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18.

Ein sonnenheller Sommertag lag über Büsingen. Die Fenster in dem großen, luftigen Schlafzimmer Anianens waren geöffnet. Zilla lag in dem weiten Himmelbette mit halbgeschlossenen Augen und lauschte auf den feinen Klang einer Kinderstimme, die aus Anianens Wohnzimmer zu ihr hereindrang.

Brau Buntzer hatte Jane auf Zillas Wunsch selbst gebracht. Heiße Tränen waren bei Zillas Anblick über das gute alte Gesicht der Kastellanin geströmt und sie hatte nachher schluchzend zu Aniane gesagt:

»Du lieber Gott, nun muß die arme kleine Frau wohl doch sterben wie alle Frauen, die sich auf die Rosenau wagen, und sie war doch so treu und gut.«

»So treu und gut,« sagte auch Rahel, die an Zillas Lager saß und zärtlich ihre wachsbleichen Hände hielt.

Ach, was hätte sie darum gegeben, dieses geliebte Leben halten zu können, das Leben, das so haltlos zerbrach. Jahr um Jahr hatte sie geforscht, gesucht nach dem Liebling ihres Herzens und nun, da sie Zilla gefunden, sollte es nur sein, um sie wieder zu verlieren?

Rahel schauderte. Wie machtlos waren doch die Frauen. Sobald die Liebe in ihr Leben trat, zerbrach alles in Stücke, was ihrem Dasein sonst Wert und Inhalt gegeben. Alle Bande der Freundschaft, der Familie, alle Bande des Blutes, waren ohnmächtig gegen das eine Gefühl, gegen die Liebe, die nicht lassen will, die wie eine Siegesflamme hoch emporlodert und die, ach, wie bald nur in Staub und Asche sinkt.

Ein Schluchzen brach aus Rahels Brust, wild und heiß.

»Du weinst, Schwester,« fragte Zilla sanft. »Du weinst um mich? Stille deine Tränen, ich bin ja so sehr, so sehr glücklich. Du sagst selbst, daß der Fürst und die Fürstin so gütig zu dir gewesen und daß Fürst Heinrich versprochen hat, für Jane zu sorgen, daß er auch davon abgesehen hat, die Nichtigkeit unserer Ehe zu erklären und – – –«

»Bitte, Zilla, rege dich nicht auf, erst mußt du gesund werden, Liebling,« warf Rahel fast heftig ein.

Sie konnte doch der Schwester nicht sagen, daß nur der Ausspruch des Arztes, daß Zillas Tage gezählt seien, das Fürstenpaar veranlaßt hatte, eine Sache ruhen zu lassen, die sich durch Zillas Tod von selbst löste, die aber fest beschlossen und aus Staatsrücksichten eine Notwendigkeit war? Warum sollte man Zillas Glauben stören?

Sie war so glücklich in dem Gedanken, daß niemand mehr da war, sie zu kränken, sie zu mißhandeln. Alles, was sie erlebt und erlitten, sah sie nur noch wie durch dichte Schleier. Sie ahnte auch nicht, daß die ungeheuerlichsten Gerüchte die Residenz durchliefen und daß Prinz Dolf Dietmar an einen fremden Hof auf die Brautschau geschickt war. Man hatte ihm die Wahl gelassen, den Willen des Fürsten zu erfüllen, oder auf der Festung eine Weile einsam über sein Leben nachzudenken. Da hatte er es vorgezogen, sich gefügig zu zeigen.

Rahel erwartete ihren Vater. Er sollte dem Bevollmächtigten des Fürsten gegenüber Zillas und ihres Kindes Sache führen, wenn er sich stark genug dazu fühlte. Rahel bangte um den alten Mann. Noch wußte sie nicht, wie er ihre telegraphische Nachricht, daß Zilla gefunden sei, und den langen, ausführlichen Brief, den sie ihm nachher geschrieben, aufgenommen hatte. Jede Antwort war bisher ausgeblieben.

Auch die Mutter, mit der sie seit einiger Zeit in regelmäßigem Briefwechsel stand, und die einsam im fernen Lande lebte, hatte noch keine Nachricht gesandt und doch ging Zillas Dasein zu Ende. Professor Vogel, der Arzt und Besitzer des Sanatoriums, in dem Rahel wirkte, hatte ihr noch heute morgen gesagt, nur ein Wunder könnte Zilla retten.

Und das Wunder kam nun nicht. Nur Aniane erschien ihr oft wie ein Wunder. Wie sie sich sorgte und mühte und für Zilla lebte, wie sie mit dem Kinde spielte und scherzte, und wie gefaßt und erhaben sie ihren Schmerz trug, wo doch Rahel wußte, daß sie selbst unter dem Schlag, der sie getroffen, fast zusammengebrochen war.

Nicht mal die Weisung, die Aniane erhielt, innerhalb einer Woche die Residenz zu verlassen, hatte Eindruck auf sie gemacht. Nichts konnte sie mehr treffen, seitdem sie wußte, daß das Ideal ihrer Kinder- und Jugendträume zertrümmert im Staube lag. – – –

* * *

»Kommt denn der Vater noch immer nicht, Rahel?« fragte Zilla, »ich möchte ihn doch so gern sehen und von ihm hören, daß er mir verzeiht und ich bin ja so müde, so grenzenlos müde.«

»Er kommt bald. Zilla, gewiß er kommt bald.«

»Und Mama? Weißt du, ich kann mir gar nicht denken, wie Mama aussieht und ich möchte sie doch so gern wenigstens einmal im Leben sehen. Kommt sie?«

»Ich hoffe es.«

Zilla schloß lächelnd die Augen.

»Es ist so süß, wenn man geliebt wird. Ach, du glaubst nicht, wie einsam, wie grenzenlos einsam ich war und wie traurig, daß nie ein Wort von euch mich erreichte. Nun laß ich mich pflegen und hätscheln und meine, ich wäre ein kleines Kind, so klein wie Jane.«

Welcher Liebreiz noch immer das blasse Antlitz Zillas verklärte. Die Sonne warf ihre Strahlen über die weiße Decke von Zillas Lager und Zilla haschte danach wie Kinder tun und dann sagte sie plötzlich frohlockend:

»Der Vater kommt.«

Mit großen Augen saß sie in ihrem Bette und starrte nach der Tür.

Mit finstern Blicken stand ein Mann auf der Schwelle. Die hohe Gestalt gebückt, das Haar silberweiß. Langsam bewegte er sich auf Zilla zu.

»Vater!« schrie sie auf, »lieber, geliebter Vater! O, wie danke ich dir, daß du kommst, daß du deiner kleinen Zilla verzeihst, daß du sie wieder lieb haben willst, jetzt, wo ich doch von dir gehen muß.«

»Weißt du,« flüsterte sie plötzlich heimlich und leise, während sie seine Hand an ihre Brust zog, »ich gehe in einen wunderschönen Garten, da blühen tausend Blumen und bunte Falter gaukeln darüber hin. Immer ist dort Licht, keine grauen Gassen wie hier, in denen ich umherirrte, nur Sonne, strahlende Sonne.«

»Zilla, Zilla, mein Kind, mein armes, mein geliebtes Kind,« stöhnte der Hofrat erschüttert und zog das bleiche Köpfchen seiner Jüngsten zärtlich an sich. »Warum hab ich dich so schlecht gehütet?«

»Und ich!« erscholl eine Stimme von der Tür, und eine hohe gebietende Frau, ganz in schwarze Gewänder gehüllt, trat herein. Sie hatte den blendenden Teint Rahels und das helle goldig flammende Haar, aber um den Mund zogen sich tiefe Leidensfalten.

»Elfriede!« schrie der Hofrat auf, und dann trat er weit zurück vom Lager seines Kindes, das der Tod schon mit seinen Fittichen beschattete.

»Mama, Mama, meine liebe Mama,« jubelte Zilla auf, und dann lag ihr blasses Gesicht am Herzen der Mutter und die heißesten Reuetränen, die je geweint wurden, rannen wie Tau auf Blumen über Zillas weiße Wangen.

»Meine süße, kleine Zilla!« rang es sich von den Lippen der Mutter, die schluchzend an dem Lager niedergesunken war. »Kannst du deiner Mutter verzeihen, daß sie euch und euren Vater allein ließ, daß sie fortging? Ach, du weißt ja nicht, was ich gelitten. Wie heiß ich bereute und wie ich zu Gott gebetet, du, mein Geliebtes, mein Jüngstes.«

Zilla lächelte wie im Traume.

»Hört Ihr es, Vater, Rahel?« flüsterte sie, »Mama will bei uns bleiben. Nie mehr will sie von uns gehen, nicht wahr, Muttchen?«

Der Hofrat sah in steigender Erregung auf die Frau, die einst sein ganzes Leben vernichtet, deren leidenschaftliche Lebensgier sie in den Strudel der Welt hinaustrieb, das schreckliche Erbe ihren Kindern lassend, das auch Zilla verhängnisvoll geworden.

Nein, er konnte dieser Frau nie verzeihen. Nie mehr würden ihre Wege zueinander führen.

Rahel hatte ihre Arme fest um den Vater gelegt.

»Sie ist unsere Mutter,« bat sie weich. »Sei barmherzig, Vater, siehst du nicht, wie sie leidet.«

»Ich habe nicht minder gelitten,« gab er grollend zurück, »sie mag in Frieden ihres Weges ziehen.«

»Joseph,« bat die schmerzgebeugte Frau sanft, »glaube mir, ich habe schwer gebüßt für meine Schuld. Keine von allen meinen Lebenshoffnungen hat sich erfüllt. Ruhelos und friedlos bin ich geworden, seitdem ich euch verließ. All meine Sehnsucht nach Licht und Freude ist untergegangen in quälenden Selbstvorwürfen und nagender Reue. Ueberall nur düsteres Grau in Grau, dem ich entrinnen wollte und das die Pflichtvergessene desto fester umklammert hielt. Erst hier in deiner und der Kinder Nähe sehe ich einen Schein. Soll alles wieder in Nacht sinken? Wollen wir es nicht wenigstens versuchen, die kurze Wegstrecke, dis uns vielleicht noch zugemessen ist, zusammen zurückzulegen? Wollen wir uns nicht helfen und stützen, wenn Leid über uns kommt, Leid, das sich einsam so schwer trägt?«

Zilla lächelte und haschte weiter nach den goldenen Sonnenstrahlen. Dis goldbraunen Locken ringelten sich um das bleiche Gesicht, in den großen, tiefliegenden Augen war ein frohes Leuchten.

»Nun kommt das Glück,« flüsterte sie geheimnisvoll, »nun kommt das Glück zu Vater und Mutter. Sie gehen gemeinsam durch blühende Gärten, aber ihre kleine Zilla darf nicht bei ihnen sein, nur Zillas süßes, kleines Kind, das nehmen sie mit sich und wenn es lacht, dann meinen sie, Zilla lacht und Zilla wäre bei ihnen. Zilla geht einen andern Weg. Er führt hoch, hoch empor. Goldenes Licht flammt über die Wege und Dolf Dietram lächelt zu ihr. Er hat so strahlende Augen und er sagt – »Vergessen lernen,« flüsterte Zilla sinnend, »kann man vergessen, was man geliebt? – Frage den Vater, Mutter? Immer hat er sich gesehnt nach deiner Nähe, nach deiner Liebe, und so würde auch ich mich sehnen, wenn ich bei euch bliebe. Aber ihr beide, ihr sollt vereint an eure arme kleine Zilla denken und ihr das Scheiden leicht machen.«

Und ehe es jemand hindern konnte, hatte sie die Hände der Eltern ineinander gelegt. Mit einem stillen Lächeln um den blassen Mund lag sie da, die kleinen Hände ruhten leicht und lind auf den verschlungenen Händen des Hofrats und seiner Gattin, und keiner hatte den Mut, den Traum Zillas zu zerstören und die Hände zu lösen.

Betend lagen Vater und Mutter, Hand in Hand, auf den Knien am Lager ihres Kindes.

Aniane brachte Zillas Kind herein und Zilla lächelte dem süßen kleinen Dinge zärtlich entgegen.

»Du wirst es auch lieben, Aniane,« sagte sie matt, »es hat seine Augen.«

Das Kind jauchzte und haschte wie in der Rosenau nach den bunten Sommervögeln, die draußen vorüberschossen.

Aniane strich zärtlich über Zillas Haupt. Sie hatte nur den einen Wunsch, da zu ruhen, wo man Zilla bald betten würde.

Zilla richtete mit einem jähen Ruck das wirre Lockenhaupt empor.

»Hört ihr nichts,« flüsterte sie geheimnisvoll, »er ruft mich! Auf goldenen Sohlen, in schimmernden Gewändern naht das Glück und führt mich zu ihm, zu ihm –!«

Der braunlockige Kopf fiel zurück, die kleinen bleichen Hände lagen gefaltet auf der jungen Brust und die Sonne spielte kosend darüber hin.

Aniane hob das weinende Kind empor an das Lager der Jugendgespielin, die nun so still, so sanft schlief. Ihre Gedanken suchten den, der diese Blume gebrochen.

Und Aniane preßte das Kind, sein Kind, dem auch wie ihr einst »ein Sturmwind aus Norden zerrissen das heimische Nest«, fest an ihre Brust und ihre heißen Tränen – die ersten, die sie weinen konnte – strömten über Zillas stilles Gesicht, das lächelnd wie im süßesten Kindertraume den letzten Schlaf hielt, während die Abendsonne ihr Rosen auf die Wangen malte.

Wie beneidete Aniane die stille Schläferin um das selige Sterben. Wie schön mußte es sein, so tief zu ruhen. – Sie aber sollte leben, das öde, öde, grauenvolle Leben. Sie sollte es auskosten, immer weiter und weiter, allein und verlassen leben, den Tod im Herzen. Aniane schauderte fröstelnd zusammen, und Rahel drückte mit linder Hand der toten Schwester die einst so strahlenden goldenen Augen zu. –

* * *

Im Residenzschlosse zu Büsingen aber flammten zur selben Zeit hunderte von Kerzen auf. Durch die Straßen wogte eine bunte Menge und die Studenten brachten dem Fürsten Ernst Heinrich einen Fackelzug. Ueberall herrschte Freude, denn wie ein Lauffeuer hatte sich das Gerücht verbreitet, Prinz Dolf Dietram hätte sich mit der Prinzessin Geraldine von Pleß, die ihm schon lange bestimmt gewesen sei, verlobt.

Und Zilla lag so still und lächelte dazu und ihr Kind streute mit seinen kleinen ungeschickten Händen die ersten Blumen über die Tote.


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