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Die heroischen Biographien.

»Durch die Beschäftigung mit geschichtlichen
Untersuchungen nehmen
wir nur das Andenken der besten und
anerkanntesten Charaktere in unsere
Seele auf, und dies befähigt uns, alles
Schlechte, Unsittliche und Gemeine, das
uns der unumgängliche Verkehr mit
unserer Umwelt entgegenstellt, aufs entschiedenste
abzuweisen und nur den
Vorbildern die versöhnte und befriedete
Welt unserer Gedanken entgegenzukehren.«

Plutarch, Vergleichende Lebensbeschreibungen,
Vorrede zum Timoleon

 

Ex profundis

Die Begeisterung als höchste Macht des Einzelnen, als schöpferische Seele eines jeden Volkes hatte der Zwanzigjährige, der Dreißigjährige in seinen ersten Werken feiern wollen; denn für Rolland ist nur jener ein wahrhaft Lebendiger, der in Ideen flammt, eine Nation nur beseelt, wenn sie sich zusammenschließt in einem glühenden Augenblick des Glaubens. Und zu diesem Glauben seine müde, besiegte, willenskranke Zeit aufzureißen, war der gestaltende Traum seiner Jugend. Der Zwanzigjährige, der Dreißigjährige will durch Begeisterung die Welt erlösen.

Vergeblicher Wille, vergebliche Tat. Zehn Jahre, fünfzehn Jahre – o wie leicht rundet die Lippe die Zahl, wie schwer erträgt sie das Herz! – sind nutzlos vertan. In Enttäuschung versickern die heißen Wellen seiner Leidenschaft. Das »Thêatre du peuple« stürzt ein, der Dreyfusprozeß verschlammt in Politik, die Dramen verprasseln als Papier, »nichts rührte sich, nichts regte sich,« die Freunde verlaufen sich, und indes seine Altersgenossen schon Ruhm umglänzt, bleibt Rolland noch immer der Anfänger, der Beginner, ja, fast möchte man sagen, er wird um so vergessener, je mehr er schafft. Nichts ist verwirklicht von seinen Zielen, lau und schläfrig rollt das öffentliche Leben weiter. Die Welt will Vorteil und Gewinn, statt eines Glaubens und geistiger Gewalt.

Auch innen stürzt sein Leben. Eine Ehe, rein und gläubig begonnen, zerbricht: Rolland erlebt in jenen Jahren eine Tragödie, deren Grausamkeit sein Werk (das einzig der Erhebung gilt) für immer verschweigt. Im tiefsten verwundet, schiffbrüchig in allen Versuchen, zieht sich der Dreißigjährige ganz in die Einsamkeit zurück. Sein kleines mönchisches Zimmer ist nun seine Welt, die Arbeit seine Tröstung. Und einsam kämpft er jetzt den Kampf um den Glauben seiner Jugend, auch als der Zurückgestoßene unentwegt der Helfende und allem Verbundene.

In dieser seiner Einsamkeit durchblättert er die Bücher der Zeiten. Und da der Mensch in allen Stimmen zutiefst immer seine eigene hört, findet er überall nur Schmerz. Überall nur Einsamkeit. Er durchforscht das Leben der Künstler und sieht, »je mehr man eindringt in die Existenzen der großen Schaffenden, um so mehr wird man betroffen von der Fülle des Unglücks, das ihr Leben umschließt. Nicht nur daß sie den gewöhnlichen Prüfungen und Enttäuschungen unterworfen waren, die ihre erhöhte Empfindlichkeit viel härter treffen mußten, ihr Genie, das ihnen vor ihren Zeitgenossen einen Vorsprung von zwanzig, fünfzig, ja oft mehreren hundert Jahren und damit eine Wüste um sie schuf, verurteilte sie zu verzweifelten Anstrengungen, wobei sie kaum leben, geschweige denn siegen konnten.« Also auch die Gewaltigen der Menschheit, zu denen die Nachwelt mit Ehrfurcht aufblickt, sie, die ewige Tröster fremder Einsamkeit waren, »pauvres vaincus, les vainqueurs du monde«, auch sie, »die Sieger der Welt, arme Besiegte«. Eine unendliche Kette alltäglicher, sinnloser Qualen bindet durch die Jahrhunderte ihre Schicksale zu tragischer Einheit, nie sind, wie schon Tolstoi in jenem Briefe ihm zeigte, »die wahren Künstler zufriedene satte Genießer«, sondern jeder ein Lazarus, leidend an anderem Gebrest. Je mehr Größe in den Gestalten, um so mehr Schmerz. Und wiederum: je mehr Schmerz um so mehr Größe in ihnen.

Und da erkennt Rolland: es gibt noch eine andere Größe, eine tiefere, als jene der Tat, die er immer im Werke erhoben: die Größe des Leidens. Undenkbar ein Rolland, der einer Erkenntnis und selbst der schmerzlichsten, nicht einen neuen Glauben entwindet und aus Enttäuschung Begeisterung erweckt. Als Leidender grüßt er alle Leidenden der Erde, statt der Gemeinschaft der Begeisterung will er nun eine Brüderschaft aller Einsamen dieser Erde errichten, indem er ihnen den Sinn und die Größe alles Leidens zeigt. Auch hier, in dieser neuen Sphäre, der tiefsten des Schicksals, sucht er Bindung durch großes Beispiel. »Das Leben ist hart, ist ein täglicher Kampf für all jene, die sich nicht mit der Mittelmäßigkeit im Seelischen abfinden können, ein meist trauriger Kampf ohne Größe, ohne Glück, gekämpft in Einsamkeit und Schweigen. Bedrückt durch die Armut, die bitteren häuslichen Sorgen, durch zermalmende und sonnenlose Aufgaben, in denen man zwecklos seine Kräfte vergeudet, freudlos, hoffnungslos sind die meisten voneinander getrennt und haben nicht einmal den Trost, ihren Brüdern im Unglück die Hand reichen zu können.« Diese Brücke von Menschen zu Menschen, von Leid zu Leid will Rolland nun erbauen, will den Namenlosen jene zeigen, in denen der persönliche Schmerz Gewinn ward für die Millionen nach ihm und – um mit Carlyle zu sprechen – »die göttliche Verwandtschaft sichtbar machen, die zu allen Zeiten einen großen Mann mit den andern Menschen verbindet.« Die Millionen Einsamkeiten haben eine Gemeinsamkeit: die großen Märtyrer des Leidens, die auf der Folterbank des Schicksals doch den Glauben an das Leben nie abschworen, die eben durch ihr Leiden das Leben für alle bezeugten. »Sie sollen nicht allzusehr klagen, die unglücklich sind,« hebt er seinen Hymnus an, »denn die Besten der Menschheit sind mit ihnen! Erstarken wir an ihrer Kraft und fühlen wir Schwäche, so ruhen wir an ihren Knien. Sie werden uns trösten. Von diesen Seelen strömt ein heiliger Sturz ernster Kraft und machtvoller Güte. Ohne daß wir ihre Werke befragen müßten und ihre Stimme hören, aus ihren Bücken, aus ihrer Existenz wüßten wir schon, daß das Leben nie größer, nie fruchtbarer ist – nie glücklicher – als im Schmerz.«

Und so schreibt Rolland, sich selbst zur Erhebung, den unbekannten Brüdern im Leiden zur Tröstung, die »heroischen Biographien«.


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