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Drittes Kapitel.
Der Ungar

Die Musik draußen hatte wieder angefangen, der schläfrig gewordene Frohsinn wachte auf, der sehr erhitzte Rittmeister behauptete, die Welt liege zu des Königs Füßen, Argwohn sei Furcht, der Major lobte den Punsch, der Hauptmann reichte dem Obristen ein gefülltes Glas, aber der Oberst schüttelte den Kopf und häkelte den Degen in die Schärpe.

»Laßt den Sonderling,« rief der Eskadronschef. »Tod und Untergang Friedrichs Feinden, aber die Pestilenz über die Argwöhnischen und Feigen!«

In den Bart setzte er hinzu: »Es rinnt kein nobel Blut in seinen Adern.«

Dem Obristen trat an der Schwelle die Gräfin entgegen; die Frisur etwas in Unordnung, blasser als gewöhnlich, die Brust bewegt, ihre Augen unstet, wie vom raschen Gehen erhitzt. Sie stutzte beim Anblick des gerüsteten Offiziers.

»Suchen die Komtesse hier jemand?« fragte der Offizier mit scharfem Tone. Er drückte aus, daß die Gräfin hier nichts suchen könne.

»Das Fräulein,« antwortete sie, während ein rascher Blick sie überzeugte, daß der Oberst recht hatte.

Er verbeugte sich und wollte vorüber.

»Wohin, Herr Oberst?«

»Das Schloß durchsuchen lassen, man hat etwas Verdächtiges gesehen. – Beruhigen Sie sich, Komtesse,« setzte er sie fixierend hinzu, »es geschieht zu Ihrer eigenen Sicherheit.«

»Mich dünkt, ich hörte vorhin schießen –« Sie riß den Fensterflügel auf und blickte in die stürmische Nacht hinaus. Der Offizier wurde aufmerksam.

»Sie sind unruhig, Komtesse.«

»Ich erwarte meinen Vater.« Sie hatte sich am offenen Fenster niedergesetzt. – »Es kam von jener Seite, es duldete mich nicht bei der Lektüre –«

»Der Sturm in den Bäumen wird Sie getäuscht haben.«

»Nein – es mag sein – stehen dort Vorposten? –«

»Sehr weit hinaus. Sie wagen kein Gefecht.«

»Ich hörte aber ganz deutlich. – Wenn die gefürchtete Schlacht unerwartet begonnen hätte, wenn –« setzte sie hinzu – »auf unser Dorf die Massen sich würfen.«

»In der ersten Woche kommt es zu keiner allgemeinen Bataille.«

»Wenn aber eine plötzliche Attacke – Ihr König setzt sich oft, im stolzen Gefühl seiner Sicherheit, persönlicher Gefahr aus. Zittern Sie nie für ihn?«

»Niemals.«

»Das Glück könnte ihn verlassen.«

»Sein alter Alliierter bleibt bei ihm.«

»Wer ist das?«

» Der da oben

Der alte Offizier nickte mit dem grauen Kopfe bedeutungsvoll zur Gräfin, als er mit ernster Stimme fortfuhr: »Es war nicht das erstemal, daß ihm in Dresden ein Pülverchen gerührt wurde und wird nicht das letztemal bleiben, so lange es Pfaffen und Italiener gibt, und tückische alte Weiber wie giftige Nattern an einem deutschen Fürstenhof zischen. Aber wie der große Alliierte dem Kammerdiener Glaser das Gewissen rührte, daß ihm die Tasse aus der Hand fiel, und wie derselbe Gott den Kanzlisten Menzel durch Gold blendete, daß er den höllischen Verrat wieder verriet, so wird er jede Tücke zu Schanden werden lassen und wäre sie zehntausendmal pfiffiger eingebrockt als ein ehrlicher Deutscher, ein braver Soldat und ein guter Protestant sie riecht.«

Er wollte fort, als ein heftiger Windstoß beide Fensterflügel aufriß. »Es kommt aus Süd,« sagte die Gräfin, als man deutlich drei, vier Schüsse hörte. Der Obrist lehnte sich hinaus, die Gräfin stand aufrecht, zitternd das Gesicht in beiden Händen verbergend: »Gott, mein Vater – oder Er.« – Das Schießen dauerte fort.

»Es wird Ernst,« sagte der Graukopf –

»Eilen Sie, um Gottes willen eilen Sie –« schrie die Gräfin mit einer Bewegung, als wolle sie seinen Arm ergreifen.

»Höll' und Teufel, Rittmeister, wer kommandiert die Husarenpiketts?«

Die rascher, deutlicher aufeinander folgenden Schüsse hatten im Augenblick die Gesellschaft vom Punsch aufgeschreckt, Säbel und Degen klirrten, es war der Geist der Disziplin, der jeden anderen verscheuchte, der Hauptmann stand kerzengrade und nestelte den Ringkragen um, der Major prüfte schwingend den verwundeten Arm; im nächsten Augenblick blies der Trompeter die Fanfare, die Sekunde darauf wirbelte der Tambour auf der Treppe, und ehe die nächsten Worte gewechselt waren, schlugen die Trommeln von der Dorfgasse.

»Und kein Rapport von den Husaren?« rief der Obrist und stampfte mit der Messingspitze der Degenscheide auf die Diele. »Sind wir im Winterquartier oder auf Vorposten?« Ein zorniger Blick schoß auf den Rittmeister.

Dieser, den Säbel in der Linken aufhaltend, mit der rechten Hand am Kaskett trat an ihn: »Ihre Befehle, Obrist?«

»Vors Standrecht den Offizier, der die Runde hat; sonst zum Teufel!«

»Dazu wird Zeit sein, wenn es vorüber ist,« erwiderte der Rittmeister und eilte hinaus.

»Licht an die Fenster! Fackeln auf die Gasse! Die Ausgänge besetzt! Das Bataillon auf die Dorfgasse, die Husaren rücken aus, auf die Straße nach ...«

So kommandierte der Obrist mit ruhiger Überlegung. Es war als ob die Befehle sich von selbst machen, als ob alles ausgeführt wurde, ehe es ausgesprochen war. Es wurde licht in den Schloßflügeln, Pechfackeln flackerten im Hofe auf, vom Dorfe her, Trommeln wirbelten ohne Unterlaß. Als sie schwiegen, hörte man die Hufe der Husarenpferde auf dem gepflasterten Schloßdamm. Der Obrist war auf die Rampe der Hoftür getreten, von allen im Saale gefolgt.

Der vorhin vermißte Husarenleutnant, derselbe, der auf des Fräuleins Wunsch die Musik besorgt, stürzte durch eine Seitentür auf den Hof und stand vor dem Kommandeur: »Ich rapportiere, daß in der Richtung nach ... eine Attacke stattgefunden. – Der ungünstige Wind ließ uns bis jetzt nichts davon hören –«

»Donner und Wetter, was gehört der Wind in den Rapport, Herr Leutnant von Strach! – Was kommen Sie durch das Nebenpförtchen?«

»Schneller hier zu sein, sprang ich seitwärts durch den Garten.«

»Wo bleibt Ihr Pferd?«

»Mein Bursche führt es über den Damm.«

»Ihr Säbel hängt verkehrt.«

»Beim Springen über die Hecke ging er mir los.«

»Sapperment die Eil', um nichts zu bringen, als was seit fünf Minuten jede Stallmagd weiß.«

»Herr Obrist ließen mich nicht ausreden. Man sieht einzelne Reiter über den Damm auf das Schloß lossprengen. Vermutlich um Sukkurs, denn einer war so hastig, daß er geradeswegs über die Wiese reiten wollte, aber das Pferd scheute vorm Wasser. Der Trompeter stieß schon drüben vom Kiefernbusch her in die Trompete. Es muß sehr dringend sein.«

»Das sahen Sie vom Schloßdamm aus?«

»Ganz deutlich.«

»Kreuzelement! Dazu, mein' ich, hätten Sie oben von den Damenzimmern aus observieren müssen, wenn Sie nicht auf dem Dach geritten sind.«

Der Leutnant hing ruhig den Säbel zurecht. »Daß ich richtig observierte, wird sich im nächsten Augenblick ausweisen.«

Es dauerte auch keine Minute, als ein Reiter in vollem Karriere in den Schloßhof sprengte, ein ältlicher Mann in einem mit reicher Goldstickerei verzierten Pelzüberrock, einem Tressenhut über der stattlichen Perücke, deren fast schon altertümliche Lockenfülle den Gegensatz des Militärs verriet. Man war verwundert, beim Schein der Pechfackeln den Besitzer des Gutes, den Grafen zu erkennen. Noch in den Steigbügeln rief er: »Um des Himmels willen, meine Herren! Sie legen noch die Hände in den Schoß. Ihr König, Ihr teurer König ist angegriffen. Auf, auf, meine verehrten Herren, sein Leben ist in Gefahr.«

Ein Laut des Entsetzens entfuhr unwillkürlich den versammelten Militärs. Nur der Obrist blieb ruhig. Die Degen der Offiziere funkelten im Scheine der Fackeln. Während man den hochbejahrten Edelmann vom Pferde hob, war aber schon ein zweiter Reiter, in dem man einen Adjutanten des Königs erkannte, in den Schloßhof geritten.

»Was tun Sie, Herr Graf?« rief dieser. »Ihr Eifer führt Sie zu weit. Für das teuerste Leben brauchen wir nicht mehr besorgt zu sein.«

»Kann man allzu besorgt sein für eines solchen Königs Sicherheit!« fuhr der Erschöpfte fort, sich im Kreise umblickend. »Wie freu' ich mich, daß mein Pferd die besoldeten Diener des Monarchen überholt hat, der Erste zu sein, der die Nachricht herbringt. O, Herr Obrist und Sie alle, würdige Offiziere des erhabenen Monarchen, ruhen Sie nicht, lassen Sie die Truppen ausrücken, gehorchen Sie nur dies eine Mal nicht der Disziplin, sondern der Stimme Ihres Herzens. Es gilt Ihrem Palladium, dem Stern Ihrer Ehre, Friedrich ist Ihr alles.«

»Die Pandurenschufte sind niedergehauen oder zerstreut. Der Weg hierher ist völlig frei, der ungarische Überläufer bürgt dafür,« so sagte der Adjutant. »Es ist daher unnötig, daß die Truppen ausrücken und sogar gegen des Königs Willen. Doch wundern müssen wir uns, daß man so spät erst hier das Schießen hörte. Ich habe Order erteilt, daß die Husaren, die uns begegneten, kehrt machen.«

Der Graf hatte seine Tochter feierlich in die Arme geschlossen. »Was würde mein Kind gesagt haben,« rief er laut, »wenn es hieße, daß sein Vater den König von Preußen verraten hat.« Indem er ihr die Stirn küßte, flüsterte er: »War der Kammerherr hier?«

»Seien Sie unbesorgt,« entgegnete die Tochter.

»Beruhigen Sie sich, Herr Graf,« sagte der Adjutant, seine Hand fassend. »Wenn auch das Schlimmste eingetroffen wäre, Ihre Person träfe kein Vorwurf. Sie haben mehr getan, als der König von Ihnen verlangte.«

»Doch, mein junger Freund,« erhob sich der Graf mit der Würde, die ihm Alter und Stand lieh, »doch würde der Leumund geschäftig sein, und wäre der große Monarch an meiner Seite im Park gefangen worden, wem anders als mir würde die Welt, welche immer nur nach dem Scheine urteilt, die Schuld aufbürden. Ich bin der Untertan eines Fürsten, der in offenem Kriege mit Preußen lebt, dem Friedrich bitter, ich möchte sagen grausam mitgespielt hat. Ich verehre den königlichen Herrn, meinen Kurfürsten; seine Huld überschüttete mich, ich weine über das Unglück, das ihn traf, über die schwere, eiserne Hand des Helden, die auf meinem armen Vaterlande unbarmherzig ruht; auch mich hat sie gedrückt, mein junger Mann, aber noch schwerer würde der Vorwurf mich drücken, wenn man mit Fingern auf mich wiese und sagte: ›Der ist es, der diesen erhabenen König, diesen großen Feind einem Kroatenparteigänger in die Hände gespielt hat.‹«

»Entsetzlich,« rief der Kürassiermajor, »wenn es geschehen wäre!«

Der Obrist wandte sich an den Adjutanten: »Wie war es möglich, daß Seine Majestät –«

»Überlassen Sie das mir,« nahm der Graf hastig das Wort »diesen würdigen Herren, meinen Gästen, die kurze Nachricht über den traurigen und doch wunderbar glücklichen Vorfall mitzuteilen. Der Himmel hat sich unmittelbar gnädig bewiesen, seien Sie ihm dankbar für eine jener Fügungen, durch die er schon so oft den preußischen Monarchen aus der augenscheinlichsten Gefahr errettet hat.«

Der Obrist gab ein Zeichen der Ungeduld.

»Ich weiß,« sagte der Graf, seine Hand ergreifend, »Ihr Vertrauen, ehrwürdiger Veteran, ruht auf festeren Stützen, als der Unglaube unserer Zeit billigt. Seine Majestät, um mich kurz zu fassen, begehrte bei einer Rekognoszierung heut vor Sonnenuntergang die Ruinen des Brühlschen Schlosses in ... zu besichtigen. Ich wagte es, dem König abzuraten, indem noch vor wenigen Tagen feindliche Vorposten im Park daselbst zu sehen waren. Der König bestand darauf, und als die letzten Sonnenstrahlen auf die zerstörten Mauerwände fielen, ritten wir in kleiner Eskorte durch die Partien nach den Ruinen. Kaum dort, – Seine Majestät ritten an den Wänden hin und besahen lächelnd die Wandgemälde, – als ein Geschrei draußen entsteht. Der König geruht eben zu mir im Scherz zu bemerken: ›Ihr Gönner Brühl hat auch nicht gedacht, daß Sie einmal an meiner Seite hier mit Pferdehufen das Täfelwerk zertreten würden,‹ als ein ungarischer Husar, ein junger Offizier zu Pferde, durchbrechend durch die Suite hereinprescht und des Königs Schimmel am Zügel faßte: ›Sire! Sie sind verloren, jede Minute gilt Ihr Leben. Fort, König von Preußen, man weiß, daß Sie hier sind. –‹ So oder ähnliches sprach er. Wir, die wir schon nach den Pistolen gegriffen, ihn niederzuschießen, erkennen unseren Irrtum. Aus einem Erstaunen gehen wir zum anderen über, als der junge Mann von dem Plan spricht, den König hier gefangen zu nehmen, den er durch Zufall erfahren haben will. Er berichtet von der Position der österreichischen Streifpartien, daß Panduren und Kroaten uns in Zeit von zehn Minuten umzingelt haben müssen, er gibt Rat, wohin wir uns wenden, welchen Rückzug wir einschlagen müssen, als schon das Kroatengeschrei am anderen Ende des Parks gehört wird –"

»Höll und Teufel!« schrie der Hauptmann.

»Ein ungarischer Kavallerieoffizier und ein Verräter! Was bewog ihn dazu?« rief der Obrist aus.

»Einem Könige Leben und Reich zu retten, pflegt mehr einzutragen, als alle Remunerationen, auf die ein Leutnant rechnen kann,« entgegnete mit lächelnder Miene der Erzähler. »O, meine Herren, ich sah nicht auf den Verräter. Ihren König sah ich an; ja, Friedrich ist der einzige, es ist nur ein Friedrich, der in einem so entscheidenden Augenblick die Ruhe behalten kann. Die untergehende Sonne, durch das zerstörte Fenster eindringend, beleuchtete gerade sein Heldenantlitz. Sein helles Auge auf den Fremden gerichtet, prüfte er, ohne sich zu regen, dessen Worte. Er las Wahrheit, er war überzeugt, er konnte trauen, und den Hut fest drückend, befahl er ihm: ›Er führt uns zurück.‹ So entkamen wir, durch die dichtesten Partien des Parks, fast nur durch Fußpromenaden uns fortwindend, den Kroaten; durch eine entgegengesetzte Wendung auf freiem Felde den plänkelnden Husaren. Eine Hetzjagd schien auf das königliche Wild losgelassen, so hallten die Signalrufe, so summten die Schüsse um uns. Erst gegen Nachtanbruch, als wir den Weg hierhergefunden, stießen wir auf Panduren – ich will hoffen durch Zufall und nicht durch Treubruch des Überläufers –«

»Gewiß nicht,« fiel der Adjutant ein, »seine Bravour bei diesem kurzen, unvorhergesehenen Gefechte beweist, daß er es ehrlich meinte. Er ist leicht verwundet, und wenn ich nicht irre, kommt er dort schon mit den rückkehrenden Husaren. Aber Sie, Herr Graf,« wandte er sich zu diesem, »sollten bedenken, was Sie kaum überstanden haben, und daß Ihre Gräfin Tochter in leichter Kleidung hier im Oktoberwind steht. Auch erinnern Sie sich, daß der gerettete König Quartier für die Nacht in Ihrem Schlosse machen wollte. Sie haben keine Zeit zu verlieren.«

»Wie kann ich sie besser benutzen, als hier in meines Schlosses Torflügeln auf den Weltbesieger warten. Was Mauern und Tore verschließen, ist längst sein.«

Dennoch trieb ein Zug der Neugier die Militärs und Schloßbewohner in den unteren Saal; denn eben führte man den Ungarn dorthin, dessen Verwundung bedeutender schien, als sie der Adjutant angegeben. Nur der Obrist verweilte noch einige Minuten draußen; er befragte die Husaren von den rückkehrenden Piketts, und erklärte dem Rittmeister, welcher eben vom Pferde sprang: »Dem Leutnant von Strach werden Sie den Säbel abfordern und Arrest geben bis morgen.«

Ein Unmut flog über die Stirn des Offiziers. Er schwieg und faßte an die Mütze: »Sonst etwas zu kommandieren?«

»Sonst etwas zu bemerken, Herr Rittmeister?« entgegnete der Obrist.

»Nichts weiter, wenn Herr Obrist vergönnen, als daß Seine Majestät in fünf Minuten eintrifft.«

»Ich also die Zeit zum Kommandieren nutzen muß?« erwiderte der alte Offizier. »Das war doch die Meinung. Ich dächte, mein Herr Rittmeister, wir alle könnten zufrieden sein, wenn der König einen pflichtvergessenen Leutnant auf der Wache findet, statt daß er Fragen an uns tun muß, so schlimmer sind als die Korrektion eines Leutnants, der seine Schuldigkeit nicht tat.«

In der bunten Verwirrung des unregelmäßig erhellten Saales kam der Obrist zu einem Verhör, welches man in der Eile und unpassend, denn keiner der zufällig Anwesenden war entfernt worden, mit dem fremden Offizier vorgenommen hatte. Die Besorgnis, er könne plötzlich sterben, hatte den Adjutanten dazu bewogen. Ein Regimentsquartiermeister führte das Protokoll, während die gespannteste Teilnahme auf den Gesichtern der Zuhörer sich aussprach.

Der Überläufer lag, mit seinem Mantel bedeckt, den Kopf auf den Ellbogen gestützt und gab abgebrochene Antworten, während ein neben ihm kniender Feldscher die Wunde am linken Arm verband. Eine Fackel, die in die Wand gesteckt, erleuchtete das blasse Gesicht, beschattet von dem ungarischen großen Schnurrbarte und den von Schweiß oder Blut gefeuchteten über die Stirn fallenden Haaren. In den wenigen Antworten, die der Obrist hörte, schien Unlust oder Mattigkeit ihn einsilbig zu machen. Doch sprach er im reinsten Deutsch, wie man es in den Feldlagern nicht zu hören gewohnt war.

»Ihr Name ist Stephanek, wie Sie angaben? Sind Sie von ungarischer Familie, in Ungarn geboren?« fragte der Adjutant.

»Über meine Person will ich dem Könige antworten – es hat ja keine Eil' – er ist gerettet.«

»Was bewog Sie, die kaiserlichen Dienste zu quittieren, mitten im Felde zu desertieren, auf die Gefahr, die Ihnen bekannt sein muß?«

»Mein Gott,« sagte der Ungar, nach einigem Zögern, »daß ich darauf hier antworten soll! – Friedrich – alles wäre verloren gewesen –«

»Sind Sie Protestant?« fragte darauf eingehend der Adjutant.

»Ich bin es –«

»Wie empfingen Sie, oder die erste Frage, wenn Sie uns darüber Auskunft geben können, ist, wie erhielt man bei den Feinden Nachricht von des Königs Rekognoszierung?«

»Ist denn dies so eilig?« fragte der Überläufer und warf seinen Blick umher. Man legte es aus, als scheine ihm die große Versammlung nicht passend, seine Bekenntnisse anzuhören.

»Er scheint doch sehr erschöpft,« bemerkte der Graf. »Ein strenges Verhör versetzt ihn vielleicht in ein hitziges Fieber, das ihn für lange stumm macht.«

»Morgen, morgen,« nickte der Ungar.

»Ich habe den Auftrag Seiner Majestät,« entgegnete offiziös der Adjutant.

»Sie kennen die Person nicht –« hub der Ungar nach einer Pause an – »Und wäre dies auch, und ich nennte sie Ihnen, Sie zögen keinen Vorteil daraus, denn sie befindet sich außerhalb Ihrer Macht, im kaiserlichen Hauptquartier.«

»So haben wir es mit einem Diplomaten zu tun,« äußerte ärgerlich der Offizier, »und nicht mit einem Deserteur, der bei uns Dienst und Avancement sucht. Ich versichere Ihnen, Herr Stephanek, der König schenkt seine Gnade nicht dem, der mit ihm unterhandeln will, sondern wer sich ihm ganz hingibt.«

»Ich habe, was ich hatte, vielleicht meine Ehre für ihn eingesetzt,« fuhr gekränkt der Fremde auf. »Übrigens ist die Person mein väterlicher Wohltäter.«

Der Adjutant steckte die Brieftasche mit gereizter Miene ein, wandte dem Verwundeten den Rücken und hieß den Regimentsquartiermeister das Protokoll schließen.

Schon an der Türschwelle rief ihn jedoch die Stimme des Verwundeten zurück: »Halten Sie es für unmöglich, daß Spione aller Art des Königs Person umgeben? – In Dauns Lager weiß man täglich, was Friedrich unternimmt; selbst seine Tischreden kommen bis an die Subalternen.«

»Es war unmöglich, mein Herr, daß man ohne besonderen Verrat von diesem Ziele seiner Rekognoszierung wußte.«

»Ganz richtig. Das Billett meines Gönners nannte mir auch den Namen.«

»Wo ist das Billett?« rief der Adjutant die Hand ausstreckend; im Saale herrschte Totenstille.

»Es ist längst zerrissen, doch des Namens will ich mich wohl entsinnen –«

»Das wird eine schwache Denunziation,« flüsterte der Graf.

»Hieß er von Kurz,« rief die Komtesse, und hatte ebenso plötzlich den Arm des Verwundeten gefaßt, wie seine Lage zu erleichtern.

Der Graf rief erschrocken: »Eugenie!«

»Wie kommen Sie auf den Namen, Komtesse,« fragte der Adjutant.

»Ich traue dem Kammerherrn diese unbesonnenen Intrigen zu.«

»Nein –« sagte der Fremde, die Gräfin fixierend. Sie stand ihm so zugekehrt, daß nur er den vollen Ausdruck ihres Gesichts lesen konnte. – »Nein, so hieß er nicht –«

»Dann war es ein polnischer Familienname –«

»Sie mögen recht haben – aber des Namens entsinne ich mich nicht. – Ihr König ist gerettet, seien Sie damit zufrieden, meine Herren; das übrige findet sich,« sagte er, scharf den Adjutanten anblickend, und die Gräfin faltete die Hände.

In dem Augenblick schmetterten vom Hofe her die Trompeten, die Trommeln wirbelten, Vivats folgten aufeinander und Friedrichs Ankunft schloß dieses Verhör.


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