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Sechstes Kapitel.
Die Gesellschaft

Der ungarische Überläufer war eine neue Sonne, die im Alltagsleben des Schlosses und seiner militärischen Bewohner aufging. Sie zog alle Blicke an. Noch am selben Abende hatte ein Husar sein Anstellungspatent überreicht, und seine Krankenstube wurde nicht leer von Offizieren, welche dem neuen Kameraden die Hand schütteln wollten. Hatte doch selbst Prinz Heinrich beim Durchmarsch den patriotischen Deserteur sich vorstellen lassen und, wie zur Entschädigung, daß Friedrich ihm den Rücken gedreht, ihm auf die Schulter geklopft und geäußert, er solle wegen der entgangenen Lorbeern unbesorgt sein, denn um den Siegeswagen seines unsterblichen Bruders in die Remise zu ziehen, brauche es bei den immer schlechteren Wegen noch gute Zeit und tüchtige Arme.

Die Besuche und Komplimente wurden dem schnell Genesenen lästig; er meinte, wenn Männer von Soldatenehre ihn als Wunder anstaunten, deute dies an, daß man seine Tat als außer dem Kreise der Soldatenehre betrachte. Man nannte ihn einen Grübler. Schon am folgenden Tage suchte er Beschäftigung und exerzierte mit der Binde am Arm. Sein Ruf als Sonderling war fertig, als er die abendlichen Tabakskonvivien vermied.

Er kam eben von einem Ritt um die Vorposten zurück, als er am Saum des Fichtenwaldes auf eine reitende Dame, die Gräfin, traf. Beide hatten seit jenem Abende nicht zusammen gesprochen. Dennoch erröteten sie, als die Begegnung beide zwang sich zu grüßen und ein Gespräch nicht zu vermeiden war.

»Ich nehme Ihre Begleitung an,« sagte Eugenie, als er sie vor einsamen Spazierritten gewarnt in einer Gegend, welche von Marodeuren beider Teile durchstreift werde. »Man dürfte uns schon beim Abendessen erwarten.«

»Und ich, Komtesse, benutze den Moment, zu einer seltsamen Frage. Etwas Eigenes ist mir vorhin begegnet.«

Die Reiterin blickte ihn an. Gefällig den Kopf neigend, brachte sie ihr ungeduldiges Pferd in Schritt. Langsam ritten sie zusammen über die lange Heide, welche sie noch von den Wiesen des Parks trennte.

»Ich besichtigte am Nachmittag die Vorpostenreihe, als ein Düngerwagen mit vier Pferden im Trab durch die Pikettlinie fahren wollte. Die Husaren hielten ihn an, weil es ihnen sonderbar vorkam, – die vier Pferde, der Trab und ein Düngerwagen im Herbst. Sie disputierten mit dem Kutscher, der, als er mich gewahrte, meine Interzession anrief. Der Unteroffizier wollte ihn nicht durchlassen, weil das Fuhrwerk nach Äckern fuhr, die in des Feindes Bereich liegen, der Kutscher meinte nach Witzart der Leute, wenn er den Österreichern nichts anderes zuführe als Mist, so könnten sich die Herren Preußen das gefallen lassen. Während der ehrliche Brandenburger mir ehrerbietig auseinandersetzte, daß auf seines Vaters, des Schulzen, Gute nur im Frühjahr gedüngt werde, benutzte der Mensch die Zeit, peitschte seine Pferde an und war, einige derbe Flüche zurücklassend, mit seinem Mistwagen jenseits der Brücke. Der ernsthafte Streit hatte mir ein Lächeln entlockt, und dies Lächeln mochte dem Unteroffizier für eine Entscheidung gelten, daß seine Forderung zur Ungebühr sei und er zog sich respektvoll zurück. Mich jedoch trieb nach einer Weile die Neugier nachzusprengen und just kreuzte ich dem Gespann den Weg, als ein Mann sich daraus herausarbeitete, über die Räder sprang und querfeldein ins Buschwerk lief. Ich rief halt! und er hielt nicht – ich setzte ihm nach – er warf den Oberrock fort – ich hätte ihn doch eingeholt, hätte ihn nicht ein Busch von Knieholz aufgenommen und darüber zeigte sich ein feindliches Pikett. – Als ich zurückkam, war das Fuhrwerk verschwunden. Den Kutscher aber hatte ich erkannt, er trägt sonst Ihre Livree –«

Er hielt inne und blickte die Gräfin an. »Sie finden mich auf dem Wege nach dem Schlosse, um zu rapportieren. Es freut mich, Komtesse, ehe jemand etwas davon erfahren, Sie, Gnädigste, fragen zu können, ob es meine Pflicht ist?«

Sie ritt schweigend, den Blick zu Boden, eine Weile neben ihm, dann hielt sie ihr Pferd still und fragte rasch: »Haben Sie sich des Namens entsonnen, den Ihr Wohltäter Ihnen schrieb?«

» Ich habe,« entgegnete er.

»Und Sie achten nicht für Pflicht, ihn dem preußischen Befehlshaber zu entdecken?«

»Nein, Komtesse,« sagte er nach einigem Zögern.

»Wenn Ihnen dies unnütz scheint, so versichere ich Ihnen auf mein Wort, es verlohnt sich nicht, von diesem Vorfall Redens zu machen. Der Entsprungene ist ein ganz unbedeutender Mensch und sucht nur seine Haut zu retten. Ihr König hat von ihm nichts zu fürchten.«

»Sie beruhigen mich,« entgegnete der Offizier, und das kaum begonnene Gespräch schien wieder zu Ende, während noch ein langer Weg vor ihnen lag und doch keiner das Pferd in Trab brachte, ihn schneller zurückzulegen. Die Gräfin fühlte zuerst, daß es an ihr war zu reden.

»Unsere Lage ist seltsam, aber mich dünkt, sie fordert um so mehr Vertrauen. Wir kamen uns beide damit entgegen, wir dürfen nicht auf halbem Wege stehen bleiben. Aus meiner Frage mögen Sie abnehmen, daß ich Sie nicht mit den übrigen verwechsele. Ohne in Bekenntnisse einzugehen, welche Sie billigerweise von mir nicht fordern werden, kann ich doch versichern, die Sache ist längst abgetan und beendet. Die flüchtige Person soll nichts weniger als eine neue Intrige einfädeln, sie ist nicht mehr als der auslaufende Faden eines längst fertigen Gewebes, den man abzuschneiden vergaß, weil das Gewebe selbst schon zerrissen wurde. Die eigentlich Intrigierende fühlt die tiefste Reue, die Gesinnungen haben sich geändert, und es war vielleicht niemals rechter Ernst.«

»Gott sei Dank! Mein Rapport unterbleibt!«

»Erlauben Sie mir jetzt eine Frage,« sagte mit heiterer Miene die Gräfin. »Woher dies Vertrauen, dies wiederholte Vertrauen? Ein Verehrer des Monarchen, der um ihn so viele Rücksichten überwand, müßte argwöhnischer für das Wohl dieses Königs wachen und mehr Bürgschaft fordern, als die Versicherung einer Dame.«

»Gnädigste! Der Argwohn hat mit einer Husarennatur nichts zu tun. Der Entschluß wächst nicht wie das Saatkorn; er wird gestiefelt und gespornt geboren wie die Göttin Minerva. So tat ich, was ich getan habe. Aufs Lauern kann ich mich nicht legen, und für die Diplomatie, in deren Vorschule mein Pflegevater mich schickte, bin ich verloren. Da verlaß ich mich am liebsten auf meinen Blick, auf mein Pferd und meinen Säbel. Alle drei und der Entschluß dazu, fehlten noch nie, wenn es not tat.«

»Das möchte gut sein, wo Sie für sich stehen. Aber wo die Pflicht mitredet!«

»Die Pflicht, Komtesse, ist ein gut dressiertes Pferd. Es kommt auf den Reiter an, ob er galoppieren will oder im Schritt reiten.«

»Doch wenn das Wohl von Fürst und Vaterland im Spiel ist! Sie entsannen sich des entfallenen Namens, Ihr Blick muß so manches hier entdeckt haben, der Mensch, den Sie aus dem Wagen springen sahen, könnte doch dem Feinde neue Anschläge überbringen. Die Art seines Entkommens, vielleicht auch meine Anwesenheit hier, – ich begreife doch Ihre Ruhe nicht, wenn Sie nicht mehr sind, als Sie scheinen wollen.«

»Sie meinen ein Spion. Und doch, Komtesse, ich wette darauf, Sie halten mich nicht dafür.«

»Ihr Vertrauen ist schmeichelhafter als meines.«

»Ich vertraue auf Friedrich. Laß sie doch alle Kräfte an ihm versuchen. Stirbt der Salamander im Feuer, geht Luft im Wasser unter? Die Kohlen, die sie anlegen, um ihn zu verbrennen, mögen Blei schmelzen, aber er ist der Diamant, der andere Hitze verlangt. Fängt man einen Geist mit Händen?«

»Aber Friedrich ist unvorsichtig.«

»Dafür wachen gute Genien über ihn. Zum Beispiel hier im Schloß.«

»Wer ist das?«

»Die Dame, welche mich ihres Vertrauens würdigt.«

»Mein Herr, ich bin eine Sächsin.«

»Und doch Friedrichs glühende Verehrerin.«

»Wer hat Ihnen das hinterbracht?«

»Ihr schönes Auge, dürfte ich sagen, wenn nicht hundert Stimmen es mir zugleich zugerufen hätten.«

»Auf diese hundert Stimmen wäre ich neugierig, die auf unserem Schloß Vertraute meiner Geheimnisse sind!«

»Eine Dame kann doch niemals die Politik lieben.«

»Deshalb brauchte die Dame nicht die Partei des Gegners zu nehmen.«

»Damen nehmen für jeden Partei, der Unrecht leidet.«

»Für das Mitleid würde Ihr König danken.«

»Aber nicht für das Mitgefühl. Komtesse, Sie können Friedrich nicht feind sein; ich wollte ihn in Ihr Haus einquartieren, Ihnen die Schlüssel und das Kommando übergeben und mich ruhig schlafen legen.«

»Man hält Sie, Herr Stephanek,« entgegnete die Gräfin nach einer Weile, »wie ich höre, für einen phantastischen Wagehals. Ich meine, man tut Ihnen unrecht. Sie sind doch nicht so ganz für die große Staatskunst verloren, der Sie eben den Stab brachen, und müssen etwas tun, um den Verdacht von sich zu wälzen; ich halte Sie doch sonst für nichts mehr und nichts weniger, als hergeschickt, um unsere Gesinnungen auszuforschen.«

»Ist es so schwer, in der Nacht die Sterne zu entdecken,« erwiderte er.

Die Gräfin schwieg. »Ich wünschte, Sie fänden in Ihren neuen Verhältnissen alles, was Sie erwarteten.«

»Die Nacht, Komtesse, wechselt überall mit dem Tage. Der Mensch ist sich selbst alles, drüben wie hier. Scharfe Augen, ein rascher Arm, ein schneller Entschluß ist die beste Kameradschaft für den Mann. Die Ehre ist die Sonne, die jeder in sich trägt, und das andere sind gute Leute, die entweder würfeln, Karten mischen oder die Flasche lieben. Es muß auch sein, daß nicht alle Sterne Licht geben, es wäre zu hell in der Welt. Je bunter das Gemisch, um so besser ist sie.«

Sie waren in die große Parkallee eingeritten. Aus dem hellerleuchteten Schlosse tönte ihnen schon der Lärm der zum Abendessen versammelten Gesellschaft entgegen.

»Wie ist Ihnen zumute vor einer Schlacht?« fragte plötzlich die Gräfin.

»Da ich nicht glauben kann, daß die schöne Komtesse an meinem Mute zweifelt, so erlaube ich mir zuvor die andere Frage: wie kommen Sie gerade auf diese?«

»Bei den vielen wohlfrisierten Köpfen, die ich da oben am Fenster sehe. Ich zweifle an der Bravour keines einzigen unter ihnen. Da ich sie aber nie anders gesehen, vor und nach den Bataillen, immer in ein und derselben Stimmung, die sie Courage nennen, so zweifle ich, daß sie das besondere Gefühl kennen, welches ich mir unter dem Mut vorstelle. Den Moment, wo alle schlummernden Kräfte der Seele geweckt und zur Empfindung werden, wo das Leben schwimmt in seiner höchsten Lust und seinem höchsten Schmerz, ein Segel auf sturmbewegtem Meere, ein Druck des Fingers, der Blitz der Lunte über Sein und Vergehen entscheidet. Es muß ein göttlicher Rausch sein, so aus dem Alltagsleben entrückt werden.«

»Das sind nicht die Soldaten, mit denen Friedrich seine Schlachten gewinnt.«

»Ich glaube es Ihnen; ich würde auch schlecht unter Friedrichs Fahnen taugen.«

»Subordination, Kaltblütigkeit, Ausdauer! sind die Losungsworte.«

»Und wo bleibt der Mann?«

»Er ist das Glied zum Haupte. Der eine Kopf vertritt ihn.«

»Und die armen anderen –«

»Können sich unter die Husaren retten, wo noch einige Verwandtschaft vom Rittertum blieb.«

»Es ist eine Ungerechtigkeit, daß nur einer denken, einer fühlen soll,« fuhr die Gräfin nach einer Weile wärmer fort. »Wer nun auch denkt, auch fühlt! Wer richtiger dächte, wahrer fühlte, und das kalte Wort Subordination erstickt den frischen Lebenshauch.«

»Sie predigen Rebellion, Komtesse. – Doch glauben Sie mir, es lohnt sich nicht, eine Republik in die Welt einzuführen. Nicht im Norden, nicht im Süden. Ich sah die Perücken in Venedig und Genua; sie pudern sie hier und dort mit gleich viel Mehlstaub, ohne daß ihr Kopf darum weiser und größer wird.«

»Sie mögen recht haben,« sagte die Gräfin. »Ich fragte Sie vorhin, mit welchen Gefühlen Sie in die Schlacht gehen?«

»Die Lust zum Sterben hab' ich noch nicht empfunden. Dazu muß man nach meiner Meinung an der Ehre gekränkt, übersättigt sein, oder – unglücklich lieben.«

»Unglückliche Liebe macht gute Soldaten. Die Fürsten sollten das wissen!«

»Ich glaube, ein glücklich Liebender ist doch ein besserer Soldat,« entgegnete er.

»Unter welcher Fahne dienen Sie?«

»Die Glücklichen sind stets die Minderzahl. Die beneidenswerten Plätze sind immer besetzt, und wir andern warten zwischen Hoffnung und Pein, bis ein Vordermann fällt.«

»Sie dienen also auf Avancement,« entfuhr es schalkhaft ihren Lippen.

Sie waren ans Hoftor gekommen. Die Gräfin ritt etwas vor. »Ich wünsche, daß Sie bald zur Schwadron kommen,« sie nickte dem jungen Offizier zu, was einen gnädigen Abschied, und daß er zurückbleiben solle, bedeuten mochte, gab ihrem Pferde einen Gertenschlag und sprengte in den Hof. Dort war indessen kein Domestik zu sehen. Sie ritt noch ungeduldig auf dem Pflaster umher, als der Begleiter, so langsam er sich auch gezwungen ihr zu folgen, durch das Tor kam. Doch hatte man sie jetzt in den oberen Zimmern bemerkt und Offiziere stürzten die Treppe herunter. Im Augenblick wandte sie ihr Roß zum vorigen Begleiter. Er war wie der Blitz aus dem Sattel, half der Gräfin aus dem Steigbügel und wollte sich ehrerbietigst beurlauben, indem er beide Pferde am Zügel faßte.

»Das Geschäft können Sie dem Stallknecht überlassen,« sagte sie.

Ein Stallknecht war herangestürzt und empfing die Zügel.

»Ich empfehle mich zu Gnaden,« sagte Stephan, als wollte er den Wink nicht verstehen und verbeugte sich vor der Gräfin, während einige jüngere Offiziere, unter ihnen der Rittmeister, heran eilten, die Heimkehrende zu empfangen.

»Sie eilen fort?«

»Den Glücklicheren Platz zu machen,« sagte er leise.

Der Rittmeister war so nahe, um der Gräfin seinen Arm anzubieten, aber sie hatte sich schnell zu Stephan umgewandt: »Ich hatte meinen Begleiter schon ersucht, mich in die Gesellschaft zu führen.« Der Reitknecht hielt die Zügel, Stephan ohne zu wissen, wie es gekommen, den Arm der Gräfin und der Rittmeister die Mähne des Pferdes, man meinte, um der voreiligen Bewegung seines Armes ein Ziel zu geben.

Die Offiziere folgten ihrer Wirtin die Treppe hinauf. Der Rittmeister setzte sich verstimmt unter die Trinker am Ende, während die Gräfin ihren Begleiter neben sich an der obern Tafel Platz nehmen hieß. Sie war aufgeräumter als gewöhnlich, sie wußte die Stabsoffiziere, den Grafen, Stephan, in ein Gespräch zu verwickeln, und über das mögliche Avancement des letzteren scherzend, die Verstimmung schnell zu verjagen, welche sich hier und da auf den Gesichtern über die ungebührliche Erhöhung des Leutnants gezeigt. Eugeniens Vater faßte begierig das Thema, worauf die Tochter das Gespräch nicht ohne Absicht gelenkt hatte, auf, und ergoß sich mit dem Feuer weltmännischer Beredsamkeit in Lobeserhebungen der Regententugenden des Königs von Preußen. Wenn Stephan es noch nicht wußte, erfuhr er, was Friedrich in den achtzehn Jahren seiner Regierung für das Land getan, in dem er geboren worden.

»Ich habe ihn als Jüngling gesehen,« sagte der Graf, »an dem Tage, wo der goldene Reif ihm durch die Hand der Vorsehung auf die Stirn gedrückt wurde, welche jetzt der immergrüne Lorbeer schmückt, ich sah den Augenblick, wo zum ersten Male diese großen, geistreichen Augen vom Schloßaltan herab das Volk musterten, welches er zur Unsterblichkeit führen sollte.«

»Sie waren beim Thronantritt Seiner Majestät in Berlin?« fragte der General.

»Auf einer außerordentlichen Mission. Ich sah Ihren König jetzt wieder als Mann, als Helden, ihn, den die Welt verehrt, ohne ihn ganz zu schätzen; denn, kennte sie seinen Wert, sie hätte keinen Namen, um das Große und Vorzügliche, das er vereinigt, auszusprechen. Ich sah ihn wieder und es waren dieselben großen Augen, wie vor achtzehn Jahren; ich darf sagen, wäre es keine Blasphemie, es war derselbe wieder. Denn an die kleinsten Details des letzten Gesprächs, das ich mit dem erlauchten Monarchen die Ehre hatte zu führen, erinnerte er sich huldreichst, und ließ mich die Verblendung bedauern, die unser Land in die Reihe der Feinde des Außerordentlichen versetzt hat.«

»Amen!« sagte eine Stimme, wie ein Stoßseufzer, man wußte nicht, von woher sie kam.

»Unser junger Landsmann wird seine Vaterstadt sehr verändert finden,« bemerkte der General; es war der Jüngere, der sich ihm so geneigt beim Ehrengerichte gezeigt hatte. »Sie bleiben uns für ein andermal Ihre Jugendgeschichte schuldig. Wie alt waren Sie, als Sie Berlin verließen?«

»Neun Jahre.«

»In der Zwischenzeit kann man viel vergessen haben,« sagte der Graf, »auch vergessen worden sein. Es prätendiert jetzt so mancher ein Preuße zu sein, dem es schwer würde den Beweis zu führen, wenn man danach fragen wollte.«

»Es hat auch nicht jeder ein Recht dazu,« warf Stephan schnell hin.

»Für unsern jungen Gast wollte ich stehen, daß er ein Berliner ist,« sagte Amelie.

»Wie das?« fragte man, zu Stephans Unlust ein Gespräch verlängernd, welches er durch seine scharfe Entgegnung gern abgebrochen hätte.

»Die Berliner gelten für Menschen mit scharfen Zungen, gern und an allem krittelnd, nirgends zufrieden; ihnen gefällt nichts als ihr Witz –«

»Habe ich vielleicht die Ehre eine Landsmännin zu begrüßen?« fragte Stephan sie unterbrechend.

»Um Vergebung, Herr Leutnant, Sie ließen mich nicht ausreden. Die Berliner haben noch eine Eigenschaft; sie sind im Grunde gutmütige Geschöpfe und nehmen es nicht übel, wenn man sie düpiert.«

Man lachte.

»Es ist gut, Herr Kamerad,« sagte der kleine Kapitän, »daß man sich mit den Damen nicht zu schlagen braucht.«

»Frauen, Kinder und Narren!« brummte der Obrist vor sich hin.

»Ich erinnere mich,« sagte der Graf, »daß besonders die Gassenbuben in Berlin von einer Unverschämtheit ohne Gleichen sind. Es ist eine Brut, die wie Kletten aneinander hält, mit Sottisen bereit anzufangen und mit Trotz und Drohungen zu enden. Ich hatte selbst eine Affäre auf den Straßen Ihrer Residenz, welche einem Fremden eine schlechte Vorstellung von der Polizei geben könnte, wenn nicht Friedrich seitdem eine bessere eingeführt hätte.«

»Doch liebt der König das Wesen der Jugend,« bemerkte der General, »ihn freut es, wenn sie vor seinem Schimmel herlaufen, schreien, die schmutzigen Mützen schleudern und sich an seine Stiefel hängen.«

»Gnädigster Onkel!« sagte das Fräulein, »es wäre nicht so übel, wenn man nach Dresden eine Portion von diesen Straßenjungen mit den mokanten Physiognomien verschriebe. Sie brächten doch etwas Munterkeit in die Gassen, wo man jetzt nichts als die faulen, dicken Läufergesichter und die breitschultrigen Portechaisenträger sieht. Die Leute bei uns sind mir viel zu freundlich.«

»Das würde sich schon finden,« murmelte der Leutnant Strach, »wenn wir nur länger kantonieren.«

»Aus Berlin,« bemerkte Oberst Klippfisch, »kommen meine besten und meine schlechtesten Leute. Durchgelaufenes Gesindel, Kerls, die über einen glimmenden Balken klettern, um einen vergessenen Scheuerwisch zu holen, Marodeure, Räsonneure, aber auch Bursche, mit denen sich was anfangen läßt, die habe ich alle von den Berliner Straßen aufgelesen.«

»Nicht auch aus den Zuchthäusern?« fragte der Kürassiermajor.

»Ich frage nicht nach Taufschein und Stammbaum.«

»Der morgen laufen wird, scheint mir auch eine Berliner Nase zu tragen. Nicht, Klippfisch?« sagte der General.

»Er soll guter Eltern Kind sein, wie seine Kameraden sagen. Aus dem tückischen Kerl ist nichts heraus zu kriegen.«

»Ein fatales Gesicht.«

»Sobald es vorwärts heißt, Herr General, ist er doch so frisch drauf, wie ich's noch von keinem Milchbart weiß, der doch seine sechzehn vor ihm vertreten muß.«

»Zum Korporal hat er sich doch nicht qualifiziert.«

»Ist ein zu trotziger Taugenichts, Herr General. Er will nicht.«

»Schon wieder eine Exekution!« sagte die Gräfin.

»Es trifft sich gut, daß unser junger Kamerad morgen gleich ein Exempel von unserer Disziplin bekommt,« bemerkte der Major.

»Spießruten!« rief Stephan.

»Wenn sie nur nicht falsch zuschlagen,« sagte der Hauptmann. »Das fürcht' ich immer. Er hat eine Art Ansehen bei der Kompagnie.«

»Aber auch ebenso viel, die's ihm gönnen,« entgegnete der Obrist.

»Lassen Sie nur die Ruten vorher visitieren, daß die Kerls sie nicht überm Daumen einknicken.«

Ein Blick des alten Obristen sagte, daß er dafür sei. Man forderte den Neugeworbenen auf, nicht zu fehlen.

»Ich ersuche Sie, mich zu dispensieren,« entgegnete dieser. »Wer sollte an der Trefflichkeit der preußischen Disziplin zweifeln! Allein ich habe einen Abscheu vor Exekutionen, ich muß Ihnen sogar ein Bekenntnis ablegen, das sonst einem Soldaten nicht gerade Ruhm bringt, mich überkommt eine Angst, wenn meine hohen Offiziere und braven Kameraden es mir vergeben wollen, ich zittere selbst. Es wird sich geben: aber lassen Sie mich lieber erster Zeuge einer großen Waffentat werden, als Zeuge einer großen Züchtigung.«

»Ein so braver Offizier, wie kommt das?«

»Das klebt am Husaren,« sagte der Kürassiermajor. »Wer mit dem krummen Säbel agiert, verliert die Routine mit der Fuchtelklinge. Ich bin immer fürs Grade.«

»Mein Widerwille ist älter als der Husar. In meiner Eltern Hause wurde, nach der Sitte jener Zeit, allzuviel zum Besten der Erziehung geprügelt.«

»Es waren doch gute Zeiten sonst,« sagte das Fräulein mit andächtiger Miene. »Wer auch solche fromme Erziehung genossen hätte, nicht wahr, liebe Komtesse?«

»Versäumtes läßt sich leider nicht nachholen, liebe Freundin,« entgegnete die Gräfin.

»Wenn ich von dem Erfahrungsschatz aus meiner Jugend mitteilen könnte,« äußerte Stephan, »die Disziplin eines ganzen Regimentes ließe sich, glaube ich, damit herstellen.«

»Da muß Ihre Jugend äußerst interessant gewesen sein,« warf die Gräfin hin.

»Warum sind Sie denn eigentlich Ihren lieben Eltern fortgelaufen?« fragte das Fräulein, vielleicht durch den halb satirischen Ton der Gräfin aufgemuntert. Stephan fühlte sich unangenehm berührt. Ein zürnender Blick Eugeniens strafte die Fragerin.

»Ich weiß den Kreis, in den das Glück mich geführt, zu wohl zu schätzen, um den zarten Sinn der Damen durch unangenehme Bilder zu beleidigen.« Sein Stich galt nicht allein dem Fräulein, die Offiziere hatten, ohne die Gegenwart der Damen zu berücksichtigen, sich in eine lebhafte Diskussion über die Fuchtelklinge eingelassen.

»Ohne Blei in der Spitze ist sie keinen Heller wert,« ereiferte sich der kleine Hauptmann.

»Wozu Blei! Wer die Hand ordentlich geübt hat, schlägt auch so herum,« entgegnete der Kürassiermajor. »Mit dem Pallasch, wenn ich gut aushole, komme ich um den dicksten Rekrutenleib.«

»Aber es schwappt nicht,« rief der kleine Hauptmann mit einer Armbewegung, als wolle er das Experiment versuchen.

Die Gräfin war schnell aufgestanden, die Serviette auf den Tisch werfend.

»Sie entfliehen uns?«

»Ich bin besorgt, die Klinge könnte auch einmal den Leib einer Dame treffen,« sagte sie und ging. Die Gesellschafterin folgte ihr, Stephan im Vorübergehen freundlich zunickend: »Ein andermal hören wir doch Ihre interessante Erziehungsgeschichte?«

Der neue, preußische Offizier hatte wenig Achtsamkeit auf das Gespräch, nachdem die Damen sich entfernt. Es drehte sich um den Übeltäter, welcher morgen seinen Lohn dahin nehmen sollte. Der Graf interessierte sich dafür, denn der Soldat hatte Exzesse im Dorfe begangen.

»Bei dem tückischen Charakter des Menschen, wer, meine Herren, bürgt mir, wenn er die Promenade ausgehalten, vor seiner Rachsucht?«

»Vors erste, Herr Graf, wenn er's übersteht,« erwiderte der Obrist, »so liefern wir ihn ins Lazarett, wo er so bald nicht wieder an ein Aufstehen denken soll.«

»Er hat baumstarke Glieder!« sagte der Graf.

»Demnächst,« beruhigte ihn der General, »sehen wir großen Affären entgegen, wo der fünfte Mann fallen kann. Wer sagt Ihnen nun, daß er gerade einer von den anderen vieren sein wird?«

»Die Kugeln kann man doch nicht invitieren.«

»So wenig als evitieren, Herr Graf. Überdies und wenn er auch leben bleibt, so gibt es Hin- und Hermärsche nach Pommern und Schlesien. Er kann ebenso gut aus Strapaze stürzen, ertrinken und in Sibirien und Temeswar schaufeln, als wieder in Ihr Dorf kommen. Unter tausend Möglichkeiten ist kaum eine, daß er Ihnen wieder vor Augen tritt.«

»Der Zufall, meine Herren, ist der gefährlichste Feind! Er reißt sich einmal los und ist wieder da, eh' wir es uns versehen.«

»Was hat der Soldat verbrochen?« fragte Stephan.

»Auch trauen Sie einem rohen Gemüte allzuviel Plan zu,« bemerkte lächelnd der General. »Ein Mann von Ehre und ein Marodeur sind verschieden. Die Beleidigung ›fleckt nicht‹ nach unserer brandenburgischen Sprache bei rohen Burschen der Art.«

»Doch, Herr General, weiß man von Verbrechern, die, zwanzig Jahre in Ketten und Eisen, die Person nicht vergaßen, welche sie der Polizei verriet. Gerade das Gemüt des rohen Menschen, das in keinem Wechsel der Beschäftigung geistige Zerstreuung findet, haftet desto fester an dem Gedanken, der ihm einmal aufgegangen.«

»Gewiß will der Geist Nahrung so gut wie der Leib,« bemerkte Stephan, »und je dürftiger er ist, um so fester klammert er sich an das aufgefundene Körnlein.«

»Sie kennen noch nicht unsere Soldaten, mein trefflichster junger Kamerad,« rief lachend der Kürassiermajor. »Zum Zuschlagen sind sie gut, aber dazu taugen sie nichts! Mord und Wetter, wenn meine Dragoner sich aufs Denken legen wollten!«

»Es werden doch Menschen sein, Herr Major.«

Man lachte. Der junge Rittmeister hatte sich dem Klub der Sprechenden genähert. »Wenn Tücke und Verschmitztheit das Denken ausmachen, mein' auch ich, die Leute sind treffliche Denker; aber ich halte es mit dem Major, wenn er meint, daß man sie nie dazu muß kommen lassen. Ich halte es für ganz unrecht, daß zuweilen ein Avancement von der Pike stattfindet.«

»Es kommt ja selten genug,« brummte der Obrist.

»Besser niemals,« fiel der Rittmeister ein, »es nützt den Leuten nichts, und das gerade verführt zum Gedanken, aus ihnen könnte etwas Besseres werden als sie sind. Hören sie jemals auf, den Stand als etwas zu betrachten, was für sie unerreichbar ist, so ist es mit dem Respekte aus.«

Der alte Obrist war mit einer Verbeugung gegen den General aufgestanden und trat vor den Redner: »Mein Herr Rittmeister, haben Sie keine Sorge. So wenig der liebe Gott uns erlaubt aus Blei Gold zu machen, werden die Leute, die er hat geboren werden lassen, da sie da unten stehen, Ihnen, der Sie da oben stehen, über den Kopf wachsen. Aber so schlecht sie sind, Menschen sind's doch, und auch der Kerl, den sie morgen aufs Blut peitschen werden, 's ist doch kein unvernünftiges Tier, daß er sich nicht fragen darf: warum ließ mich der liebe Gott geboren werden, die Muskete zu tragen und Kommißbrot zu essen und den vornehmen Herren, um das Portepee zu tragen und Wein zu trinken? Der Kerl ist grundschlecht und verdorben, das ist wahr, aber ein Mensch ist er doch, und es ist kein Mensch so schlecht, daß er nicht im Leibe eine gute Seite hat. Der zum Exempel ging nie über; die Werber mochten bieten, so viel sie wollten, ich konnte mich auf ihn verlassen. Wenn Seine Majestät den Hut rückt vor jedem schlechten Bauersmann, der ihn grüßt, so mein' ich, Herr Rittmeister, Sie hätten's nicht not vor den Leuten vorbei zu sprengen, als wären sie nicht auf der Welt. Die braven Kerls sind jeden Tag bereit wie Sie ihr Blut für Friedrich zu vergießen, und sie haben das Leben, ob sie nur Kommißbrot eßen, just so lieb als wir. Darum mein' ich, Herr Rittmeister, wenn Sie an den Schirm griffen und einmal nickten, der arme Schelm da unten dächte drum noch nicht mit Ihnen Brüderschaft zu trinken.«

Eine flüchtige Röte zuckte über das Gesicht des Rittmeisters und eine spitze Antwort schwebte auf den Lippen, als der General sich zum Grafen neigend das Zeichen zum Aufbruch gab. Der General nahm den Obristen, der Graf den Rittmeister an die Hand. Die Gesellschaft trennte sich.


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