Heinrich Zschokke
Die Branntweinpest
Heinrich Zschokke

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2. Zwei traurige Briefe.

Wir beide, Fridolin und ich, wurden auf der Reise täglich vertrauter. Er war ein herziger Mann. Doch seine Traurigkeit blieb dieselbe. Nichts konnte ihn zerstreuen. Doktor Walter schien viel zu edel, um ein böses Gewissen zu haben. Was konnte ihm also bei seinem erworbenen Wohlstand, bei seiner blühenden Gesundheit. in der vollen Frische seines Lebens, so sehr am Herzen nagen? Gewiß, dacht ich, hat er in England eine fehlgeschlagene Liebschaft gehabt. Denn daß er unverheiratet war, hatte ich schon herausgebracht.

Ich machte ihm eines Tages, als wir im Wagen beisammen saßen und schnell dahin flogen durch die schönen Landschaften, wegen seines Trübsinns freundschaftliche Vorwürfe. »Ihr könntet und solltet der glücklichste Mensch unter Gottes Sonne sein!« sagt' ich: »öffnet mir Euer Herz; vielleicht kann ich ebenfalls Euer Arzt werden.«

»Das könnet Ihr nicht!« sagte er mit unterdrücktem Seufzer. »Ich bin unglücklich. Mir hilft Niemand. Doch kann ich Euch wohl die Ursache meines Grams entdecken. Vielleicht thut mir's gut, wenn ich wenigstens mit einem theilnehmenden Freunde von meinem traurigen Schicksal sprechen kann. Da, lieber Landsmann, leset selber, was mich so schnell nach Hause ruft.«

Er zog jetzt eine prächtige Brieftasche hervor und richte mir daraus zwei Papiere. Das eine war ein Brief seiner Mutter. Der lautete also:

»Wenn du dieses Schreiben empfängst, lieber Fridolin, bin ich schon lange eine verlassene Wittwe. Komm zurück, liebes Kind, und werde die Stütze deiner unglücklichen Mutter. Dein Vater lebt nicht mehr. Ein Schlagfluß raffte ihn schnell aus der Welt. Schon im Herbst vorigen Jahrs hatte er einen Anfall davon. Ich schrieb dir nichts darüber, um dich nicht zu ängstigen. Der Arzt hatte ihm vergebens mehr Enthaltsamkeit empfohlen beim Weinglase. Er ergab sich leider dem Trunk! Das ward sein und unser Unglück. Gottes Wille geschehe! Ich hatte die letzten zwei Jahre großes Hauskreuz; denn ich sah, wie es mit unserm Vermögen immer mehr zurück ging. Unser kleines Gut ist ziemlich verschuldet. Vermutlich wird kaum mehr gerettet, als mein Eingebrachtes. Ich fürchte, unser Haus muß verkauft werden. Komm also schnell zurück, du mein letzter Trost!«

»Noch bereite dich auf einen harten Schlag des Schicksals. Im Hause unsers Nachbars Thaly hat sich vor mehr denn sechs Wochen ein über alle Beschreibung entsetzliches Ereigniß zugetragen; furchtbarer, als das unsrige. Ich sage dir nur, Thaly lebt nicht mehr. Seine Tochter Justine, die dir so lieb war, ist verschwunden, niemand weiß, wohin? Alle Nachsuchungen sind vergebens geblieben. Der alte Thaly hat schändlich gehandelt; viele Leute betrogen; auch uns. Sein Vermögen reicht nicht hin, die vielen Schulden zu zahlen. Das arme Mädchen dauert mich. Lieber Fridolin, säume nicht. Verlaß Alles und eile mir zum Beistand.

»Deine tiefbetrübte Mutter.«

Der andere Brief, den mir Fridolin gab, war ebenfalls von einer weiblichen Hand geschrieben, aber ohne Datum und ohne Angabe des Orts. Er lautete:

»Erschrick nicht, mein ewig teurer Fridolin, wenn ich dir melde, daß dieser Brief der letzte ist, welche ich dir schreien darf und will. Zwar hange ich an dir noch mit heißem Herzen. Aber mag dies Herz brechen; deine Verlobte, deine Braut kann ich nicht mehr sein. Es ist gut, daß sich deine Aeltern unserer Vereinigung widersetzten. Denn ich habe das Schauderhafteste erleben müssen, was der Mansch erleben kann. Schreiben mag ich's nicht. Du wirst es nur zu früh erfahren. Vergiß mich! Ich entlasse dich aller deiner Versprechungen. Der Ring, den ich von dir bisher trug, soll für dich in die Hand deiner Mutter zurückkommen. Gib ihn einer glücklichern Tochter, die deiner würdiger ist. Ich lebe und leide fern von deiner und meiner Heimath. Im Wohlstand erzogen, bin ich jetzt zur Dienstmagd geworden. Für mich hat die Welt keine Freude mehr. Für mich ist Alles Nacht und Tod.«

»Lebe wohl, lieber, theuer Fridolin! – – Vergiß mich! – Nun hab' ich das Schwerste vollbracht; nun den ewigen Abschied von dir genommen. Vergiß mich! Forsche nicht nach meinem Aufenthalt; und wenn du ihn fändest, würdet du ihn vergebens gefunden haben. Ich sehne mich zu sterben. Vielleicht erbarmt sich meiner bald der Tod. Leb' wohl! leb' wohl!«

»Justine Thaly


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