Heinrich Zschokke
Die Branntweinpest
Heinrich Zschokke

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16. Was die Folge davon war.

»Unser Vorsteher war ein kräftiger Volksredner; obgleich nur ein Landmann, doch ziemlich unterrichtet, nicht kunstgerecht, aber vom Herzen zum Herzen, derbe und biderb. Dennoch wirkte seine Rede, die in der Versammlung bald Lächeln, bald Ernst erregt, nicht so viel, als ich erwartet hatte. Nur drei Hausväter, welche noch nicht zu unserm kleinen Bund gehört hatten, traten Einer nach dem Andern hervor, und erklärten, sie wollen ebenfalls unterschreiben und sich dem Verein anschließen.«

»Mehr aber, als der Zutritt von diesem, freute mich ein schmieriger, verlumpter Kerl, der sich langsam dem Tische des Vorstehers nahte; übrigens in der Gemeinde, als Saufbruder bekannt und schon öfters auf der Straße, oder in irgend einem Graben, berauscht gefunden worden war. Er begehrte, Mitglied des Vereins zu werden; man solle seinen Namen, weil er selber nicht schreiben könne, ins große Buch eintragen; er wolle ein Kreuz dazu setzen. Es entstand ein schallendes, langes Gelächter in der ganzen Versammlung. Als sich dieses etwas gelegt hatte, wandte sich der Mensch, man nannte ihn nur den »Sauf-Jochen«, gegen die heitere Menge ruhig um und sagte: »Ja doch, lacht euch satt! Ich will seiner Zeit auch über manchen von euch lachen. Ich weiß wohl, sonst war ich ein braver Kerl, so gut wie irgend einer. Das Schnappstrinken aber hat mich endlich, ich weiß es wohl, zum Vieh gemacht; hat meiner armen Frau schon tausend Thränen gekostet, und meine Kinder gehören leider zu denen, die auch nackt und bloß gehen. Ich habe seitdem weder Muth noch Lust, etwas zu schaffen; bin weder krank noch gesund, und ein elender, bedauernswürdiger Kerl geworden. Ich habe viel auf dem Gewissen. Gott möge mir verzeihen und helfen! Aber Gott wolle auch denen verzeihen die mich zum Brännt'strinken verleitet haben. Das sind alle die, welche mir, wenn ich bei ihnen, als Taglöhner, in Arbeit stand, Branntewein einschenkten. Die gewöhnten mich allmälig daran! Aber verflucht sei von nun an jeder Tropfen von dem Höllentrank, der über meine Zunge geht!«

Es entstand bei dieser Rede große Stille. Man las in allen Gesichtern Verwunderung und Ungläubigkeit. Ich selbst zweifelte an der Beharrlichkeit des armen Mannes in seinem guten Vorsatz. Doch hat er nachher wirklich Wort gehalten. Er wurde, wie er es beharrlich verlangte, in das Vereinsbuch eingeschrieben. Die Versammlung ging aus einander.«

»Wenn sich nicht gleich anfangs mehrere Leute um Aufnahme meldeten, so rührte dies von allerlei kleinlichen Ursachen her. Bei den Einen war der Genuß geistiger Getränke Gewohnheitssache geworden. Sie bildeten sich nach wie vor ein, es sei Bedürfniß für ihre Gesundheit; es sei für sie ohne Nachtheil, weil sie es nie so weit kommen ließen, benebelt zu werden. Die Andern machten sich über unsern Mäßigkeitsverein lustig; nannten ihn einen Müßigkeitsverein; glaubten, er werde nicht lange dauern; der Frömmigkeitseifer werde bald verflogen sein. Andere würden sich uns vielleicht angeschlossen haben, aber es verdroß sie, daß man den und diesen zur Stiftung eingeladen, und sie nicht zuerst darum begrüßt hätte. Wieder Andere, vorzüglich unter den Vermöglichern, zogen sich vornehm zurück; meinten, man könne mäßig leben, ohne zu einem Mäßigkeitsverein zu gehören; man müsse nicht mit der Tugend prangen und groß thun. Auch lasse es sich Anstandes halber bei ihnen nicht wohl vermeiden, besuchenden Fremden oder Freunden ein Glas Kirschwasser, Cognac, oder andern Likör, vor oder nach Tisch vorzusetzen. Noch Andere gebrauchten andere Vorwände, um sich von der lästigen Bürger- und Menschenpflicht los zu machen, mit eigener Selbstüberwindung, Wohlfahrt und Sittlichkeit durch Ausrottung der Trinksucht befördern zu helfen. Daß die Gastwirte, Winkelschenken und Schnappskrämer nicht auf unsere Seite treten mochten, vergeht sich von selbst.«

»Indessen wir Andern blieben unserer Sache treu, schafften, von Stund' an, alle Arten destillirter Getränke in unserer Haushaltung ab, und gaben davon weder Fremden noch Einheimischen, die uns besuchten, oder auf dem Felde arbeiteten. Weil wir mit einander im Marktflecken unserer Mehrere waren, nahm Keiner von uns Anstand, in solchem Fall offen zu gestehen, daß wir zum Enthaltsamkeitsverein gehörten, und daher Gelübde gethan hätten, zum Besten des Volks, auf keinerlei Weise Gebrauch von hitzigen Getränken zu machen. Gerade das gab nicht selten auch Gelegenheit, Andern unsere Ueberzeugungen mitzutheilen und bald diesen, bald jenen in seiner alten Neigung zu erschüttern. Wirklich kamen nach und nach Einzelne, und ließen sich in ihrem und ihrer Familie Namen ins Vereinsbuch eintragen. nachdem sie dem Vorsteher ihr Handgelübde abgelegt hatten. Einige Monate später hatten wir schon eine Zahl von 211 Seelen im Verein.«

»Unsere Standhaftigkeit blieb nicht ohne guten Erfolg; und führte dann und wann auch zu sonderbaren Auftritten. Einige Arbeiter und Taglöhner wollten sich durchaus nicht zu unserer Regel bequemen. Sie forderten, wenn sie bei Einem oder dem Andern von uns arbeiteten, ihren gewohnten Schnapps. Schlug man es ab, so blieben sie weg. Einige, die als Hausknechte in Lohn und Brod standen, kündigten ihren Herren und Meistern geradezu den Dienst auf. Mancher unserer Freunde kam dadurch in augenblickliche Verlegenheit. Wir halfen einander aber aus, wie wir konnten. Es fehlte auch nicht an Aufwiegelungen gegen uns.«

»Der Ausschuß des Vereins, zu welchem wir mehrere Mitglieder beriefen, die eigentlich nicht zu ihm gehörten, versammelte sich öfters; denn es gab, besonders im Anfang, vielerlei zu besprechen. Weil man uns einen kleinen Krieg machen wollte, führten wir den Verteidigungskrieg, und mit Glück. Gingen wir Abends einmal in ein Wirthshaus, um da nach alter Sitte gemeinschaftlich ein Glas Bier oder Wein zu trinken, und setzte sich, im gleichen Zimmer, irgend ein bekannter Zecher, oder wer im Flecken, seit Stiftung des Vereins, irgend einmal einen Rausch gehabt, zu gleichem Zwecke nieder: so standen wir Alle plötzlich von unsern Sitzen auf und verließen das Haus, mit der Erklärung an den Wirth, daß wir mit keinem Saufaus in Gesellschaft sein wollten, und er entweder uns, als bisherige Kunden, verlieren, oder solche Leute, die als Trunkenbolde in übelm Ruf ständen, entfernen müsse. Ein paar Mal, und in verschiedenen öffentlichen Häusern wiederholten wir dies Spiel, und, ich gesteh' es, es geschah absichtlich. Einer der Wirthe achtete nicht darauf, und alle Mitglieder des Vereins blieben sogleich von ihm weg. Wir wandten uns einem seiner Nebenbuhler zu. Dieser entschuldigte sich das erste Mal; wollte uns ein eigenes Zimmer einräumen; da wir dieses aber abschlugen, besann er sich des Bessern, und wies die Saufgesellen fort, um nicht Kunden zu verlieren, die doch zu den achtbarsten Leuten des Orts gehörten. Gegenwärtig ist dieser Wirth selbst Mitglied des Vereins und wirthet keinen Branntewein, keinen Likör mehr aus. Er steht sich deswegen nicht übler. Umgekehrt, jeder von uns, wenn er Gelegenheit hat, weiset ihm Gäste zu.«

»So entstand unvermerkt eine Absonderung zwischen denen, welche nicht den Branntewein fahren lassen wollten, oder welche sich eines Weinrausches nicht schämten, und denen, welche das Gelübde der Enthaltsamkeit gethan hatten. Am schlimmsten kamen dabei die Taglöhner an, und die Handarbeiter, welche sich in oder außer dem Hause starker Getränke bedienten. Man gab ihnen keinen Verdienst, keine Arbeit, und wandte sich denen zu, die nüchtern lebten. Auch unterstützten wir diese und ihre Familien auf alle Weise. Dies hatte einen großen sittlichen Einfluß. Mehrere Handwerksleute und Andere schlossen sich dem Verein ohne Mühe an, sei es, um nicht ihre Kunden zu verlieren, oder um nicht für gemeinere und schlechtere Bürger, als andere zu gelten. Es ward Ehrensache, zur bessern Klasse zu gehören; und selbst jene Wohlhabenden, welche vorher, aus Eigensinn und einfältiger Vornehmthuerei, nicht in den Verein getreten waren, ließen sich nun bereden, mit ihm gemeine Sache zu machen. Ehe ein Jahr verflogen war, sah man schon die guten Früchte der gemeinnützigen Stiftung. Nächtliche Raufereien wurden seltener, während man ihrer sonst ganz gewohnt worden war. Selten sah man versoffene Kerls auf den Straßen zum Gespött der Kinder umhertaumeln. Man fand durch Erfahrung bestätigt, daß Feldarbeiter, die keinen Branntewein erhielten, um den dritten Theil mehr und besser schafften, als welchen man Branntewein gab. Auch daß in die zinstragende Ersparnißkasse nach und nach mehr Geldeinlagen erfolgten, und darin unbemittelte Leute den Ueberschuß ihres Verdienstes wöchentlich, oder monatlich, in Sicherheit brachten, war ein vortreffliches Zeichen. Dies Geld und mehr ward meistens sonst vertrunken und verspielt worden. An Belehrungen, an Ermunterungen, an Unterstützung der unbemittelten Gebesserten, ließen wir es nicht fehlen. Und merkwürdig genug, je zahlreicher die Glieder unsers Enthaltsamkeitsvereins allmälig wurden, je eifriger sah man sie werden, Andere ebenfalls für denselben zu gewinnen. Das läßt sich erklären.«

»Aber am auffallendsten war der Einfluß, den der sogenannte Sauf-Jochen, zum Besten der Nüchternheit, in unserm Orte hatte. Seit seiner Bekehrung trank er keinen Tropfen Branntewein; nur Wasser oder Milch, oder Bier; selten Wein, wenn man ihm anbot; und auch diesen nur äußerst mäßig, ein Glas voll, mehr nicht; und oft noch dazu mit Wasser vermischt. Um ihn zu retten, halfen wir mit Unterstützung und Ertheilung von Arbeit. Er hatte an Kraft, Frische und Gesundheit sichtbar zugenommen. Aber er rühmte sich dessen auch überall, und erzählte alle Tage jedem, der es nur hören wollte, daß er erst wieder ein glücklicher Mensch geworden, seit ihm Gott den Gedanken gegeben habe, im Verein das Gelübde der Nüchternheit zu thun. Nur die ersten paar Wochen habe ihn der Brannteweinteufel noch einige Mal in Versuchung geführt; allein er habe sich, wie ein Mann, gehalten und überwunden. Nun stinke ihn das brennende Gift an. Man sieht ihn noch jetzt bei den Bauern stehn, und hört ihn, mit lauter Stimme und sogar mit Bibelsprüchen, gegen das Schnappsen und übermäßige Weintrinken predigen. Wirklich ist es ihm gelungen, nicht nur mehrere arme Haushaltungen, sondern sogar bemittelte Personen durch seine Predigten auf andern Sinn zu bringen. Er geht jetzt mit seiner Frau und seinen Kindern auch reinlich und anständig gekleidet. Es fehlt ihm keinen Tag an Arbeit und Verdienst.«

»Sogar ist er Sonntags, wie ein wahrer Mäßigkeitsapostel, in die benachbarten Dörfer gelaufen, um nach seiner Art mit schreiender Stimme das Evangelium des nüchternen Lebens zu verkünden. Der wunderliche Kauz benimmt sich dabei auf ganz eigene Art, bindet überall an; fleht und ermahnt mit Thränen; läßt sich durch nichts stören oder aus dem Text bringen; hat für Alles eine Antwort bereit und ruft dabei jedesmal zuletzt: »Ich bin 21 Jahre lang ein Trunkenbold gewesen; habe mehr, als eine Seele, zu meinen Lasterwegen verführt. Jetzt ist's Schuldigkeit, daß ich den Himmel mit mir armem Sünder versöhne und so viel Leute, als ich kenne, vom Verderben rette!«

»Ich glaube fast selbst, Joachim hat mit seinen Predigten mehr bei unsern Nachbarn ausgerichtet, als ihre Pfarrer an den Sonntagen. Die Bauern hören ihn gern, sehen ihn, wie etwas Außerordentliches in seiner Art an: er spricht auf volksbeliebte Weise und ohne alle Rücksicht und Schonung gegen Vornehm und Gering. Wirklich sind schon seit einem Jahre in zwei Dörfern Enthaltsamkeitsvereine, gleich dem unsrigen, gestiftet. Anfangs ließen sich Leute von dort in den hiesigen Verein aufnehmen. Jetzt ist schon in einem dritten Dorf das Werk im Werden.«

»Noch eins muß ich hinzufügen. Ein Marktflecken, wie der unsrige, schien anfänglich am wenigsten geeignet zu sein, einen Enthaltsamkeitsverein zu begünstigen. Es ist hier ein starker Durchpaß. Die öftern Jahrmärkte ziehen viele Krämer, Viehhändler, Fuhrleute, Einkäufer aus der Nachbarschaft, tanz- und trinklustiges junges Volk, auch mancherlei fremdes, lüderliches Gesindel herbei. Jetzt aber hat sich gezeigt, daß eben darum unser Ort am tauglichsten war, gute Gesinnungen zu verbreiten und den Samen des Bessern sogar in der Ferne auszustreuen. Denn der veränderte sittliche Zustand hiesiger Ortseinwohner mußte den Jahrmarktbesuchern endlich wohl ins Auge fallen. Sie sahen bei uns keine verlumpten Saufbrüder mehr; selbst die noch vorhandenen, ausgemachten Trunkenbolde nehmen sich wohl in Acht, daß sie, wenigstens nicht öffentlich, als solche erscheinen. Angebotener Branntwein ward überall ausgeschlagen. Dagegen fand man mehrere sonst baufällige Hütten, welche Sauställen ähnlich waren, sauber hergestellt; arme Kinder reinlich bekleidet; Jung und Alt gesunder und frischer. Die Verwandlung wird von Jahr zu Jahr auffallender. Die Ursach blieb kein Geheimniß. Manchem kam sie sonderbar vor; aber Keinem dünkte sie übel. Die Fremden nahmen häufig die gedruckten Statuten des Vereins mit. Ich meine, der gute Same kann auch anderswo gute Frucht hervortreiben.«


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