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Zweites Kapitel.
Die Einquartierung

»Nun leugne mir noch einer, daß wir Frauen nie wissen, was wir wollen, daß wir Chamäleons sind, veränderlicher als die Wetterfahnen, nur mit dem Unterschiede, daß unser Fähnlein sich gegen den Wind dreht aus Geist des Widerspruchs,« sagte die Gesellschafterin, als sie bei der Rückkehr im Gartensaal die Gräfin niedergesunken auf dem Sofa fand, die Stirn auf den Ellbogen gestützt, Spuren der Tränen im Auge.

»Hast du gehorcht?«

»Jede Silbe. Es war das erstemal, daß mich der Kammerherr ans Schlüsselloch trieb. Mein Gott, ich nähme es übel, wenn mein Vater mir einen solchen Botschafter ins Haus schickte, so schön der Mann ist. Oben in die Rumpelkammer ließ er sich verschließen wie eine abgelegte Puppe, ich mußte ihn mit Betten und Matratzen zudecken, daß ich besorgt bin, er erstickt, wobei freilich nicht viel verloren wäre. Aber dabei muß man ihm lassen, schön ist er; das sah ich recht, wie ich ihn einpackte.«

»Sind denn die anderen im Grunde besser, Amelie? So arm, so erbärmlich ist die Zeit, so ohne Mark und Nerv ihr Genie; wenn sie schlagen wollen, denken sie ans geschlagen werden, wenn sie vorrücken an den Rückzug, wenn sie losschießen, daß die Flinte springen könnte. Sie reden vom Vaterland, und von der Newa bis zu den Pyrenäen weiß keiner, wo es sitzt. Ihre Intrigen haben eine Völkerwanderung erregt, und sie möchten sich untereinander lieber totschlagen, weil sie nicht wissen, was sie mit der Menschenmenge anfangen sollen.«

»Eine vortreffliche Predigt; Sie sollten sie nur morgen vor den Gamaschen und Perücken unserer preußischen Einquartierung halten, deren Liebenswürdigkeit Sie in so besondere Affektion genommen haben; allein was ich daran hören soll, weiß ich nicht, da wir beide über das Männerkapitel uns doch nichts Neues zu sagen haben. Und dabei pocht Ihr Herz, Sie weinen. Das ist ein schlechter Prediger, der zuerst gerührt wird.«

»Ich will nicht predigen.«

»Was möchten Sie denn?«

»Auf dem Pferde sitzen, hin zum Könige und ihm sagen, was ihm droht.«

»Sagt' ich's nicht, der helle, lebendige Geist des Widerspruchs! Meine sächsische Patriotin will eine Landesverräterin werden!«

»Ist es denn kein niederdrückender Gedanke, Amelie, daß ein großer Mann so ausgehen, daß ein Friedrich einem alten Weiber-Komplott erliegen soll?«

»Ihm ganz recht, meine teuerste Komtesse. Wenn Sie aus den anderen Männern nichts machen, da hab' ich nicht viel gegen. Das gepuderte Geschlecht soll vielleicht ausgehen, und der Himmel denkt, uns zum Trost für die vielen Leiden, eine neue Männerrasse auf die Erde zu schicken. Aber ich begreife nicht, was Friedrich mehr Recht auf unsere Teilnahme besitzt. Sie taugen und tun alle nicht viel, aber sie sind doch wenigstens artig und erkennen uns an; der neue Karl der Zwölfte dreht uns den Rücken wie der Gräfin Königsmark, ja er ist eigentlich viel schlimmer, denn Karl haßte und fürchtete, Friedrich verachtet uns, und dazu schnupft er so ungeheuer viel Tabak. An Maria Theresias Stelle ahmte ich den Römern nach, und er müßte mir im Triumphzuge in Wien einmarschieren.«

»Amelie, er ist doch ein Mann. Zähle sie alle, überschlage was sie getan und was sie gedacht –«

»Unter Zwergen gibt ein Zoll den Ausschlag. Was hat er denn getan? Sie nennen ihn den General der Freigeister, weil er einigen Perücken den Staub ausgeklopft hat; deshalb blieben noch Perücken genug, und er trägt selbst eine. Sie nennen ihn den großen oder gar den einzigen Mann. Ich behaupte, er war nicht einmal ein simpler Mann. Zweimal zog er den Degen, und als nun alle Welt glaubte, er würde ihn nicht einstecken, bis er zum wenigsten das römische Reich drauf gespießt hätte, ließ er sich abspeisen mit schlesischer Leinwand und etwas Weihrauch. Ich, an seiner Stelle, einmal ungalant, wäre auch nicht aus der Rolle gefahren. Die Kaiserin hätte fort gemußt. Unser Wiener Koch pflegt zu pfeifen: Wenn ich nur was von hätt'! Hätte Friedrich sich zum Kaiser und König gemacht, das fette Oesterreich in die Tasche gesteckt und zugegriffen, wo was zu greifen war, da hätte er etwas davon gehabt. Es lohnte sich, das bißchen Ungerechtigkeit. Fragen und Untersuchen wäre aus gewesen, je mehr er genommen, um so unwiderlegbarer wurde sein Recht. Die ihn jetzt kitzeln und stacheln, hätte er tanzen lassen nach seiner Pfeife. Da bleibt er auf dem viertel Wege stehen, es schrullt in dem gewaltigen Kopfe die kleine Politik; er fürchtet sich vor dem und jenem, oder am Ende vor sich selbst, denn nüchtern geworden, schreckt er vor dem großen Gedanken, der ihm einmal beim Champagner, Gott weiß wie, aufgegangen ist, zusammen und schlägt die Retirade.«

»Willst du Friedrich Herz absprechen?«

»Je nun, er hat Herz, wenn es ihm an die Haut geht, das hat am Ende der schöne Kammerherr auch. Wo er aus freien Stücken etwas unternehmen soll, mißglückt es; wie wir's just bei Olmütz sahen.«

»Herz, kann dich denn nicht der Gedanke quälen, daß einer, der so lange mit der Gefahr gespielt hat, an Geist und Mut über seiner Zeit schwebend, wie noch kein Fürst, ein Mann, der allein ein Heer war, ein panischer Schrecken seinen Feinden, ein Gott für die Seinen, daß ein solcher Mann der Ungunst eines Augenblicks erliegen kann? O es ist überwältigend das Gefühl, niederdrückend den Stolz, ein Hohn für alles, was wir wollen und streben, auch nur zu denken, daß ein geistesgroßer Held fallen kann, weil er eine elende Neugier nicht unterdrückte. An seine Pläne, so kühn hinausgebaut, daß ihnen das Alltagsauge nicht folgte, in dies Riesengebäude seiner Entwürfe schleicht eine Albernheit, ein Weiberzank, ein kindischer Kitzel und alles, was er nur bauen, was er nur tragen konnte, stürzt über ihm zusammen, weil er einmal neugierig ist.«

»Ändern wir's? Und wenn wir's ändern könnten, wer bürgt Ihnen, daß der große Mann morgen der Schwachheit den Zoll erlegt, der ihm heute noch geschenkt wurde? Überdies glaub' ich's noch nicht. Nicht daß der preußische König in kein Netz gehen könnte, sondern weil unsere Freundschaft es gestellt hat. Wir sind so überaus klug und fein, daß wir in unsere Schlinge noch immer selbst hineingefallen sind.«

»So heißt das Spiel: Der König oder mein Vater!«

»Ehrlich gesagt, mir ist für keinen von beiden bange. Für den König nicht, weil er der König ist, für Ihren Vater, Komtesse, weil er alles, was er tut, auch wieder nicht tut. Er gehört zu den feinen Staatsmännern, die keinen Vordersatz über die Lippen lassen, ohne einen Nachsatz bereit zu haben, der ihn wieder aufhebt. Beim grünen Tisch pointiert er öffentlich auf Schwarz, und läßt heimlich durch einen guten Freund dasselbe auf Rot setzen, damit er in keinem Fall verliert. Wenn er eine Freundschaft schließt, so protestiert er im stillen dagegen, und ich glaube, als er Ihre Mutter heiratete, hat er an Gründen zur Ehescheidung gesammelt. Er verschlingt Ihnen einen Knoten so geschickt, daß Alexanders Degen dazu nötig scheint, der ganze Knoten ist aber nur Schein, denn wenn man ihn beim rechten Ende anfaßt, geht er von selbst auseinander, und es war nicht einmal eine Schleife.«

»Wollte der Himmel, es wäre auch diesmal so.«

»Der Himmel, Komtesse, hat gewiß mit diesem Kriege nichts zu tun. Friedrich hat bekanntlich kein Konto mit ihm und unser lutherisches Sachsen hat der gütige Himmel, wie Sie zur Genüge von den Kanzeln gehört, längst verlassen. Wenn die österreichischen Offiziere nicht so langweilig wären, möchte man wahrhaftig katholisch werden, denn in Österreich wird noch der liebe Himmel verehrt und sie bekommen dafür keine Einquartierung.«

»Tröste dich vorderhand mit der Preußischen – ich höre kommen. Mir sind die Gesichter zuwider.«

Die Gräfin ging durch den Seitenflügel ab. Bediente setzten die Tafel zu dem schnell bereiteten Souper zusammen und die erwarteten Gäste fanden sich, von dem Fräulein empfangen, ein. Einige vom detachierten Husarenkorps, die Mehrzahl einem Freibataillon zugehörig, das im Dorfe lag. Man arrangierte sich schnell und die Entfernteren probierten schon die in unverhältnismäßiger Anzahl heraufgebrachten Flaschen, während die vornehmeren Offiziere sich mit dem Fräulein bekomplimentierten.

»Eigentlich, meine Herren, dürfte keine Dame Helden, wie Sie, anders empfangen, als in der einen Hand einen Eichenkranz, in der anderen einen Lorbeerzweig. Aber seit das Treibhaus bei der letzten Retirade der Österreicher zerstört ist, wachsen bei uns keine Lorbeeren, und die Preußen haben unsere Eichen umgehauen, so daß wir in der Tat in Verlegenheit sind, womit wir Ihre Heldenstirnen schmücken sollen.«

Die Husarenoffiziere beeiferten sich, das Kompliment wiederzugeben. Der Obrist des Freikorps murmelte zwischen den Zähnen: »Frauenzimmer sind nie in Verlegenheit!«

»Keine Komplimente, meine Herren! Helden müssen geradeaus sein. Wir sind schlichte Frauen, glücklich wenn es uns vergönnt ist, Sie zu bewundern.«

»Das Bewundern ist unsere Pflicht,« entgegnete der Leutnant, aus dem hochbraunen Gesicht einen Seitenblick auf das Fräulein schießend.

»Die Komtesse wird uns nicht mit ihrer Gegenwart erfreuen?« fragte der Eskadronschef, ein blonder, hochgewachsener junger Mann.

»Meine teure Cousine erwartet ihren Vater, um unter seinem Schutze unter die Helden zu treten. Lassen Sie sich dadurch nicht stören; sie wünscht das Fest in voller Lustigkeit zu finden.«

»Braucht eine so heldenmütige Dame eines väterlichen Schutzes?« fragte der Eskadronschef.

»Heldenmut, um Gottes willen, Herr Baron, wie paßt das Wort zu einem armen Frauenzimmer! Wenn wir vor einer Maus nicht zusammenfahren und beim Anblick einer Spinne nicht in Ohnmacht fallen, dann nennen Sie uns mutig. Meine Cousine ist eine Philosophin, eine Gelehrte, wenn Sie wollen; sie liest in den Büchern von alten Zeiten und härmt sich ab, daß die Frauen sonst besser waren und die Männer viel schlechter. Warum, ruft sie aus, sind wir nun keine Spartanerinnen mehr, während kein Römer sich mehr vor einem preußischen Grenadier darf sehen lassen!«

»Was die Taktik betrifft,« erwiderte ein wohlbeleibter Major von den Kürassieren, der, eine leichte Fleischwunde zu heilen, im Quartier lag, wurde aber durch den Anblick der dampfenden Braten, die man eben auftrug, unterbrochen.

»Ich könnte es vor der Gräfin nicht verantworten,« sagte das Fräulein, »hielte ich Sie einen Augenblick von der Tafel ab. Nehmen Sie Platz – ich bitte dringend – die Taktik unterstützt die Herren gewiß besser, als die simple Weidmannskunst, einen Rehziemer zu tranchieren. – Von den Flaschen darf nichts in den Keller zurück, ich bin verantwortlich dafür! – Bei Gott, ich sehe, die Söhne des Mars spielen die Schüchternen, und eine Dame muß ihnen vorangehen. Ich berühre den Rand dieses Glases auf das Wohlsein unserer teuren Gäste.«

Man füllte die Gläser, erhob sich, und der Eskadronschef dankte mit einem Gegentoast: »Auf das Wohlsein der liebenswürdigen Wirtin!«

»Ei, meine Herren, und Sie, mein werter Herr von Izwitz,« hub das Fräulein an, »was kommt die Wirtin hier in Betracht! Wir feiern die Gnade Ihres Königs und die Hoffnungen auf den Frieden, den man uns ahnen läßt; da ist es Frevel, wenn die erste Gesundheit nicht ihm gilt, dem unsterblichen neuen Cäsar: Friedrich von Preußen!«

Man stieß zwei-, dreimal an, hier feierlich, dort galant gegen die Dame, am unteren Ende des Tisches schon mit erhitzten Stimmen: »Friedrich für immer!«

»Daß eine Dame uns an unsere Pflicht erinnern würde,« sagte der Rittmeister, »durfte der Monarch, gegen den zwei Kaiserinnen fechten, nicht erwarten!«

»Der Weiberfeind, wollen Sie sagen,« entgegnete lächelnd das Fräulein. »Halten Sie uns denn für so unbefangen, die Männer zu verkennen, die uns kennen? Einem Manne, der unser Geschlecht achtet, müßte ich meine Achtung versagen. Ich zweifelte an seinem Verstande. Friedrich ist ein Held, denn er hat Bataillen gewonnen, er ist Schriftsteller, Philosoph und ein heller Kopf, das sind andere auch, aber seine größte Größe, der ›einzige‹ Held ist er, weil er sich nie von uns hat besiegen lassen. Ich kann mich nicht erwehren, für mich sind die possierlichsten Geschöpfe von der Welt die Ritter, die um eine Schleife, einen Kuß, einen freundlichen Blick ihr Leben in die Schanze schlugen. Ein irrender Ritter, der für seine Schöne um die Welt ritt, wenn etwas Wahres an der Geschichte ist, kommt mir immer wie ein Kind am Gängelbande vor. Es ist zwar eine allgemeine Krankheit, das Verliebtsein, aber eben darum erlauben Sie uns, die Männer am meisten zu verehren, die von der Ansteckung frei geblieben sind.«

»Wir waren immer gewohnt,« entgegnete der Eskadronschef, »Außerordentliches von den beiden Göttinnen dieses Ortes zu hören; daß der Männerhaß der schönen Komtesse und ihrer Freundin uns aber auch die Bewunderung zum Verbrechen machen würde, wer durfte das erwarten!«

»Männerhaß, Herr von Izwitz! Ei, wie verkennen Sie uns. Meiner Cousine wirft man ihn vor, weil sie Partien ausgeschlagen hat, die man vorteilhaft nannte! Ich beteure, die Männer kamen ihr nur so unbedeutend vor, weil sie sie mit Ihnen verglich. Wie oft hörte ich sie äußern: Wie nur eine Frau Wohlgefallen an den Rittern des Ariost und Tasso finden konnte, die eine Grille ihrer Schönen von Beruf und Pflicht abbrachte. ›Was wollen ihre Rittertaten bedeuten gegen die Coups jedes Schwadronschefs unter Zieten und Seydlitz!‹ – Sie trauen uns vielleicht nicht, meine Herren, weil uns das Unglück zu Ihren Feindinnen machte. Beim Himmel, ich möchte das Frauenzimmer sehen, welches es wagte, mit solchen Männern einen Scherz zu treiben.«

»Man merkt es der Komtesse nicht an, daß sie in uns die Feinde ihres Landes vergißt,« erwiderte etwas empfindlich der angeredete Rittmeister.

»Weil Sie zu galant sind, meine Herren. Wenn Sie doch ganz Ihren Vorteil verständen! Kümmerten Sie sich weniger um uns, würden Ihnen die Herzen von selbst zufliegen. Die liebenswürdige Nachlässigkeit ist es, die unwiderstehlich macht. Vorigen Winter kantonierte bei uns ein alter Obrist, ein Haudegen vorzüglicher Art, – ich habe seinen Namen vergessen – aber alle seine Offiziere bis zum Fähnrich waren nach ihm geschlagen. Der lag, wenn er vom Exerzieren kam, gestiefelt und gespornt auf dem Kanapee, die Pfeife ging nicht aus, rings um ihn die anderen, Wände und Boden waren schwarz von Dampf. Man konnte kaum durchsehen. Die Bierkrüge und Weinflaschen wurden nicht leer, und die Hunde knurrten zu den Flüchen und Schwüren und Geschichten von ihren Kriegsavantüren, welche sich die alten Herren zehnmal mit immer neuem Vergnügen wieder erzählten. Einem gewöhnlichen Frauenzimmer wurde angst und bange, wenn es durch den Saal mußte, denn niemand rückte sich bis auf die Hunde, die man doch nicht anrühren durfte; aber für meine Komtesse war mir in anderer Art bange; denn alle Abend seufzte sie beim Zubettgehen und sagte: solch ein Held mit grauem Haar und zehn Narben wäre tausendmal liebenswürdiger als alle Dichterphantasie ihre Lieblinge schildern könnte.«

»Fräulein,« hub der wohlbeleibte Kürassiermajor an, der das Gespräch benutzte, sich von den Strapazen der kleinen Rekognoszierung am Morgen bei einer neuen der aufgetragenen Schüsseln zu erholen: »Ein Glück, daß Sie den Namen vergessen, denn auf Offiziersparole, ein Obrist, der vor einer Dame sitzen bleibt, müßte mit mir auf die Mensur. Sie sehen mich zwar selbst hier bei der Schnepfe beschäftigt, allein ich rechne diese Lizenz auf den ausdrücklichen Befehl der unsichtbaren Gastgeberin.«

»Die sich freuen wird, je munterer die Gäste werden. Aber die Musik, meine Herren, der Lakai hat doch nicht vergessen, ihr Korps mit einzuladen?«

Es war vergessen, oder der Obrist hatte die Einladung unterdrückt. Aber die Dame drang mit so liebenswürdigem Ungestüm darauf, die jüngeren Offiziere unterstützten sie, und der Husarenleutnant war schon hinausgeflogen, als der Obrist ärgerlich sein Wort gab: »Meinethalben; es sind schon Katzenstimmen genug im Saale, um kein vernünftig Wort zu hören.«

»Musik, Herr Obrist, habe ich immer gehört,« sagte das Fräulein, »ist die Seele der Schlachten, und ist eine Kontonierungstafel nicht auch eine Schlacht? Ein Angriff ohne Trommelwirbel muß ein Ball sein, wo man nicht tanzt. Seit ich denken kann, ist der Dessauer Marsch meine Lieblingsmelodie, und bei meiner Heirat dürfen die Musikanten keine andere Weise spielen.«

»Werden Sie denn heiraten?« sagte der Obrist des Freikorps.

»Wenn Sie der Brautführer sein wollen. Denn nur ein Soldat, wenn der Krieg einen übrig läßt, der bei Roßbach und Prag schwört und ein hölzernes Bein hat, führt mich zum Altar.«

»Wenn ihn das Gehen nicht zu sehr inkommodiert,« entgegnete der Obrist. Man hörte schon die Musikbande auf dem Flur stimmen, und der Husarenleutnant verbeugte sich stumm vor dem Fräulein.

»Ein Kommando in die Töne, wenn ich bitten darf!« rief der Major, beleidigt vom Mißklang, ohne seine Aufmerksamkeit vom Rebhuhn abzulösen, das er vergebens nach dem Takte zu tranchieren suchte. Der Obrist blies den Rauch aus dem Munde und winkte. Das wildeste Konzert begann, als bestände die Musikbande aus zwei feindlich gesinnten, deren jede die Harmonie der anderen zu zerstören die Absicht hatte; so bliesen die Trompeten ineinander, so verwirrten sich die Flöten und der leise Wirbel eines sanften Zapfenstreiches akkompagnierte die allgemeine musikalische Verwirrung. Es schien ein Schwank des Obristen, der im Augenblick, wo der Husarenleutnant Anweisungen zu einer wohlgefälligen Serenade gegeben, die Konterbefehle erteilt hatte. Die Offiziere hielten sich die Ohren, der Leutnant sah halb ärgerlich, halb verlegen, das Fräulein aber lachte aus vollem Halse und klatschte mit den Händen. Sie hatte im Augenblick den Urheber erkannt und zu ihm eilend, drückte sie, den Arm um seine Schulter legend, seine widerstrebende Hand mit der langen Pfeife an ihr Herz.

»Unvergleichlicher Führer des tapfersten Freikorps auf der Welt, nun lassen Sie auch ein patriotisches Soldatenlied singen, und wenn die Tafel aufgehoben, versagen Sie's mir nicht, an Ihrem Arm eine Polonaise zu beginnen.«

»Wer könnte einem so schönen Fräulein etwas abschlagen?« entgegnete er spöttisch, aber sie fiel ihm ins Wort.

»Alles von Ihnen, Obrist, nur keine Höflichkeit! Schön bin ich nicht, ich bin nicht einmal hübsch, aber da lassen Sie uns beide ein Auge zudrücken, ich über Ihre Galanterie, Sie über meine Schönheit, und Sie setzen Ihre Tapferkeit, ich meine Aufrichtigkeit ein in den Bund.«

»Mein Fräulein, ein Lied so schön als Sie und so erhaben wie ich. Den Fridericus und damit basta!« – rief er hinab, und ein unsichtbarer Chor stimmte das barocke Soldatenlied an. Während des Gesanges war das Fräulein tätig. Als hätte sie selbst dem Weine zugesprochen, hauchte ein flüchtiges Rot über ihre Wangen. Sie füllte die Gläser bis über den Rand, lachte über das rote Blut auf dem Tischtuch, war bei jedem und bei keinem, und kaum war das Lied bis zum vierten Verse, als sie den Arm des Obristen ergriffen hatte und ihn zu einem komischen Tanze zwang. Das Beispiel wirkte, selbst der Major erhob sich auf einen Augenblick vom Tische, und der ganze Saal war in einem bunten Tanzwirbel durch die klirrenden Gläser, durch dampfende Tabakswolken. Das komische Lied mit deutschem Ernst gesungen, hallte aber noch lange nach, als die Tänzer schon wieder ihre Plätze gesucht hatten. Der Schluß lautete:

Fridericus, mein König, den der Lorbeerkranz ziert,
Ach, hättst du nur öfters zu plündern permittiert,
Fridericus Rex, mein König und Held,
Wir schlügen den Teufel für dich aus der Welt.

Es folgte eine Pause; nur Messer und Gabel des Majors, der noch eine unberührte Schüssel gefunden, klirrten durch die Stille.

»Ich will doch wetten,« sagte er nach einer Weile, »es ist ein Possenstreich vom Obrist Klippfisch, mit dem Küchenliede wollte er uns die Damen fortscheuchen.«

»Wer spricht von Küchenlied,« führ der Hauptmann auf, der schon stark der Flasche zugesprochen, »wo mein König vorkommt!«

»Still, Hauptmann Sternbald! Der Obrist steht vorm Kriegsgericht. Wo habt Ihr unsere muntere Wirtin hingejagt, Kommandeur vom Freikorps? Sie ist weg wie der Wind!«

»Zum Henker!« antwortete dieser, Dampfwolken von sich blasend.

»Obrist Klippfisch, Ihr macht's zu arg. Wenn Ihr mit Eurem sauren Gesicht über die Straße geht, daß den Bauernmädchen die Milch zusammenläuft, da habe ich nichts gegen. Aber hier sind Frauen von Distinktion! Für Pontac und Puter schmutzige Lieder und Tabak zu geben! Pfui! Ihr wollt sie doch nicht anwerben für Euer Freikorps?«

»Nähme sie nicht an, Major!«

»Warum nicht? Wenn der Krieg fortdauert wie voriges Jahr, müssen die Männer auf die letzt rar werden, und wir komplettieren uns durch Frauenzimmer, wie die alten Griechen in den Perserkriegen Kürassierregimenter von Amazonen hatten.«

»Rittmeister Izwitz, wo ist Euer Leutnant?« fragte der Kommandeur des Freibataillons.

Der Rittmeister lächelte: »Er wird wohl im Dorfe die Runde machen. Das Fräulein fehlt ja auch.«

»Hol der Teufel das Weibsvolk!« brummte der Kommandeur.

»Obrist Klippfisch,« sagte der Major, »sie meinen's hier gut mit uns.«

»Gut!« trällerte der Hauptmann Sternbald, »davon könnte ich ein Liedchen singen. Gut, ja so gut wie ein Birkhuhn, dem Ihr das Messer an die Kehle setzt. Sie japsen und piepen. Wenn sie den Mund auch noch so ziehen unter den breiten Backenknochen, und die Augen noch so süß lachen, trau der Teufel den sächsischen Gesichtern.«

»Sachsen sind keine Pommern!« sagte der Major ihm zunickend.

»Major, ich versteh' auf Ehre noch Euren Stich. – Aber wißt Ihr, was sie in die Flaschen gemischt haben. Hol mich der Teufel, auf Ehre, ich tränke nicht einen Tropfen mehr hinunter, wenn's nicht ein so superbes Gewächs wäre, daß es eine Schande ist.«

Der Obrist sang in den Bart:

»Fridericus, mein König, den der Lorbeerkranz ziert,
Ach, hättst du nur erstens alle Weiber kassiert.«

»Schämt Euch, solch ein Lied in Sachsen, wo die schönen Mädchen wachsen!«

»Ehemals, Major!«

»Ich ästimiere das schöne Geschlecht, wo ich es finde – die Frauen ästimieren –«

»Euch?«

»Pfui, wer wollte prahlen! – Aber, wenn's zum Frieden käme, das wüßt' ich, die erste Kondition wäre: Jeder Preuße nimmt sich eine Frau aus Sachsen mit. Das brächte in die Erbländer eine feine Population, und der König sorgt für seine Posterité.«

»Die Eroberung gönnten sie uns schon jetzt, glaub' ich,« sagte der Hauptmann.

»Dem Mann zwei!« rief der Obrist, »und Sachsen profitiert am meisten.«

»Rittmeister Izwitz, seht nicht so traurig in Euer Glas!« sagte der Major. »Ihr könntet die Komtesse hier auf Euer Teil mitnehmen.«

»Ich stehe für sie ein!« fuhr der Eskadronschef auf. Er hatte die Rede nicht ganz gehört.

»Bravo, wenn Ihr Eurer Sache so gewiß seid.« Man lachte, der Angeredete ward das Mißverständnis inne.

»Sie verehrt den König, ich habe Beweise dafür.«

Man schüttelte die Köpfe. Die jüngeren Offiziere wurden aufmerksam und gruppierten sich um die Sprechenden.

»Rittmeister!« sagte der Hauptmann, der mit einiger Feierlichkeit aufstehen wollte, es aber geratener fand, sich gleich wieder hinzusetzen. – »Rittmeister – du bist ein guter Kamerad, ein junges Blut, ein wackerer Offizier – du kannst es weit bringen – auf Ehre, du kannst es weit bringen – deine Familie gilt was – aber, Herzensjunge, nimm dich in acht vor dem gelben Gesichte. Sie taugt nichts, sie taugt wahrhaftig nichts für dich – sieh doch die großen, schwarzen, welschen Augen an. Ist das hübsch? – Eine Italienerin ist sie, aber nicht hübsch. Sieht sie dich wohl an? keine Seele sieht sie an. Sie starrt dich an, aber sie denkt nicht an dich. Es läuft mir über die Haut, wenn sie neben mir steht, der ganze Körper nicht Fleisch und Bein, sondern eine große Unruhe – lauf ihr doch nicht nach, Herzensjunge.«

Das Blut stieg dem jungen Offizier in die Wangen: »Freilich, sie ist nicht so blaß und blond wie unsere Fräuleins aus der Mark, und nicht so rotbackig wie die aus Pommern, die so ruhig aufstehen, als sie zu Bette gehen, jahraus, jahrein, und so ruhig ja sagen wie nein.«

»Gib mir einen Kuß, Herzensbruder, und halte dich an die Rotbackigen.«

»Ein Wesen, das ihr nicht begreift,« fuhr der Rittmeister heraus, »weil die Natur ihr Feuer gab, weil sie ihren eigenen Willen hat, ihre eigenen Wege geht, mit einem Worte, weil sie ein vollkommenes Wesen ist.« –

»Pah!« rief der Oberst. »Warum wurde sie dann nicht gleich ein Mann!«

»Ihren Willen hat sie,« fiel der Major ein, »sie lenkt den Vater am Schnürchen, und eine gelehrtere Frauensperson sollte man mir in Leipzig suchen.«

»Desto schlimmer,« fuhr der Hauptmann Sternbald drein. »Paßt eine lateinische Frau für einen preußischen Rittmeister? Eine Braut, die mir einen griechischen Liebesbrief schreibt, paßt besser ins Spinnhaus als in die Wirtschaft. Das liest und schreibt hier und brennt Licht bis tief in die Nacht hinein. Lacht nicht. Wenn ich all das lesen könnte, was an Briefen hin und her fliegt zu Cousinen und Tanten, drei Königreiche können mit den Briefen verraten werden. Lacht nicht, sag' ich. – Wißt ihr, ob's uns galt oder dem Könige, wenn's um Mitternacht über den Hof sprang – lacht nicht, ich weiß, was ich spreche – ein Geist huscht nicht übers Helle weg – sie verraten, uns – ich sah's doppelt.«

»Das glauben wir,« sagten die anderen lachend.

»Für die Komtesse stehe ich ein,« rief der Rittmeister noch einmal aufspringend und schlug an die Brust, »wenn es noch nötig ist, vor Kameraden seine Parole zu wiederholen.«

»Einstehen für ein Weib!« jubelte der Hauptmann und schenkte in das übervolle Glas. »Obrist, erklärt ihm, was Weiber sind, ob man einstehen kann für Weiber.«

Die Blicke ruhten auf dem Kommandeur des Freikorps, der die letzten Züge seiner Pfeife gemächlich ausblies, ehe er anhob:

»Ihr kennt mein Freibataillon. Ich steh' für jede Seele ein, wenn's heißt: ›Gebt Feuer!‹ oder: ›Stürmt!‹ und ich sag' danach: ›Rührt euch!‹ Da will ich nicht Klippfisch heißen, wenn einer mich nicht versteht, was das heißen soll. Aber kommandier' ich: ›Hier wird nicht geplündert, versteht ihr!‹ da will ich nicht Obrist sein, wenn mich nicht der dritte Mann falsch versteht. Und seht, mit den Weibern ist's just wie mit dem Freibataillon. Sie verstehen, was sie verstehen wollen, aber was sie nicht verstehen wollen, da, Paulus, predige den Heiden. Kerls habe ich, die schießen ihren eigenen Vater tot, wenn ich kommandiere, blinzeln nicht im Feuer – aber pfeift der Pandurenoffizier und hält in der Luft drei Kremser Dukaten, das Blinzeln halten sie nicht aus, wie der Wind sind sie heidi, die Montur aus und schießen eine Viertelstunde drauf auf ihren Kommandeur. Just so sind die Frauenzimmer, wenn's nur in der Sonne blinkt, heidi und umgekehrt; ich kommandiere aber doch lieber mein Feldbataillon als ein Regiment Weiber.«

Der Rittmeister hatte eine neue Flasche hastig zur Hälfte geleert, als er hitzig das Glas niedersetzte: »Meine Seligkeit, daß es niederträchtige Verleumdung ist –«

»Was gilt eine Husarenseligkeit!« lachte der Major. »Soll man was dagegen setzen, muß der Feldprediger erst attestieren, daß sie in den letzten Bataillen nicht zu schaden gekommen.«

»Laß den Feldprediger kommen,« jauchzte der Hauptmann. »Er soll dem Rittmeister sein Christentum taxieren.«

»Der Feldprediger spielt Karten in der Schenke,« sagte jemand.

»Das ist noch ein Schwarzrock, wie er sich für Soldaten paßt,« rief der Major. »Man sollte die anderen alle nach ihm zurechtschneiden. Er hält die kürzesten Reden, kennt den besten Wein und haut die beste Klinge unter den Pastoren. Ihr hättet ihn sollen bei Roßbach sehen, wie er mit Seydlitz' Kürassieren einhieb.«

»Basta!« brummte der Obrist.

»Erklärt Eure Seligkeit, Rittmeister, auf parole d'honneur. Glaubst du an Engel und Teufel, weißt du den Katechismus auswendig? Sie sagen sogar, du betest, ehe du in die Schlacht gehst.«

Ärgerlich stieß der Husarenoffizier den Stuhl von sich und stampfte seinen Säbel auf. »Ich glaube an den Teufel, den ihr alle anruft, wenn ihr Rekruten exerziert, und an den Himmel, an den König Friedrich glaubt, der heute grau ist und morgen blau, weiter keinen, und was meine Seligkeit betrifft, so hat sie mit keinem Pfaffen und Schwarzrock was zu tun. Wem dieser mein Glaube nicht ansteht, dem bin ich bereit, mein Bekenntnis rot auf weiß in die Haut zu kritzeln.«

» Parole d'honneur! Er ist genug selig,« sagte der Major, »wer noch behaupten will, daß der Rittmeister Baron von Izwitz vor der Schlacht betet, hat es mit mir zu tun.«

Der alte Obrist war aufgestanden und hatte den Hauptmann beiseite genommen. »Über den Gartenzaun springt es des Nachts?«

»Ich will nicht gerade stehen, wenn ich's nicht selbst gesehen, neulich um Mitternacht.«

»Gesehen und nicht angehalten?«

»Obrist, Nacht, Mondenschein – und 's ist ein eigenes Ding, wenn man den Kopf schwer hat. – Aber dem Posten beim Büdnerhause hab' ich's gesagt – schießen sollen sie, wenn's noch einmal über die Wiese schleicht –«

»Was nahmt Ihr keine Husarenpatrouille?«

»Trau du den Husaren. Hatten von einem verwünschten Verwalter gehört und kehrten um.«

»Taugen nur zum Plündern, die Kerle!«

»Wie ich mich noch besinne neulich, ob ich dem Springer nachgehen soll, wird's hell drüben in des Grafen Korridor; da steh' ich und schaue zwei Köpfe. Wart', denk' ich – es muß hier zurück und will mir von der Wache Sukkurs holen – lachen mich die Kornetts aus und sagen, es werde wohl ein verwünschter Husarenleutnant sein.«

Der Obrist schüttelte den Kopf und setzte seine Pfeife in den Winkel: »Hauptmann, machen wir eine Runde diese Nacht.«

»Diese,« entgegnete der Hauptmann mit langem Gesicht, denn schon hatte der Major beide umfaßt und auf die drei dampfenden Bowlen gezeigt: »Diese Nacht die Runde um den Punsch, keine Runde sonst, und wenn die Welt Lust hätte, eine Runde zu machen um sich selbst, wir bleiben und lassen den König leben.«


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