Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel.
Der Verführer

Man erzählt, als nach dem dreißigjährigen Kriege der westfälische Friede von den Kanzeln proklamiert wurde und die Geistlichen ihren Gemeinden die Segnungen des Friedenszustandes vormalten, hätten die Bauern manchen Orts den Kopf ungläubig geschüttelt und gemeint: das sei wohl nur eine Grille des Herrn Pastors, denn solch ein Ding sei auf der Welt nicht möglich! – Wir leben jetzt kaum ein Lustrum in einem Kriege, der freilich in zerstörender Heftigkeit und Greueln jenen finsteren Religionskämpfen wenig nachsteht, aber auch jetzt schon wird es mir schwer, mich in der Vorstellung in eine vollkommene Friedensruhe zu versetzen. Was macht der Tätige? Womit beschäftigt sich der Geist? Ich kann mir nicht die Ruhe denken, welche dem ersten schlesischen Kriege voraufging. Ich, ein Knabe, mußte lernen; aber die nicht mehr zu lernen und auch nicht zu sorgen brauchten, was fingen sie an, um nicht zu versinken in dem grauen Einerlei bis zur eigenen Bewußtlosigkeit? Friedrich fing den Krieg an; aber es ist nur ein Friedrich in der Monarchie.

Es gab mancherlei Gerede, man zischelte sich in die Ohren von bevorstehenden Staatsaktionen. Die Karossen rollten lebendiger als seit dreißig Jahren durch die breiten langen Straßen von Berlin, vor die Gesandtschaftshotels, vor das königliche Schloß. Die Truppen wurden neu gekleidet, und mein Vater hatte auf seiner Fabrik alle Hände voll zu tun. Die Herren Offiziere armierten sich neu und kaum waren Arbeiter genug für alle Bestellungen aufzutreiben.

Ich erfuhr sehr wenig davon, außer wenn ich mit meinem jüngeren Bruder die Mutter auf einem Wege durch die Stadt oder auf einem seltenen Spaziergange begleiten mußte. Jede zehn Schritt stieß man da auf eine exerzierende Kompagnie oder auf Rotten, denen ein Unteroffizier das Rechts und Links beibrachte. Wie glänzten die neuen blauen Monturen, wie leuchtete das Gold und Silber an den Kragen der Garde! Es war schon ein anderer Anblick, als wenn unter dem vorigen Könige die große Garde auf dem Lustgarten stand.

Ach wir kehrten von einem dieser Spaziergänge sehr traurig heim. Es war schon nicht angenehm, müßigen Soldaten zu begegnen, vor allem trunkenen. Ein anständiges Frauenzimmer scheute keine Umwege, um ihnen aus dem Wege zu gehen. Und doch war es der Mutter einmal durchaus unmöglich, einem Schwarm lachender, trunkener Musketiere zu entfliehen, die den Weidendamm heraufkamen. Wie die Henne, die ihre Küchlein schützt, drückte sie uns an sich. Uns taten die rohen Burschen nichts, aber einem in ihrer Mitte, der mit Kommißbroten überladen, hin und her taumelte, von ihnen verspottet, geneckt, geschlagen, gestoßen. Er war betrunken, er mochte nicht fühlen, was ihm geschah. Sie waren uns längst aus dem Gesichte, als die Mutter uns noch immer ängstlich umfaßt hielt und keine rechten Worte der Beruhigung für den kleinen Julius fand, der fragte: ob sie den armen Menschen totschlagen wollten? Die Mutter sagte nichts, und ich sagte auch nichts, und wir eilten nach Hause. Da aber warf sie sich erschöpft aufs Sofa und weinte und drückte meinen Kopf: »Du hast es wohl gemerkt,« seufzte sie: und ich hatte es wohl gemerkt, der arme, gestoßene – trunkene, war Gottlieb. »Werde mir nicht so, mein Kind,« sprach sie halb betend. – Ob denn niemand Gottlieb helfen könne? fragte ich. Sie blickte gen Himmel. Das war wieder ein schlimmer Tag. Und man mußte noch schweigen, um nicht den Vater etwas merken zu lassen.

Konnte mir das mehr Liebe für den neuen König einflößen? Um Friedrich zu würdigen, muß man ihn ganz kennen, um ihn lieben zu lernen, erst von ihm berauscht sein. Wer ihn nach einzelnen Handlungen beurteilen will, mißt das Weltmeer nach einer Handvoll Wasser. Ich habe lange geirrt. – Meine Oheime waren unzufrieden mit mir. Meine Phantasie neigte ihnen noch immer zu sehr zum Aberglauben. Sie hatten gewiß recht. Aber der Aberglaube hat doch so viel Anmutiges; warum wollen sie ihn mit Stumpf und Stiel und schon so früh ausrotten? Ich, wär' ich ein Präzeptor und kein Husar, sättigte mal einen Knaben damit bis zum Überdruß. Dann bräche die Vernunft durch und machte sich selbst Bahn. Aber wo findet der durstige Sinn des Knaben einen Trunk, wenn nicht am Bergquell, wo die Phantasie mit hohler Hand ihn schöpft. Wenn er auch über den Durst trinkt, er hat ein Leben vor sich, die Trunkenheit abzuschütteln. Der Verstand, der mit Zahlen und Quadraten, mit Buchstaben und Dreiecken das kleine Revier seiner Gedanken dem Kinde abzirkelt und absteckt, der sättigt nicht; er ist Kaviar dem Säugenden geboten, der nach der Mutter Brust verlangt. Es war der Geist des Widerspruchs in mir – und ich galt für einen Knaben von aufgewecktem Sinn – der, gegen meine Präzeptoren, festhielt am Glauben, wenn ich mir auch mit den Jahren ein anderes Gebiet aussuchte, als das der Märchen unserer guten Kinderfrau Susanne. Spät erst erhob ich mich durch die Lektüre unserer vernünftigen Schriftsteller zur philosophischen Höhe des Jahrhunderts, und doch, ich muß es bekennen, habe ich noch immer mit einem kleinen Abschmack aus der Ammenstube zu kämpfen. Man hätte nicht mit der Rute die Aufklärung erzwingen sollen!

Mit einem Male mußte ich italienisch lernen. Ich konnte nicht begreifen weshalb. Meine Mutter konnte nicht italienisch, mein Vater nicht, niemand aus der Familie; ich glaube in ganz Berlin waren 1740 nicht über zehn Leute, welche eine Oper in Dresden verstanden hätten. Nur der provenzalische Patois der alten Susanne klang zuweilen wie diese vokalreiche, schöne Sangessprache. Ja es fehlte dergestalt an einem Lehrer, daß man einen entlassenen Riesen von der Leibgarde, lombardischer Abkunft, zum Sprachlehrer für mich annehmen mußte. Dies ist eine von den Gestalten, welche mir am allerdeutlichsten aus meinen Kinderjahren herüber winken. Der seltsame Mann, ganz Manier im Auge des Nordländers, obgleich die Hälfte an ihm Natur sein mochte, war den Versprechungen der deutschen Werber, einige wollten haben sogar aus dem Mönchskloster, gefolgt. Mochten sie ihm gehalten sein oder nicht, er war unzufrieden. Das lag aber in seiner Natur. Er war es, als er mit der Muskete auf die Parade ziehen mußte, hundertmal hatte er geständlich desertieren wollen, und er war auch unzufrieden, als ihm der neue König den Abschied gab. Er, der hoch und teuer sich verschworen, keine Stunde länger als er müsse, in dem kalten Eislande zu bleiben unter den Barbaren und Ketzern, er blieb jetzt freiwillig. Und die Mittel nach Mailand zurückzukehren hätten ihm doch nicht gefehlt, denn er legte mit dem ersparten Sümmchen einen Konditorladen an. Er, der im heißen August fror, ging im Januar mit dünnen Sommerhosen und seidenen Strümpfen. Der uns alle Ketzer schalt, ewig verdammte, räsonnierte über Gott und göttliche Gesetze, und schimpfte über seinen Schutzheiligen, als wäre es sein schlechtester Dienstbote. Ganz italienische Heftigkeit, verband er damit eine seltsame Schärfe, die alles spaltete. Auf der Welt war ihm nichts recht und am heftigsten wütete er gegen das Geringfügigste los. Alles wußte er besser, alles hatte er besser gesehen, und ein gewisser zergliedernder Verstand und eine lebhafte Einbildungskraft unterstützten seine schneidende Logik. Wenn er mit seiner etwas heiseren Stimme loseiferte, unterstützt von den lebhaften Gesten der langen Arme, und die kleinen grauschwarzen Augen in dem äußerst scharfen Gesicht mit der spitzen Nase, der hohen, kahlen Stirn, dem ebenso scharfen Kinn, dazu rollten, konnte man sich fürchten. Er zerzauste jeden Gegenstand, den er aufgriff, bis nichts daran blieb, und er war im eigentlichen Sinne ein Eiferer um ein Nichts.

Dennoch war sein Einfluß auf mich nicht unbedeutend. Italienisch lernte ich gelegentlich und durch Gottes Güte aber nicht von ihm, denn er geriet in den Lehrstunden vom Hundertsten auf das Tausendste, konnte sich ereifern über die Form eines Tintenfasses, und über einen schiefen Buchstaben in Wut geraten. Manchmal schien er mehr Lust zu haben, meinen Exerzier- als meinen Sprachmeister zu machen; er trug mir das ganze Reglement vor, donnerte, wetterte, wenn ich mich krumm hielt, und schimpfte doch auf das Soldatenwesen, auf die Preußen, auf den Stock, auf den Despotismus, um im nächsten Augenblick aufzuspringen und mir in seiner kerzengeraden Haltung den echten Grenadier zu zeigen. Mein Vater sah nur den polternden Lehrer in ihm und war zufrieden, daß er polterte. Er mußte also ein ehrlicher Mann sein. Er hörte nicht, wie er den plumpen deutschen Charakter verhöhnte, wie er das Phlegma des Märkers bespöttelte und über den König von Preußen sich lustig machte.

»Halb eine Sandscholle, halb eine Eisscholle, ist das ein Königreich! – Auf drei Meilen von Berlin nach Potsdam fahr' ich vier Pferde tot und komme vor Sonnenuntergang nicht an. Ist das eine Straße? Vor dem Tore stehen die Ähren eine halbe Elle voneinander. Sind das Kornfelder? Eicheln und Tannenäpfel sind das Früchte? Ist das ein Volk, ist das eine Nation, auf eine Quadratmeile hundert Schafe und drei zerlumpte Bauern dazu! Wenn der König in Potsdam hustet, so hört man's an den vier Grenzen seines Reiches. Ist das ein Königreich? Berlin soll eine große Stadt sein! Wo sind denn die Säulen, die Türme und die Paläste? Wo sind denn die gewölbten Brücken, die Quadersteine und die Arkaden? Wo sind die Maler, Bildhauer und die Poeten? Wo sind die Akademien, die Galerien und wo ist das Kapitol? Wo sind die Bürger und die Nobiles? – Barbaren, aber keine Bürger!«

Wurde ich darüber nachdenkend, und gerade nicht vergnügt, denn wer hört gern sein Vaterland verkleinern, so regte mir die Schilderung des reichen lombardischen Südens alle Sehnsucht nach einem Etwas auf, das so unerreichbar fern lag, und der wunderbare Mann wußte die Vorzüge seines klassischen Vaterlandes mit aller Wärme zu schildern.

Wie atmete ich die von Sonnenglut und Klarheit durchschwängerte Luft ein, sah die Städte, von Häusern, deren jedes ein Palast war, die Marmorkirchen, die Marmorstraßen, das bunte Volk auf den Märkten. Wie hörte ich die froh Bewegten jubeln und lärmen, wo es bei uns so traurig ehrbar hergeht. Wie entzückte es mich, daß der Bettler wie ein Edelmann unterm freien Himmel lebt, daß er sogar des Nachts nicht nach Hause zu kommen braucht, sondern sein Haupt auf die Schwelle der Kirchentreppen legt, von keinem strengen Vater und keiner Polizei fortgejagt! Zum Lernen wird niemand gezwungen, niemandes Spiel auf der Straße wird gestört, sie wandeln unter den duftenden Orangen, den glänzenden Weintrauben, den Feigen und Oliven des Marktes umher und tun nichts. Die Melonen, die beim Oheim Rat nur alle Festtage auf den Tisch kamen, sind dort so gemein, daß die Gassenbuben sie nicht mögen. Und die Frauen sind alle groß und hochgewachsen, wie keine bei uns. Ja, was meine Verwunderung aufs höchste steigerte, war, daß die lombardischen Milchmädchen so schön und stolz aussehen wie unsere Königinnen. Eines allein wollte mir nicht in den Sinn, daß die Jungen nicht Schneeball spielen! Und nun mitten im Lande der Zitronen und Myrten wirbelte die Trommel, und der freie Bürger von Mailand springt ans Fenster, um die neue Garde zu sehen. Der eben die ungeheuren Taten seiner Vorfahren im lombardischen Bunde in den Himmel erhob, die Fäuste ballte gegen die maledetti Franzosen und Deutschen, welche die Perle Italien zertreten, derselbe sprang auf und musterte höhnender Wut die Haltung der neuen Truppen.

»Heißt das Marschieren? Sind das Soldaten! – Wie der die Muskete hält, als hätt' er kein Gelenk im Finger! – Heißt das gerade gehen! – Und der Unteroffizier, trottelt er hinter Schafen oder marschiert er neben einer Kompagnie? – Den Sponton vor! – Daß du im Mutterleibe verdorrt wärst! – Das wollen Soldaten sein! Kinder sind es, nasse Jungen, Birbacci ohne Takt. Eins – zwei – eins – zwei, können keinen Schritt halten. Und wie der Tambour wirbelt, als ging er auf Eiern. Das will Militär heißen, Garde? – Gelbschnäbel, Nußknacker, Pfefferkuchenmänner. – Marschiert in des Satans Rachen!«– Er schlug die Grammatik wieder auf, aber schon beim dritten Worte war er abermals bei den Soldaten und versicherte mich, man wolle das Militär mit Fleiß herunterbringen, die alten guten, die es noch verstanden, habe man fortgejagt, und Bauerntölpel aus Pommern dafür genommen, die nicht rechts noch links unterscheiden: »Bindet ihnen nur Stroh und Heu an die Arme,« schloß er, »prügelt ihnen die Taktik ein, das Genie wird nur geboren.«

Tiraden der Art bewegten mich nicht, denn wenn ich gleich Lust verspürte, Soldat zu werden, so war doch immer der Hauptgedanke das Pferd; ein Infanterist war mir sehr gleichgültig und seit Gottlieb einer geworden, sogar ein widerwärtiger Gedanke. Aber der Signor Caseri konnte auch mit mehr Ernst reden, und sein Raisonnement drang dann tiefer ein!

Schon damals lief es wie eine Ahnung gerade durch das Volk, daß aus dem Prinzen mit den großen blitzenden Augen, der selbst der zornigen Majestät seines Vaters auf den Tod zu trotzen gewagt, etwas Besonderes herauskommen werde. Die Lobredner der Vergangenheit befanden sich nur unter den gebildeten Ständen, wie wenig auch der selige König der Bildung hold gewesen war. Das Volk erwartete etwas Neues, und wie bald sollte aus diesem Keim gläubiger Begeisterung für ihren Liebling der mächtige Baum des preußischen Patriotismus erwachsen, unter dessen Schatten Friedrich die Angriffe seiner Legionen Feinde erwartete. – Aber Caseri wollte die Volksmeinung nicht teilen. Dem Südländer war die Ordnung, die Kontrolle, die Vernunft, die Mäßigung zuwider, die leidenschaftlose Abwägung zwischen Vergehen und Strafe. »Man schläft ein,« rief er »vor Frostigkeit und Langeweile, wenn nicht die Trommel zuweilen weckte. Blut, es fehlt Blut in diesem Staate von gestern.«

So äußerte sich der Italiener in seinen vernünftigen Stunden, wenn er die Grimassen abgelegt hatte. Dann verbreitete er sich nicht ohne Scharfsinn über das Militärwesen und nannte Preußen ein Soldatenreich und den König einen Soldatenkönig, der in der Verlegenheit wäre, nicht zu wissen, was er mit seinen Soldaten, beschützen sollte. Das Königreich wäre ein Körper, der in seinem Staatskleide sich verkröche, und um das Kleid immer zu vergrößern und prächtiger zu machen, müßte der Leib drinnen hungern und darben, bis er die Schwindsucht kriegte. Der zweite Friedrich war ihm nur eine Fortsetzung des gestorbenen Soldatenkönigs, vielleicht auf eine andere Manier, aber es liefe doch alles auf eine Parade aus. Die großen Augen machten noch kein großes Herz, und der kleine Leib des Thronfolgers habe so wenig Feuer als der große des Thronlassers Geist! Mit diplomatischen Kniffen und Pfiffen und prächtigen Manövern werde er vielleicht in der Not des römischen Reichs, seines um drei Meilen Sandboden vergrößern, aber deshalb werde Preußen noch kein großes Land und er kein großer König. Er sprach unserer dürftigen Natur geradezu die Möglichkeit ab, etwas Großes und Ausgezeichnetes zu produzieren. Die Schlacht bei Fehrbellin nannte er ein Reiterscharmützel und den Kurfürsten Friedrich Wilhelm auf der langen Brücke nur groß im Erz, weil das Erz im Schmelzofen geglüht; ehe wir nicht alle in einem solchen Schmelzofen gelegen, könne nichts Tüchtiges aus uns werden.

Es wurde ihm nicht schwer, den dürftigen Gedankenkreis eines Bürgers von damals so zu schildern, daß mich selbst vor meiner Zukunft ein Grauen überkam. Mit Kummer und Not zu arbeiten und mit Kummer und Not zu studieren, um mit Kummer und Not zu leben ohne Genuß, Rausch, Erhebung! Ich fühlte ganz die Trostlosigkeit eines so langen mühseligen Weges ohne ein Ziel, der wechsellosen Einförmigkeit ohne eine erfrischende Aussicht. Ich lauschte auf seine Schilderungen wie unsere Eltern auf die Schlange: die Weinreben an den Ulmen, die duftenden Goldorangen, die kühlenden Quellen im Sonnenbrande, das laue Meer, purpurn und vom Zephyr gewellt, es waren Erinnerungen aus dem Paradiese, von dem wir ausgestoßen waren. Er schilderte die Völker und die Länder, nach denen auch die Susanne seufzte, und wo unsere Eltern schliefen. Ich hörte ihn so gern stundenlang erzählen, und nur wenn er auch über unseren protestantischen Gottesdienst spöttelte, über die traurigen Choräle, bei denen man nicht wisse, ob man weinen oder einschlafen sollte, über die krächzenden Stimmen der Spitalweiber, den polternden Schwarzrock auf der Kanzel, erwachte der Argwohn, ob denn das alles wahr sei!

Indessen merkte man mir bald die Wirkungen der neuen Lehrstunden an. Der Inspektor sah mich groß an, als ich einmal bei den Heldentaten der Athenienser tief aufseufzte, und, um den Grund gefragt erklärte: es sei, weil wir doch nie Athenienser und Spartaner werden könnten. Warum denn nicht, fragte er. Ich antwortete: Weil die Sonne nicht hell und warm bei uns schiene, weil der Horizont voll Wolken und Dunst hänge, der Boden unfruchtbar sei, weil wir eine dürftige Natur hätten; keine Leidenschaften und kein Blut in unserem Leibe! Krause Bruchstücke aus den Tiraden des Signors. Der Inspektor sagte, ich sollte unbesorgt sein, das Blut würde schon kommen, und wenn die Leidenschaften ausblieben, sei das recht gut, die Oheime und der Vater schüttelten aber den Kopf. Auf die Quelle, aus der diese Phantasien entsprängen, fiel indessen keiner, denn Caseri war dabei ein schlauer Fuchs, der gegen meine Verwandten ganz anders sprach als gegen mich. Bei ihnen nannte er mich einen träumerischen Jungen, bei dem seiner Zeit die Vernunft schon durchbrechen würde; man solle mich nur fleißig in die Kirche schicken und zur Zucht und Ordnung anhalten.


 << zurück weiter >>