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Achtes Kapitel.
Das Geständnis

Beim Mittagstische wurde das Gespräch nicht lebendig. Der General fehlte, der Graf war verdrießlich. Eugenie hatte sich entfernt von Stephan am oberen Tafelende gesetzt und sprach wenig. Die Unterhaltung kehrte immer wieder auf den traurigen Vorfall am Morgen zurück, wie viel man sich auch Mühe gab, sie auf heitere Gegenstände zu leiten. Amelie saß Stephan gegenüber, aber während der ganzen Tafel hatte sie nur einmal das Wort an ihn gerichtet. Es war die wichtige Frage: ob der Schneider ihm Hoffnung gemacht, noch heute seine schwarze Husarenuniform zu erhalten? Beim Dessert spielte sie mit Brotkügelchen und wußte die Aufmerksamkeit des Husarenleutnants zu ihrer Linken und des Rittmeisters zu ihrer Rechten auf gleiche Weise zu fesseln.

»Worauf würfeln Sie, Fräulein?« fragte der Rittmeister.

»Still, still! Die Entscheidung ist zu wichtig.«

»Die Fünfe kommt nicht gerade heraus.«

»Selbst die Brotkrumen sind diplomatisch! Es liegt mir so viel an der Antwort.«

»Versuchen Sie, meine Schönste, ob Ihren lebendigen Nachbarn nicht ein besserer Orakelspruch abzupressen ist.«

»Nein, Herr Rittmeister. Ich liebe mehr die Orakel, die ich unter meinen Händen habe.«

»Wenn wir uns nun unter Ihre schönen Hände geben.«

»Dann kommt doch nichts Gescheites heraus. Ich will nämlich wissen, ob etwas möglich ist, und einem schwarzen Husaren, das weiß ich schon, ist immer alles möglich.«

»Halt, mein Fräulein,« rief der Leutnant, »eine kerzengerade Fünf!«

»Es ist doch unglaublich,« sprach sie, die Hände übereinanderschlagend.

»Was ist unglaublich?«

»Neugierig sind Sie wie ein Frauenzimmer. – Ich las vorhin eine italienische Novelle. Sie interessierte mich. Aber die Katastrophe kam mir ganz unnatürlich vor. Stellen Sie sich vor: es sind zwei Liebende, beide lebhaft, sogar feurig. Ihnen stellen sich tausenderlei Schwierigkeiten in den Weg, unter anderen auch, daß sie beide zu stolz sind, sich ihre Neigung zu gestehen. Endlich bringt man's dahin, daß sich beide treffen – morgens ganz früh, in einer einsamen Laube. Alles fängt scharmant an, denn er und sie sind warm und weich gestimmt. – Der Himmel hängt voll Geigen vor ihnen. Da kommen sie auf einmal, Gott weiß wie, auf einen Haarbeutel zu sprechen. Sie findet das eine scharmante Tracht, er aber lobt den Zopf. Er findet den Zopf philosophisch, sie den Haarbeutel poetisch. Sie geraten sich in die Haare, ob die Poesie oder Philosophie besser ist, und ob ein guter Staatsbürger vernünftiger tut, einen Zopf zu tragen oder einen Haarbeutel? Sie werden ärgerlich, hitzig, kurz das Ende vom Liede ist, daß die beiden rechthaberischen Personen auseinander geraten, und aller schöner Anfang ist umsonst. – Nun frage ich Sie und mich und die Brotkugeln, ob das möglich ist?«

»Es mag wohl solche Leute geben,« sagte der Leutnant.

»Nein, es sind sonst gescheite Leute. Ach, und so liebenswürdig, meine Herren, es ist schade, daß Sie nicht italienisch verstehen, um es im Original zu lesen. Herr Stephan, Sie kennen wohl italienisch?«

»Ein wenig.«

»Halten Sie's nun wohl möglich, daß ein Liebhaber beim ersten Rendezvous seine Geliebte von Zöpfen, Philosophie und Staatskunst unterhält? Ich halte es für eine Satire des boshaften Dichters.«

»Es gibt boshafte Dichter und Dichterinnen.«

»Kriegen sie sich nachher?« fragte der Leutnant.

»Ich habe die Novelle noch nicht ausgelesen. Verdient haben sie es, meiner Meinung nach, nicht.«

»Der Liebhaber wenigstens auf keinen Fall,« sagte der Rittmeister. »Die Dame wird nicht das Gespräch darauf gebracht haben, also trägt er allein die Schuld.«

»Ich bin Ihnen sehr verbunden für die gute Meinung, die Sie von unserem Geschlecht haben, aber in der Novelle steht's nicht klar, und wie die Dame geschildert ist, trau ich es ihr ebensogut zu. Ich bin einmal eine liberale Advokatin unseres Geschlechts, ich teile die Schuld, ja ich möchte sie ganz auf das Konto der Dame schreiben. Ein Geliebter, der ist blöde, verlegen, er redet ins Gelag hinein, um nur etwas zu reden. Ihm kann man das nicht so übelnehmen, daß aber die gescheite Dame ihn nicht sogleich zurechtgeführt hat, ist unverzeihlich. Wozu sind die Frauen? Um die Männer zu erziehen, und dieser Dame würde ich nie einen anvertrauen.«

»Und den Liebhaber,« sagte der Rittmeister, »wenn er in meiner Schwadron Kornet wäre, wollte ich lehren, wie ein Kavalier mit Damen umzugehen hat.«

»Was meinen Sie dazu, liebe Komtesse?«

»In welchem Buche hast du die Novelle gefunden?«

»Im Boccaz, liebe Gnädigste,« entgegnete das Fräulein.

»Das soll ein sehr unartiger Geschichtenerzähler sein,« bemerkte jemand.

»Ei,« sagte das Fräulein mit frommer Miene, »wo etwas Unanständiges kommt, da überschlage ich gleich. Die Novelle sah mir aber gerade so moralisch aus, daß man sie in einem Buche für kleine Kinder aufnehmen könnte.«

»Ich halte sie für untergeschoben, weil es zu Boccaz' Zeiten noch keine Zöpfe gab,« sagte die Gräfin und winkte dem Vater, der, sich gegen seine militärischen Gäste verbeugend, die Tafel aufhob.

»Ich würde dir für die Folge raten, Novellen, die Kopfschmerzen verursachen können, nicht aufzusuchen,« sagte die Gräfin bei Amelie vorübergehend. Sie begab sich in ihr Zimmer, wohin ihr bald darauf der Graf folgte. Er setzte sich zur Tochter ans Fenster, lobte ihre Stickerei, die Wahl der Farben und rühmte die Aussicht, die er früher nie so beobachtet haben wollte.

»Sie sind schwerlich der Aussicht wegen hergekommen,« sagte die Gräfin, von der Arbeit aufstehend, an die sie doch erst seit des Grafen Eintritt sich emsiger gehalten.

»Die Geschäfte des Tages, die Lieferungen, die unruhige Zeit, erlauben mir so selten ein Wort mit meiner Tochter zu wechseln, wie ich es wünschte. Ich finde, du lebst zu einsam hier. Alle unsere Nachbarn haben sich vom Lande fortgezogen.«

»Lassen Sie den Krieg zu Ende gehen und bis dahin uns mit der Gesellschaft zufrieden sein, die er uns bringt.«

»Jawohl, jawohl,« sagte lächelnd der Graf. »Man muß zufrieden sein. Man hat doch auch Unterhaltung. Wir sahen zum Exempel ein Schauspiel, das wir im Dresdener Opernhause nicht für Geld haben.«

»Ich bitte, erinnern Sie mich nicht an den schrecklichen Morgen.«

»Ach, du meinst die Exekution! Mir kam eben die Komödie von neulich in den Sinn. Apropos, wir sprachen uns seitdem nicht. Was sagtest du zu dem Lustspiel?«

»Welches Lustspiel?«

»Nun, das Verhör, das Ehrengericht oder wie sie's nennen wollen. Es war eine ausgezeichnet dramatische Aktion, jeder Akteur konnte seine Rolle aufs Stichwort und es wurde so rührend und natürlich gespielt.«

»Mir kam der Vorfall sehr ernst vor.«

»Es war auch darauf angelegt, daß man weinen sollte.«

»Ist Ihre Neigung für die Sache der Preußen schon wieder kühl?«

»Wie wäre das möglich! Ich billige die Herren, wie geschickt sie die Sache eingeleitet, nur bilde dir nicht ein, daß sie von uns fordern, wir sollen es alles für ernst nehmen. Der Deserteur ist ein brauchbares Subjekt, man wollte ihm wohl und man wünschte, so gut wie er, der anrüchigen Geschichte einen guten Schein zu geben, was man niemand verdenken kann. Darum ließ man ihn perorieren über das Maß, sogar bis zu Tränen. Mir aber ist bei der ganzen Sache niemand nahegegangen, als der alte General, der gar zu gern an seine L'hombrepartie wollte.«

»Zweifeln Sie an seinem Rechte, die Kaiserin zu verlassen?« fragte Eugenie den Vater fixierend.

»Er wird seinen guten Grund haben,« sagte der Graf ironisch lächelnd.

»Sie halten seine Aussage für unwahr.«

»Warum denn? Er hat uns mit gehörigen Blumen vorgetragen, was ihn gut dünkte, daß wir wissen sollten, und was ihn nicht gut dünkte, hat er verschwiegen.«

»Nach jenem, dünkt mich, hat er gehandelt, wie ein Mann von Ehre handeln mußte.«

Der Graf rieb lächelnd seine Dose. »Wenigstens wie einer, der avancieren will.«

»Mein Vater!«

»Dazu gehörte wohl nicht der Verstand meiner Eugenie, um aus dem, was der brave Husar nicht mitzuteilen für gut fand, herauszulesen, wie man ihn bei den Österreichern nicht mochte. Man hat ihn übergangen. Er ist Protestant, Ausländer, nicht von Familie. Genug, er avanzierte nicht, wie er selbst gestand, er wurde ein paarmal übergangen, und das war ein Ehrenpunkt, dem seine Verehrung für die schöne Maria Theresia nicht gewachsen war, und über Nacht schoß das Pflichtgefühl für den König von Preußen auf. Da haben wir das große Wunder.«

Eugenie schwieg. Der Vater benutzte den scheinbaren Sieg, indem er in gleichgültigem Tone fortfuhr:

»Ich kann mich irren. Es dienen auch drüben Protestanten, und Bauernsöhne sind in den slavonischen Regimentern zu hohen Posten gelangt. So weiß man vielleicht manches von seiner persönlichen Conduite, was wir nicht wissen, und es war ihm unter der Hand eingegeben, daß er nie ans Avancement denken solle. Er mußte vielleicht über Hals und Kopf fort. Hier werden wir das freilich nie erfahren, doch kann uns das gleichgültig sein, wie der ganze Mensch –«

Eugenie hatte die Arbeit ganz fortgelegt:

»Mein Vater, ich wünschte, der König von Preußen wäre bei dem Gericht zugegen gewesen. Er hätte anders geurteilt.«

»Der König von Preußen, liebes Kind, ist so klug, daß er auf den ersten Blick herausliest, was an jemand ist, und Friedrich hat, wie du weißt, dem Menschen den Rücken gekehrt. – Du bist deiner Arbeit überdrüssig.«

»Wenn der König einem solchen Manne den Rücken kehrt, verdient er, daß ihm das Glück den Rücken kehrt.«

»Die armen Könige, wenn jeder Husarenleutnant über ihr Recht urteilen will! wenn jeder Subalterne prüfen darf, ob die Sache seines Monarchen, dem er Treue und Gehorsam schwor, eine gerechte ist und nachdem sein poetisches Gewissen ja oder nein sagt, bleibt oder davonläuft.«

»Er war ein Preuße, geboren in Berlin,« rief die Tochter.

»Ich, liebes Kind, wurde bei der Ambassade meiner Eltern in Madrid geboren. Nach dieser scharfsinnigen Theorie müßte ich spornstracks aus Amt und Dienst laufen, wenn der König von Spanien mit England oder Algier Krieg anfängt.«

»Der Fall würde doch nicht passen. Der Mann ist ein Sohn seines Vaterlandes.«

»In unserer gebildeten Zeit hat niemand ein Vaterland, als wer mit Gütern ansässig ist. Darin besteht das Vorrecht des Edelmanns, das niemand mehr als der große Friedrich anerkennt. Das übrige rangiert sich, wo das Metier Unterkommen und Verdienst findet. Wo solche Leute ihr Brot essen, da ist ihr Vaterland. Weil des Herrn Stephan Vater, gegen dessen Ehrlichkeit ich nicht den geringsten Zweifel hege, nun zufällig in Berlin mit dem Pfriem oder mit der Schere Kundschaft fand, darum hat sein Sohn, dem das Glück ein kaiserliches Offizierpatent zuwarf, das geborene Recht, seiner gnädigen Kaiserin aus dem Dienst zu laufen.«

»Was wissen Sie von seinen Eltern?«

»Ich will ihn nicht beleidigen, indem ich annahm, daß sein Vater ein Schneider sei. Vielleicht war er auch ein kleiner Materialienkrämer! Daß es aber mit seinen Ahnen nicht weit her ist, mußt du selbst, liebes Kind, aus der verblümten Art, wie er von seiner Geburt sprach, erraten haben. Im pathetischen Teile seiner schönen Rede redete er von bürgerlichen Eltern, aber schwieg auf eine mysteriöse Weise, als er ihren Namen nennen sollte. Warum das, wenn es ehrliche Berliner Bürger waren? Einer von den vielen preußischen Offizieren würde sie doch gekannt haben.«

»Gab er denn nicht den Grund an?«

»Und daran glaubt meine scharfsinnige Eugenie? Den ehrlichen Namen, mit dem jemand geboren ist, hat kein Vater das Recht seinem Kinde zu nehmen. Er klingt aber vielleicht zu gemein, und der kluge Mann fürchtete ein allgemeines Gelächter, wenn er sich als Herr Kaulbarsch oder Pfannekuchen präsentierte.«

»Die Medizeer waren Kaufleute, die Fugger Wollenweber,« sagte Eugenie.

»Leicht möglich, daß er auch nicht gern zurück denkt an die Schläge bei seinen Eltern. Du weißt, wie solche Leute ihre Kinder barbarisch behandeln. Entsinnst du dich noch in Berlin, wie du schreiend und weinend mich um Hilfe riefst, weil der Schuhmacher auf unserm Hofe so unbarmherzig auf seinen blonden Knaben zuschlug. Ich mußte dem Meister seinen Knieriemen teuer abkaufen, um Ärgeres zu verhüten – du brauchst nicht rot zu werden. Ich sah dich nie so lieblich, als wie du zitternd und bebend in die Tür flogst, mit deinen kleinen Armen mich umklammertest, als wolltest du mich erwürgen, mich im Affekt in die Hand bissest und immer schriest: ›Er schlägt ihn tot, er schlägt ihn tot‹."

»Ich weiß, ich weiß.«

»Da fällt mir ein, wenn unser Aventurier derselbe Schuhmacherbursche wäre! Du liebst ja solches romantische Zusammentreffen. Er war älter als du. Nase und Augen widersprechen dem nicht und sein Rücken bewiese es vielleicht noch sprechender. Du wirst nachdenkend –«

»Er ist es nicht,« sagte Eugenie, » der kleine Bube trug eine Stumpfnase.«

»Auch wäre es eine zu harte Strafe für des Herrn Leutnants Eitelkeit, an den Schuhmacherburschen erinnert zu werden; denn er ist ein schöner Mann, der wohl versteht, was sich mit Schönheit anfangen läßt.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Ich werfe ihm kein Verbrechen vor,« entgegnete der Graf, indem er verstohlen lächelnd wieder bei der Dose Zuflucht suchte; »indessen in das Mysterium seines Glückes einen Blick zu tun, dürfte niemand schwer fallen, der die Welt und die Weiber kennt. Er ist ein Damenheld, das sei ohne Kränkung seiner Tapferkeit gesagt. Wer nun in den hohen Zirkeln der Kaiserstadt gelebt hat, weiß, meine teure Eugenie, daß eines so schönen Mannes außerordentliches Glück dort gemacht ist. Mich wundert das allein, daß er es nicht weiter als bis zum Leutnant gebracht hat. Das Herz bleibt bei dergleichen wandelnden Liaisons nicht zurück und deshalb konnte er immer desertieren. Vielleicht war er aber indiskret, wie es bei solchen Damenlieblingen der Fall zu sein pflegt, die Anbetung als ihren schuldigen Tribut verlangen. Eine vornehme Gönnerin, die er ins Gerede gebracht, schleuderte ihren Bannfluch auf ihn, unbekümmert in ihrer Wut, wie viel zarte Seelen sie dadurch in Verzweiflung setzte. Siehst du nicht, wie er den Sieger im Blick und Schritt trägt, und mich dünkt, man merke es ihm an, er ist etwas verdrießlich; daß man ihm bei uns nicht so mit offenen Armen entgegenkommt.«

Bis hier konnte man Eugenies Selbstüberwindung sehen. Aber der unterdrückte Lebensfunke loderte auf. Ihre Gestalt hob, ihr Teint rötete sich und die Augen glänzten dunkler. Der Vater war sichtlich betroffen. Er hatte gehofft, durch ein scherzendes Vorpostengefecht Sieger zu bleiben; sobald Eugenie mit ganzer Macht heraustrat, gab er sich jederzeit gefangen.

»Mein Vater, warum mir das alles?«

»Es kam nur gelegentlich, liebe Eugenie –«

»Das paßt in Ihre Ambassadenstube; wir lernten uns doch verstehen!«

»Ich beabsichtigte gewiß nichts –«

»Als mir zu sagen –« unterbrach die Tochter heftig, aber ebenso schnell verstummte das Wort ihr auf der Lippe.

Der Vater benutzte den Augenblick und faßte ihre Hand – »daß meine Tochter sich nicht selbst vergessen wird!«

»Nein, gewiß nicht!« entgegnete die Gräfin mit heller Stimme. »Aber ebensowenig wird mein Vater vergessen, daß er seine Tochter sich selbst erziehen ließ, daß sie keinen Rücksichten folgen wird und nur einen Mann lieben, der sie zur Achtung und Bewunderung zwingt.«

»Eine flüchtige Leidenschaft, mein Kind, allein –«

»Ihre Hand reichen nur einem, der sie so lieben kann.«

»Ich würde keine Unbesonnenheit dulden,« sagte er mit einer Miene, die imponieren sollte.

»Und was würden Sie tun, wenn mein Wille fest wäre. Was wären dagegen Ihre Bedenklichkeiten und Ihre Rücksichten! Ein Hauch der Lüfte, ein Spiel der Wellen um einen Felsen, wenn mein Entschluß gefaßt ist. O mein Vater, Sie kennen mich. Ich kenne ihr Spiel mit Plänen, alles, was Sie bewegt und mich nicht bewegte. Sie schalten mich oft, daß meiner Mutter italienisches Blut zu deutscher Starrheit verwilderte, so wissen Sie, wie ich bin, und ich beschwöre Sie, wir wollen uns nicht prüfen, wer stärker ist, wir wollen nicht vergessen, daß Sie mein Vater und ich die Tochter bin.«

»Ich würde mein Vaterrecht geltend machen, ich würde, mein Kind –«

»Was würden Sie, mein Vater!« Die Purpurglut loderte auf ihrer Stirn. »Ich glaube nicht, daß Sie es würden, ich hoffe es nicht. Sie würden nicht vergessen, daß meiner Mutter Wille mir freie Wahl ließ. Gewiß nicht. Doch was ist ein Wille auf Pergament gegen das Recht des Herzens! Laß das Testament nicht geschrieben sein, die Archive verbrennen, Sie können nur hemmen, verzögern, unmöglich machen allenfalls, aber darum will ich doch. – Es täte besser, mein Vater,« fuhr sie sanfter fort, »Sie erinnerten mich nicht, der Zufall könnte ja auf Ihre Seite treten, es ist Krieg, Sie wissen nicht, wo Sie Beistand finden, bei mir, bei einem anderen, einen Beistand vielleicht, der stärker wäre als Ihre Gründe. Aber, beim Himmel, treten Sie mir mit ihrer Klugheit nicht in den Weg. Ich achte sie nicht, ich kann, werde sie nie achten, und was bis jetzt noch ein Spiel der Phantasie, es könnte plötzlich durch den Widerstand zum Bewußtsein geweckt werden und geboren dastehen in einer Wirklichkeit, die Sie erschreckt.«

»Wohl uns, du bist meine Eugenie,« rief der Vater. »Du hattest dich nicht vergessen, du liebst ihn nicht. Ich weiß, wie du den Törichten heute morgen zurückgewiesen und war heute mittag stolz auf meine Tochter, die den Aventurier empfinden ließ, welche Kluft ihn von ihr trennt.«

»Tat ich das!« fiel Eugenie heftig ein. »Sagte ich, daß ich ihn nicht liebte, so waren die Lippen ungehorsam, es gilt dann gut machen, was ich gefehlt. Er war der erste, der mich sein Geschlecht achten ließ. Er war ein Mann. Was zähl' ich's Ihnen auf, was bei mir für ihn sprach. Sie verstehen die Sprache nicht. Sie sind arm, ach unsäglich arm. Was wollen Sie tun gegen einen Brand, der über Wälder und Berge flutet, mit einem Glase Wasser? Und wär' er des niedrigsten Tagelöhners Sohn, ausgestoßen hier und drüben, ist er der, den ich in ihm gesehen, und wenn die hohe Verwandtschaft Zeter schrie, der Hof mit Fingern auf mich wiese, dann, mein Vater, sparen Sie Ihre Worte, ich liebe ihn, ich will ihn lieben, und je ärger die Welt schreit, um so stolzer wird Ihre Tochter sein.«

* * *

»Bravo! charmant! unübertrefflich!« rief Amelie zur leise geöffneten Seitentür hereinhuschend, nachdem der Graf mit pathetischem Schritt durch die große Flügeltür seinen offiziellen Rückzug angetreten. Noch dröhnten die Angeln der mit undiplomatischer Heftigkeit zugeworfenen Flügel, als das Fräulein die Hand der auf das Sofa niedergesunkenen Gräfin küßte und immer wieder küßte. »Bravo, bravo! Ich hätte es Ihnen wahrhaftig nicht zugetraut.«

»Laß mich in Ruh, Amelie!«

»Nein, Teuerste, heute nicht. Ich habe Sie zu meiner Herzenskönigin erwählt, da ich nun und nimmer einen Herzenskönig anerkennen will.«

»Geh!« rief die Gräfin.

»Nicht böse sein,« fuhr das Fräulein in schmeichelndem Tone fort. »Pardon, für die Novelle. Man kann ja nicht immer seiner Zunge gebieten.«

»Gefiel ich dir, so fürchte ich fast, ich habe schlecht gehandelt.«

»Liebste Gräfin, einzige Freundin, ich bin kein schlechtes Mädchen, ein bißchen frei und ein bißchen übermütig, ein bißchen boshaft und malitiös, aber nicht schlecht, wahrhaftig nicht schlecht. Wie Ihnen das Feuer gut stand und die Rede floß, daß nichts zurückblieb! Wer jetzt sagen will, daß Sie nicht verliebt sind, mit dem duelliere ich mich. Das konnte nur die Liebe. Sehen Sie, Komtesse, könnte ich meinem Herzen einmal auf die Art Luft schaffen, so durch einen Generalaffekt die Herzenskämmerchen sprengen, und was darin von Ärger und Wut, von Lust und Liebe verwahrt und verschimmelt liegt, ausschütten in einem einzigen Guß, einem anderen auf den Pelz, ich wäre wahrhaftig eine andere Person. Ich habe immer die heftigen Leute beneidet, die durch ein Gefühlserdbeben sich auf einmal erleichtern, indessen wir armen anderen unser Leben lang Ärger und Lust mitschleppen, glücklich genug, wenn der Anstand uns alle Sonntag erlaubt, ein klein wenig davon an den Mann zu bringen. – Gräfin! Gräfin! die Natur hat einen großen Mißgriff begangen, uns in Deutschland auf die Welt zu setzen. Wir gehörten dahin, wo's feuerspeiende Berge gibt und natürliche Erdbeben, und die Sitte der Zunge nicht verargt so zu sprechen, wie das Herz schlägt. Hier verdammt man uns stumm zu sein, und wenn man sich mit Schelmerei ein bißchen Luft macht, was im Grunde nicht viel hilft, heißt man uns eine boshafte Kreatur.«

Eugenie seufzte: »Wer ist denn glücklich?«

»Ach, Komtesse,« entgegnete Amelie seufzend, »nur wer dumm ist! Wenn wir doch beide es wären! Der liebe Schöpfer mag verantworten, wie er es auf der Welt eingerichtet hat. Glückselig ist nur, wer alles so gerade hinnimmt, wie es ihm gegeben ist. Wer dabei denkt und empfindet, ist verloren. Das Einnehmen ist zwar noch sehr hübsch, aber wenn man nun auch so ausgeben will und nichts als Klötze findet – da lispeln und leiern sie von der schönen Natur; ich meine, man könne sich nur darum dem Teufel ergeben, weil sie so sehr langweilig ist. Der blaue Berg ist am Ende Stein, der grüne Baum Holz, die Blumen Stroh und was ist denn der Mensch?«

»Und, Freundin, wer nun einen findet, der nicht Holz ist,« rief Eugenie, »einen, der uns versteht, der empfindet, was wir fühlen –«

»Ach, Kousine, wer so glücklich ist, der soll den bewußten Menschen halten, sonst verschwindet er wie der Schatz im Traum« –

Sie entfernte sich rasch.

* * *

Die Gräfin rief es sich tausendmal zu, so gut wie Stephan heut morgen: es ist keine Zeit zum Träumen. Dennoch, sie mochte sitzen bleiben, übergelehnt auf dem Sofa und mit den Augen die Engel am Plafond ansehen, oder aufspringen und raschen Schrittes die Stube messen oder sich wieder an den Rahmen setzen, die Blicke waren nicht bei den Engeln, die Füße nicht auf dem getäfelten Boden, die Augen nicht bei der Stickerei. Als in der Dämmerstunde Amelie eintrat, fand sie die Freundin wieder auf dem Sofa, gerad wie sie sie verlassen. Sie wollte die Fortschritte der Arbeit loben, es war aber, seit sie fortging, kein Stich getan.

»Sind Sie vielleicht wieder um die persönliche Sicherheit Seiner Majestät des Königs von Preußen besorgt?« fragte sie, als Eugenie das Fenster öffnete und hinaussah –

»Keinen Spott!« sagte Eugenie. Es war ein so sanfter Ton, wie ihn die Freundin noch nicht gehört. Sie war noch betroffener, als die Gräfin sich rasch zu ihr umkehrte und sie in die Arme schloß. »Du bist wohl ein boshaftes Mädchen, aber doch meine Freundin, und ich glaube, du meinst es aufrichtig.«

»Ist das Ihr Ernst?«

»Man kann doch nicht immer scherzen.«

»Sie wollen sagen: man kann nicht immer eine Rolle spielen. Was ein so schöner Abend weichherzig macht. Und es ist doch eigentlich gar nicht die Zeit dazu – ich meine, weil Krieg ist –«

»Ich bitte dich um alles in der Welt, laß die Satire mir jetzt. Es ist keine Seele hier, mit der ich reden könnte.«

»Wenn sie käme, liebste Freundin, ich würde sie mit aller Anstrengung fortjagen und Sie sollten sehen, daß Ihre arme Kousine auch etwas Mut hat. Reden Sie, mäuschenstill will ich sitzen, zuhören, mitreden und mitseufzen, wie Sie befehlen. Da steigt der Mond blutrot in den gelben Herbstwipfel der Ulme, über die Wiese steigen die Wassernebel und ängstlich schlagen die Hufe der Streitrosse im Husarenstall. Aber Sie lassen mich ja allein empfindsam reden.«

»Du willst also nicht.«

»Mein Gott, ich will ja alles.«

»Mich nicht verstehen.«

»Von Herzen gern und glauben Sie denn nicht, daß ich Sie verstehe. Aber, wenn ich davon anfange zu reden, müßte ich meine Kousine nicht kennen, um nicht zu wissen, daß sie es für einen Eingriff in ihre Rechte hält und eigensinnig abspringt. Es soll und darf ja niemand wissen, was Sie fühlen. Darum hüte ich mich und warte gehorsam, bis Sie anfangen.«

»Wir müssen anders werden, Amelie.«

»Ach Gott, das würde uns beiden sehr gut tun. Ein bißchen weniger stolz sein, zum Exempel, meine ich, wäre ein guter Anfang.«

»Durften wir's denn – unter diesen –«

»Aber doch jetzt, wo wir anfangen edle Menschen kennen zu lernen, wenigstens fürs erste einen

Es folgte eine Pause: »Ich habe dir ein delikates Geschäft aufzutragen. Du weißt den Vorfall mit der Börse. Ich selbst kann mit dem Offizier unmöglich sprechen.«

»Natürlich.«

»Ich kann ihn nicht fragen, wie viel darin war!«

»Es stände zu besorgen, daß er mehr angibt!«

»Närrin! Gib mir einen Rat.«

»Wir stopfen, Komtesse, des Verwalters Marktbörse voll von schweren Laubtalern, ich wette, Herr Stephan verliert dabei nicht.«

»Das ist es eben, man darf auch nicht großmütig sein, ohne zu beleidigen.«

»Ich habe es, Komtesse. Sie hätten, ehe Sie die Börse hinwarfen, zählen sollen, wie viel darin war.«

»Wenn du kein anderes Mittel weißt.«

»Doch. Soll er nicht profitieren, so wollen wir profitieren, sollen wir nicht großmütig sein, so mag er's sein. Sie sticken ihm eine Börse, versteht sich eine leere, und er und Sie können sich dann nach Belieben denken, Sie was Sie hineintun, und er, was er darin findet.«

»Soll ich Geld von ihm geschenkt nehmen?«

»Es ist freilich ein schlimmes Ding, wenn einer mit einer Leutnantsgage den Großmütigen spielen soll. Der arme Mensch verwünscht gewiß, so gut wie wir die Stunde heut morgen, und rechnet, was ihm seine Liebe kostet, von der er nicht einmal was hat.«

»Es ist fatal –« sagte die Gräfin.

»Wenn Geldgeschäfte mit der Liebe kollidieren,« fiel Amelie ein. »Gewiß! Aber ich sehe keine andere Auskunft als –«

»Ich muß es meinem Vater überlassen.«

»Ach, Komtesse, da fürchte ich, wird der arme Leutnant sehr übervorteilt. Sie wissen nicht, was ich vorhin gesehen.«

»Sprich.«

»Ich ging sächtchen im Garten, wo der Graf beschäftigt war, die frischen Maulwurfshaufen glatt zu treten. Schon wollt' ich mir die Freiheit nehmen, ihm zu sagen, daß es eine unnütze Arbeit sei, als von Izwitz, den ich bis dahin nicht bemerkt, mir darin zuvorkam. Dero Herr Vater beliebte zu antworten, sie wüßten das auch und fügten dem eine tiefsinnige moralische Sentenz hinzu: ›Das ist es eben, teurer Baron, wenn wir ihm ein Loch verstopft haben, so bricht der Bursch da von neuem durch, wo wir ihn am wenigsten erwarten. Wir treten ihn aus im Petersilienbeet und im Tulpenbeet wühlt er heraus.‹«

»Was geht mich der Maulwurf an?«

»Doch, doch, hören Sie nur weiter. Ich nämlich halte es für Pflicht, wie Sie wissen, wenn ich unversehens zwei zusammen sprechen höre, nicht fortzulaufen; denn wie leicht vergißt sich, was unter zweien geredet wird, und wie gut ist's, sind sie später uneins über das, was sie versprochen, wenn ein unparteiischer Dritter darum weiß. Ich blieb also aus Menschenliebe hinter der Hecke und stellen Sie sich vor, wer mit dem Maulwurf gemeint war, der durch die neuesten Plane des Herrn Grafen durchfuhr?«

»Ein andermal, liebe Amelie.«

»Dann könnte es zu spät sein. Kein anderer als unser interessanter Deserteur.«

»Konnte sich mein Vater vergessen mit dem Rittmeister –« fuhr Eugenie dazwischen.

»Plane zu schmieden, Gnädigste! Mein Gott, der Mensch lebt nicht allein von Brot. Der Empfindsame lebt von Tränen, der Spötter von Witz und unser Herr Vater von Intrigen. Es kommt mir nicht in den Sinn, Sie mit den Ehrennamen zu regalieren, die man unserem Schützling in dem Gespräche aufheftete; aber wie auch beide Komplottierende ihre Verachtung auszudrücken suchten, so viel leuchtete aus dem Ernst vor, mit dem sie die Sache betrieben, daß sie ihn für eine sehr gefährliche Person hielten. ›Er muß fort,‹ sagte der Herr Vater und der tapfere Rittmeister half ihm den letzten Maulwurfshaufen platt treten.«

»Der stolze Ritter!« sagte die Gräfin. »Glaubt er zu gewinnen, wenn er seinen Gegner fortschafft?«

»Das nehmen Sie ihm doch nicht übel? Teuerste Gräfin, die Liebe, habe ich immer gehört, ist eine gefährliche Leidenschaft – und wer sich nicht bei Zeiten vor ihr in acht nimmt, der soll's auf die Letzt bis zum Wahnsinn bringen. Dem Rittmeister verzeih ich's recht sehr, daß er seinen Rivalen zum Teufel wünscht und das Seinige dabei hilft. Und, wie Sie wissen, ist dieser besagte Teufel nach dem alten Sprichwort immer bei der Hand, wenn man ihn ruft. Der Rittmeister lächelt also noch und drückt dem Papa die Hand: ›Beim nächsten Kommando soll er fort,‹ als auch schon ein Bote des Teufels, nämlich ein schwarzer Husar, kerzengrad vor ihm steht und eine Order präsentiert. Habe ich je ein schadenfrohes Lächeln gesehen, war es das Ihres Verehrers: ›Die Gelegenheit ist da,‹ lächelt er auf französisch zum Grafen. ›Ich soll gleich meine halbe Schwadron zum Rekognoszieren ausschicken und von da ins Hauptquartier.‹«

»Heute noch!« rief Eugenie und alles was die Gesellschafterin noch berichten konnte, schien sie im Augenblick zu durchzucken. »Heute noch und er kommt nicht zurück.«

»Wir müßten den Rittmeister bitten.«

»Amelie, meine liebe, beste einzige Freundin –«

»Sie wollten gern die Geldangelegenheit früher arrangiert haben.«

»Wenn er fortginge, heute noch.«

»Das Hauptquartier kommt nicht weit zu stehen. Es soll drüben nach Hochkirch verlegt werden.«

»Amelie, wenn er nicht wieder käme, nie, bedenke doch, was das heißt: nie – die Schlacht. – Wir gingen zürnend auseinander, ich habe ihn beleidigt –«

»Horch!« rief Amelie. Eine Trompete blies auf dem zweiten Hofe, die Pferde wurden aus den Ställen geführt. Die Tränkeimer klapperten, die Husarensäbel klirrten auf dem Pflaster. »Sie brechen auf.«

Beide eilten ans Fenster. Mitten im Hofe stand in der neuen Uniform der Offizier, der noch heute früh mit dem ungarischen Dolman durch das Dorf geschritten war. Ihnen den Rücken zugekehrt teilte er Befehle aus. Der preußische Rock kleidete nicht minder stattlich, die Mütze mit dem Totenkopf saß trotzender auf der Stirn als der bunte Kalpak. Er wandte sich nicht um. Seine Befehle waren gemessen, nichts überflüssig, nichts wiederholt, als wäre er längst in dem Dienst bewandert, mit den Leuten befreundet.

»Er wendet sich nicht um,« sagte Eugenie mit banger Stimme.

»Dort bringt der Bursch sein Pferd. Just wo er gestern Ihres hielt.«

»Amelie!«

»Noch nicht. Ihr Herr Vater kommt mit dem Rittmeister. Sie wollen erst Abschied nehmen. – Es ist doch gut, daß er ihm so freundlich auf die Letzt die Hand drückt, er ladet ihn gewiß ein, uns bald wieder zu besuchen.«

»Er faßt den Zügel –«

»Und der Graf scheint Lust zu haben, ihm den Steigbügel zu halten, aus purer Freude, daß er fort geht. 's ist am Ende doch ein Edelmann –«

Es bliesen die Trompeten der draußen vorüberziehenden Husaren. Die Gräfin atmete tief auf und drückte sich stürmisch an die Brust der Gesellschafterin.

»Arme Freundin!« lispelte diese in einem Tone, wie ihn Eugenie auch noch nicht gehört und machte sich hastig von ihr los. Sie war in einem Augenblick die Treppe hinunter geflogen und im nächsten stand sie ruhig neben dem Offizier. Als führe sie der Zufall vorbei, nickte sie ihm zu und drohte schelmisch mit dem Finger.

»Ohne von den Damen Abschied zu nehmen!«

»Man treibt mich hinaus!«

»Wer ist der Mann? Ein Ritter ist mehr als ein Mann. Es hat nicht solche Eil', Ihr Araber holt zehnmal die Bauernpferde ein. Ich habe noch ein Wort mit Ihnen zu sprechen.«

Sie faßte ihn unter den Arm und führte ihn langsam am Parkgitter hin. Graf und Rittmeister hatten sich schon entfernt und der Bursch hielt das Pferd.

»Im Kriege gibt's Schlachten, in der Schlacht kann man sterben, ehe man sich's versieht, und wenn man stirbt, ist's aus, wenigstens für diese Welt. Haben Sie das wohl bedacht, Herr Leutnant!«

»Sonst wäre ich nicht Soldat geworden.«

»Halten Sie's für recht, Schulden zu bezahlen?«

»Ich habe keine.«

»Und sind ein Leutnant!«

Sie lenkte durch das Gittertor in den Garten. »Gar keine Schulden. Das ist merkwürdig. Ist Ihnen auch niemand etwas schuldig?«

»Fräulein, wenn Sie mir nichts anderes mitzuteilen haben – meine Pflicht ruft mich.«

»Eigensinniger Mensch, wenn Sie einmal Söhne haben, schärfen Sie ihnen vor allem ein, daß die Eitelkeit und der Stolz die unerträglichsten Eigenschaften eines Mannes sind, der bei Frauenzimmern sein Glück machen will. Man hat kein Herz, oder einmal bricht es durch Küraß und Husarenpelz. Ich wüßte Ihnen Geschichten zu erzählen von Personen, die sich, ebenso stolz wie Sie, lange gesperrt, sein deutliches Klopfen zu hören. Aber endlich ist die Natur denn doch stärker als die Verstellung. Es kocht, siedet und wallt über Sie – Sie sollten sich schämen. Gehen Sie, in den Tod, oder wohin Sie wollen, aber seien Sie wenigstens artig und grüßen meine Gräfin, die eben ganz zufällig dort aus der Tür tritt – Teuerste Kousine,« rief sie dieser zu, »denken Sie sich, unser Gast bricht auf und wollte fort, ohne von uns Urlaub zu nehmen. Reden Sie doch. – Ich glaube, die Todesfurcht oder das Gefühl seiner Unartigkeit macht ihn so beklommen, daß er kein Wort vorbringen kann. Aber ich habe ihm ins Gewissen geredet und hole ihm jetzt einen Strauß Vergißmeinnicht, den er zur Strafe und zum Skandal seiner Graubärte an die Brust stecken soll.«

Es war ein kostbarer Moment, die Trompete rief, vom Hofe kamen Leute, aus dem Schloßpförtchen drohten Männertritte. Doch standen beide, als das Fräulein entschlüpft war, noch wie versteinerte Gestalten sich gegenüber, aber wie Bildsäulen, in denen der Lebensfunke mächtig ringt mit der Kraft des Zaubers. Bei der Gräfin siegte er zuerst, eine helle Träne brach aus dem Auge, sie reichte ihm die Hand.

Er preßte sie an die Lippen, sprachlos, und wäre niedergestürzt ihr zu Füßen, wäre nicht in dem Augenblick der Rittmeister mit dem Grafen aus der Pforte getreten.

»Wir sehen uns wieder.« sprach sie. Er fühlte einen zitternden Druck der Hand.

»Noch hier, Herr Leutnant!« sagte der Rittmeister mit lauterer Stimme als es nötig schien. »Bei den Preußen müssen Sie wissen, reitet der Offizier vor der Schwadron. Ist es Ihnen bequemer dahinter, hätten Sie bei den Österreichern bleiben können.«

Stephans Gesicht glühte, indem er salutierte: »Ich glaubte, die Sitte gelte bei den Preußen wie bei den Österreichern.«

»Die Sitte, wo sie hingehört,« antwortete der Rittmeister. »Die Galanterie lassen wir den Franzosen, die Zärtlichkeit den Milchbärten und der Mann nimmt bei den Preußen den Lohn erst nach der Tat.«

Stephan fragte, einen Schritt dem Rittmeister näher tretend:

»Männer wissen sich zu finden bei den Preußen, glaube ich, wie bei den Österreichern.«

Eugenie, die den Arm des Vaters bei des Rittmeisters Worten ergriffen, daß er sie fortführe, wandte den Kopf um und ein Strahl ihres Auges billigte Stephans Frage.

»Die sich suchen, sollen sich finden,« entgegnete der Eskadronchef. Ein anderer Blick begegnete ihm, so sprechend als Eugeniens. Ein Dichter hätte ihre Augen mit Feuerstrahlen verglichen; sie hafteten eine Weile so fest aufeinander, als die Linke jedes von beiden bedeutungsvoll auf dem Säbelgriff. »Wenn es Zeit ist,« murmelte der Rittmeister, und alle Teilnehmer des Gesprächs trennten sich. Auch Eugenie und der Vater blieben nicht länger zusammen, als bis sich beide mit Anstand trennen konnten. Sie hatten sich nichts zu sagen. Der Graf eilte mit schnelleren Schritten, als seinem Alter und seiner Würde angemessen, dem Fräulein nach, welches er im Vorbeigehen in der Laube entdeckt hatte. Mit zornigem Blick und drohender Stimme rief er ihr zu: »Ein Wort, Fräulein!«

»Gnädigster Herr, wie schrecklich würdig Sie heute aussehen!«

»Hüten Sie sich, mich näher kennen zu lernen.«

»Habe ich nicht schon lange die Ehre?«

»Das war Ihr Werk vorhin. Es wird nimmermehr etwas daraus. Verlassen Sie sich auf mein Wort.«

»Worauf sollt' ich mich lieber verlassen,« sagte sie und bückte sich, seine Hand zu küssen.

»Find' ich Sie noch einmal im Spiel, so seien Sie versichert, es handelt sich um Ihre Existenz.«

Während sie, den Blick zu Boden, mit einem tiefen Knix antwortete, entfernte sich gravitätisch der Edelmann. Doch hörte er noch hinter sich mit Honigstimme: »Der Gütige, er will mich wohl verheiraten.«


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