Heinrich Zschokke
Die Branntweinpest
Heinrich Zschokke

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13. Der Bund für Volksrettung wird geschlossen.

Hier schwieg ich. Meine Worte schienen nicht ohne Eindruck geblieben zu sein.

»Brav gesprochen, Herr Kollega!« sagte der alte Doktor; »Wenn nur eben so geschwind auch brav gehandelt wäre! – Aber da liegt der Hase im Pfeffer! Ihr seid jung; aber mich macht das Alter ein wenig bedächtig. Ich glaube, wir Schweizer sind mit Haut und Haar wohl nicht besser und nicht schlechter, als Engländer, Russen und Amerikaner. Aber unser Volk läßt sich nicht so leicht, wie das Schilfrohr im Winde, bewegen. Was es einmal angenommen und zur Gewohnheit gemacht hat, hält es hartnäckig fest und gibt es nicht sobald wieder auf, weder durch Güte noch Gewalt, sei es nun Gutes, oder Schlechtes. Ich frage Euch zum Beispiel, wie wollet Ihr es nun bei uns hier, in unserm Marktflecken, mit unserm Dutzend Wirthshäuser und Schenken, mit den vielen Schnappsfreunden und ausgezeichneten Säufern, anstellen, daß sie sich bekehren und geradezu vom Branntewein ganz ablassen?«

Diese Frage kam mir nicht unerwartet. Ich antwortete also: »Sehr einfach würd' ich's anstellen; ganz und gar, wie es überall geschieht. Meinet Ihr, ich würde mit den Zechbrüdern anfangen? Ich würde sie zur Gründung eines Enthaltsamkeits-Vereins bewegen wollen? Keineswegs! Da hätt' ich Hopfen und Malz im voraus verloren. Ich fange damit an, mich mit rechtlichen, gesitteten Männern zusammen zu thun, denen es gar keine Ueberwindung kostet, Branntewein und Likör bei sich abzuschaffen; z. B. grade mit euch, ihr Herren. Ich unterzeichne mit euch nur ein gegenseitiges Versprechen und Gelübde, daß wir für unsere Person, in unsern Häusern und Familien keine gebrannte Wasser mehr trinken wollen und andere unserer Freunde bereden wollen, dies Gelübde gleichfalls zu unterschreiben. Nicht Trunkenbolde, sondern an Nüchternheit und Mäßigkeit gewöhnte, achtbare Personen müssen den Grund zum Verein legen. Sollte das so große Mühe kosten?«

Unser Fabrikant erwiederte mit ungläubigem Lächeln: »Nein, gar nicht; aber es nützt auch nichts. Ich liebe ohnehin weder Kirschwasser, noch Likör anderer Gattung. Wozu sollt' ich also erst Mitglied eines Mäßigkeits-Vereins werden? Für mich ist keiner nöthig. Wozu soll ich dem Gebrauch eines Getränks feierlich entsagen, das ich gar nicht trinke? Es wäre lächerlich.«

Jetzt nahm mir der ehrwürdige Pfarrer das Wort, was ich erwiedern wollte, aus dem Munde. Er sagte nämlich zu dem Fabrikanten: »Mein lieber Herr Meyer, ich weiß wohl, in wenigen Häusern lebt man so enthaltsam, als bei Euch. Ihr seid auch ein redlicher Freund alles Guten im Vaterland; Niemand zweifelt daran. Aber was würdet Ihr demjenigen antworten, der zu Euch spräche: Ich bin mit Leib und Seele ohnehin schon ein Freund des Vaterlandes, und würde für dasselbe Gut und Blut aufopfern: also brauch' ich mich, wenn's noth thut, nicht an die Freunde des Vaterlandes anzuschließen! – Oder was würdet Ihr demjenigen antworten, der bei einer Feuersbrunst zu Euch spräche: Meine Mitbürger sind mir von Herzen lieb, und mein Haus ist ohnehin noch nicht in Gefahr, von den Flammen ergriffen zu werden: also brauch' ich bei Andern nicht zu löschen! – Ich sehe voraus, was Ihr solchem guten Bürger und wunderlichen Menschenfreund antworten würdet. – – Ein Enthaltsamkeits-Verein ist die Verbindung wohlgesinnter Familien und Haushaltungen, nicht für sie selber, sondern Anderer willen nöthig. Die Mitglieder sind schon dadurch und ohne große Mühe, Urheber vieles Guten, daß sie sich scheu und warnend von denjenigen absondern, welche mehr oder weniger dem Trunk ergeben sind. Ihre Entsagung der hitzigen Getränke wird Andern zum ermunternden Vorbilde; erregt wenigstens bei Liebhabern hitziger Getränke Aufmerksamkeit, Nachfrage und zuletzt Nachdenken. Und wenn man im Volke einmal dahin kömmt, zu überlegen und zu fragen: Ist denn das Trinken vom Branntewein, auch wenn er mäßig genossen wird, ungesund, gefährlich und sündlich? fürwahr, da ist schon der erste Schritt zur Selbstheilung manches Elendes gethan.«

Herr Fabrikant Meyer nickte zufrieden dem ehrwürdigen Pfarrer zu und sagte: »Kein Wort mehr darüber! Ihr habt Recht, Herr Pfarrer, ich bin ganz damit einverstanden. Es ist Pflicht guter Bürger, sich solchem Verein anzuschließen. Er muß ganz natürlich keineswegs aus Trinkern, sondern offenbar aus Nichttrinkern zusammengesetzt sein. Er muß Beispiel geben!«

»Und,« setzte ich hinzu: »mehr als das! Ist eine Verbindung dieser Art nicht schon dadurch wohlthätig, daß sie diejenigen, welche sich nur dann und wann ein Glas Schnapps erlauben, in der Meinung, das könne ihnen nicht schaden, zur Rettung ihrer Gesundheit davon ganz abbringt; sie überzeugt, daß auch der mäßige Genuß sie endlich, wider Vermuthen und trotz aller guten Grundsätze, zum Abgrund des unmäßigen treiben könne? Denn jeder sagt, so lange er nicht den Nachtheil geradezu an sich verspürt: das schadet mir nicht!« –

Der feurige Rechtsanwalt unterbrach mich hier mit dem Ausruf: »Machen wir's kurz! Ich bin von der Parthie. Schlagen wir Hand in Hand. Wir sind ein halbes Dutzend beisammen. Wir fangen den Enthaltsamkeits-Verein an.«

Ich reichte ihm die Hand und sagte: »Wohlan, ich nehme Euch beim Wort. Sind Wenige einmal einig und fest unter einander: so halt ich dafür, das Schwerste sei gethan. Der erste Schritt ist ja immer der schwerste, sagt man.«

Alle gaben wir einander die Hände. Der Bund ward geschlossen. Wir gelobten, dem Genuß von allen Arten Brannteweins für immer zu entsagen; ihn aus unsern Familien zu verbannen; keinem Fremden, der an unserm Tisch sitzt, Likör vorzusetzen; keine Mägde und Knechte anzunehmen, die Branntewein trinken; und ihn zu keiner Zeit den Feldarbeitern, Wäscherinnen, Taglöhnern u. s. w., deren wir bedürfen, zu geben.

»So soll's sein!« rief der Gemeindsvorsteher: »Ich habe immer gefunden, daß Taglöhner und Feldarbeiter, die nicht an ihren vermaledeiten Fusel gewöhnt sind, aufmerksamer und anhaltender ihre Sache verrichten, als die Bränntsliebhaber. Ich hätte bei mir, in meinem Hauswesen, längst schon angefangen, den Schnapps für die Leute abzuschaffen. Aber es ging nicht. Man hätte mich ausgelacht. Ich hätte keine Knechte, keine Taglöhner bekommen. Eine einzige Person, eine einzige Haushaltung kann, für sich allein, den Mißbrauch des Brannteweingebens an Arbeiter nicht wohl abstellen. Wer will sich auch gern auszeichnen? Wenn aber mehrere Familien zu gleicher Zeit damit anfangen und sagen können: Wir haben ein Gelübde gethan, keinen Branntewein mehr zu geben! ja, das ist etwas anders! Dann geht's leicht.«

Wir verabredeten also unter einander, mehrere rechtschaffene Hausväter im Marktflecken ebenfalls anzuwerben, und zwar unter den Bedingungen, die wir selber eingegangen hatten. Wir mußten durch Belehrung und Ueberzeugung nach allen Seiten hin wirken. Wir fingen damit an, kleine, zweckmäßige Schriften über die Gefahren der Unmäßigkeit zu verbreiten. Durch Zwang und Gewalt läßt sich in solchen Sachen nichts ausrichten. Unser Verein mußte als Ehrensache redlicher Haushaltungen, guter Bürger, wahrer Christen vor dem Volke dastehen. Wir mußten besonders anfangs auf die angesehenen Ortseinwohner Rücksicht nehmen. Wir entwarfen eine Liste derselben, aber immer von solchen Personen, deren Mäßigkeit uns bekannt war, oder von welchen wir hoffen konnten, daß sie unsern Zweck befördern würden, ohne mit ihrer Entsagung große Opfer der bisherigen Neigungen zu bringen. Wir verteilten das Anwerbungsgeschäft derselben unter uns. Denn, wie gesagt, nur durch Ueberzeugung wollten und konnten wir sie für die gute Sache gewinnen.

Es ward ferner unter uns ausgemacht, daß wir einstweilen uns Sonntags vom Fortgang unserer Bemühungen unterrichten wollten. Wenn endlich eine anständige Zahl von Freunden unsers Vorhabens gefunden worden wäre, sollte eine öffentliche Versammlung derselben gehalten werden, zu der auch jeder, der wollte, freien Zutritt haben könnte. Da sollte der Zweck des Mäßigkeits-Vereins öffentlich bekannt gemacht, die Statuten und Gesetze desselben vorgelesen, und von jedem, welcher ein Mitglied des Vereins zu werden Lust bezeuge, unterschrieben werden; und zwar von jedem Hausvater, nicht nur in seinem, sondern auch in seiner Frau und Kinder, oder ihm anvertrauten Mündel Namen.


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