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Der Schöpfer

Die Aufgabe ist gestellt. Wer soll sie vollbringen? Romain Rolland antwortet durch die Tat. Der heroische Mensch in ihm scheut keine Niederlage, der jugendliche keine Schwierigkeit. Eine Epopöe des französischen Volkes will gestaltet sein: er zögert nicht, in das Schweigen und die Gleichgültigkeit einer Millionenstadt hinein das Werk zu bauen. Immer ist bei ihm der Impetus mehr ein moralischer als ein künstlerischer, immer fühlt er die Verantwortung einer Nation in sich. Und nur ein solch produktiver, ein heroischer Idealismus, nicht der bloß theoretische, kann Idealismus zeugen.

Das Thema ist leicht gefunden. Rolland sucht dort die Aufgabe, wo die Väter und Ahnen sie gefordert haben, im größten Augenblicke des französischen Volkes: in der Revolution. Am 2. Floreal 1794 hatte der Wohlfahrtsausschuß die Dichter aufgerufen, »die hauptsächlichsten Geschehnisse der französischen Revolution zu verherrlichen, republikanische Dramen zu verfassen, der Vergangenheit die großen Epochen der französischen Erneuerung zu überliefern, der Geschichte den erhabenen Charakter zu weisen, wie er den Annalen eines großen Volkes ziemt, das gegen den Ansturm aller Tyrannen Europas seine Freiheit erkämpft.« Er hatte am I. Messidor vom jungen Dichter verlangt, »er möge mit kühnem Schritt die ganze Größe der Aufgabe umfassen, die gefälligen und ausgetretenen Wege der Mittelmäßigkeit meiden«. Die damals jene Dekrete unterschrieben, Danton, Robespierre, Carnot, Couthon, sie sind inzwischen selbst ihrer Nation Gestalten geworden, Denkmäler der Straße, Heroen und Legenden. Wo die Nähe der dichterischen Beseelung Schranken zog, ist jetzt Raum für die Phantasie, ist die Geschichte fern genug, um Tragödie zu werden. Aus jenen Dokumenten geht der Ruf an den Dichter, an den Historiker Rolland: aber er rauscht auch wieder aus dem eigenen ererbten Blut. Ein Großvater seines Vaters, Bonjard, hatte selbst als »Apostel der Freiheit« an den Kämpfen teilgenommen, und sein Tagebuch schildert die Erstürmung der Bastille; ein anderer Verwandter wurde ein halbes Jahrhundert später in Clamecy bei einem Aufstand gegen den Staatsstreich durch Messerstiche getötet: der fanatische Revolutionär hat Ahnen in seiner Seele, ebenso wie der religiöse Mensch. Hundert Jahre nach 1792, im Rausche der Erinnerung, schafft er die großen Gestalten jener Vergangenheit aus einem reinen dichterischen Enthusiasmus neu. Noch ist das Theater nicht erstanden, dem er die »französische Iliade« geben will, noch vertraut ihm niemand in der Literatur, noch fehlen die Schauspieler, die Führer, die Zuschauer. Nichts ist lebendig von all dem, als sein Glaube und sein Wille. Und aus dem Glauben allein beginnt er das Werk: »Le Théatre de la Révolution.«


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