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Danton

(1900)

In »Danton« ist ein entscheidender Augenblick der Revolution gezeigt, die Wasserscheide des Aufstieges und des Niedergangs, die Peripethie. Was die Masse als elementare Kraft geschaffen hat, nutzen jetzt die einzelnen Menschen, die Führer, ehrgeizig zu ihren Ideen aus. Jede geistige Bewegung und insbesondere jede Revolution und Reformation kennt diesen tragischen Augenblick des Sieges, wo die Macht an die Menschen fällt, das Moralisch-Einheitliche in politische Strebung zersplittert, die Masse, die in kurzer Aufwallung ihre Freiheit verwirklicht hat, nun unbewußt den Führern dieser Freiheit, den Einzelinteressen ihrer Demagogen wieder hörig wird. Es ist der unvermeidliche Augenblick des äußeren Erfolges einer jeden geistigen Bewegung, da die Edlen sich enttäuscht absondern, die Ehrgeizigen, die Rücksichtslosen triumphieren, und die Idealisten still abseits gehen. Rolland hat in jenen Tagen der Dreyfus-Affäre Ähnliches im Menschlichen gespiegelt gesehen. Wie dort in Wirklichkeit, ist er auch in der Dichtung mit den Besiegten, mit jenen, denen die Idee alles war und der Erfolg nichts; denn er weiß, die Kraft einer Idee ist immer in ihrer Nichterfüllung.

Danton ist also nicht mehr das Drama der Revolution, sondern das der großen Revolutionäre: die mystische Macht kristallisiert sich zu menschlichen Charakteren. Geschlossenheit wird Widerstreit, schon beginnt im Rausch des Sieges, in der Schwüle des Blutdunstes der neue Kampf der Prätorianer um das erstürmte Reich. Kampf der Ideen, Kampf der Persönlichkeiten, Kampf der Temperamente, der Herkunft: seit die dura necessitas, die Gefahr, nicht mehr die Genossen bindet, erkennen sie ihre Fremdheit. Die Krise der Revolution bricht aus, eben in der Sekunde des Triumphes. Die feindlichen Armeen sind geschlagen, die Royalisten, die Girondisten zerschmettert: nun hebt sich im Convent Stirn gegen Stirn. Prachtvoll sind die Charaktere gezeichnet. Danton, der gute Riese, vollblütig, warm, menschlich, ein Orkan in seiner Leidenschaft, aber nicht kampfwütig. Er hat die Revolution geträumt als eine große Freude der Menschheit und sieht sie als eine neue Tyrannei. Ihn ekelt das Blut und er verabscheut die Schlächterei der Guillotine wie Christus die Inquisition als Sinn seiner Lehre verabscheut hätte. Die Menschen ekeln ihn. »Je suis soûl des hommes. Je les vomis« – »Ich bin vollgetrunken mit Menschheit, ich speie sie aus«. Er sehnt sich nach Natur, nach vernunftlosem, naturhaftem Leben. Seine Leidenschaft ist mit der Gefahr zu Ende, er liebt die Frauen, das Volk, das Glück und ist glücklich, geliebt zu sein. Die Revolution hat er aus seinem Temperamente geschaffen, aus menschlichem Trieb zur Freiheit und Gerechtigkeit: atmosphärisch liebt ihn darum das Volk, es spürt den gleichen Instinkt, der die Seinen zur Bastille stürmen ließ, die gleiche Sorglosigkeit, den gleichen Saft. Robespierre ist ihnen fremd, sein Stil zu kalt, zu advokatorisch, aber sein dogmatischer Fanatismus, sein durchaus nicht unedler Ehrgeiz wird eine furchtbare Kraft, die nach vorwärts treibt, indes die heitere Lebensfreude Dantons schon ruht. Während jener täglich mehr den Ekel vor der Politik spürt, bohrt sich die kalte konzentrierte Leidenschaft Robespierres immer tiefer zum Zentrum der Macht: wie sein Freund, der Fanatiker der Tugend, der grausame Apostel der Gerechtigkeit, der römische oder calvinistische Starrkopf St. Just, sieht er nur mehr die Theorie, die Gesetze, die Dogmen der neuen Religion, nicht mehr die Menschen. Er will nicht im Sinne Dantons eine glückliche freie Menschheit, sondern eine tugendhafte in der Gebundenheit geistiger Ideen. Und der Zusammenstoß Dantons und Robespierres auf dem höchsten Gipfel des Sieges ist im letzten der der Freiheit und des Gesetzes, des lebendigen Lebens und des starren Begriffes. Danton stürzt ab, er ist zu lässig, zu sorglos, zu menschlich in der Verteidigung, aber schon spürt man: er reißt seinen Gegner nach sich in den gleichen Abgrund.

In dieser Tragödie ist Rolland ganz Dramatiker geworden. Der Lyrismus schmilzt ab, das Pathos zergeht im Feuer der Geschehnisse, der Konflikt entsteht aus der Entfaltung menschlicher Energie, aus dem Widerstreit von Gesinnungen und Persönlichkeiten. Die Masse, die im »Vierzehnten Juli« Hauptperson war, ist in dieser neuen Phase der Revolution wieder zum Zuschauer degradiert. Nicht der Instinkt, der heroische des Volkes, sondern der Geist, der herrische und ungewisse der Intellektuellen, meistert die Stunde. Hatte Rolland im »Vierzehnten Juli« seiner Nation die Größe der Kraft gezeigt, so schildert er ihr hier die Gefahr rascher Passivität, die ewige Gefahr jedes Sieges. In diesem Sinne ist auch der »Danton« ein Aufruf zur Tat, ein Elixier der Energie, und so hat es auch Jaurès gedeutet, der – Danton ähnlich in der Wucht des Wortes – in der im Théatre Civique am 20. Dezember 1900 vom Cercle des Escholiers veranstalteten Wiederholung zu Gunsten der Arbeiter dies Werk den Parisern in einer Rede einleitete, die am nächsten Tage vergessen war, wie alle Versuche Rollands und alle seine ersten Werke.


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