Heinrich Zschokke
Die Branntweinpest
Heinrich Zschokke

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3. Ein Unglücklicher.

Als ich die Briefe gelesen hatte, saß ich lange in großer Bestürzung da; denn zwei dergleichen, das fühlt' ich wohl, waren hinreichend, einen jungen Mann, der ein Herz, wie mein Freund, im Busen trug, zur Verzweiflung zu treiben. Ich konnte mir jetzt wohl seine Scheu vor starken Getränken erklären. Denn er hatte durch Schuld derselben seinen Vater und einen guten Theil seines Vermögens eingebüßt. Besonders aber erschütterten mich die Zeilen dieser Justine Thaly. Es lag darin ein schreckliches Geheimniß, was die Unglückliche nicht einmal den Muth hatte, selber zu gestehen. Was hatte sie verbrochen? War sie verführt? War sie entehrt? – Nun, dann war die Leichtsinnige der Vergessenheit werth. Für ein verführtes Weib gibt es keine Entschuldigung; jede Jungfrau muß die Hüterin ihrer eigenen Ehre sein; es kann es kein Anderer werden.

»Armer Fridolin!« sagt' ich und drückte seine Hand: »Hier kann ich keinen Trost geben. Solche Wunde muß allein die Hand der Zeit und die der Religion heilen.«

Er trocknete von seinen Augen die Thränen. Er schloß krampfhaft meine Hand in die seinige und rief: »Ich bin auf viele Jahre, vielleicht auf immer elend gemacht. Daß mein Vater gestorben ist, so plötzlich; daß er Schulden hinterließ, – – ich könnte, so hart es ist, das Schicksal mit männlichem Muth ertragen. Der Tod ist aller Menschen endliches Loos; Niemand ist auf Erden unsterblich. Die Zerrüttung des häuslichen Vermögens sollte für meine gute Mutter lange kein Kummer sein. Sie weiß nicht, daß ich von der freigebigen Dankbarkeit des Lords und seiner Familie für die Zukunft so ziemlich aller Nahrungssorgen enthoben bin. Aber die arme Mutter! sie hatte »Hauskreuz,« schreibt sie; einige Jahre lang Hauskreuz! Mich quälen böse Ahnungen. Wer machte die fromme, gute Frau jahrelang zur Dulderin? – Ach, und die unglückliche Justine! Dieser Engel, diese Heilige, was ist aus ihr geworden? Warum mußte sie flüchten? Warum will sie mir nun entsagen?«

Hier schwieg er und schluchzte lautweinend. »Freund,« sagte ich: »entweder ist sie an der unheilvollen Begebenheit unschuldig, derentwillen sie entfloh, – –«

»Halt! kein Oder!« schrie Fridolin: »Sie ist rein, sie ist schuldlos! Ich kenne sie von frühester Jugend her. Wir waren Nachbarskinder, unzertrennliche Gespielen. Als ich von der Hochschule zurückgekommen war, gelobten wir uns Treue und Liebe bis zum Grabe, obgleich sich unsere Väter haßten und mit einander beständig in Streit und Prozeß lagen. Ich nannte sie meine Verlobte und Braut, ungeachtet unsere Väter uns den Umgang mit einander verboten hatten, und unsere Vereinigung mit ihrem Fluch bedrohten. Wir hofften das Bessere von der Zeit. Darum hatte ich den Antrag des Lords willig angenommen, ihn einige Jahre lang auf seinen Reisen zu begleiten. Und jetzt, nun unserer Verbindung kein Hinderniß mehr im Wege stände, jetzt entsagt sie mir! Noch in dem Briefe. den ich von ihr, wenige Wochen vor diesem schrecklichen, letzten hier, empfangen hatte, beschwor sie mich mit zärtlicher Heftigkeit, bald in die Heimath zurückzukehren. Sie war immer tugendhaft, fromm und treu, muthvoll und entschlossen; – und nun, wie hat das Schicksal sie gebeugt! Warum verhehlt sie mir, die doch sonst mir nichts verhehlte, das schwarze Geheimniß, das uns auf immer trennen soll? Was ist aus ihr geworden?«

So sprach er noch lange. Ich konnte mich bei seinem Jammer der Thränen nicht enthalten. Justines Brief lautete so räthselhaft und zweideutig, daß wir uns vergeblich in Vermuthungen darüber erschöpften. Im Stillen aber zweifelte ich bei mir nicht, das Mädchen sei, während seiner langen Abwesenheit, leichtsinnig und treulos geworden. Doch wagt' ich meinen Argwohn nicht zu äußern, um den jungen Mann nicht zu beleidigen. Allein dergleichen Vorfälle sind nur gar zu gewöhnlich.

Ein unerwarteter Unfall brach plötzlich unser Gespräch ab. »Justine Thaly


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