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Elftes Kapitel.
Mollwitz

Vierundzwanzig Trompeter schmetterten den Jubelruf des ersten großen Sieges der preußischen Waffen durch die hellen, breiten Straßen der neuen Stadt. Der Staub saß fingerdick auf den hohen Stiefeln des Kuriers, den sie nach dem Schloß einholten; sein Hut war mit Tannenreis, der ganze Mann mit Bändern und Kränzen überworfen. Von Charlottenburg her hatten ihn Bürger und Bauern begleitet. Wie flog er keck im Sattel, wie glänzten die großen, blauen Augen über den von der Sonne hochgebräunten Backen! An jeder Ecke nickte er alten Bekannten zu, wer von ihm angesehen wurde, fühlte sich glücklich, er hätte heute Eroberungen machen können, wenn er seinen Vorteil verstand. Ein Jubelruf schallte durch die ganze Stadt und der Name eines dürftigen schlesischen Dorfes: Mollwitz sollte von heute an unsterblich werden.

Das war ein Tag, wo sich auch in einem Spießbürger das unterste zu oberst kehren, wo er von Rechts wegen aus seiner Haut fahren durfte. Die Ausgelassenheit, je seltener sie kommt, um so seltsamer gebärdet sie sich. In Wien sieht man an jedem Tage so viel Lustigkeit, wie in Berlin an jenem einen, und doch hält sich bei uns jeder verpflichtet, sich erst noch dazu zu zwingen, weil was von sich selbst kam, gar nicht das nötige Maß zu erreichen schien. Einen äußerst nüchternen Mann sah ich in einem Weinladen ein Gläschen ums andere leeren, bis er auf den Knien schwach wurde. Er schleuderte die Mütze mit Vivats über Vivats in die Luft. Mein Vater trällerte sich ein Lied. Ich kannte den Mann nicht wieder; so stattlich ging er einher, so geputzt sah er aus, so freundlich drückte er jedem die Hand. Er mußte seine Freude auch vor anderen laut machen und lud die näheren Verwandten zum anderen Mittag ein. Das wurde ein Gastgebot, wie es in unserem stillen Hause noch nicht vorgekommen war. Bis zu Hund und Katze hinab hatte jeder mit den Vorbereitungen alle Hände voll, selbst die alte Susanne putzte Rüben, und der Dampf aus der Küche duftete und qualmte bis ins Putzzimmer. Auch Signor Caseri war nicht als Politiker und Sprachlehrer, sondern als Koch und Kuchenbäcker gerufen. Eine Torte mit einem Vivat Fridericus-Gruß stand schon am frühen Morgen zu unser aller Bewunderung aus, aber noch bewundernswerter sah der Mann selbst aus, wie er in weißer Schürze und Jacke, die baumwollene Mütze auf der Glatze, in der Küche Makkaroni kochte und Polenta einrührte.

Die Herzlichkeit, die allgemeine Freude kürzte selbst die nötigen Komplimente ab, und wir saßen schon um ein Uhr um den dampfenden Suppennapf. Draußen knallten die Jungen mit den Schlüsselbüchsen, einzelne Zünfte zogen vorüber zu dem außerordentlichen Königschießen. Es war Jubel von außen und innen. Daß der Wein, eine Seltenheit sonst in unserem wirtlichen Hause, bis in das Souterrain geflossen, verriet bald das Kichern und Gekreisch, das von dort aus aufstieg. Man bediente uns nachlässig, es zerbrach ein Teller, ein Glas; aber der Vater fuhr nicht auf, er hörte nichts als die patriotische Lust und es war Friedrichs Ehrentag. Ja so weit wurde die strenge Ordnung unseres Hausstandes übertreten, daß man einen deutschen Rundgesang anstimmte, der froh sein sollte, und in den selbst die französische Tante Rätin so gefällig war durch Taktschlagen einzustimmen. Der hohe schöne Glaspokal mit dem hineingeschliffenen Friedrich Wilhelm Rex und der Königskrone ging aus Hand in Hand, von Lippe zu Lippe und füllte sich immer wieder, und die kleine Stefanie neben mir sagte, ich tränke zu viel, ich aber sagte, es geschähe alles zu Ehren König Friedrichs, und der hätte es zu verantworten.

Nur ein einziges Geschöpf nahm nicht so von Herzen teil an der Lust. Der Herr Pate suchte zwar den Mund zum breiten Lächeln zu verziehen, wenn eine neue Gesundheit kam, – und der Vater war darin unerschöpflich, – seine Augen waren etwas milder, und seine Stimme suchte süß zu klingen, aber der ganze Mann war nicht minder geschlagen als die Österreicher. Es war nun einmal gegen seine Natur, sich da wohlzubefinden, wo man heiter und vergnügt war. Er konnte nicht so viel essen, als er wollte, der Wein schmeckte ihm bitter. Er sagte grinsend »ja, ja« zu allem; aber er verschluckte viel mehr als er sagen durfte, und das bekam ihm übel. Es mußte wieder heraus auf irgend eine Weise. Ich hatte immer gedacht, er würde nach Hut und Stock greifen und sich auf und davon machen, aber er hatte den Puter in der Küche am Spieß gesehen und wollte den nicht verpassen.

Der Wein erfreut des Menschen Herz, macht ihn aber auch übermütig, zumal Kinder, die noch nicht viel vertragen können. Die kleine Stefanie mochte recht gehabt haben, aber ich hatte unrecht, als es mich durchaus kitzelte, dem Advokaten einen Schabernack zu tun. Ich war unterm Tisch, um eine Serviette raufzulangen. Da blinkte mich eine Nadel in der Ritze an und die Verführerin sprach: »Nimm mich auf und stich dem Herrn Advokaten Schlipalius in die Wade. Aber die rindslederne Schuhsohle des Herrn Advokaten, die in einemweg auf und ab klappte, sprach: »Tu's nicht, es könnte Schläge setzen.« Doch die feine englische Nähnadel leuchtete so einladend. »Stich nur zu, es merkt's niemand; er denkt, 's ist eine Mücke.« – »Tu's nicht,« knarrte die Schuhsohle wieder, »du weißt nicht, was daraus entsteht.« – »Tu's, es kommt dir nicht so zum zweitenmal –« hätte mich die garstige Schuhsohle nicht getreten, als ich sauber die Nadel vorholte, wer weiß, ob ich's getan, aber nun mußte ich's tun, mein Finger forderte Rache, und, die grauwollene Wade büßte, was die Schuhsohle verschuldet. Übrigens gibt es, die da meinen, nicht ich, sondern der Wein hätte es getan. Das Advokatenbein hatte es empfunden, ach, aber der Advokat selbst hatte es auch gemerkt. »Was ist Ihnen, Herr Pate?« fragte der Vater. »Ein kleiner Wadenkrampf,« sagte gedehnt der Advokat und sah mich, wie ich auftauchte, freundlich an; ich wurde blutrot und wußte, was die Glocke geschlagen. Der Herr Advokat pflegte sich alles bezahlen zu lassen, auch die freundlichen Blicke.

»Was suchen Sie da in der Westentasche, Herr Gevatter?« fragte der Vater über den Tisch.

»Es fällt mir nur gelegentlich etwas bei. Ist aber nur eine Kleinigkeit.«

»Auch eine Kleinigkeit ist heute von Wert, so sie zur aufrichtigen Freude der guten Bürger kontribuiert,« erwiderte der Vater, der ein Poem erwartete.

»Mit der aufrichtigen Freude guter Bürger hat das nun wohl nichts zu schaffen.«

»Heraus damit, heraus!«

Der Vater war etwas getäuscht, als statt des Seidenpapiers drei graue Marmorkügelchen zwischen den dünnen Fingern des Advokaten zum Vorschein kamen. Wie flimmerten die grauen Augen, wie traten die drei Hauer aus dem breiten Munde, als er sie mir vorhielt: »Kennen wir das wohl noch, mein junger Herr?«

Ich wurde blaß, die Mutter ängstlich, Stefanie faßte unterm Tische meine Hand, und der Vater fragte: »Was soll das?«

»Nichts, Herr Gevatter, werde ja nicht einen so frohen Tag durch Erinnerungen an kindische Bosheit trüben wollen! Wäre nur kurios zu wissen, wie die Kugeln seither in der Westentasche stecken geblieben?«

Das Wort Bosheit forderte eine Untersuchung. Der Puter duftete schon auf dem Tische, als ich aufstehen mußte, indessen der Advokat die Sache vortragen sollte. Mir kam es vor, als nähme er die Art, wie mein Vater den Puter Schnitt um Schnitt tranchierte, zum Maßstab. Er tranchierte mich auch so, Schnitt für Schnitt, bis er ans Herz kam, immer mit dazwischen gestreuten Protestationen, daß es sich ja der Mühe nicht lohne, den kleinen Vorfall wieder ins Gedächtnis zu rufen, wenn er denn auch schlimmer ausgegangen wäre, als es glücklicherweise der Fall gewesen.

»Er hat sich unterstanden nach Ihnen zu werfen,« rief der Vater im Tranchieren innehaltend.

»Jugendlicher Mut! Herr Gevatter! Die Zeit schreitet vor. Unser Etienne wollte auch einmal Krieg spielen und wartete das Angreifen nicht ab, just wie unser König. Du lieber Gott, unsere Jugend soll man säuberlicher anfassen, als man uns angefaßt hat. Jugend hat keine Tugend. Andere Zeiten, andere Sitten; wir sollen uns anfassen lassen, das wollen sie. Die Kinder werden Präzeptoren der Eltern.«

Dem Vater war die Geschichte höchst verdrießlich, aber er war ein deutscher Familienvater, und daran änderte die Schlacht bei Mollwitz nichts. Er wünschte eine günstige Wendung, er ließ deshalb noch nicht sein Minosantlitz leuchten, als er den Paten fragte: »Nun, ich hoffe, Sie haben ihn auf der Stelle abgestraft.«

»Das ließ sich auch so tun, mein werter Herr Inspektor,« kontinuierte der Advokat, jetzt in Zug gekommen, »der Junker Etienne waren ja sozusagen der Rädelsführer eines ganzen Korps, oder nenn ich's Schwadron, Bande sine injuria, von Gassenbuben. Die hätten einen Regen von Kot und Steinen über mich ausgehen lassen, so ich mir das erlaubt. O ich weiß auch, was man hübschen Kindern vornehmer Herkunft schuldig ist. Zudem hat er es nun wohl seitdem bereut.«

»Also die Sache ist vorbei, Herr Pate?« So gnädig hatte der Vater nie gefragt.

»Ja, wie man's nehmen will, der Kopf ist mir nicht eingeschmissen, sintemal die Junker keine Ballisten und Haubitzen hatten, um zu schleudern, nur ihre simplen Arme. Will denn hiermit das Corpus delicti in elterliche Hände abliefern, nicht verhoffend, man werde selbige Steinkugeln dem Junker noch einmal zuwenden, um sie einem reputierlichen Bürger an die Schläfe zu praktizieren. – Oder, Frau Advokatin,« wandte er sich zu seiner Gattin ihm gegenüber, »hat man damit etwa nachher auch Ihnen Scheiben eingeschmissen, als Sie nach der Polizei zu rufen sich gemüßigt sahen?«

Ach das böse Wort: Polizei! Nun mußte alles heraus und die Advokatin, die nicht so böse war als der Advokat, gab das ihrige zur Geschichte zu. Der Pate seufzte und hatte es gar nicht so schlimm gedacht und flüsterte der Mutter zu, der der Angstschweiß auf der Stirn perlte, wenn er das nur geahnt hätte, würde er ja keine Silbe vorgebracht haben. Ich aber war guten Mutes, denn ich hatte eben auch meines Kousins Glas ausgetrunken auf den Schreck von wegen des Nadelstichs.

»Wann war das?« rief der Vater.

»Am selben Tage, wo der hochselige König kaum sein Auge geschlossen hatte.«

»Und warum wird das erst heute dem Vater hinterbracht?«

»Weil er eine Schlafmütze ist,« fuhr seine Ehehälfte dazwischen, »weil's ihm so egal ist, wenn auf seiner Frau was sitzen bleibt, als ein Tintenklecks auf'm grünen Tisch.«

Die Frau hatte Sprache gewonnen, was etwas schwer war unter den vornehmen Verwandten, deren Gegenwart sie drückte. Sie zankte mit ihrem Mann, und es polterte dabei heraus von Straßenjungen, die, mit Respekt zu melden, im Kot gelegen wie die Murmeltiere, daß sie ihr die Hände küssen sollen für ein Pfund schwarze Seife. Geschimpft hat die Brut auf eine ehrliche Frau, die ihre Nahrung hat, und sich viel schert nach vornehmen Verwandtschaften. »Ein Ärgernis war's für honette Bürgersleute,« schloß sie, »die Köpfe steckten sie aus den Fenstern, den toten König hätten die Jungen können lebendig schreien. Aber das rührt ihn nicht, weil der Junge von der Verwandtschaft war.«

Es war übergenug, mich zu verderben. Sie durfte nicht zögern, sich in ihrem vollen Glanz zu zeigen. Hatte er doch selbst den Paten gerügt, daß er nicht zu rechter Zeit gesprochen.

»Etienne!« hieß es, »hinaus! In honetter Gesellschaft ist kein Platz für Straßenjungen.« Es war noch eine milde Strafe.

Der Mann dachte nicht, daß das Schicksal eines Menschen mit dem einen Worte »hinaus« gesprochen war. Wer von uns allen dachte das? Und es war doch eine tiefe Stille, eine gewisse Bangigkeit. Die Mutter seufzte und sah unter den Tisch, selbst die Frau Advokatin murmelte etwas, das eher wie Mißbilligung mit dem Vater als mit mir klang. Die Tante Rätin wagte allein ein Wort für mich einzulegen: »Wollen Sie denn den schönen Tag nicht in Frieden ausgehen lassen?« Doch ich, dessen Stolz Stefaniens Tränen um mich beleidigten, und dem der süße Wein im kleinen Kopfe glühte, war rasch aufgesprungen und nach der Tür geeilt, wobei die Absätze meiner Schuhe etwas geklappt haben mögen.

»Sehen Sie, wie der Trotzkopf Ihnen dankt!« entgegnete der Vater, und jetzt erst stieg der Zorn in ihm auf. »Aus der Tür, aus dem Hause!«

»Ei du meine Güte, Herr Gevatter,« sagte der Pate, »daß er gerade fort soll vor dem Braten! Ich dächte, Sie gäben dem Kinde einen Teller voll mit.«

»Ein Stück Schwarzbrot,« rief der Vater. »Etienne!«

Ich blieb an der Tür stehen, machte aber nicht kehrt.

»Ein Stück Schwarzbrot, willst du?«

Ich oder der Wein in mir nahm das für eine Frage, wo man ja oder nein antworten kann nach Belieben, und ich sagte »Nein.«

Da donnerte seine Stimme, wie nur, wenn ein arges Familiengewitter war. »Hergekommen!« Auf der Spitze des Bratenmessers reichte er mir über den Tisch das Stück Schwarzbrot: ich ritzte mit den Daumen blutig, als ich zugriff. Vor einem solchen Blicke verging der Weinmut: »Aus dem Hause, Taugenichts, und vor morgen kommt Er mir nicht unter die Augen. Dann sprechen wir zusammen.« Wir haben nicht mehr zusammen gesprochen!

Es sind die letzten Worte, die mein Vater mir zugerufen. Sie klingen mir noch in den Ohren, noch sehe ich den harten Mann zuweilen im Traum, wie er, Zorn im Auge, mit dem Tranchiermesser dasteht, die Ärmel aufgekrempelt, ich sehe die Mutter, wie sie von einer überwallenden Ahnung ergriffen aufspringt, mich an der Tür zurückhalten will, wie der Vater sie zurückreißt. »Lassen Sie ihn, jeder geht seinem Schicksal entgegen. Es ändert das niemand.«

Ich weiß nicht, was dem Vater die prophetischen Worte eingab. Und ich weiß auch nicht, wie es kam, daß mir selbst so weh zu Mute war, als ich hinausging. Das Herz schlug. Ich war wütend und ich warf doch nicht die Tür hinter mir. Ich sah noch einmal zurück – durchs Schlüsselloch. Ich sah sie mir alle nach der Reihe an, wie sie still verstört um den Tisch saßen. Mir war, als hätte sich mit mir Gottliebs Verstoßung wiederholt. Das war dasselbe Putzzimmer, dieselben Personen, die nun um den Tisch, hatten auch beim Familiengericht gesessen. Durch dieselben Fenstervorhänge, dieselben kleinen Scheiben hatte das Tageslicht auf die roten Damasttapeten geschienen. Und ich war ja auch verstoßen. Ein Festtag ist dem Kinde ein Leben wert. Morgen wollte der Vater mit mir abrechnen – aber ich wußte im voraus, er hatte nichts zu bekommen und ich alles. Meine Mutter trocknete ihre schönen Augen und bat die kleine Stefanie, sie solle nicht mehr schluchzen.

Unten auf dem Flur war ein Lustspiel. Die Dienstboten taten sich gütlich. Der Eindruck von vorhin war nicht verwischt, denn er lebt ewig; aber ein Kind und noch dazu eines, das etwas getrunken hat, kann nicht zu lange an dem einen festhalten, wenn ihm so viel andere begegnen. Caseri, der den Schenken spielte – es wurde guter Landwein getrunken – schenkte auch mir ein, und es wurde nicht gefragt, warum ich da war. Man hatte dazu nicht Zeit. Eine burleske Person, die man den Magister kurzweg bei uns nannte, mir wohlbekannt, weil er jedes Neujahr ein Carmen brachte, auch sonst keine Gelegenheiten versäumte, hatte von einem ellenlangen Seidenbande ein Gedicht auf den jungen Sieger vorgetragen, in dem so viel Götter, Genien und Heroen des Altertums auf Preußens Seite standen, als kaum Soldaten unter Friedrich und Schwerin. Da ward er schon verglichen nach der ersten gewonnenen Schlacht mit Alexander, Cäsar und Hannibal. Kaum hatte ein Alexandriner den jungen Sonnengott, der in den Fluten der Spree Morgentau genippt, hinaufgehoben bis zur Höhe eines Alexander, so drückte der nächste Vers den Mazedonier, Römer und Karthaginenser gegen den neuen Phöbus Mars wieder so tief hinunter, daß man nicht begriff, warum er sich erst die Mühe gegeben, sie zu dem unbequemen Vergleiche zu zitieren.

Das Poem war für die Herrschaften bestimmt; aber die Dienstboten, – ihre Gesichter glühten vor Patriotismus, und der erlaubte Weingeist hatte sie kühner gemacht, – hatten an der Schwelle einen Durchgangszoll auf den ganzen Betrag verlangt, den ihnen die Herrschaften nicht wieder abfordern konnten. Die fremden Namen wirkten ganz erstaunlich auf die, welche sie nicht verstanden, die Scheuer-Christel sperrte das Maul auf, die alte Susanne faltete die Hände und blickte zu Boden, denn es klang ihr wie ein Psalm im Munde ihres Herrn Pfarrers, der Hausknecht kraute sich den Kopf und sagte, das klinge verteufelt schön. Nur meines Italieners Andacht war verschiedener Art. Der Mann, welcher den Trunk unter die Grunduntugenden der Deutschen zählte, ließ sich doch zuweilen so tief herab, dergestalt tief in die Flasche zu blicken, daß ihn der Nachtwächter in seinen Kuchenladen führen mußte. Heute, blaß aus Ärger, daß er zur Verherrlichung dieses Tages beitragen mußte, hatte er sich auch herabgelassen, ein Deutscher zu sein. So hörte er, die Wollenmütze war längst von der Glatze gefallen und die Perücke hatte er nicht für nötig gefunden, aufzusetzen, dem Deklamator zu und hob jetzt mit seiner wohlbekannten rabbia an, den alten Mann herunterzureißen über seinen Vortrag. Er bewies ihm haarscharf, daß er keine Stimme hätte, keine Gesten, kein Mienenspiel, daß es gar kein Vortrag sei. Um Vortrag zu lernen, müsse man nach Mailand, dort sei er bei jedem Improvisator an der Ecke für drei Pfennige zu Hause. Dann riß er dem zitternden Magister, dem es gar nicht um den Vortrag, sondern um einen Gulden zu tun war, das Band aus der Hand, sprang auf einen Küchentisch und zerhackte hier, der lange Mann, ein fast grauenhafter Anblick in dem glatt geschorenen Kopf, in ebenso grauenvollem Affekt, und einem entsetzlichen Deutsch Verse, die nicht besser waren, und stampfte dazu mit dem Fuße, indes die ausgestreckten Hände gegen die Balken arbeiteten.

Pharsalus ist nun nichts und Cannä gar kein Name,
Denn Mollwitz ruft fortan der Blinde und der Lahme,
Es spritzt das Blut empor in jedem Herz der Brennen,
Die keinen Cäsar mehr, nur ihren Friedrich kennen.

Ich glaubte, der Tisch sollte brechen, als Caseri heruntersprang. »Keinen Cäsar mehr! Wer war denn Cäsar, war es ein Ecksteher, ein Meilenzeiger oder ein Gardeunteroffizier? Cäsar war ein Kaiser und ein echt römischer Kaiser, der die ganze Welt bezwungen und die Disziplin erfunden hat. In den Morästen der Wasserpollacken hat er kein Treffen geliefert. Warum nicht? Weil er's nicht der Mühe wert hielt, weil der Name Mollwitz viel zu schlecht ist, weil sein römisches Ohr ihn nicht aushielt, weil seine florentinische Zunge ihn nicht über die Lippen bringen konnte. Ein Cäsar soll das sein, ein Alexander will er heißen! Um ein Alexander zu sein, muß man nicht durch den Rubikon waten, durch den Granikus schwimmen, um ein Cäsar zu sein, muß man Blut haben. Blut! Schneewasser mit Milch und Branntewein, ist das Blut? Wenn ihr Blut, wenn ihr Feuer, wenn ihr Wein hättet, dann könnte aus euch was werden, aber aus nichts wird im Leben nichts, höchstens eine Wasserratze. Blut muß spritzen und steigen, nicht wie ein schlammiger Abzugskanal rinnen. Wo spritzt denn eures, wo steigt denn eures? Hier – schneidet mir die Ader auf, da würdet ihr italienisches sehen, siedend heiß und schwarz wie Lava. Solche Kerls waren die Römer, eine Rüstung von geschmiedetem Eisen auf dem Leibe, drei Eichbäume als Schanzpfähle trugen sie auf dem Rücken und so schlugen sie sich Tag und Nacht, Brücken bauten sie mit ihren Zähnen und ihren Nägeln von einem Berg zum andern, Ströme leiteten sie ab und standen aufs Kommando wie Felsen, aber nur wenn ein Cäsar kommandierte.«

»Das waren fromme Leute, Gott habe sie selig,« sagte die alte Susanne, welche die Römer vermutlich für gute Protestanten hielt. Die Susanne wurde gewöhnlich stumpf und kindisch, wenn sie ausgetobt hatte, mein Italiener dagegen immer nach solchen Rodomontaden ein vernünftiger Mann.

»Es ist nichts hier,« sagte er vor der Haustür, wohin er mich gezogen, um frische Luft zu schöpfen, und riß seine Halskrause auf. »Du mußt fort, Etienne, wenn aus dir was werden soll. – Sobald du kannst. – Die Leute fühlen nichts. Sie haben keinen Sommer. Im Juli schütteln sie noch den Januarfrost ab und im August denken sie schon wieder an den Schnee. Zum Pläne spinnen, dazu sind sie gut. Aber leben kann man nur, wo's warm ist.« Und doch war ihm so warm, daß der riesengroße Mann sich mit beiden Armen tüchtig mehr zuschlug als zufächelte. »Den nennen sie einen Alexander,« fuhr er fort. »Wer war denn Alexander? – Ein Götterjüngling. Der dachte nicht voraus und nicht nachher. In die brennende Perserstadt hat er sich gestürzt und nicht gedacht, daß seine Locken sengen könnten, in den eiskalten Cydnus und nicht gedacht, daß er erfrieren könne, den Giftbecher stürzte er in die Kehle und ließ den Arzt sorgen, ob's ihm bekäme. Sein waren die schönsten Frauen, weil er ein Jüngling war, der noch fühlte, was Schönheit ist. Fühlt der neue Alexander was davon? Hast du das aschgraue Gesicht gesehen? Ausgekostet hat er alles und ihm ist nichts übrig geblieben, keine Begier und kein Verlangen. Da hat er vom Epaminondas gelesen, der zwei Töchter hinterließ. Aber wem die Sinne nicht mehr glühen durch die Adern, wem die Augen nicht mehr leuchten vor Lust, der schreibe Bücher hinterm Ofen, aber Kinder kann er nicht zeugen, sterbliche nicht, und noch weniger unsterbliche. Alles Affengeschlechter! Wenn er die Bataille gewonnen hat, so waren die drüben keinen Schuß Pulver wert, es galt eine Wette, wer am ersten auskratzte. Er hat sie auch gar nicht gewonnen, es war sein General Schwerin, und die preußische Kavallerie hat kehrt gemacht, daß es eine Lust war. Es ist eine matte Zeit, Etienne, grau, grau und miserabel überall. Ein Zwerg, der sich Hacken unter die Sohlen nagelt, ist ein großer Mann und ein Zoll gibt den Ausschlag.«


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