Heinrich Zschokke
Die Branntweinpest
Heinrich Zschokke

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17. Die Ueberraschung.

Hiemit endete Fridolin seine Erzählung, die für mich von großem Interesse war.

Ich wußte aus den Zeitungen, daß man hie und da im Vaterlande Versuche gemacht habe, Mäßigkeitsvereine zu gründen. Aber ich kannte keinen wirklich bestehenden. Es ist wahrscheinlich an vielen Orten bei gutgemeinten Versuchen geblieben, weil Männer, welche dergleichen unternahmen, entweder nicht Festigkeit des Charakters genug besaßen, oder so wenig, als ich, wußten, wie die Sache eigentlich anzugreifen sei?

Ich dankte dem braven Fridolin herzlich. Ich hatte wahre Ehrfurcht vor dem edelherzigen, jungen Mann bekommen; und konnte mir nun die sehr verschiedenartigen Urtheile erklären, welche über ihn gefällt waren, als ich die ersten Nachfragen seinetwillen gehalten.

»Wahrlich, Ihr habt Gutes und Großes gethan!« sagt' ich zu ihm: »Wenn immer möglich, will ich Euer Nachfolger werden. Das Bewußtsein eines solchen Werkes muß Euer Herz mit Gottesfrieden und Gottesfreuden erfüllen. Ja, du lieber, edler, guter Fridolin, – nimm's nicht übel, ich will dich Du nennen; mache mich auch zu deinem Bruder. Du hast ja um meine Gesundheit und dadurch um meine Familie das größte Verdienst. Du hast ja auch mich von der Selbstvergiftung gerettet durch deinen Rath. Nenne mich deinen Bruder!«

Er umarmte mich, und sagte: »Lieber Freund, du schlägst meine Verdienste etwas zu hoch an. Aber wer wollte nicht gern der Bruder einer Seele sein, die schon durch so Weniges in Begeisterung gerathen kann, als ich gethan habe!«

»Nenn' es viel, oder wenig,« rief ich: »Aber nun begreif' ich vollkommen, was du unter den Worten verstandest: du habest auf deines Vaters Grab den schönsten Denkstein setzen wollen. Die Tugenden der Kinder sind die schönsten Ehrensäulen ihrer Aeltern. O, wie wird dich Justine Thaly unter Freuden- und Wehmuthsthränen segnen und bewundern, wenn ich ihr davon zu Hause erzähle!«

Bei diesen Worten, die ich in der Lebhaftigkeit meiner Gefühle ganz unbedacht aussprach, ward der gute Fridolin todtblaß. Er starrte mich an und stammelte: »Was? zu Hause? Wer denn? Du sagst Justine Thaly?«

Ich ergriff seine Hand und erwiederte: »Verzeih' lieber Fridolin. Es ist mir in der Uebereilung ein Wörtchen zu rasch entfahren, worauf ich dich besser hätte vorbereiten sollen und können Und doch bin ich in der That, nur Justinens wegen, hierher gekommen, wiewohl sie selber nicht darum weiß. Beruhige dich. Ich habe schon bemerkt, daß es dir und deiner Mutter unlieb sei, wenn nur der Name des Mädchens ausgesprochen wird. Darum wollen wir kurz abbrechen.«

»Nein, nein!« schrie Fridolin: »Rede, Justine, in deinem Hause! – Rede, sie lebt noch, und bei dir? Belüge mich um Gottes willen nicht! Wer sagt, daß dies arme Kind, daß mir sein Name unlieb sei? Blutet nicht mein Herz seit drei Jahren um die Unglückliche? Würde nicht meine vortreffliche Mutter, wenn sie noch frei ist, sich selbst hinopfern, mich durch sie wieder glücklich zu machen? – So rede doch, wenn du mich wirklich lieb hast. Du kennst sie? Sie ist bei dir? Wie ward das möglich? Und ist sie deiner Achtung würdig?« – – –

Fridolin, trotz dem er mich beständig zum Reden aufforderte, hätte ganz sicher noch ein paar hundert Fragen an mich gerichtet, wenn er nicht von mir unterbrochen worden wäre. »Beruhige dich!« sagt' ich: »Du sollst Alles erfahren. – Ja doch! Justine ist ein Engel; ist deiner und meiner Hochachtung würdig; Justine ist bei mir.« – – –

Hier sprang Fridolin, dem Freude und Ueberraschung alles Blut ins Gesicht trieb, hastig vom Stuhle auf, rannte durchs Zimmer und rief: »Bei dir? Und du verschwiegst es? Bei dir hier? Noch im Gasthof? Ich muß es meiner Mutter sagen. O wie konntest du mir solches Leid thun?«

Ich mußte den Doktor mit aller Kraft festhalten, daß er nicht davon lief. »Höre doch; fasse dich!« rief ich: »Es waltet Mißverständniß unter uns. Sie ist nicht bei mir hier, sondern bei meiner Frau und Tochter zu Hause; zweiundzwanzig Stunden Wegs von hier. Sie weiß nicht einmal davon, daß ich bei dir bin!«

Diese Erklärung stelle seine Ruhe scheinbar wieder her. Er sank aber still in den Sessel zurück, mit trauriger Miene, und sagte: »Wie ist es ihr in so vieler Zeit ergangen? Wie kam die Beklagenswürdige ins Haus zu dir?«

Nun erst konnt' ich dazu gelangen, ihm zu erzählen, wo und wann meine Frau und ich Justinen gefunden und sie mit uns genommen hätten. Wie umständlich immerhin mein Bericht sein mochte, schien er dem Doktor doch immer zu kurz und unvollständig. Er störte mich mit einigen Zwischenfragen hundert Mal in meinem Vortrag, bis ich endlich rundweg erklärte, mehr wisse ich nicht; und wolle er mehr wissen, solle er mit mir kommen, und seine ehemalige Verlobte selber fragen.

»Ehemalige!« seufze Fridolin: »Ja wohl aus übermäßigem Zartgefühl machte sie mich und sich unglücklich, und schickte sie meiner Mutter den Ring zurück. Aber ich will wissen, ob sie sich und mich zeitlebens dem Gram überlassen will? Ich reise mit dir. Ich will sie hören. Es muß unter uns entschieden werden.«

Fridolin nahm hastig meine Hand und führte mich zu seiner würdigen Mutter. Hier mußt' ich abermals Alles, was ich ihm gesagt hatte, wo möglich mit noch größerer Umständlichkeit wiederholen. Die gute Frau hörte mich erst mit Erstaunen, dann mit freudeleuchtenden Augen an, und schloß endlich mit Thränen ihren Sohn in die Arme, der an ihrer Brust laut weinte.

Es gehörten einige Stunden Zeit dazu, ehe sich die lieben Leute von ihrer Ueberraschung erholen und mit mir überlegen konnten. was zu thun sei? Unvorbereitet dürfte Justine, ohne Gefahr für ihre zarte Gesundheit, den ehemaligen und noch immer geliebten Jugendgespielen nicht bei sich erscheinen sehn. Ich schrieb vorläufig meiner Frau, in welcher Stimmung ich den Doktor Walter gefunden und daß ich ihrer Klugheit überlasse, Justinen mit unserer baldigen Ankunft bekannt zu machen. – Ein paar Tage nach diesem Schreiben setzte sich Fridolin zu mir in den Reisewagen.


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