Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Aërt

(1895)

»Aërt«, ein Jahr nach »St. Louis« geschrieben, ist deutlicher als der fromme Mythos in seiner Absicht, der gedrückten Nation ihren Glauben und ihren Idealismus zurückzugeben. »St. Louis« war die heroische Legende, die sanfte Erinnerung an einstige Größe; »Aërt« ist die Tragödie der Besiegten, der starke leidenschaftliche Aufruf zum Erwachen. Schon die szenischen Bemerkungen, die das Werk einbegleiten, sagen die Absicht nackt und klar: »Entstanden aus den politischen und moralischen Erniedrigungen der letzten Jahre, stellt es in einem Phantasie-Holland die dritte Republik dar, ein Volk, das von der Niederlage zerbrochen und, was noch ärger ist, von ihr erniedrigt ist. Vor sich eine Zukunft langsamer Dekadenz, deren Vorgefühl die verbrauchte Kraft gänzlich auflöst.«

In dieses Milieu dichtet Rolland seinen Aërt, den jungen Prinzen, den Erben der großen Vergangenheit. Vergeblich sucht man durch Immoralität, durch Versuchung, durch List, durch Zweifel den Glauben an die Größe in dem Gefangenen zu zerbrechen, die einzige Macht, die noch den schwachen dekadenten Körper, diese blasse leidende Seele aufrecht erhält. Mit Luxus, mit Leichtsinn, mit Lüge bemüht sich eine heuchlerische Umgebung, ihn von der hohen Berufung, tätiger Erbe großer Vergangenheit zu sein, abzulenken, er bleibt unerschütterlich. Sein Lehrer, Maître Trojanus, ein vorgeborner Anatole France, in dem alle Eigenschaften, Güte, Tatkraft, Skepsis, Weisheit, nur laue Grade erreichen, möchte einen Marc Aurel aus dem Feurigen machen, einen Kontemplativen, einen Verzichtenden, aber stolz erwidert der Knabe: »Ich ehre die Ideen, doch ich glaube, es gibt etwas, das höher steht als sie: die moralische Größe.« Er verbrennt in einem lauen Zeitalter nach der Tat.

Aber die Tat ist Gewalt, der Kampf ist Blut. Die zarte Seele will den Frieden, der moralische Wille begehrt das Recht. Ein Hamlet ist in diesem Knaben und ein St. Just, ein Zögernder und ein Fanatiker. Ein blasser Bruder Oliviers, der schon um alle Werte weiß, glüht er noch ins Ungewisse seine knabenhafte Leidenschaft: aber es ist reine Flamme, die sich im Wort und Willen verzehrt. Nicht er ruft die Tat, die Tat faßt ihn. Und sie reißt den Schwachen mit sich in die Tiefe, wo es keinen andern Ausweg gibt als den Tod. Aus der Erniedrigung findet er noch eine letzte Rettung zur moralischen Größe, seine eigene Tat, die er für alle vollbringt. Umstellt von den höhnischen Siegern, die ihm ihr »Zu spät« zurufen, antwortet er stolz: »nicht, um frei zu sein« und stürzt sich aus diesem Leben.

Es ist ein tragisches Symbol, dieses romantische, allzu problematische Stück, in seiner Haltung ein wenig erinnernd an ein anderes knabenhaft schönes Stück eines später aufsteigenden Dichters, an die »Offiziere« des Fritz von Unruh, worin auch die Qual gezwungener Untätigkeit, niedergehaltenen Heldenwillens vorerst nur das kriegerische Ziel als Befreiung sieht. Wie jenes spiegelt Aërt gerade in seinem Aufschrei die Dumpfheit der andern, die stagnierende schwüle Luft einer glaubenslosen Zeit. Inmitten eines grauen Materialismus, in den Jahren der Triumphe Zolas und Mirbeaus hisst es einsam die Fahne des Traums über einem gedemütigten Land.


 << zurück weiter >>