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Das Bildnis Deutschlands

Auch Deutschlands Bild ist in diesem Romane doppelt gesehen: und umgekehrt wie Frankreich mit den Augen eines Deutschen und aus der Perspektive eines Franzosen, zuerst von innen aus der Heimat, dann von außen aus der Ferne. Und ebenso wie in Frankreich sind hier zwei Welten unsichtbar übereinander geschichtet, eine laute und eine leise, eine falsche und eine wahre Kultur, das alte Deutschland, das sein Heldentum im Geistigen, seine Tiefe in der Wahrheit suchte, und das Neue, das berauscht ist von seiner Kraft und die große Vernunft, die in philosophischer Formung einst die Welt verändert, nun mißbraucht zu einer praktischen und geschäftlichen Tüchtigkeit. Nicht, daß der deutsche Idealismus erloschen wäre, der Glaube an eine reinere, schönere, von den Mischformen des Irdischen befreite Welt – im Gegenteil, seine Gefahr ist, daß er sich zu sehr verbreitet hat, allgemein und flach geworden ist. Das große deutsche Gottvertrauen hat sich praktisch gemacht und verirdischt in nationalen Zukunftsgedanken, sentimental in der Kunst und veräußerlicht im billigen Optimismus Kaiser Wilhelms. Dieselbe Niederlage, die Frankreichs Idealismus vergeistigte, hat als Sieg den deutschen materialisiert. »Was hat das siegreiche Deutschland der Welt gebracht?« fragt Christof einmal und entgegnet sich selber: »Das Blitzen der Bajonette, eine Tatkraft ohne Großherzigkeit, einen brutalen Wirklichkeitssinn, Gewalt mit Gier nach Vorteil vereinigt: Mars als Geschäftsreisenden.« Mit Schmerz erkennt Christof, daß Deutschland an seinem Siege verdorben ist, mit wahrhaftem Schmerz – denn »man steht seinem eigenen Lande anspruchsvoller gegenüber als einem anderen und leidet tiefer unter seiner Schwäche« – und der ewige Revolutionär haßt das Lärmende dieses Selbstgefühls, den militärischen Hochmut, den brutalen Kastengeist. Und im Zusammenstoß mit dem militärischen Deutschland, im Konflikt mit dem Sergeanten auf dem Tanzplatz des elsässischen Dorfes, bricht elementar der Haß des Künstlers, des Freiheitsmenschen gegen die Disziplin, gegen die Brutalisierung des Gedankens heraus. Er muß fliehen aus Deutschland, weil er hier nicht genug Freiheit fühlt.

Aber gerade von Frankreich aus beginnt er wieder die Größe Deutschlands zu erkennen – »in einer fremden Umgebung war er freieren Geistes«, dieses Wort gilt von ihm und von jedem – gerade an der Unordnung der Franzosen, an ihrer skeptischen Resignation lernt er die deutsche Tatkraft schätzen und das Lebenskräftige seines Optimismus, den hier das alte Volk der Träumer dem Volk des Geistes entgegensetzt. Freilich, er täuscht sich nicht darüber, daß dieser neudeutsche Optimismus nicht immer echt ist, und der Idealismus entartet zu einem gewaltsamen Willen, zu idealisieren. Er sieht es an seiner Jugendgeliebten, der banalen Provinzfrau, die in ihrem Mann einen Übermenschen vergöttert und von ihm als Inbegriff der Tugend gefeiert wird, sieht es in dem reinsten Deutschen, dem er begegnet, dem alten Musikprofessor Peter Schulz, diesem zärtlichen Symbol der musikalischen Vergangenheit, sieht selbst in den großen Meistern, daß – Curtius zitiert ausgezeichnet das wundervolle Goethewort – »in den Deutschen das Ideelle gleich sentimental wird«. Und seine leidenschaftliche Wahrhaftigkeit, die unerbittlich geworden ist an der französischen Klarheit, wehrt sich gegen diesen unklaren Idealismus, der Kompromisse schließt zwischen dem Wahren und dem Gewollten, der die Macht rechtfertigt mit Kultur, den Sieg mit der Kraft, und er setzt ihm stolz den eigenen Optimismus entgegen, der das Leben »erkennt und dennoch liebt« und zur Tragödie sein brausendes Hurra ruft. In Frankreich fühlt er die Fehler Frankreichs, in Deutschland die Deutschlands, und er liebt beide Länder eben um ihres Gegensatzes willen. Jedes leidet an schlechter Verteilung seiner Werte: in Frankreich ist die Freiheit zu allgemein, zu sehr verbreitet und schafft das Chaos, indes die Einzelnen, die Elite, ihren Idealismus rein bewahren; in Deutschland wiederum ist der Idealismus zu breit in die Masse gedrungen, hat sich versüßlicht zu Sentimentalität, verwässert zu einem merkantilen Optimismus, während nur eine ganz kleine Elite in Einsamkeit sich ihre volle Freiheit erhalten hat. Beide leiden sie an der Überspannung des Gegensatzes, des Nationalismus, der, wie Nietzsche sagt, »in Frankreich den Charakter, in Deutschland den Geist und Geschmack verdorben hat«. Könnten die beiden Völker in Annäherung und Durchdringung einander finden, so würden sie beglückt Christofs eigenes Erlebnis erfahren, der, »je reicher er war an germanischen Träumen, um so mehr der lateinischen Klarheit bedurfte«. Olivier und Christof, der Bund der Freundschaft, träumen von einer Verewigung ihres Gefühls im heimatlichen Volke, und über eine finstere Stunde des Bruderzwistes der Nationen ruft der Franzose dem Deutschen das heute noch unerfüllte Wort entgegen: »Hier unsere Hände! Trotz aller Lügen und allem Haß wird man uns nicht trennen. Wir haben einander zur Größe unseres Geistes, unserer Rasse nötig. Wir sind die beiden Schwingen des Okzidents. Wenn die eine zerbricht, ist auch der Flug der anderen zerstört. Möge der Krieg kommen. Er wird unsere verschlungenen Hände nicht lösen, wird den Aufschwung unserer Bruderseelen nicht hemmen.«


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