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11.

Bei Professor Krause war große musikalische Abendvorführung. Aniane, die schon auf einer früheren mit Erfolg gesungen hatte, sah diesem Abende mit etwas Bangen entgegen. Nicht, daß sie für ihre künstlerischen Leistungen gefürchtet hätte; nein, sie war nach den bisher so glücklich verlaufenen Konzerten und einem glänzenden Gastspielabend am Leipziger Stadttheater sehr sicher geworden. Aber eine unerklärliche Bangigkeit vor etwas Verhängnisvollem, dem sie nicht entrinnen konnte, hielt sie gefangen.

Umsonst hatte sie schon den ganzen Tag dagegen angekämpft.

Nicht mal dem Prinzen Dolf Dietram brauchte sie heute zu begegnen. Denn noch gestern hatte ihr der Herr Rittmeister von Rammelsburg vertraut, als er, wie schon öfter, zur Teestunde kam, um mit ihr und Frau Dr. Sperling gemütlich ein Stündchen zu verplaudern, daß der Prinz für einige Tage nach Büsingen abberufen sei. Wigbert von Pflug habe ihn begleitet.

Anianens Augen waren so froh aufgestrahlt bei dieser Nachricht. Nun konnte sie freier atmen als bisher, nun brauchte sie doch ein paar Tage nicht den werbenden Blicken des Prinzen zu begegnen, nun konnte sie doch endlich einmal mit sich selbst zu Rate gehen.

Ueberall, wohin sie auch kam, traf sie Prinz Dolf Dietram. Es gab kaum eine Gesellschaft, ein Konzert, eine Theatervorstellung, die Aniane besuchte, wo der Prinz nicht anscheinend absichtslos Anianen entgegentrat.

Sogar zu den harmlosen Sonntags-Mittagessen bei der Geheimrätin, wo Aniane, ihr Vetter und noch einige junge Künstler den sogenannten »Freitisch« hatten, mit dem die Geheimrätin immer prunkte und zu dem sie jetzt auch Roald Harnsen herangezogen, hatte der Prinz sich selbst eingeladen. Die Geheimrätin von Heimburger war eitel Wonne über soviel Herablassung, und sie war auch nahe daran, Aniane und die andern auszuladen, um den Prinzen für sich allein zu genießen, aber eine innere Stimme warnte sie, daß der Prinz es erfahren könnte und daher machte sie dann wider Willen gute Miene zum bösen Spiele. Sie konnte es aber nicht unterlassen, das Mahl doch etwas »fürstlicher« zu gestalten, wie sich ein einfaches Mittagessen im Familienkreise bei ihr abspielte, und Maja und Maguhild erhielten kostbare weißseidene Chiné-Kleider mit großen rosa eingewirkten Blumen, in denen sie ganz würdig und steif dasaßen und nicht das geringste dazu beitrugen, den Prinzen zu unterhalten.

Aniane hatte sich nicht wenig über die Geheimrätin amüsiert, aber sie hatte auch bemerkt, wie Frau von Heimburger immer eisiger und einsilbiger zu ihr wurde, je mehr sich Prinz Dolf Dietram ihr zuwandte und daß ihr Vetter Hans einen großen Teil dieser feindseligen Blicke mit erhielt.

Freilich, Hans war auch der einzige, den die Anwesenheit des Prinzen nicht weiter in seiner unermüdlichen Gesprächigkeit beeinträchtigte. Er redete, als bekäme er's »extra bezahlt«, wie die Geheimrätin erbost bemerkte, und Aniane hatte ganz deutlich gesehen, welche zärtlichen Blicke holden Einverständnisses er mit der kleinen Maja tauschte.

Aniane hatte so das Gefühl gehabt, als seien ihre und ihres Vetters Tage in dem geheimrätlichen Hause gezählt, und die Tatsache, daß Roald Harnsen mit finster gefalteter Stirn bei Tische vor sich hinbrütete und oft drohend zu dem Prinzen herübersah, ohne ein Wort zu reden, trug auch nicht dazu bei, sie froh zu machen. Am unbefangensten war noch Wigbert von Pflug, der sich bemühte, Maguhild zu unterhalten, die aber, eingeschüchtert durch des Prinzen Gegenwart, trotz Staatsrobe und der vielen guten Lehren ihrer Mutter nicht wagte, auf die Unterhaltung einzugehen.

Aniane hatte bei diesem Mittagessen zum ersten Male die Gegenwart des Rittmeisters von Rammelsburg vermißt, die ihr sonst immer ein wohliges Gefühl sicheren Geborgenseins gab, und sie hatte daran gedacht, es ihm zu sagen, wenn er zu ihr kam.

Und als er sie aufsuchte, da schwieg sie doch, denn die Nachricht, daß der Prinz verreist sei, zeigte ihr, wie viel des Prinzen Anwesenheit in Leipzig für sie bedeutete.

Und nun war die dumme Angst wieder da und Prinz Dolf Dietram war doch weit von hier. – – –

* * *

Aniane fuhr schweren Herzens durch die verschneiten Straßen hinaus in die Brandvorwerkstraße, in der das Haus des bekannten Musikprofessors lag.

Der breite Korridor war, als sie ankam, schon ganz vollgepfropft von Mänteln, Regenschirmen und Gummischuhen. Aniane wollte ihrer beunruhigenden Ahnungen Herr werden, aber das Angstgefühl wollte nicht weichen. –

Der Professor stand in Frack und weißer Weste auf dem Vorflur und rieb sich nervös die Hände.

Die Prinzessin von Altenburg, zu deren Lehrer er erwählt war, hatte sich angemeldet und auch vom Dessauer Hofe wurden Fürstlichkeiten erwartet.

Professor Krause rief es Aniane gleich zu, als sie sich aus ihrem Abendmantel wand.

»Sie singen doch?« fragte der Professor Aniane, »die fürstlichen Herrschaften brennen darauf, Sie zu hören. Sie wissen ja, wir haben kein festes Programm aufgestellt.«

»Wenn Sie es wünschen und es notwendig ist, daß ich einspringe, Herr Professor, gern. Ich glaube nur, daß heute berufenere Kräfte hier sind. Ich höre Richard Strauß, Siegfried Wagner, Frau Mottl?«

»Ja doch, ja doch!« nickte der Professor, »aber Ihre frühlingsfrische Stimme, Fräulein von Rainer, brauchen wir wie's liebe Brot.«

Aniane lächelte ihm zu. »Ich singe natürlich gern.«

Und dann trat sie, leicht ihr lichtblaues Crep-Kleid, für welches sie das ganze Honorar ihres letzten Konzertes geopfert hatte, zusammenraffend, sich mühsam durch die Gäste den Weg bahnend, in den Musiksaal.

– Wer an dem Musikleben der damaligen Zeit Leipzigs teilgenommen hat, der kennt auch den großen, langgestreckten Musiksaal von Professor Krause mit der niedrigen Decke und den Büsten von Wagner, Liszt, Beethoven und Mozart an den Wänden. Die beiden großen Flügel nahmen einen beträchtlichen Teil des Saales ein. Den Flügeln zunächst war eine Reihe noch leerer Sessel im Halbkreis aufgestellt, wohl für die fürstlichen Gäste bestimmt und dahinter dichte Reihen von Stühlen, die alle vollbesetzt waren.

Als Aniane eintrat, ging eine Bewegung durch die Reihen der Anwesenden und die laute Unterhaltung verstummte einen Augenblick ganz. Dann wurde Aniane von allen Seiten lebhaft begrüßt. Kunstkenner oder solche, die es sein wollten und Enthusiasten aller Art wurden ihr vorgestellt und bald stand Aniane inmitten eines großen Kreises und die Bangigkeit ließ nach, die sie bisher bedrückte.

Es war eine Unmöglichkeit, in dem gefüllten Saale noch einen Sitzplatz zu finden. Aniane bewegte sich also langsam einer offenen Tür zu, die zu einem Nebenraume führte, aus dem lachende, plaudernde Stimmen hell in den Musiksalon hineinschallten.

Auch hier drängte sich eine bunte Menge, und dahinten in der großen Glasveranda hatte eine Gesellschaft junger Künstler sich's bei einer Ananasbowle schon ganz bequem gemacht. Hans von Buttler saß mitten darunter und hob grüßend sein Glas, als er Aniane gewahrte.

»Von der Musik hört man doch nichts,« reflektierte er, »wenn man nicht zu den Auserwählten gehört, die einen Platz bei den höchsten Herrschaften haben, daher ist es besser, man sieht sich beizeiten vor, um wenigstens was zu trinken zu bekommen.«

So kam es denn, daß Hans von Buttler und noch eine Anzahl junger Leute, die ständig bei den musikalischen Abenden in der Brandvorwerkstraße zugegen waren, oft gar nicht wußten, wer gespielt oder gesungen hatte und wer überhaupt dagewesen war. Gefallen hatte es ihnen trotzdem immer »herrlich«.

Aniane stand im Gespräche mit Siegfried Wagner, der soeben im Lisztverein die Tannhäuser-Ouverture glanzvoll dirigiert hatte und hörte wie im Traume ihn sagen:

»Der Herr Professor hat mir von Ihrer herrlichen Stimme erzählt, gnädiges Fräulein. Sie müssen mal nach Bayreuth kommen, daß meine Mutter Sie hört.«

Zu jeder anderen Zeit hätten die Worte des Sohnes des berühmten Meisters Aniane mit berauschenden Hoffnungen erfüllt, so aber hörte sie nur aus weiter Ferne den Tonfall der Worte, ohne ihren Sinn ganz zu begreifen oder zu verstehen, ihr Auge hing wie gebannt an der Tür, die nach dem Korridor führte, denn in dem Rahmen stand jetzt, alle anderen überragend, der Prinz von Büsingen. Er sah ihr voll heißer Leidenschaft in die Augen.

Der Prinz trug heute einen schwarzen Frackanzug und eine weiße Geranie im Knopfloch. Sein Antlitz war bleich, und als er das Augenglas plötzlich sinken ließ, war es Aniane, als flackere noch ein ganz besonderes Licht in des Prinzen Augen, ein Licht, das sie fürchtete.

Zu gleicher Zeit lief eine Bewegung durch die Menge. Die fürstlichen Herrschaften waren erschienen und hatten wohl im Musiksaale Platz genommen. Alles drängte zur Tür und so weit es anging, in den Musiksaal hinein, wo Roald Harnsen bereits am Flügel saß und ein Chopinsches Nokturno begann.

Da kam es denn, daß Aniane einen Augenblick ganz allein in der Mitte des Zimmers zurückblieb, den der Prinz sofort benutzte, um sie anzusprechen.

»Wie glücklich bin ich,« sagte er in heißem, leisem Flüstertone, ihre Hand an seine Lippen ziehend, »daß es mir doch noch möglich war, heute abend rechtzeitig zu erscheinen. Ich fürchtete schon, Sie nicht zu treffen, da Rammelsburg, Ihr getreuer Eckehardt, mir sagte, Sie würden voraussichtlich nicht hier sein.«

Aniane erbebte. Also hatte Rammelsburg den Prinzen zurückhalten wollen, ihr zu begegnen? Er fürchtete eine Gefahr für sie? Anianens Herz klopfte wie rasend, als sie sagte:

»Beinahe hätte Baron Rammelsburg recht gehabt, ich bin müde und abgespannt und fürchte, ich werde nicht gut singen. Ist der Baron nicht hier?«

»Nein,« gab der Prinz zögernd zurück, »eine kleine Meinungsverschiedenheit über den Zweck meiner Reise, die nur Unangenehmes für mich hatte, führte zu einer kleinen Verstimmung. Ich lehnte daher die Begleitung des Herrn Rittmeisters ab.«

Er sagte es mit dem hochfahrenden Tone, den er zuweilen anzuschlagen beliebte und der Aniane so verhaßt war.

Das gab ihr sofort ihre Sicherheit wieder.

»Ach,« rief sie, »wie bedauere ich, daß Herr von Rammelsburg nicht kommt, ich fühle mich immer so sicher, wenn er in der Nähe ist. Er ist mir wie ein Stück Heimat, der man sich zugehörig fühlt.«

Des Prinzen Antlitz beugte sich flammend zu ihr hernieder. Wie Zorn lohte es darüber hin.

»Reizen Sie mich doch nicht unausgesetzt, Aniane,« flüsterte er fast heiser, während schmeichelnd und süß die Musik zu ihnen herüberdrang, die sie beide nur wie aus weiter Ferne hörten. »Sie wissen genau, was ich denke und empfinde, Sie wissen –«

»Nicht weiter, Prinz,« gebot Aniane entschieden. »Sehen Sie denn nicht, daß man schon aufmerksam auf uns wird.«

Von der Veranda her tönte leises Lachen und das vorsichtige Anstoßen der Bowlengläser.

Aus dem Musiksaale klangen die Zeichen des Beifalls. Roalds Spiel war beendet. Aniane dachte daran, daß sie ihm doch eigentlich ein paar Worte sagen müßte, aber die Füße waren ihr wie festgebannt.

In bunten Gruppen wogte es jetzt wieder um sie her. Der Prinz war gegangen, die höchsten Herrschaften zu begrüßen; und dann stand sie am Flügel und sang.

Sie wußte selbst kaum, was sie sang. Ein paar Lieder flüchtig hingeworfen und doch von einem süßen Wohllaut, der die Hörer gefangen nahm. Und zum Schlusse nach kurzer Verständigung mit Roald Harnsen begann sie noch Cornelius' »Siehe wir wandeln zusammen im Mondenschein.«

Es war wieder wie damals in der Alberthalle, als sie sang, es war, als wehe ein Dufthauch durch den Raum, als flösse alles Licht in Goldströmen zusammen, wenn ihre Stimme so süß wie Frühlingsatem ihrem Munde entströmte.

Ein nicht endenwollender Beifall umschmeichelte Aniane. Professor Krause kam, um sie zu den Prinzessinnen zu führen, die lebhaft danach verlangten, die Sängerin kennen zu lernen.

»Sie müßten eine herrliche Elisabeth verkörpern,« sagte unter anderem die junge blonde Altenburger Prinzessin, die blauen Augen bewundernd zu Aniane aufschlagend, »und ich möchte Sie wohl gern als solche bei uns sehen. Ich höre, daß Sie sich doch entschlossen haben, zur Bühne zu gehen, Fräulein von Rainer?«

»Ganz recht, Hoheit, ich habe vom Frühjahr an eine Anstellung am Hoftheater in Büsingen angenommen.«

»Wirklich? Wie schade,« seufzte die Prinzessin. »Aber vielleicht läßt es sich später ins Auge fassen. Sie haben herrlich gesungen, es war, als brächen tausend Blüten auf.«

Auch die andern fürstlichen Herrschaften sagten Aniane ermunternde Worte. Mit einer tiefen Verbeugung trat sie endlich zurück. Langsam kam sie, von Bewunderern umdrängt, wieder zurück in das vor kurzem verlassene Nebenzimmer.

Auch hier erdrückte sie fast die Menschenfülle. Schnell entschlossen schritt sie zu einem kleinen Nebengemache, in dem die Büfetts ausgestellt waren, und trat in den dämmerigen, nur matt erleuchteten Raum. Aus dem Musiksaale klangen die Töne herüber. Aniane wußte, es war Richard Strauß, der dort so meisterhaft Beethoven spielte, aber sie trat doch keinen Schritt zurück, um den Meister zu hören, sie mußte allein sein, nur einen Augenblick zu Atem kommen in all dem Verwirrenden, das auf sie einstürmte.

Das Wesen des Prinzen beängstigte sie und vor allem war sie sich selbst ein Rätsel. Woher kam ihr dieses Gefühl hilflosen Bangens? Warum zitterte sie unter den Herrscheraugen des Prinzen wie ein törichtes furchtsames Kind, warum lähmte er ihren Willen, ihre Gedanken? Hatte Rammelsburg recht? War es eine Gefahr, eine grenzenlose Gefahr, wenn sie ihr Engagement in Büsingen antrat? War es nicht ihre Pflicht, den Prinzen zu fliehen, jede Begegnung mit ihm zu vermeiden? Aniane legte einen Augenblick ihre Hände an die pochenden Schläfen.

»Ach, hier finde ich Sie endlich,« tönte plötzlich Dolf Dietrams Stimme an ihr Ohr.

Er stand auf der Schwelle und langsam fiel hinter ihm der dunkle Vorhang zusammen.

Aniane wich unwillkürlich einige Schritte zurück. Ein fast ironisches Lächeln irrte um die schmalen Lippen des Prinzen.

»Furcht, meine Gnädige? Nicht doch. Das steht Ihnen gar nicht! Warum weichen Sie mir aus?«

»Durchlaucht irren. Ich habe Kopfschmerzen, wie ich Ihnen schon vorher sagte, und ich denke daran, nach Hause zu fahren.«

»Darf ich den Vorzug haben, Sie zu begleiten?«

»Nein, danke, Durchlaucht, ich fahre lieber allein.«

Der Prinz war ganz nahe zu Aniane herangetreten.

»Reizen Sie mich doch nicht unausgesetzt,« knirschte er zwischen den Zähnen. »Soll ich Ihnen denn noch wie ein Schulbube weinend sagen, daß ich bereue, Sie einst gekränkt zu haben und daß ich Sie liebe, tief und grenzenlos? Wollen Sie mir denn nichts, rein gar nichts ersparen?«

Die junge Sängerin schloß einen Moment wie im Taumel die Augen. Um sie her war es wie ein Brausen und Fluten. Jauchzen hätte sie mögen vor Seligkeit, und doch wieder aufschreien mögen vor Schmerz und endlosem Jammer.

»Ein Wort, ein einziges Wort, Aniane,« stammelte der Prinz. »Seien Sie doch barmherzig! Vergelten Sie doch nicht so grausam, was ich einst in kindischem Knabentrotz verbrochen. Schon damals liebte ich Sie, Aniane, schon damals.«

Das blonde Mädchen richtete sich auf. Der ganze Jammer ihrer Kindheit stieg plötzlich in ihrer Seele auf und die ganze Trostlosigkeit der Tanzstunde, in welcher der Prinz sie so herzlos an den Pranger gestellt.

»Durchlaucht, glaube ich,« lachte sie bitter, »werfen auch jetzt wie einst in der Tanzstunde die Engagements nach Willkür durcheinander. Ich nehme an, daß Ihre Worte an eine ganz andere Adresse gerichtet waren.«

»Zilla,« tönte es plötzlich ganz deutlich, aber doch wie eine Stimme aus dem Grabe, durch den Raum. Leichenblässe überflog des Prinzen Antlitz. Aniane trat noch einen Schritt weiter von dem Prinzen zurück.

»Was soll der Unfug?« fragte Dietram, zornig auf die Portiere zuschreitend.

Noch ehe er diese erreicht, wurde sie von der anderen Seite zurückgeschlagen und Rahel von Wolfhardt stand auf der Schwelle. Ihr sonst so blühendes Gesicht war leichenblaß, drohend und unheimlich glühten die großen dunklen Augen aus dem weißen Gesichte, das sich geisterhaft aus dem schwarzen, bis zum Halse hinaufreichend mit Flitter besetzten Tüllkleide heraushob. Das rote Haar flimmerte leuchtend über der weißen Stirn. Wie eine Rachegöttin stand Rahel da, unerbittlich und mitleidlos.

»Wollen Sie Geister beschwören, gnädiges Fräulein?« lachte der Prinz Dolf Dietram nervös auf.

Aniane sah erschauernd in Rahels wildes Gesicht, das sich jetzt finster zu dem Prinzen emporhob.

»Ich weiß nicht, Durchlaucht,« nahm Rahel langsam das Wort, »ob eine Stimme aus dem Jenseits Macht über Sie hätte, ich bezweifle es fast, da der Schmerzensschrei von Menschen, die ihr Liebstes verloren, unerhört an ihrem Ohre verhallt, trotzdem ich überzeugt bin, daß ein Wort von Ihnen genügte, die folternde Angst von dem Herzen meines alten Vaters zu nehmen. Ich zweifle überhaupt, wie gesagt, daran, daß Durchlaucht eine andere Stimme hören und kennen, als die eigene Stimme in der Brust, die nur auf einen Ton, den der brutalsten Selbstsucht, gestimmt ist.«

»Rahel,« rief Aniane entsetzt, »besinne dich doch.«

»Sie ist wahnsinnig,« murmelte der Prinz. »Es ist wirklich ganz unerhört, daß ich mir auf Schritt und Tritt die Sottisen dieser Person,« er maß Rahel mit einem unnachahmlichen Blicke, »gefallen lassen muß. Ich werde,« fügte er hinzu, »sofort für Abhilfe sorgen.«

Er verbeugte sich tief vor Aniane und schritt der Tür zu. Rahel aber vertrat ihm den Weg mit flammenden Augen.

»Wahnsinnig?« lachte sie hart auf. »Wenn ich es wirklich bin, so trägt Eure allerhöchste fürstliche Durchlaucht die Schuld daran. Rufen Sie doch zum Schutze Ihrer hohen Persönlichkeit einen berühmten Psychiater herbei. Professor Flechsig ist, glaube ich, auch in der Gesellschaft. Lassen Sie mich doch mit meinen wahnsinnigen Behauptungen einstecken; ich werde trotzdem nicht aufhören, es in alle Welt zu schreien, daß Prinz Dolf Dietram von Büsingen meine junge, minderjährige Schwester entführt und sie, nachdem er ihrer überdrüssig geworden, irgendwo hat verschwinden lassen. Für uns gemeine Sterbliche steht das Gefängnis auf derartiges Verbrechen, ganz abgesehen von dem Ende, das meine unglückliche Schwester gefunden hat, und ich meine, daß ein Prinz, der ein derartiges Verbrechen begeht, noch strenger bestraft werden muß, als einer aus dem Volke.«

»Nun ist es aber genug,« schnitt der Prinz Rahel das Wort ab und ein haßerfüllter Blick zuckte aus seinen Augen. »Fräulein von Rainer, bitte, nehmen Sie sich der Armen an, ich werde sofort Sorge tragen, daß ein Arzt kommt, der Fräulein von Wolfhardt in Obhut nimmt.«

»Wagen Sie es doch,« lachte Rahel auf. »Ich freue mich auf den Moment, wo die ganze Gesellschaft hier erfährt, was ein Prinz, um den sich alles reißt, wert ist.«

Aniane sah, wie Dolf Dietram nur mühsam seinen Zorn beherrschte. »Gehen Sie, Prinz,« bat sie leise, »und überlassen Sie Rahel mir. Ich bürge für sie. Sie wird nichts tun, was unnötiges Aufsehen erregt. Gehen Sie,« bat sie noch einmal.

Prinz Dolf Dietram sah unschlüssig auf Aniane. Dann zog er hastig ihre Hand an seine Lippen. »Ich werde mir morgen Ihre Antwort holen,« flüsterte er, nur ihr verständlich, dann fiel der Vorhang hinter ihm zusammen.

Rahel war auf einen Stuhl gesunken, die Arme hingen ihr schlaff hernieder und der Mund zuckte, als wollte sie weinen.

»Rahel, Rahel,« bat Aniane, »besinne dich doch. Wie kannst du nur überall den Prinzen brüskieren? Für alles, was du sagst, hast du doch nicht die geringsten Beweise. Ich fürchte, die Langmut des Prinzen hat ein Ende und du bereitest dir Unannehmlichkeiten, an deren Folgen du schwer zu tragen hast.«

Rahel sah Aniane lange an.

»Du glaubst also noch an ihn?« kam es bitter von ihren Lippen. »So wie die Jugend glaubt, heiß, leidenschaftlich, ohne zu fragen? – Ich bin traurig, daß ich dir diesen Traum zerstören muß, daß ich vorhin der Szene zwischen dir und dem Prinzen ein Ende machen mußte, damit du nicht auch an der Grausamkeit und Selbstsucht dieses Elenden zugrunde gehst.«

»Mit welchem Recht mischst du dich fortgesetzt in meine Angelegenheiten?«

»Mit dem Rechte des Stärkeren, mein liebes Kind. Ich habe die Waffe in der Hand, die dich vor dir selber schützt und ihn vernichtet. Ich werde sie brauchen, jetzt und in jeder Stunde, verlaß dich darauf!«

Sie glitt leise zur Tür. Wie eine dunkle Schlange rieselte die schwarze Schleppe ihres Kleides mit den glitzernden Falten ihr nach.

Aniane stand einen Augenblick fassungslos, wie vernichtet. Aus dem Musiksaale klang jetzt Gesang:

»Es war, als hätt' der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer
Von ihr nur träumen müßt!
Die Luft ging durch die Felder,
Die Aehren rauschten sacht,
Es rauschten leicht die Wälder,
Und sternklar war die Nacht,
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.«

Aniane lauschte, bis der letzte Hauch verklang. Immer ruhiger wurde sie bei den Tönen, die wie ein Weihegruß zu ihr herüberdrangen. Es war ihr, als wüßte sie plötzlich, wo ihre Heimat war, als müsse sie den sichern Schutz des Hafens suchen, bevor Sturmeswüten ihr den Weg versperrte. Wie befreit richtete sie sich empor. In ihren grauen Augen glomm ein eigenes Licht, dann trat sie aus dem kleinen Zimmer heraus unter die bunte Menge.

Sie sprach hier und da ein paar Worte, sie nickte der bekannten Musikschriftstellerin La Mara zu und hörte die anerkennenden Worte, welche die berühmte Sangesmeisterin Auguste Götze, die in ihrem grauseidenen Kleide und dem weißen lockigen Haar eine auffallende interessante Erscheinung bot, zu ihr sprach. Sie ließ sich von dem Grafen Zichy heiß und leidenschaftlich die Hand küssen, und sie hörte lächelnd die faden Schmeicheleien eines großen breitschultrigen Herrn an, der dafür bekannt war, sozusagen Jagd auf Künstlerinnen zu machen.

Seine unbeschränkten Mittel, die man in Künstlerkreisen sehr schätzte, gaben ihm eine gewisse Macht.

Aniane bemerkte gar nicht, daß er sie so unverschämt und beutesicher betrachtete, sie lächelte ihm noch einmal freundlich zu, nur um ihn loszuwerden. Dann endlich hatte sie Roald Harnsen gefunden.

»Wollen Sie mich nach Hause begleiten, Roald?« fragte sie hastig. »Dann bitte, kommen Sie, aber sofort, ich ersticke hier unter den vielen Menschen und jetzt in der Pause können wir gut fort.«

Der blonde Schwede erhob sich finster von seinem Stuhle. In seinen Augen war finstere Abwehr.

»Wenn Sie es wünschen,« entgegnete er kühl, »will ich mich fertig machen. Aber wollen Sie denn zu Fuße fort in dieser Toilette?«

»Ach, das schadet nichts, ich schürze das Kleid. Mein Abendmantel verdeckt alles. Bitte, kommen Sie schnell!«


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