Hand, mit klarem Blick und mit ernstem Willen. Es ist nur einer da, und das übrige wird sich, muß sich ausgleichen.«

»Am Ende, meine schöne Cousine,« rief Amelie, »sind wir, ohne es zu wissen, durch die hohe Gegenwart eines wirklichen, aber noch geheimen preußischen Staatsministers geehrt, dessen Huld und Gewogenheit ich in aller Demut meine kleine Person im voraus empfehle.«

»Sie sind ein schalkhaftes Mädchen,« sagte der Graf freundlich; »aber ich hoffe, daß Sie als Kabinettsministerin meiner Tochter das gute Einverständnis mit anderen Kabinetten immer berücksichtigen werden.«

»Meine ganze Karriere soll aus Rücksichten bestehen, und all diese Rücksichten sollen auslaufen auf die eine Rücksicht, auf meine Existenz. – Apropos, Herr Graf, Sie werden uns vertrauen können: wann die nächste Schlacht eigentlich anfängt. Der König von Preußen kann es Ihnen unmöglich verschwiegen haben, wenn er es auch selbst noch nicht weiß, und uns würden Sie einen großen Gefallen tun, denn meine arme Cousine und Ihre reiche Tochter fühlt das ungeheuerste Herzklopfen, daß die Bataille über Hals und Kopf losgeht, ehe wir Zeit gefunden, uns die Ohren mit Baumwolle zu verstopfen.«

»Wenn es dazu kommt, sind wir längst –«

»Über alle Berge,« fiel Amelie ein. »Gott sei Dank. Denn ich meine: Frauen und Kabinettsbefehle machen bei einer Bataille nichts als Unordnung.«

Der Graf embrassierte noch einmal halb feierlich, halb zärtlich seine Tochter: »Ich baue auf deine Klugheit,« flüsterte er ihr zu, »und du, Eugenie, rechne auf meinen festen Willen.«

Amelies Munterkeit war der Gräfin noch nie so lästig gefallen. Sie brach jedes von der Gesellschafterin aufgebrachte Gespräch schnell ab, wodurch diese sich indessen nicht abschrecken ließ, immer einen neuen Gegenstand aufzufinden.

»Aber, mein Gott, was soll ich tun,« rief Amelie, als Eugenie sie erinnerte, daß beide sich ja anheischig gemacht, keine der anderen Gedankenfreiheit zu stören. »Wollen Sie schlafen?«

»Wenn ich es könnte.«

»Das heißt, Sie können nicht. Was also sollen wir tun? Wollen wir an das alte verstimmte Klavier gehen? Der Hofhund würde bellen. – Soll ich seufzen wie Sie? Das hielten Sie für Ironie. – Also bleibt nichts, wenn ich nicht reden soll, als daß ich mich stumm Ihnen gegenüber setze, die Hände im Schoße. Aber ich fürchte, wenn wir uns recht lange ansehen, lachen wir beide laut auf.«

»Lies mir was vor – etwas Gleichgültiges.«

Das Fräulein holte ein Buch, schlug es auf, stellte das Licht zurecht und las Gellerts Fabeln, eine nach der anderen, ohne innezuhalten, ohne den Ton zu wechseln, die Überschriften wie den Text, die Fabel wie die Moral, bis Eugenie ihr das Buch fortriß.

»Sie sind die egoistischeste Gräfin in Kursachsen.«

»Mich dauert der arme Gellert unter deinen Händen.«

»Der große Friedrich hat von ihm gesagt: er wäre der vernünftigste unter allen deutschen Gelehrten. Ob aber Friedrich diesen Ausbund von Vernunft deshalb liest, weiß ich nicht.«

»Es wird still im Hause« – sagte Eugenie nach einer Pause.

»Desto deutlicher hört man die Patrouillen durchs Dorf reiten. Gräfin, Gräfin, wie blutig rot ging gestern die Sonne unter, ich teile Ihre Angst, daß wir eine Bataille erleben, und mich friert –«

»Doch nicht in der Nacht, Amelie –«

»Wie Ihr wilder Blick mich erschreckt!«

»Im ganzen Kriege fand doch noch kein Treffen in der Nacht statt. Der Freund schießt ja auf den Freund –«

»Das ist wahr; und Friedrich hat an seinen Feinden genug.«

»Was hängst du mein Tuch ans Fenster?«

»Wenn's zur Bataille kommt, sollen sie sehen, daß hier Frauenzimmer wohnen und nicht hereinschießen. – Wie sternenklar ist der Himmel!«

Eugenie trat zu ihr ans Fenster. Der Garten, in dichtestes Dunkel eingehüllt, lag zu ihren Füßen, die Wiesen dahinten waren etwas heller. Man konnte bis drüben nach den Höhen und einige der österreichischen Wachtfeuer sehen.

»Der Wind hat sich gelegt. Es könnte eine Julinacht sein, so still ist es.«

»Wenn es warm wäre, Gräfin! Wie konnten Ihre Vorfahren so töricht sein, nach Deutschland zu ziehen! Bis auf Schrittschuh und Piqueschlitten ist doch an der deutschen Nation herzlich wenig. Stellen Sie sich dagegen vor; wir lägen am Fenster einer schönen Villa bei Verona. Durch Reben und Ulmen fächelten die Zephire, der Blütenduft wogte uns entgegen und längs der Taxushecke schliche, die Gitarre im Arm, der Amorato, lehnte sich dort an die Pinie und strömte seine glühende Sehnsucht in einer schmelzenden Kanzone aus. Natürlich, dies wäre kein Fenster, sondern ein Balkon, und nicht allzuhoch. Wenn man ihm die Hand reichte und ein Auge zudrückte, schwänge der Erwartete sich herauf, spränge über das Geländer und Ihnen zu Füßen. Ich, weil ich das Knien nicht leiden kann, entfernte mich und hätte am Morgen alles ausgeschlafen. Die deutschen Freundinnen sind, wie Sie wissen, nicht so nachsichtig. Ach, und vor allem die Kettenhunde. Wie, wenn unser Freund aus Ungarn auf den Einfall käme, Ihnen eine Serenade zu bringen. Da unten verirrte er sich im Labyrinth der Ställe, Scheunen, Düngerhaufen und, wenn er endlich an die Tür gekommen, fallen die Bullenbeißer über ihn her. Während er froh ist, sie sich vom Leibe zu halten, erwachen von dem greulichen Lärm die Stallmägde und Ochsenjungen mit Laternen. Es wäre ein herzzerreißender Auftritt für eine Komödie, wenn sie, ihn für einen Dieb ansehend, seine Galanterie mit Knütteln und Schaufeln belohnten.«

»Wie nur die Phantasie in so unangenehmen Bildern sich gefallen kann!«

»Das soll auch deutsch sein.«

Es trat eine Pause ein.

»Ob das eine Schildwache drüben auf der Wiese ist –«

»Es ist wohl nur der Schatten des Erlenbusches.«

»Richtig. – Wir sind nach dem Garten zu wenig gesichert. Der Graben ist nicht breit und unsere Bullenbeißer liegen vorn im Hofe. Von dort dringt doch niemand ein, der nicht gesehen sein will.«

»Wer sollte denn hier eindringen?«

»Je nun – wenn er auf den Einfall käme – er ist jung, phantastisch – der Gedanke an die Schlacht – Sie nie wieder zu sehen, entschuldigt vieles –«

»Wer, Amelie?«

»Unser interessanter junger Freund.«

»Amelie, du hast –«

»Alles ausgerichtet; wie ich Ihnen sagte. Nur nicht von dem Geld und der Börse, dazu war ich zu blöde.«

»Wann kommt er morgen?«

»Morgen? – Morgen sind wir ja über alle Berge.«

»Wie spät ist's denn?«

»Die Geisterstunde muß längst vorüber sein. Wir haben die Turmglocke überhört.«

»Wir wollen uns zwingen zu schlafen.«

»Tun Sie's nicht, liebe Gräfin, Sie machen höchstens die Augen zu; sonst bleibt doch alles wach –«

Ihre Rede, die nach dem schelmischen Ausdruck ihrer Augen mehr bedeutete, als die Worte sagten, wurde plötzlich durch ein schneidendes Geräusch unterbrochen. Es pochte jemand gegen eine Fensterscheibe, zwar im Souterrain, aber so heftig, daß die Scheiben des oberen Zimmers klirrten.

Amelie wurde blaß. »Ist er wahnsinnig?« rief sie und sprang ans Fenster.

»Was ist das, Amelie?«

»Hier nicht,« rief diese und stürzte in den Korridor, das Fenster nach dem Hofe aufzureißen. Dort klopfte ein Feldwebel an das Fenster der Einquartierung, man hörte ihn rufen: »Herr Major – Herr Major – ich komme Ihnen zu melden, daß die Kürassiere Order haben, in der Stille aufzusitzen.«

»Gott sei Dank, es ist nichts,« sprach das Fräulein mit gepreßtem Atem, als sie ins Zimmer zurücktrat. Eugenie hatte jede ihrer Bewegungen verfolgt. Jetzt fiel ihr Auge wieder auf das Tuch am Fenster, die Ahnung durchzuckte sie mit der Schärfe der Gewißheit und mit der Miene der Gräfin zur unterwürfigen Gesellschafterin fragte sie:

»Was hast du getan?«

Ohne ein Wort zu sprechen, ließ sich das Fräulein auf ihre Knie. Sie ergriff die Hände der Gräfin und küßte sie schmeichelnd, einmal über das andere. Endlich sah sie verstohlen zu ihr auf und als sie mehr Angst und Bewegung als Zorn im Gesicht zu lesen meinte, lispelte sie, den Kopf wieder an ihre Knie drückend: »Er kommt.«

»Wann?«

»Gleich.«

»Vergessene!«

»Ich habe nichts vergessen. Er hat den Schlüssel zur Gartenpforte.«

Eugenie riß sich von ihr los. »Ich hoffe, du spielst!«

»Wann spielte ich mit Ihnen!«

»Wer gab dir die Erlaubnis?«

»Die Liebe zu Ihnen.«

»Nein, nein!« rief Eugenie sich aufrichtend – »wächst deine Verwegenheit mit meiner Nachsicht? – Gütiger Himmel, es ist unerlaubt, schändlich! Verwegene, straft mich so meine Nachsicht? Darfst du mit anderer Ehre und Ruf dein Spiel treiben?«

»Mit der Ehre nicht, Komtesse, aber ich wußte nicht, daß Sie sich um den Ruf bekümmern, wenn die Seligkeit im Spiel ist.«

»So merke dir: und wenn ich Ehre, Ruf, alles, was mir heilig ist, hinopfern will, das ist meine Sache, meine allein, ich brauche keine Vertreterin, du hast nicht das Recht auf meinen kleinen Finger, nicht über den Schatten meines Rufs.«

»Und so hab' ich gehandelt,« entgegnete Amelie mit vollkommener Ruhe.

»Elende, sprich, was hast du getan?«

» Ihn betrogen, aber nicht Sie. – Der Mond ist nicht unbefleckter als Ihr Ruf bleiben soll. Er schleicht durch den Garten, dort steht nicht Mensch, nicht Hund, die Fenster der Bedienten sind durch Laden von außen verschlossen. Ich führe ihn herauf, ich führe ihn hinunter. Hat jemand Augen, durchs Dunkel zu sehen, so trifft mich der Verdacht. Aber er glaubt, Sie haben ihn zum Rendezvous geladen; das ist mein Verbrechen. Sie haben noch immer Zeit, ihn zu enttäuschen, und ich bin weit entfernt zu leugnen. Ihre Ehre steht bei Ihnen, für Ihren Ruf habe ich zu sorgen.«

»Morgen hoffe ich dich zum letztenmal zu sehen.«

»Und wenn auch, meine Freundin,« sprach Amelie, ernster und heiterer als die Gräfin je gehört. »Ich bereue nichts. Würde heute noch einmal gestern, ich ginge wieder zu ihm und brächte ihm wieder die süße Lüge. Ich liebe Sie, heiß, herzlich, ich liebe Sie, wie Sie mich nicht lieben. Sie sollen nicht verkommen, Sie sollen glücklich werden, wider Ihren Willen. Ich hab' es mir geschworen. Aber wer den günstigen Augenblick versäumt, verspielt das Leben und ein Tor nährt sich von der Hoffnung, daß die Sterne wieder gerade so zusammenkommen. O, den Vater werden Sie überwinden, die Verhältnisse verspotten, aber Ihr Stolz ist mächtiger als Ihr Herz. Da schien mir's die Stunde, wo einmal das arme Herz lebendig sprach, wo meine Eugenie Weib war, ein fühlendes Mädchen. Die Seligkeit schwebte auf dem Sekundenzeiger. Morgen, wer weiß, was morgen ist, ob er am Rhein steht, und Sie in Polen, ob er noch so glüht und Sie noch so fühlen, und wenn Sie wollen, und er will, und alles will, ob's mit dem Willen noch getan ist; auch der Stern der Hoffnung kann untergehen. – Wenn sein scheues Pferd den blutenden Freund aus der Schlacht trägt, wenn er niederstürzt vor Ihren Augen, wenn der brechende Blick Sie sucht, wenn er die Hand ausstreckt nach Ihnen – dann überwinden Sie, ich weiß es, gewiß Ihren Stolz, Sie stürzen über ihn her, Sie drücken ihn an die Brust, Sie schreien's vor aller Welt aus, daß Sie ihn liebten, aber dem Sterbenden fristen Sie damit keine Sekunde Leben, er sieht es nicht mehr, er erfährt nichts mehr davon und er schiede doch vielleicht zufrieden von der Welt, wenn er es noch wüßte.«

Eugenie hatte, als Amelie zu reden anfing, das Tuch vom Fenster gerissen. Den Kopf gegen die Scheibe gedrückt, hörte sie ihr zu; es entging ihr keine Silbe. Umgewandt mit starrem Blick hörte sie die letzten Worte: »Wo gehst du hin?« fragte sie, als das Fräulein mit derselben Ruhe einen Leuchter ergriff, um das Zimmer zu verlassen.

»Ich will den Riegel vor die Gartentür schieben.«

Sie war bis zur Zimmertür, sie hatte schon aufgeklinkt, als ein schwaches, zitterndes »Bleibe« ihr Ohr traf. Es war die Frucht eines langen Kampfes, Eugenie wankte, blaß mit unsicherem Blick sah sie nach der Freundin, ob sie doch ginge? Rasch sprang diese zurück und schloß die Wankende mit Heftigkeit in die Arme.

»Mochten Sie glauben, ich wolle Sie verraten, ich könnte undankbar sein! Auf meinen Knien wollt' ich dich bitten, Eugenie, täglich, stündlich, nicht für mich, für dich. Für mich ist das Leben grau, ich spiele mit ihm, ich ergötze mich, wenn es mal aufblitzt. Aber ich bin nicht schön und nicht edel, ich habe keine hohen Gedanken und keinen großen Sinn, ich kann nur lachen über die Schwachheiten und bin selbst schwach. Was ist an mir verloren, wenn ich, die nichts ist, in dir aufgehe, die du so viel bist. In dir will ich atmen, in dir leben, du sollst meine stolze Königin sein, glücklich und bewundert, und ich zufrieden mit dem demütigen Vertrauten-Plätzchen in deinem Kabinett.«

»Ach, ich glaube, wir beide sind heute sehr schwach,« sagte Eugenie bewegt.

»Es sieht's ja niemand.«

»Des Himmels Wille geschehe.«

»Immerhin, denn wir beide haben in diesem Augenblicke keinen.«

* * *

Das Tuch hing wieder an seiner Stelle. Die Frauen saßen still, Hand in Hand auf dem Kanapee, so still, daß man das Nagen des Holzwurms hörte. Nur Amelie schlich dann und wann ans Fenster, bis Eugenie sie bat, wieder zu ihr zu kommen. »Es hilft nichts, Liebe. Wir müssen uns zwingen, gar nicht daran zu denken.«

»Dann kommt er, meinen Sie. – Ich glaube, ich werde bald sterben, da mir die Lust zum Spaßen ausgeht – selbst über den Aberglauben.«

»Still – ich höre etwas.«

»– Es war nur der Kater auf der Bodentreppe.«

Sie hörten die Katze springen, die Mäuse auf dem Flur rascheln, der Morgenwind stöhnte im Kamin und knarrte in den Angeln der halb offenen Tür. Aber kein Schlüssel in der Gartentür – kein Tritt im Garten. – Es schlug vom Kirchturm drei Uhr – vier Uhr – ein viertel – halb. – Eugenie atmete tiefer und tiefer, sie zitterte, ein Frost fing an sie zu schütteln. Amelie wurde besorgt. Sie umfaßte die Freundin: »Bekommen Sie kein Fieber.«

»Horch, Liebe! –«

Es schlug dreiviertel. Die Natur wollte ihr Recht. Ein Tränenstrom brach aus den Augen der Gräfin, so heftig, so ununterbrochen, als wolle der Schmerz, seit Jahren in der festen Brust zurückgehalten, auf einmal heraus. Sie umschloß die Freundin und weinte an ihrem Busen, bis auch die Kraft zum Weinen aus war. »Er kommt nicht,« sagte sie mit erstickter Stimme.

»Er wurde vielleicht kommandiert.«

»Ich sehe ihn nie wieder – Ich hätte ihn so gern gesprochen, – für mein Leben gern – nur einmal – nur ein einziges Mal noch –«

»Kommen Sie zu Bette – ich will zu ihm –«

* * *

Es schlug fünf vom Hochkirchener Turm, am vierzehnten Oktober siebenzehnhundertundachtundfünfzig. – Die Glocke hatte noch nicht ausgeschlagen, als ein Musketenschuß fiel – ein zweiter – ein dritter – Schuß auf Schuß – Säbelklirren – darauf ein fürchterliches Gebrüll von tausend Kehlen. Wenn es einen Moment verstummte, brach es gleich darauf fürchterlicher und schrecklicher aus, wie die Würgengel auf neue Opfer stießen – ein Schrei barbarischer Mordlust, von dem die Berge widerdröhnten und das Dorf erschütterte.

Die ausgeglimmten Dochte der schlecht beachteten Kerzen fielen von der Erschütterung ab, und das hellere Licht zeigte beiden Frauen, die sich in sprachlosem Entsetzen umfaßt hielten, wie blaß sie waren. – Jetzt wirbelte die erste preußische Trommel aus dem Lager – sie verstummte; ein feindliches Bajonett hatte vielleicht den beherzten Tambour niedergestoßen. Die österreichische Musik spielte von den Bergen her, Regimentschöre im Triumphmarsch, verkündend, daß es kein Vorpostengefecht, kein leicht gemeinter Husarenanfall war, daß das ganze kaiserliche Heer zur ernsten Schlacht anrückte, und ihr Ziel war – Vernichtung der Preußen. Aber nun wirbelten hier zehn Trommeln zugleich – zwanzig Trommeln antworteten; als sollten sie zum letztenmal dienen, schlugen die preußischen Tambours drauf. »Der Feind!« – »Wir sind überfallen!« Kommandoworte, Flüche – doch keiner der Verzweiflung – drangen durch die Luft. Türen wurden zerschlagen, Fenster aufgerissen, eingeschlagen, Treppen und Böden dröhnten von den Tritten der schrecklich geweckten, der hinausstürzenden Soldaten. Die Stalltore wurden gesprengt, die Pferde herausgerissen. Dazwischen schmetterte eine Trompete. Hier hörte man schon Hufschläge der Husaren, welche durch die enge Straße galoppierten, dort riefen die Pauken die Dragoner zusammen. »Lichter ans Fenster!« schrie es, denn der Oktobermorgen war noch dunkle Nacht.

Wie durch einen Zauberschlag war die Totenstille aus dem Hause verscheucht, die Wände selbst schienen belebt, denn sie zitterten. Der Kürassiermajor war aus dem Fenster gesprungen und kommandierte im Hofe vom Pferde herab. Sie warteten, bis Platz wurde auf der Straße, um hinauszusprengen.

Jetzt fiel der erste Kanonenschuß in der Nähe. Keine Minute war vergangen, und eine Batteriesalve folgte. Es war, als empfände man den Luftdruck in dem verschlossenen Zimmer. »Pestilenz!« fluchte der Major. »Das sind preußische Kanonen; die Hunde richten sie auf uns und ich muß hier halten!« – Ein Geheul der Verwundeten und Sterbenden drang durch das Getöse. Ein Gebrüll von Wut und Ingrimm antwortete ihm. Das dauerte lange Minuten und nichts gab Licht in dieses Chaos von Nacht, Mord und Entsetzen, als die Blitze der Kanonen.

Es schlurrte die Treppe herauf und der Graf, halb angekleidet, trat herein. Die Angst auf seinem leichenblassen Gesicht ließ ihn nicht zur Verwunderung kommen, die Damen noch im Abendanzug zu finden. Er drückte stumm und ausdruckslos der Tochter und dem Fräulein die Hand.

»Wir können nicht mehr fort,« flüsterte er, »die Wege sind versperrt, – Gemetzel von allen Seiten –«

»Friedrich angegriffen!« sagte Amelie, »wer konnte das denken!«

»Du hast doch kein schwarz und weißes Band am Leibe?« fragte der Graf, erschöpft auf einen Sessel niedersinkend. »Das ist die preußische Farbe.«

»Bei Nacht ist alles schwarz,« rief Amelie, wie instinktartig zusammenpackend in Schachteln und Koffer, was umherlag.

»Es wird eine fürchterliche Nacht – Warum ließ ich mich überreden herzukommen!«

Kammerdiener und Jäger überstürzten sich, hereintretend.

»Gnädigster Herr, die Panduren sind schon im Dorfe, sie klettern über die Zäune und brechen die Wände ein –«

»Ew. Gnaden täten wohl,« setzte der Kammerdiener hinzu, »sich mit den Damen zu retirieren, durch den Erker des Pfarrhauses sind schon drei Haubitzen gedrungen.«

»Mein Gott« – rief der Graf und sprang auf – »man wird doch nicht friedliche Einwohner –«

»Das Fachwerk hier oben hält den Teufel aus. Wenn eine Kartätsche 'ranklatscht, liegt's da,« fluchte der Jäger, dem Fräulein im Geschäft des Einpackens beispringend. »Ob wir friedlich sind oder –«

»Meine Kinder,« sagte der Graf, zwischen die Damen tretend, »ihr kennt meine Gesinnungen. Wenn es dem Vaterlande nützen könnte, wie gern opferte ich mein Leben – barmherziger Gott, das Dorf stürzt zusammen – Eugenie, mein geliebtes Kind, du hast doch keine Geschenke vom Rittmeister angenommen? Beruhige mich darüber.«

»Nein,« antwortete sie.

Der Vater küßte sie auf die Stirn: »Du warst immer meine Tochter! Dem gütigen Himmel Preis und Dank für ein solches Kind, das sich niemals selbst vergißt. – Steh' nicht so blaß und starr da.«

Sie drückte sich die Stirn. Wie dann erwachend aus einem langen, ängstlichen Traume, atmete ihr Körper wieder Leben, ihre Augen glänzten wieder hell und sie blickte umher: »Was ist zu tun?«

»Ich fürchte nichts,« murmelte das Fräulein, ohne von ihrer Arbeit aufzublicken.

Durch die immer weiter verbreitete Kanonade hallte jetzt das Mord- und Jubelgeschrei slawonischer Bataillone, welche über Blut und Leichenhaufen mit dem Bajonett die Dorfgasse heraufstürmten.

»Dort ist nichts,« rief Eugenie, die im Fluge ans Saalfenster geeilt war. »Aber hier« – sie hatte das Fenster nach dem Garten geöffnet – »Sind unsere Pferde nicht requiriert? –«

»Was sollen die Pferde uns?«

»Man zieht sie durch den Flur – die paar Stufen können sie machen – mein Falber voran – durch den Garten – in die Hecke schnell einen Durchgang gehauen – über den Graben setzen wir –«

»Wohin soll das?«

»Die Wiese ist noch frei.«

»Gewesen,« sagte der Kammerdiener achselzuckend. »Sehen Sie, es blitzt und pafft. Und wenn wir auch durchkämen, auf Marodeure stoßen wir da bei jedem Schritt.«

»Die sind schlimmer als ein ganzes Regiment über uns,« sagte der Jäger.

»Wir haben Waffen und unsere Pferde sind gut,« rief Eugenie. »Mut, mein Vater!«

»Maria Joseph!« schrie der Kammerdiener, »da stürzen sie gerade auf den Garten los. – Ein Kroatenschwarm! Sei uns gnädig!«

»Öffnet ihnen, reißt die Türen auf,« rief der Graf mit hellem Blick, wie inspiriert, »es sind unsere Freunde. – Wir übergeben uns ihnen, sie werden uns schützen – ich erbitte sie mir vom Grafen Daun als Sauvegarde« –

»Die Kroaten!« lachte der Jäger. »Das heidnische Blitzvolk wird uns salvieren!«

»Man wird die Alliierten der Kaiserin respektieren« –

»Bis aufs Hemde – Heidi – Ducken Sie unter, Sie schießen ins Fenster.«

Ein Scharmützel begann vor und in dem Garten. Den Panduren, welche das Dorf umgangen hatten und durch die Gärten in das noch immer hartnäckig verteidigte Dorf dringen wollten, kam eine Partie preußischer Musketiere, abgeschnitten von der Straße und dem Gros der Armee, entgegen, indem sie sich durch Hecken und Scheunen Weg machten. Ein erbittertes Scharmützel entspann sich, die hintere Dorfseite entlang.

Die preußischen Trompeten bliesen, lang ausholend, ununterbrochen, es war wie ein Wetterstrahl durch die Nacht.

»So ist nur da Rettung,« rief Eugenie. »Wir schließen uns den Preußen an.« Sie stürzte an ein Saalfenster.

»Die Pferde aus dem Stall!« schrie Amelie.

Der willenlos gewordene Graf wankte Eugenie nach und schwenkte das Taschentuch, das doch niemand sah und rief: »Vivat der König von Preußen!«

Es war zu spät. Eben sprengte der Kürassiermajor mit seinen wenigen Leuten, die bei ihm gelegen oder sich durch Nebentüren zu ihm gesammelt, zum Tor hinaus. »Platz, haut euch Platz durch Feind und Freund! Der König ruft!« kommandierte er, und seine Kürassiere folgten dem Kommando. Bevor man dem befreundeten Manne zurufen konnte, war schon der letzte seiner Kürassiere mitten im Getümmel und der Meier hatte den Torweg schnell wieder verriegelt.

* * *

Doch hatte ein verwundeter Offizier den Augenblick benutzt, in den Hof zu kommen. Im Souterrain verband ihn sein Bursche, während die Bewohner des Hauses, von Angst und Ungewißheit getrieben, die Effekten in den Keller schleppten. Es war des Kammerdieners Vorschlag, daß die Herrschaften sich selbst während des Schießens hinunterflüchten möchten.

Auf der blassen Stirn des Kapitäns schien der Tod zu stehen, aber nicht die Todesfurcht. Es war etwas vom Lächeln, das über seinen Mund flog, als er den vorübergehenden Grafen anrief: »Wollen Sie sich mit Ihrer Familie lebendig begraben, mein Herr?«

»Sie meinen« –

»Die Flamme ist ein schlimmerer Feind, als die Kugeln. – Drüben brennt's schon an zwei Ecken.«

»Was ist zu tun?« rief der Graf händeringend.

»Abwarten – ruhig abwarten.«

»Was – Tod und Leben?«

»Es ist nicht anders. – Wir tun's nicht. Und es kommt doch vielleicht anders. – Wer hielt das heute möglich!«

»Lebt Ihr König noch?«

»Er kommandiert.«

»Sie geben Ihre Sache verloren?«

»Das weiß ich nicht. Aber verloren oder gewonnen, kein glorwürdigerer Tag für den preußischen Waffenruhm ging jemals auf. Das taten die Römer und Macedonier nicht, was heute unsere Linie. In stockpechfinsterer Nacht, geweckt von Flintenkugeln und Bajonettspitzen, viele halb nackt, so formierten sich unsere Braven. Bei jedem anderen Heere wäre von keiner Bataille mehr die Rede gewesen. Von den Unseren floh keiner. Eine Schlachtordnung ist mitten in der Nacht unterm feindlichen Kugelregen aufmarschiert und Friedrich kommandiert und greift an. Das heiße ich Taktik.«

Es hatte sich durch Zufall ein Feldscher eingefunden; er erklärte die Wunden nicht für gefährlich, verbot ihm aber das Reden und verordnete, ihn ins Haus zu tragen.

»Nur nicht in den Keller,« rief der Verwundete. »Sterben will ich, wenn ich muß, aber hören und sehen bis zum letzten Atemzug, wie Friedrich siegt.«

Der Feldscher, und wer so viel Ruhe hatte, über die eigene auf die Not des Fremden zu achten, zuckte mitleidig die Achseln. Seit lange schon tönte nur österreichische Musik und die Bärenmützen der kaiserlichen Grenadiere folgten im Sturmschritt dicht gedrängt aufeinander, das Bajonett vor, über Leichenberge und Blutbäche. Wo noch einzelne preußische Blechmützen, Verspätete aus den Quartieren sich gezeigt, waren sie niedergestoßen worden. Man befühlte sich, so lange noch die Dunkelheit herrschte, und Blech und Bärenfell auf der Stirn entschied, ob man sich beisprang oder würgte.

Allein durch das chaotische Getöse klangen die Trompeten weither, ein ordnender Ruf. Pelotonfeuer knallte schon in regelmäßigen Intervallen und der Kanonendonner hallte über die Erde. Es war eine Schlacht. Friedrich war noch nicht besiegt. Nacht und Schrecken hatten keine Macht über seinen Geist; rückwärts wälzten sich in wilder Unordnung die kaiserlichen Bajonette durch die Dorfstraße und das preußische Feldgeschrei drang wieder in das Dorf, wo Blut und Flamme miteinander kämpften.

»Viktoria!« schrie der Verwundete und die braven Kompagnien, welche mit beispielloser Wut den zur Festung umgeschaffenen Dorfkirchhof verteidigten, jauchzten ihren Kameraden entgegen.

Der Graf ging sprachlos treppauf, treppab; er trug eine Schatulle hinauf und einen Korb hinunter, er riegelte ein Fenster zu, daß die Kugeln nicht hineinschlügen, er verklagte den König von Preußen, daß er sich nicht gefangen gebe und drückte seines Jägers Hand an die Brust: »Es ist ein großer König; ich sagte es immer,« und in den Lehnstuhl sich werfend, fragte er: ob denn der preußische Kapitän noch nicht sterben wolle?

»Gott sei Dank, es wird Tag!« rief er, und lehnte den Kopf über.

»Aber welch ein Tag!« rief der Kammerdiener. Es kam von West und Süd das Morgenrot, in feurigen, sausenden Strömen. Ein Flammenzug leckte drüben über die Strohdächer und wo er berührte, loderten ihm die Feuergeister entgegen; knisternd flogen die bemoosten Dächer auf, und das Sparrenwerk glühte und stürzte um die einsamen Schornsteine. Ein mächtiger Gluthauch wehte Rauch und Asche weit über das Schlachtfeld und in der engen Dorfgasse brauchten die Grenadiere sich nicht mehr nach den Mützen zu fühlen. Preußische Infanterie stürmte, glutrot die Gewehre, glutrot die bärtigen Gesichter, begierig die Schmach zu verlöschen in Feindes oder im eigenen Blut. Die Kavallerie gönnte ihr nicht den Ruhm. Kürasse, Säbel, Generalsfederbüsche, Marschallsbänder drängten sich durch die ergrimmten Scharen, Freund und Feind kämpften um die Ehre. Hier noch eine gerettete Fahne, dort ein hoher Offizier, fast im Hemde zu Roß, den Degen in der Faust. Die Häupter von Prinzen und Herzögen, glücklich, unter Friedrich um Ruhm zu dienen, beleuchtete die Flamme, viele zum letztenmal, alle »Vorwärts!« auf der Zunge und im Blick. Wie ein Hohn klang zu diesem Sturm der festlich feierliche Dessauer Marsch, von den Tambours geschlagen. Wo dieser Strom hindrang, war kein Widerstand, aber bei jedem Schritt rief ein Toter einen lebenden Bruder zu sich und es waren der Toten viele.

Auch von dieser Seite loderte die Flamme. Die Mehrzahl steinerner Gebäude leistete ihr zwar mehr Widerstand, aber die Kugeln, welche durch die Dächer sausten und in die Wände brachen, halfen ihrer Verbreitung. Eugenie warf einen mitleidsvollen Blick auf den Vater; es war an ihr zu handeln. – Was Arme hatte, mußte vom Brunnen zum Boden. Das Dach wurde mit Wasser getränkt, indes der Reitknecht die Pferde aus dem Stall zog. Auch die Kutschpferde wurden gesattelt, die Effekten, was möglich, darauf befestigt. Jedem Diener wies sie das seine an, sie teilte Befehle aus: Alle sollten aufsitzen und den günstigen Augenblick abwarten, wo draußen Luft würde, dann, soviel es anging, sich zusammenhaltend, ihr folgen. Im schlimmsten Fall nannte sie einen Ort, wo man sich treffen sollte. Preußen oder Österreicher, jedes reguläre Korps, das nicht im Gefecht, würde ihnen behilflich sein.

»Er will nicht,« rief das Fräulein aus dem Fenster oben. Eugenie flog die Treppe hinauf, Jäger und Kammerdiener bemühten sich, den Grafen aus dem Armsessel aufzureißen, Amelie stampfte mit dem Fuße.

»Ehe es zu spät wird, Vater,« rief die Gräfin, ihn an der Hand fassend. Der Graf, fest in seinem willenlosen Starrsinn, blickte sie an und sprach nicht, er ließ sich ziehen und regte sich nicht.

»Zu Pferde, mein Vater – wir drängen uns durch – es koste, was es wolle – die Preußen haben Luft gemacht – es ist die einzige Rettung – ehe die Flamme –«

»Ich fürchte, es ist zu spät,« schrie Amelie wieder am Fenster. »– Jesus, schnell! – die Preußen weichen, das Gemetzel kommt wieder her.«

Man riß den Grafen auf. Es war, als sähe er jetzt zum erstenmal das Flammenmeer, dessen wirbelnder Rauch mit dem Morgengewölk stritt, zum erstenmal das zusammenbrechende Gebälk, die schwarzen Schornsteine, als höre er zum erstenmal das Sausen der Kugeln, das Klirren der Bajonette, das Krachen der Kolben, das leise Wimmern der Sterbenden. Sieger und Besiegte schrien nicht mehr, die Erbitterung war stumm geworden. So starrte er hinaus, mit weit aufgerissenen Augen.

»Das ist das Regiment Lobkowitz,« rief er, »ich kenne es an den Litzen.« Es waren schon Österreicher, die Flut ging rückwärts. Nur einzelne Haufen Preußen wurden dazwischen mit fortgerissen, wie bunte Flicken in dem neuen Siegeslied der Kaiserlichen. Dann und wann staute der Strom. Die toten Brüder unter ihren Füßen, – und es waren Fürsten und Feldherrn darunter – sahen aus ihren blassen Gesichtern zürnend die Fliehenden an, und zum letztenmal hoben die Vereinzelten ihre müden Arme, sich durchzuhauen. Was half der Mut der Verzweiflung gegen die Flammen und den Wald der Bajonette. Sie sanken zu ihren Brüdern, die Leichenhügel wurden Berge.

»Sieh weg, sieh weg!« schrie Amelie und stürzte an die Brust der Freundin.

Durch die lichten Flammen sprengte ein Haufe schwarzer Husaren. Noch einmal brachen ihre Säbel sich Bahn, ihre Pferde strauchelten nicht über die Leichen, die ihr Huf zerschlug; ihre Augen glühten, ihre Nüstern sprühten Schaum und Feuer, als trügen sie auf ihren Rücken Unsterbliche. Der Name »schwarzer Husar« hatte einen furchtbaren Klang. Die Feinde stutzten vor fünf Totenköpfen, vor fünf geschwungenen Säbeln, vor ein paar Reitern, die, verwundet, abgemattet, nicht vorwärts und nicht rückwärts konnten. Es wagte keiner anzugreifen, keiner denen Pardon anzubieten, von denen es hieß, daß sie keinen geben und nehmen. Zwei Offiziere waren dabei. »Mir nach, Kamerad, hier ist der Tod wohlfeil!« so rief der eine dem anderen, ein feindlicher Obrist fiel getroffen von seinem weit ausholenden Arme; es war vergebens. Einen Augenblick stäubten die Andringenden auseinander, im nächsten waren die paar zurückgeworfen, umzingelt. Sie fochten, den Rücken gegen die Mauer des Meierhofes, den letzten Kampf.

Alles war das Werk weniger Augenblicke. »Wär' nur die Tür offen!« schrie es. Da schwang sich im Moment, wo beide Damen auf einen Antrieb die Treppe hinunterflogen, – sie wußten nachher nicht, wollten sie selbst öffnen oder Befehl dazu geben – es schwang sich in dem Moment der ältere Offizier vom Sattel auf die Mauer, dem andern zurufend: »Nur eine Minute halt sie dir vom Leibe.« Von der Mauer herab stieß er den Riegel fort, das Tor flog auf.

»Passier, Kamerad, wir schlagen uns doch nicht mehr.« Es waren seine letzten Worte. Eine Kugel traf ihn im Genick, der Leutnant Strach stürzte tot in den Hof, im Augenblick, wo Stephan sein Pferd rückwärts hineinriß. Keinen seiner tapferen Leute ließ er draußen im Stich, er war der letzte. Die Mütze war ihm vom Kopf geschlagen, Dolman und Kollett zerfetzt, der linke Arm hing schlaff herunter, von der Stirn floß das Blut in drei Strömen und vom ganzen Körper schien nur der rechte Arm heil geblieben. Er hob den Arm noch einmal, er hob sich im Sattel – wozu? Ihm war kein Feind gefolgt, oder sah sein umdüstertes Auge eine Luftgestalt? – Er sank, von keinem Stahl berührt, er sank im Moment, wo auch sein treues Tier unter ihm niederstürzte. Der Säbel entglitt nicht seiner Hand, aber der Fuß dem Steigbügel, er stürzte langsam, als wollten die starren Sehnen noch nicht nachgeben. In Eugenies Armen fiel er sanft zu Boden. Ein letzter Blick der starren Augen hatte sie getroffen und mit einem fürchterlichen Schrei war sie, den bewußtlosen Körper in den Armen, über ihn niedergesunken.

Als sie die Augen aufschlug, kapitulierte ihr Vater mit einem kaiserlichen Offizier. Der General salutierte mit dem Degen und befahl mit lauter Stimme: »Der Graf Meroni ist sächsischer Untertan, unser Verbündeter; man lasse seiner achtbaren Familie eine Sauvegarde, die sie vor jedem Exzeß schützt.« Ein Blick des Adjutanten auf Stephan sollte fragen, ob dieser mit zur Familie gehöre? »Das überlassen wir dem Himmel,« sagte der General halblaut und drückte verbindlich dem Grafen die Hand. »Sie mögen unbesorgt sein,« sprach er fortgehend; »jetzt endlich ist die Schlacht entschieden, das Gefecht kommt nicht wieder zurück und der Flamme wird man Meister werden.«

»Er ist tot, Eugenie,« flüsterte der Graf ihr zu, bemüht, sie fortzubringen. – »Er ist nicht tot, er soll nicht tot sein,« rief sie heftig. – Amelie hatte sich neben ihr hingekniet: »Wenn er nun doch tot wäre!« – »So müßten uns beide die Flammen verschütten. – Kannst du auch weinen?«

Das Fräulein, ihr Gesicht im Tuch verbergend, wies auf den von der Mauer gestürzten Toten: »Er war mein Freund.«

Eugenie hatte keinen Sinn dafür. »Er atmet!« rief sie plötzlich, ein Klang, als wäre Mord, Schlacht, Brand nicht da, kam aus der Brust. Den himmelhohen Flammen, die kein Windzug mehr bewegte, folgte ihr Blick, das Feuer leuchtete in die großen, freudehellen Augen, in die frische Glut ihrer Wangen, und so herzlich hatte sie nie des Vaters Hand gedrückt, als sie mit dem Tone seliger Zuversicht wiederholte: »Er atmet.«

.


 << zurück