Heinrich Zschokke
Die Branntweinpest
Heinrich Zschokke

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4. Neues Unglück.

Wir waren noch keine Stunde von dem Wirthshaus entfernt, wo wir, in der Nähe der Landesgrenze, zu Mittag gespeist hatten. Der Weg ging nun etwas bergab gegen ein Dorf, in welches wir eben einfahren wollten. Der Knecht des Miethkutschers, von welchem wir für den Tag die Rosse geliehen hatten, trieb diese, wie unsinnig an. Es ging über Stock und Stein die Höhe hinab. Plötzlich aber stürzte der Wagen um. Wir lagen, fest an einander geklammert, mit diesem am Boden; der Knecht hingegen ward weit fortgeschleudert. Zum Glück hielten die Pferde, deren Leitseil der Kerl in der Faust behalten hatte, auf der Stelle an. Bauern, die uns von fern gesehen hatten, kamen eilfertig zur Hilfe herbei und umringten den Wagen. Wir krochen unbeschädigt hervor. Aber der Knecht ward blutend und leblos in das Wirtshaus getragen, wohin auch wir uns begaben.

»Dacht' ich's doch gleich,« sagte Fridolin auf dem Weg dahin: »der verdammte Kerl hat ganz gewiß zu viel getrunken, wo wir zu Mittag hielten. Er ist besoffen. Sein rothglühendes Gesicht und sein Flüchen und Schwören verkündeten es schon, als wir einstiegen.«

Es dauerte fast eine Viertelstunde, ehe der Kutscherknecht zu sich selber kam. Fridolin untersuchte und behandelte ihn mit großer Sorgfalt. Der arme Mensch hatte beim Fall eine Rippe und den linken Arm gebrochen, und das Gesicht war ihm blutig geschunden. Er gestand, als man ihn fragte, daß er bei Tisch nur ein halbes Maß Wein, und, auf Zureden der Wirthin, nachher zwei Gläser Kirschwasser getrunken habe. Mehr nicht; aber schon genug für ihn und für uns.

Dieser traurige Zufall, und der beschädigte Wagen des Doktors, der ausgebessert werden mußte, nöthigten uns, das Weiterreisen bis zum folgenden Tag zu verschieben. Indessen hatten wir Abends in unserm Wirthshaus gute Gesellschaft von einigen Beamten und andern verständigen Leuten des Orts. Wir befanden uns im lieben schweizerischen Vaterlande. Es war natürlich, daß wir begierig waren, Neuigkeiten zu erfahren. Man äußerte sich sehr zufrieden über die gegenwärtigen Einrichtungen und Regierungen. Nur der Wirth rief ärgerlich dazwischen: »Es ist mir Alles ganz recht. Aber Unrecht und Sünde gegen das Volk ist's, daß man leichtfertiger Weise aller Orten das Wirthen und Wein-Ausschenken vermehren läßt und damit die Liederlichkeit im Lande vergrößert. Ich kenne Marktflecken und Städte, wo je das fünfte Haus ein Wirthshaus, oder eine Schenke ist. Hier in unserm kleinen Orte, wo wir kaum 600 Seelen haben, sind sieben dergleichen Häuser; und, geht hin, alle Abend sind sie voll von Gästen.«

Es gibt zuweilen im Leben eine Zeit, einen Tag, da sich durch wunderbare Fügung der Umstände eine und dieselbe Sache öfters wiederholt; oder gewisse Dinge sich ereignen, die alle auf einen und denselben Zweck hinzuwirken scheinen. Man gebe nur recht Acht darauf. Mich dünkt, dergleichen komme weder im Welt- noch im Lebenslaufe ganz von ungefähr. Denn weder der Gang der Welt, noch der Gang des Lebens ist bloßes Spiel eines blinden Ungefährs. Ich sehe darin Gottes Finger, der auf etwas hin deutet, daß wir es aufmerksamer beachten sollen. Es liegt in dem sonderbaren Zusammentreffen der Umstände eine warnende oder ermunternde Lehre des Schicksals für uns.

So mußte ich's für eine solche Schicksalspredigt annehmen, daß an dem gleichen Tage mir erst Doktor Walter die Gefahr meiner Liebhaberei von starken Getränken schilderte; daß mir dann der plötzliche Tod seines Vaters und das Unglück seiner Familie, als Folge einer ähnlichen Liebhaberei, mitgetheilt werden mußte; daß endlich bald darauf der Rausch unsers Fuhrmanns uns in die größte Lebensgefahr stürzte. Ich bekenne, daß mich dies Alles, was sich hier zusammengedrängt hatte, nachdenklich machte; und daß es in mir den Vorsatz befestigte, von nun an den gebrannten Wassern den Abschied zu geben.

Aber diese Geschichte hatte noch andere Folgen auf mein Leben.


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