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Zehntes Kapitel.
Maria Theresia

Es lohnt sich zu leben und jung zu sein in einer Zeit, wo nach schläfriger Verdrossenheit ein neuer Geist in die Schranken der Weltgeschichte tritt, keck hundertjährigem Vorurteil den Handschuh hinwerfend. Welche Lust muß es in Deutschland gewesen sein, als Luthers markige Faust auf das Pulpet der Wittenberger Kanzel schlug und seine Stimme durch alle deutschen Kreise scholl und bis zu den Wänden des Vatikans dröhnte. Ich vergleiche gern das Auftreten unseres Friedrich mit dem Jugendmut des kühnen Augustiners, wie wenig auch unser Cäsar mit der Vergleichung zufrieden sein möchte. Wie erbleichte die scheelsüchtige Politik, eine abgelebte Greisin, vor dem Morgenstrahl, der auf dem Degen des jungen Helden funkelte! Sie glaubten nicht, daß er es wagen könne, und sie blinzten mit den Augen, indes der Mund sich zu ungläubigem Lächeln verzog. Wie wankte das morsche Gebäude des alten Kaiserstuhls vor seinem starken Willen, wie konnten ihm die gespenstischen Drohungen, ehemals fürchterlich, nur ein Lächeln abgewinnen. Die Reichsacht war kein Blitz mehr, ein fernes, schwaches Wetterleuchten. Das kolossale Gebäude wäre gebrochen, gestürzt, wenn ihm der Neid nicht zu Hilfe sprang. Friedrich siegt, wo er auftritt, gleich jenem Cäsar, immer glorreicher, je mehr Feinde um ihn wachsen; und doch bringt er vielleicht nichts aus all dem Kampfe heim, als die Ehre. Friedrichs Ehre aber wird wie ein Stern am Himmel leuchten, für Jahrhunderte, sichtbar allen, unvergänglich.

Bei uns im Lande schlug man über den kühnen Schritt die Hände über den Kopf, es war ein Schritt über den Rubikon, aber deshalb sah man noch keinen Cäsar. Die Geister waren zu stumpf, die Folgen zu denken. Es war etwas so kühn Verwegenes, das außer aller Berechnung lag. Die lange Regierung des Thronlassers halte den Spießbürgersinn, des Deutschen Erbstück, oder seinen Erbfeind, mit dem er täglich ringen muß, vollauf genährt, und man sah dem jungen Heerführer nicht viel anders nach, als ich auf dem Bilde meines holländischen Malers dem in die Sonne steigenden Adler. Man begriff ihn nicht, man sagte »ja, ja,« man schüttelte mit dem Kopf und trank seine Kanne Weißbier schweigend wie sonst.

Aber es ist Verleumdung zu sagen, daß in des Deutschen Adern kein Feuer brennt. Langsam glimmt es, erst wenn der Körper warm ist, lodert die Flamme auf. Dann aber strahlt sie auch und zündet. Es gibt Momente, wo es auf einmal hell wird, wo die Schuppen schnell von den Augen fallen, und Begeisterung, hell wie ein Nordlicht und warm wie ein Julitag, den Deutschen lebendig macht. Solch ein Moment war für Preußen gekommen. Schlesien war ohne Schwertschlag unser, Glogau erstürmt, die alte Reichsstadt Breslau öffnete ihre Tore. Das »ja, ja,« kam nun ganz anders heraus, man schüttelte die Köpfe nicht mehr seitwärts, sondern nach vorn, man trank das Bier in Absätzen und wie viele sagten, so hätten sie's längst gedacht, so hätte es kommen müssen. Nun schien es, als hätte durch alle brandenburgischen Länder ein Brand geglüht unter der Asche, ein Wind wehte sie fort und überall loderte die helle Glut des Patriotismus auf. Man ward sich seiner Kraft bewußt, man schüttelte sich, wie aus einem langen Schlaf erwacht, man jauchzte, und die schwere deutsche Zunge zwang sich schon zu jenen Lobeshymnen, welchen unseren Tyrtäus Herrn Ramler in Berlin erweckten und dem trefflichen Poeten, der noch lange leben möge, die Palme der Unsterblichkeit sichern. Was nenne ich die Helden, die Staatsmänner, die hochherzigen Bürger, die sein Geist in einem Lande aufrief, das vorhin nur lange Soldaten hatte, von dem der Ausländer nichts wußte, als daß man dort Tabak raucht und Bernstein fischt. Ihre Namen gehören schon der Geschichte an.

Mein Vater gehörte lange zu denen, welche ungläubig den Kopf schüttelten. Der alte Fürst von Dessau hatte dies und jenes offen nach seiner Weise getadelt; dies war ihm nicht in alter Ordnung eingeleitet, so viele Mensuren waren übersprungen, selbst das Gelungene hätte er gern wieder von vorn angefangen gesehen, weil es nicht nach alter Taktik gelungen war. Alles, was geschah, geschah zu rasch, übereilt, und der Erfolg war niemals ganz verdient. Die Stimme des alten Dessauers hallte nach unter den Ehrenmännern des Tages und in den Tabagien. Man meinte, der müsse es doch verstehen und besser verstehen als der junge König, aber was half alles Sprechen? Sie redeten und der König tat. Die Preußen wurden nicht von den Helden des alten Eugen wie Spreu weggeweht, und die Augen von Europa hafteten erstaunt auf Friedrich, von dem Voltaires Freunde nur wußten, daß er gegen den Macchiavell geschrieben und die Welt, daß er ein ungehorsamer Sohn gewesen. Mein Vater saß gern unter den grollenden Freunden des Dessauers, aber er war doch ein zu guter Freund des Vaterlandes, um nicht auch froh zu sein, daß ihre Rabenprophezeiungen von Tag zu Tag zu Schanden gingen. Er meinte zwar: Hätte sein Vater den jungen Friedrich noch strenger gehalten, und folgte er in allem dem Rat des Fürsten Leopold, so würde er noch viel mehr tun und es noch weit besser gehen, aber das meinte er nur im stillen, oder brummte es in den Bart. Er jubelte mit bei jeder neuen frohen Botschaft, er rief sein Vivat dem Könige bei einem Glase Wein am Mittagstische und duldete endlich nicht einmal einen Tadel gegen seinen Helden von einem anderen, als von sich selbst.

Ganz anders war es mit mir. Mit einer Wißbegier, welche die Oheime in Erstaunen setzte, hatte ich mich nach Friedrichs Ansprüchen auf die schlesischen Fürstentümer, welche den Grund zum Kriege abgaben, erkundigt. Sie hatten mir das Manifest zu lesen gegeben; das konnte aber meines Italieners Glossen über die Kriegserklärung nicht widerlegen. Der Mann hatte sich es einmal vorgesetzt, für Maria Theresia begeistert zu sein. Er stattete die Kaisertochter mit allen Reizen und Vorzügen aus, die nur ein schönes Weib und eine edle Fürstin zieren. Aus ihrem kleinen Finger troff Huld und Segen, die Erde blühte, wo ihre Fußspitzen auftraten und wen ihr Auge anblickte, der war zeitlebens gefangen. War Theresia auf dem Reichstag der Ungarn nur halb so reizend, als ich sie mir nach Caseris Beschreibung dachte, so hätten die Graubärte nicht Tränen vergießen, sondern Feuerfunken sprühen müssen, als sie die Säbel zogen und riefen: Moriamur pro rege nostro Maria Theresia!

Und gegen diesen Inbegriff aller Huld, Milde, Schönheit, Majestät, ließ der gefühllose junge Fürst die Bajonette schleifen. Dem hilflos verlassenen Weibe etwas von ihrem Erbteil zu entreißen war seine erste Regierungstat. »Etienne!« rief er mit italienischem Affekt, »sähe ich dich einmal gegen die holdseligste Königin fechten, ich erwürgte dich mit diesen Händen. Schöne Heldentaten! Gegen eine schöne Frau zu Felde ziehen, einen Saum von ihrer Atlasschleppe ihr abschneiden, der an einem Nagel hängen bleibt. Aber paß acht, sie kann sich umdrehen, ihm einen Zornblick zuwerfen, daß er auf die Knie stürzt. Mutter Gottes! eine so fromme Frau, die morgens und abends auf ihren Knien betet, die den Armen die Füße wäscht, die alle Tage pilgern möchte nach Loretto und Jerusalem, die vor jedem Heiligen kniet, der will der Ketzerfürst einen Finger krümmen! Und das sieht das deutsche Volk an, sie schreien nicht zum Himmel, Acht und Bannstrahl fliegen ihm nicht auf den Scheitel? Aber ihr Geschrei dringt doch hinauf, die Jungfrau Maria wird ihr Generalissimus werden, und wenn jetzt Nachtmützen und Beutelschneider in den Kabinetten sitzen, sie werden nicht immer drin sitzen bleiben, sie werden es nicht immer ruhig mit ansehen. Man wird auch über einen anderen sich ins Fäustchen lachen. Es werden Leoparden und Tiger auf die Stühle springen und mitreden. Der junge ungeleckte Bär wird froh sein, wenn er mit zerzaustem Pelze davon kommt. – Maria Theresia,« wandte er sich dann wie betend aufwärts, »die du florentinisch sprichst, als wärst du in Mailand geboren, du huldreichste Kaisertochter, du Gebieterin in einem Lande von zehn Sprachen, wo der Tokaier fließt und sie Dukaten prägen, Österreich so reich als diese Sandsteppen arm sind, die Gebenedeite wird dir die Schmach vergelten, daß der Zottel- und Tanzbär wagen darf, mit seinen Tatzen anzurühren den Saum deines Kleides, den Schatten deines Fußes, das Fleckchen Erde, wo du hinblickst, dich Fürstin, Erzherzogin, Königin, Kaisertochter, dich der Ketzer, der Flötenpuster, der Tintenschreiber, der verlorene Sohn, der pardonierte Deserteur, der deutsche Bierheld, Bär und Barbar!«

Maria Theresia dachte ich mir überdies als Königin mit einer Krone auf dem Kopfe, einem goldbrokatenen Reifrock und dem Hermelinmantel über den Schultern; denn so hing sie auf einem Nürnberger Bilderbogen beim Bilderkrämer Kirchmaier an der langen Brücke aus. Kein Wunder also, daß sie mir eine legitimere Majestät dünkte als mein Kronprinz mit den großen Augen, der nicht einmal an der Wand ruhig hängen blieb. Mehr als mit den Rodomontaden zu gunsten seiner eingebildeten Heldin bewegte mich der Italiener, wenn er ihr trauriges Los beklagte. Caseri war, wie gesagt, ein Doppelwesen, zuweilen Charlatan, zuweilen Vernunftprediger, und es war eben nicht gegen die Vernunft, wenn seine lebhafte Einbildungskraft den Untergang der armen Fürstin prophezeit, über die alles loszufallen drohte. Hatte er mich dann bis zum Weinen gerührt, so tröstete er mich wieder mit der Versicherung: »Es wird aber schon ein Ritter kommen und den Handschuh für die Dame aufheben.«

Wer mochte der Ritter sein? – Es gab keinen Ritter mehr hatten mir immer die Oheime, der Vater und der Inspektor gesagt. Aber Caseri sah so pfiffig dabei aus und wenn er pfiffig aussah, wußte ich, war etwas dahinter. Der Ritter ging mir sehr im Kopfe um; aber freilich nicht mehr als Maria Theresia selbst. Wenn ich zu Bette ging, saß sie bei mir, fast wie meine Mutter sonst, und wenn ich aufstand, war sie bei mir gewesen und es war viel angenehmer mit ihr allein sein, als mit dem jungen Kronprinzen, der jetzt König war, und doch noch immer an der Wand schaukelte und ritt. Maria Theresia streichelte mich und küßte mich auf die Stirn, und dann weinte sie auch und erzählte mir des Nachts, was ihr der böse junge König mit den blinzelnden Augen getan; und es war immer dasselbe, wie Tags vorher in der Vossischen Zeitung gestanden, die ich nach Tisch vorlesen mußte. Sie lispelte mir ins Ohr und bat mich, ich wußte nicht was, aber sie versprach dafür, nachher mit mir zu spielen, und wir spielten auch zusammen Zeckjagen und Anschlag und sie sprang munter und lustig, was ich gar nicht gedacht hatte, daß es ginge in dem goldbrokatenen Kleide und dem Hermelinmantel und dem Zepter und dem Reichsapfel. Aber dann war sie wieder fort und stand hinter meinem Bette und tippte mir auf die Schultern und fragte mich was ich gern wünschte: »Einen graden Degen,« sagte ich. »Ein krummer,« sagte sie, »ist auch gut genug; du kriegst ja einen Zopf.« Ich war nun tückisch und wollte nicht. – Einmal aber spielten wir nicht, sondern es war Ernst geworden, Krieg, Schlachtgetümmel. Ein Ritter haute die goldbrokatene Kaisertochter aus den Feinden heraus, aber mit einem krummen Säbel, und es war rührend anzusehen, wie sie weinte und ihm die Hand reichte und ihn bat, das Visier aufzuschlagen. Er tat es und kniete nieder, und da war ich es selbst, dem die Kaisertochter um den Hals fiel und ihn herzte und küßte.

»Etienne, was sieht Er rot und verschlafen um die Augen aus! Hat Er geweint?« fuhr mich der Vater an, als ich zum Frühstück kam.

Ich wußte ja nicht, daß ich geweint hatte.

»Er hat nicht geweint? Ihm stehen ja noch die Tränen im Auge.«

Hätte ich gesagt, daß ich geträumt, so wäre das noch viel schlimmer gewesen als weinen. Träume wurden im Haus nicht gelitten. »Um was hat Er geweint? Heraus mit der Sprache.«

»Um die Maria Theresia,« stotterte ich, denn des Vaters Blick hatte etwas, das die Wahrheit hinterm Berge vorlockte.

Er sah mich groß an; er hatte wohl gedacht, meine Tränen hätten Zusammenhang mit Gottlieb.

»Was geht Ihn die Maria Theresia an? War weint Er darum?«

»Daß sie so schlecht mit ihr umgehen und ihr alles nehmen wollen.«

»Wer will ihr alles nehmen?«

»Ihre Feinde,« sagte ich behutsam.

»Wer sind ihre Feinde?« – fuhr er heraus. Ich schwieg. Er schüttelte mich am Rockzipfel. »Will Er so gut sein und sprechen. Wer sind ihre Feinde? Hält Ers mit der Maria Theresia, der Feindin Seines allergnädigsten Königs?« donnerte er heraus.

»Die arme Maria Theresia dauert mich!«

Ein Backenstreich war die symbolische Antwort. » Das zum Denkzettel, weil Er mit den Feinden seines allergnädigsten Königs schön tut. Hab' ich dich was gelehrt, hat die Mutter dich das gelehrt, hast dus vom Herrn Prediger gehört, wenn er für das königliche Haus betet? Von wem?«

Ich schwieg. Deshalb, das wußte ich, bekam ich keine zweite Ohrfeige; denn der Vater glaubte nicht, daß ich es etwa von jemand außer ihm haben könnte. Sein Familienvaterstolz ertrug nicht den Gedanken und ließ ihn daher auch gar nicht aufkommen, daß jemand da, wo er regierte, Einfluß haben könnte.

»Dauert Ihn noch die Maria Theresia?«

Ich war tückisch und sagte »Ja«.

Nun regnete es von rechts und links. » Das für die Maria und das für die Theresia!« Meine Backen glühten, aber ich weinte nicht. »Und wenn Er noch einmal an die Maria Theresia denkt, wenn Er sie hört und sieht, so denk Er auch an mich.« – Die Anweisung des Vaters hat länger Kraft behalten, als er selbst glauben konnte. Ja, noch in dem feierlichen Momente, als die Flügeltüren der kaiserlichen Hofburg aufrauschten und sie selbst, strahlend von Anmut und Majestät zum ersten Male meinen Augen erschien, da noch war mein erster Gedanke die strafende Hand des Vaters. Sie redete so hold mit jedem, so zutraulich in ihrer Majestät. Man fühlte sich hingezogen, der Kaiserin zu antworten wie einer Schwester, und ich nur verstummte, ich nur glühte, wie mir die anderen nachher gesagt, und fand in meiner Verwirrung keine Antwort. Theresia lächelte und schenkte, langsam vorübergehend, dem armen von ihrer Schönheit Gefangenen die Freiheit wieder. Die Erinnerung aber blieb und so oft ich sie sah, errötete ich.

Die vaterländischen Ohrfeigen konnten ebensowenig meine schlummernde Neigung für Friedrich erwecken, als sie die längst entwichene für den Vater zurückriefen. Meine rote, etwas geschwollene Backe verbarg ich nicht im Winkel, ich dünkte mir ein Märtyrer und gehörte bald im stillen zu den Politikern, welche bei den Nachrichten von gelegentlichen Unfällen unserer Armee in die Hände klatschten. Caseri war unerschöpflich in Vermutungen, daß es uns schlimm ginge, und wir hatten in der alten Susanne eine unerwartete Bundesgenossin, die, täglich kindischer, sich mit dem neuen Prinzen durchaus nicht befreunden wollte. »Wenn du ein Mann wärst,« sagte der Italiener einmal, »so müßtest du durchgehen. Wir liefen zusammen nach Böhmen zu den Österreichern.« – Durchgehen, das war sonst ein fürchterliches Wort. Ich erschrak doch ordentlich beim Klange; einmal über den Gedanken an sich und, daß man mir, dem wohlgezogenen Sohne meiner Mutter es vorschlagen konnte, und dann darüber, daß ich doch nicht mehr so wie sonst darüber erschrak. Ich mußte wohl schon recht schlecht geworden sein! Aber ich dachte nun, daß Gottlieb ja auch durchgehen wollen, und daß ich es war, der ihn daran gehindert, und daß es doch am Ende besser gewesen, wenn er durchgegangen wäre; dann hätte er nicht die Schläge bekommen, wäre nicht in die Montur gesteckt und nicht zu Fuß in den Krieg geschickt. Die Österreicher stellte ich mir nicht anders vor als einer wie alle zu Pferde, eine verführerische Vorstellung, während die Preußen entweder Alumnen oder Infanteristen werden mußten, was beinahe gleich schlimm war. »Aber was machen wir bei den Österreichern?« fragte ich. »Wir schwören der schönen Maria Theresia,« entgegnete der Italiener. »Wir nehmen Dienste, werden ihre Ritter!« – Wie mir das vor den Augen flimmerte. Unter Ritter dachte ich mir nichts anderes, als alle Tage, wenigstens alle Sonntage, wenn der Krieg ist, die Maria Theresia heraushauen aus ihren Feinden, dann ihr zu Füßen fallen und von ihr einen Kuß bekommen. Aber mir fiel gleich bei ein, daß, wenn man haut und sticht, jemand sein muß, der gehauen und gestochen wird, und das waren meine Landsleute. »Barbaren!« sagte Caseri mit barschem Tone. »Jeder Ritter muß gegen die Barbaren fechten.« Das mochte schon richtig sein, aber Gottlieb war doch dabei, und dann hätte ich gegen Gottlieb hauen und stechen müssen. Aber Caseri versicherte, wenn Gottlieb ein Herz im Leibe hätte, würde er auch bald desertieren.

Ich muß einmal, als das Herz zu voll war, zur Susanne etwas gesagt haben, die einen großen Schreck bekam und mich damit beschwichtigte, daß ich nun bald neun Jahre alt sei. Da würde alles anders und gut werden, denn ich bekäme ein schönes Kleid mit einer breiten Tresse und einen Zopf, so lang, daß alle Jungen mich beneiden, und die kleine Stefanie mir noch einmal so gut sein würde als sonst. Das war doch auch hübsch bei den Preußen und darum ließ ich's mir noch gefallen. Denn, was die alte Suse sonst meinte, daß die kleine Stefanie sich die Augen rot weinen würde, wenn ich fortliefe, kümmerte mich nicht allzusehr, da ja die Maria Theresia sich ebensosehr darüber freuen mußte, als die Stefanie trauern.

Der große Tag kam mit dem neuen Jahre heran. Der Zopf ist die Ehre des Mannes, so dachte ich mir, wenn man einen Zopf hat, hört man auf ein Kind zu sein, also kriegt man auch keine Schläge mehr mit dem spanischen Röhrchen, und das war sehr viel. Also ein Abschnitt im Leben lag zwischen heut und morgen. Noch am Abend hatte ich eine Lektion mit einem von den dreien bekommen, die oben auf dem Ofen stehen, und schon am Morgen darauf strehlte und brannte und puderte der Friseur mich zu einem neuen Menschen, und ich saß so feierlich ruhig, wie nur eine Religieuse, der man das Haar abschneidet. Dann zogen sie mir die Jacke aus, nicht um den Leib in eine enge Montur zu pressen, sondern um einen schönen hellblauen Rock mir anzuziehen. Wie fühlte ich mich, als sie ihn mir über der Brust zuhakten, wie schlug das Herz gegen die handbreiten goldenen Tressen und wie der Zopf – ach, ganz anders als ein spanisches Rohr – auf den Rücken! Meine Mutter küßte mich auf die Stirn, und eine Träne rann mir über das Gesicht, der Vater reichte mir die Hand zum Kuß und sagte mir, ich solle mein ganzes Leben an ihn denken, eine Ermahnung, die mir überflüssig vorkam. Er winkte uns in die Nebenstube: »Nun kommt noch was,« zischelte mir die Suse ins Ohr, »vom Herrn Marquis, juchheissa, freue dich.« Auf dem Tisch brannten neun Wachslichter und eine große, lange Lebenskerze in der Mitte des Kuchens: ach aber der Degen, nach dem mein Herz schlug, den suchte ich vergebens, und ein Degen gehörte doch, wie das Tippelchen aufs i zum Tressenkleide. Eine schwere goldene Uhr nahm der Vater vom Kuchen und steckte sie mir in die seidene Hosentasche. Die lange Kette hing mir fast bis ans Knie; sie war recht schön, aber ein gerader Degen war sie doch nicht, der hätte mir bis an die Waden gehangen.

Flugs mußte ich nun zu Oheim Rats gehen und mich dem Herrn Onkel, der Frau Tante präsentieren. Der Stefanie sollte ich aber nicht mehr um den Hals fallen, sondern ihr artig mit einem Kratzfuß die Hand küssen, und mit dem Vetter sollte ich mich nicht mehr kitzeln und prügeln, sondern ihn auf beide Backen küssen und fragen: Comment vous portez-vous mon cher cousin? worauf der Vetter antworten sollte: Je vous remercie, mon cher cousin, assez bien, et vous mon cher cousin? Wir kamen indessen überein, wenn niemand bei wäre, wollten wir das Komplimentieren lassen, und uns lieber Nasenstüber geben.

Wie ward ich von allen bewundert. »Es fehlt nichts,« sagte Caseri, »als etwas. Wärst du bei der Maria Theresia, so hättest du auch den Degen dran. Ein Tressenkleid ohne Degen ist ein Husar ohne Pferd.«


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