Heinrich Zschokke
Die Branntweinpest
Heinrich Zschokke

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7. Eine Entdeckung.

Am andern Morgen reiseten wir zeitig ab, nachdem wir noch einmal unsern unglücklichen Fuhrmann auf seinem Schmerzenslager besucht und mitleidig beschenkt hatten. Er war sehr gerührt. Tausendmal bat er um Verzeihung wegen des Mißgeschicks, welches er uns durch seinen kleinen Rausch verursacht hatte. Er betheuerte, er wolle zeitlebens der empfangenen, schmerzlichen Lehre eingedenk sein; den Wein und Branntewein, wodurch er nun ein elender Mensch geworden, künftig verabscheuen. Es ist mir unbekannt, ob er Wort gehalten habe.

Ich begleitete meinen Reisegefährten bis zur nächsten Stadt. Hier aber mußten wir von einander scheiden, weil unsre Wege nach der Heimath eines Jeden verschieden waren. Wir gelobten gegenseitig Freunde zu bleiben, und, wenn Einer in die Gegend des Andern käme, keinen Umweg zu scheuen und uns zu besuchen. So trennten wir uns nach einer herzlichen Umarmung.

Ich dachte seitdem oft an den liebenswürdigen Fridolin und an das bittere Schicksal, welchem er durch den Tod seines Vaters und gleichzeitigen Verlust seiner Verlobten trug. Ich erzählte daheim von ihm, meiner Frau und Tochter; und oft kam ich in Versuchung ihm zu schreiben, um zu erfahren, wie er sich befände. Aber dann fürchtete ich, seine Wunden aufzureißen, oder nur als zudringlicher Neugieriger zu gelten, der erfahren möchte, ob er über das geheimnißvolle Verschwinden seiner Braut einiges Licht erhaben hätte? So verfloß Jahr und Tag. Nun, nach so langem Schweigen, und, da er mir selber nie geschrieben, hielt ich es fast für unschicklich, mich mit einem Brief an ihn zu wenden. Ich wußte nicht einmal, ob er noch, oder wo er in der Schweiz wohne?

Auf einer Geschäftsreise, die ich im letzten Sommer nach Deutschland machte, hatte ich meine Frau, als Begleiterin, mitgenommen. Sie war erst seit wenigen Wochen von einer Krankheit genesen. Eines Tages, in einem würtembergischen Städtlein, wo wir über Nacht blieben, war sie im Wirthshause zufällig in ein an das Gastzimmer stoßendes Gemach getreten, worin Näherinnen arbeiteten. Nachdem sie da ziemliche Zeit verweilt hatte, kam sie zu mir zurück, und sagte: »Du solltest diese Näherinnen sehen! Eine derselben ist von so ausgezeichneter Schönheit, daß ich unter allen Frauenzimmern, die ich kenne, keine mit ihr vergleichen möchte.«

Ich mußte etwas verwundert über die große Begeisterung meiner Frau lächeln, und sagte: »Was? willst du selber das Herz deines treuen Mannes bei dieser Schönheit in Lebensgefahr bringen?«

Indem trat die geschäftige Wirthin zu uns. und mein Weibchen hatte eben nichts Dringenderes als sich nach der hübschen Näherin zu erkundigen.

»Ei nun ja, das arme Ding!« sagte die Wirthin: »es hat auch nichts, als was es auf dem Leibe trägt und muß sein Brod sauer verdienen. Das dumme Ding, wenn es das Näschen nicht allzuhoch trüge, hätte seit den anderthalb oder zwei Jahren, die es hier in der Stadt lebt, längst einen Mann haben können. Sowohl der Metzger Hecht, mein Nachbar, als auch der junge Kaufmann Siebold, der drüben den Gewürzladen hat, sind rechtliche, wohlbemittelte Leute. Das Jungferchen hat aber beiden den Korb gegeben. Es wird ihr nicht wieder so gut geboten werden. Metzger Hecht ist nun seit drei Vierteljahren mit einer Andern verheirathet. Uebrigens muß ich der Wahrheit die Ehre geben, das Mädchen ist fleißig und brav, und dabei geschickt im Weißzeugnähen und Stickereimachen; es soll sogar französisch reden können.«

»Woher ist das Mädchen?« fragte meine Frau.

– Aus der Schweiz, oder sonst woher, erwiederte die Wirthin: Ich habe sie zuweilen mit den Andern im Taglohn bei mir. Sie wohnt eigentlich bei einer alten Wäscherin in der Kümmelgasse, neben dem Schmied Pinkelmann. Man nennt sie schlechtweg Jungfer Talk; aber sie thut wahrlich, als wenn sie ein gnädiges Fräulein wäre. Man bringt nicht viel aus ihr heraus; und ganz richtig mag es bei ihr nicht sein. Einige wollen behaupten, . . . aber ich will nicht nachreden, was schlechte Mäuler über sie klatschen. Es ist mir gleich, ob sie von einem vornehmen Herrn verführt worden und im Stich gelassen ist, oder nicht. –

»Wäre das Mädchen eine Schweizerin,« sagt' ich zur Wirthin: »so möcht' ich es doch sehen.«

Wir traten in die Nebenstube, wo uns die Wirthin verließ, während wir uns zu den Näherinnen stellten und meine Frau sich mit ihnen in Gespräche einließ. In der That, die jüngste von ihnen, ein Frauenzimmer von etwa 20 Jahren, verdiente das Lob der Schönheit, welches ihr meine Frau gegeben. Ich war überrascht von der Zartheit des seelenvollen Gesichtes, in dessen feinen Zügen stiller Gram schwebte, der die Wangen etwas gebleicht hatte. Die Fülle der blonden Haare war in dichten Flechten, die wie Gold glänzten, um das Köpfchen geschlungen, das sich nie von der Arbeit aufrichtete. Und wie unvortheilhaft auch die halbbäurische Tracht sein mochte, sie konnte den schlanken Wuchs und das schöne Ebenmaß dieser Gliedmaßen nicht entstellen. Ich bedauerte, daß das Mädchen beständig stumm blieb und die Andern für sich reden ließ. So antwortete, auf die Frage meiner Frau, ob sie insgesammt aus dem Städtchen wären? die Aelteste von ihnen: »Ja, wir beide wohl, aber die da (sie zeigte auf den Kopf mit den Goldflechten) ist aus der Schweiz.«

»So?« sagt' ich, und wandte mich zu der Angedeuteten: »Also wären wir Landsleute? Aus welchem Kanton seid Ihr, Jungfer?«

Das Mädchen bückte sich mit dem Gesicht tiefer auf die Arbeit nieder, vermuthlich um ein Erröthen zu verbergen, welches über das Gesicht flog, und sagte mit weicher, leiser Stimme: »Meine Aeltern waren aus verschiedenen Kartonen!«

Ich wollte fortfahren, die artige Landsmännin zu fragen, als die ältere Näherin zu ihr sagte: »Gib mir deine Scheere, Justine!«

Bei diesem Namen, neben welchem mir zugleich der ihr von der Wirthin gegebene einer Jungfer Talk einfiel, wandelte mich eine sonderbare Ahnung an. Ich dachte an die Justine des Doktors Walter. Ich sah zu meiner Frau hin; und sie sah zu mir her mit großen Augen.

Wir verstanden einander sogleich, und betrachteten einen Augenblick noch die junge Person. Dann, wie verabredet, verließen wir die Näherinnen, um uns unsere Vermuthungen mitzutheilen. Als wir im für uns angewiesenen Wohnzimmer allein waren, rief sie: »Ist's eine Jungfer Justine Talk, oder Fridolins Justine Thaly?« Das war die Frage, welche jetzt auf irgend eine Art entschieden werden mußte. Wir verabredeten, mit aller Vorsicht nachzuforschen, und wenn es wirklich Walters gewesene Braut sei, die Unglückliche auf jede Weise zu bereden, mit uns zu kommen: in unserm Hause die Stelle einer Gehülfin und Gesellschafterin meiner Frau und Tochter anzunehmen, doch ohne ihr unsere Bekanntschaft mit Walter jetzt schon zu verrathen. Ich machte mich sogleich auf den Weg in die Stadt, zum Hause der alten Waschfrau, bei der das Mädchen wohnte. Da ich die Frau nicht fand und lange vergebens gewartet hatte, begab ich mich zum Vorsteher der Stadtpolizei. Hier erfuhr ich mit Gewißheit, die schöne Näherin sei Justine Thaly. Ich eilte freudig ins Wirtshaus zurück, meine Gattin mit der wichtigen Botschaft zu überraschen. Statt dessen aber ward ich von ihr überrascht, als ich sie in unserm Wohnzimmer, und zwar in Gesellschaft des Mädchens, fand, das unsere lebhafteste Theilnahme erregt hatte.

»Jungfrau Thaly hat sich nach deinem und meinem Wunsche bereden lassen, uns zu begleiten,« sagte meine Frau, als ich ins Zimmer trat: »doch müssen wir, ihr zu Gefallen, noch einen Tag länger im Städtchen bleiben, damit sie ihre kleinen Geschäfte in Ordnung bringen könne.«

Ich bezeugte der so glücklich Gewonnenen mein Vergnügen über ihren Entschluß, vereint mit meiner Tochter, die Stütze einer noch etwas kränklichen Hausmutter werden zu wollen. – Sie stand, während ich sprach, mit bescheiden zur Erde gesenkten Blicken vor mir. Dann schlug sie die hellen blauen Augen zu mir auf, und sagte, indem ein dankbares, doch wehmüthiges, Lächeln um ihre Lippen spielte: »Wenn Sie nur nicht zu viel von mir erwarten! Ich weiß nicht, wodurch ich Ihr und Ihrer Frau Gemahlin allzugünstiges Vorurtheil verdient habe. Aber ich werde mich bemühen, so viel es mir möglich ist, Sie nicht ganz unzufrieden zu machen, da ich Ihnen schon jetzt sehr verpflichtet bin, daß Sie mich aus dieser kleinen Stadt nehmen, in der mir der Aufenthalt fast unerträglich gemacht wird.«

Wir blieben, wie ausgemacht war, noch den andern Tag; und den folgenden saß Justine bei uns im Wagen, das Antlitz gegen die Schweizerberge gekehrt.


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